• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Umsetzung von Leitlinien bei seltenen Erkrankungen am Beispiel des Merkelzellkarzinoms" (20.10.2006)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Umsetzung von Leitlinien bei seltenen Erkrankungen am Beispiel des Merkelzellkarzinoms" (20.10.2006)"

Copied!
6
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

D

as Merkelzellkarzinom ist ein aggressives Malig- nom der Haut mit neuroendokriner Differenzie- rung. Mit einer Inzidenz von 0,1 bis 0,3 Neuerkrankun- gen pro 100 000 Einwohner und Jahr gehören Merkel- zellkarzinome zu den seltenen Tumoren der Haut (1, 2).

Das durchschnittliche Erkrankungsalter liegt zwischen 65 und 70 Jahren (1). Merkelzellkarzinome imponieren in der Regel als rötliche oder livide, solide, indolente, kutane bis subkutane Tumoren (Abbildung a). Neben den häufigen halbkugeligen oder knotigen Formen kom- men aber auch plaqueartige Varianten vor. Histologisch zeigt sich typischerweise ein dermal gelegenes, wenig differenziertes, kleinzelliges Karzinom, das sich bis in das subkutane Fettgewebe ausdehnen kann (3). Oft sind die Tumorzellen in Strängen und soliden Zellkomplexen angeordnet, die trabekuläre Formationen bilden (Abbil- dung b).

Der klinische Verlauf ist gekennzeichnet durch eine hohe Rate an Lokalrezidiven und einer sequenziellen Metastasierung, wobei bei Lokalrezidiven in der Regel eine Unterscheidung zwischen Persistenz und Satelliten- metastasen nicht möglich ist. Bei Erstdiagnose weisen bereits bis zu einem Drittel der Betroffenen eine lokore- gionäre Lymphknotenbeteiligung auf; im Verlauf der Er- krankung erhöht sich dieser Anteil auf über 60 Prozent (4). In über 30 Prozent der Fälle tritt eine systemische Disseminierung auf, die in der Regel innerhalb weniger Monate zum Tode führt (4). Eindeutige Angaben zur er- krankungsbedingten Fünf-Jahres-Überlebensrate fehlen aufgrund der geringen Inzidenz und der hohen Ko- morbidität der Erkrankten. Die verbreiteste Einteilung der klinischen Ausbreitung unterscheidet drei Erkran- kungsstufen. Im Stadium I befinden sich Patienten, bei denen allein ein Primärtumor nachweisbar ist; Stadium II ORGINALARBEIT

Umsetzung von Leitlinien bei

seltenen Erkrankungen am Beispiel des Merkelzellkarzinoms

Karsten Weller, Claudia Vetter-Kauzcok, Katharina Kähler,

Axel Hauschild, Thomas Eigentler, Claudia Pföhler, Karsten Neuber, Ingrid Moll, Markus Krause, Lucas Kneisel, Dorothee Nashan, Adina Thoelke,

Barbara Letsch, Helmut Näher, Jürgen C. Becker

ZUSAMMENFASSUNG

Einleitung: Über die Umsetzung bei Leitlinien bei seltenen Erkrankungen ist wenig bekannt, weil die Leitlinien oft auf einem niedrigen Evidenzlevel basieren. Das Merkelzellkar- zinom, ein aggressives Malignom der Haut, ist eine solche seltene Erkrankung. Methoden: Ein Fragebogen zur Be- handlung des Merkelzellkarzinoms in den Jahren 1998 bis 2004 – dem Zeitraum seit Publikation der ersten Version der Leitlinien – wurde an 47 Kliniken versandt. Neben epi- demiologischen und tumorbezogenenen Daten wurden In- formationen zu Staginguntersuchungen, Therapie und Ver- lauf erhoben. Ergebnis: Rückmeldungen zu 150 Patienten.

Die Auswertung zeigte, dass die Umsetzung der Leitlinien nur zum Teil erfolgt. Vor allem bei der adjuvanten Strah- lentherapie bestanden deutliche Diskrepanzen; dieser Um- stand ist wesentlich, da eine leitliniengerechte Versorgung mit weniger Rezidiven einhergeht. Diskussion: Am Beispiel des Merkelzellkarzinoms zeigt sich, dass die Veröffentli- chung von Leitlinien allein bei seltenen Erkrankungen ärzt- liches Handeln nicht ausreichend beeinflusst.

Dtsch Arztebl 2006; 103(42): A 2791–6.

Schlüsselwörter: Merkelzellkarzinom, neuroendokrines Karzinom der Haut, Sentinel-Lymphknotenbiopsie

SUMMARY

GUIDELINE IMPLEMENTATION IN MERKEL CELL CARCINOMA: AN EXAMPLE OF A RARE DISEASE Introduction: Little is known about the implementation of guidelines in rare diseases which, because of low incidence, are often based on a low level of evidence. Merkel cell carcinoma is an agressive skin malignancy which provides an example. Methods: A questionnaire survey relating to treatment of Merkel call carcinoma between 1998 and 2004, the time since publication of the first version of the guidelines was sent to 47 hospitals. Data were solicited on epidemiology, tumour grade and stage, treatment and clini- cal course. Results: Replies were received for 150 patients.

The analysis suggests that guideline adherence is patchy.

There were particularly strong variations in practice relat- ing to adjuvant radiotherapy.This is important because guideline conformity in this area is associated with fewer recurrences. Discussion: The example of Merkel Cell carci- noma illustrates that the mere publication of guidelines is insufficient to ensure that best evidence is put into prac- tice. Dtsch Arztebl 2006; 103(42): A 2791–6.

Key words: Merkel cell carcinoma, neuroendocrine carci- noma of the skin, sentinel lymph node biopsy

Klinik für Dermatolo- gie, Allergologie und Venerologie, Univer- sitätsklinik Würzburg (Dr. med. Weller, Dr.

med. Vetter-Kauzcok, Prof. Dr. med. Becker) Klinik für Dermatolo- gie, Venerologie und Allergologie, Univer- sitätsklinikum Schles- wig-Holstein (Dr. med.

Kähler, Prof. Dr. med.

Hauschild) Universitäts- Hautklinik, Eberhard- Karls-Universität, Universitätsklinikum Tübingen (Dr. med.

Eigentler) Klinik für Dermatolo- gie, Allergologie und Venerologie, Univer- sitätskliniken des Saarlandes, Homburg/Saar (PD Dr. med. Pföhler) Klinik für Dermatologie und Venerologie, Uni- versitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (PD Dr. med. Neuber, Prof. Dr. med. Moll) Klinik für Dermatolo- gie, Venerologie und Allergologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin (Dr. med. Weller, Dr. med. Krause) Zentrum der Dermatologie und Venerologie, Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main (Dr. med. Kneisel)

(2)

ist durch lokoregionäre, Stadium III durch Fernmetasta- sen definiert.

Aufgrund der geringen Inzidenz von Merkelzellkarzi- nomen gibt es hierzu bis heute keine kontrollierten, pro- spektiven Studien. Höherwertig evidenzgesicherte Emp- fehlungen zur Diagnostik und Therapie fehlen daher. Ent- sprechend stützt sich der von 1998 bis 2004 bestehende Konsensus zur Diagnostik und Therapie in Deutschland (5) – ebenso wie auch die kürzlich aktualisierte Fassung der entsprechenden Leitlinien (6) – auf Einzelfallberich- te, retrospektive Studien mit zumeist geringen Fallzahlen sowie auf klinische Erfahrungen.

Zur primären Ausbreitungsdiagnostik wurden gemäß der Leitlinien von 1998 neben einer Sonographie der drainierenden Lymphknoten und des Abdomens eine Röntgenuntersuchung des Thorax empfohlen. Bei klini- schem Verdacht auf eine Fernmetastasierung sollte eine verfeinerte, organspezifische Abklärung mittels Computer- tomographie (CT) oder Magnetresonanztomographie (MRT) erfolgen. Eine Ausbreitungsdiagnostik per Sentinel- Lymphknotenbiopsie fand in der Leitlinie von 1998 noch keine Erwähnung (5).

Als Therapie der Wahl für Primärtumoren gilt die chirurgische Exzision mit einem Sicherheitsabstand von 3 cm. Im Falle von Lokalrezidiven oder Lymphknotenme- tastasen ist eine kurative chirurgische Intervention anzu- streben. Daneben wird aufgrund der hohen Strahlensensi-

bilität, eine adjuvante, postoperative Radiatio der Exzisi- onsstelle mit 3 cm Sicherheitsabstand sowie der re- gionären Lymphknotenstation mit Gesamtdosen von bis zu 50 Gray empfohlen (5).

Aufgrund mangelnder therapeutischer Optionen im Stadium III hat die engmaschige Nachsorge aktuell vor- dringliche Bedeutung, um eine kurative chirurgische In- tervention im Falle eines Rezidivs zu ermöglichen. In den Leitlinien von 1998 wurde eine sechs-wöchentliche kli- nische Nachsorge einschließlich lokoregionärer Sono- graphie innerhalb des ersten Jahres, danach Kontrollun- tersuchungen in vierteljährlichen und später halbjährli- chen Abständen vorgeschlagen (5). Abdomensonogra- phie und Röntgen-Thorax-Untersuchungen sollten in jährlichen Abständen erfolgen, der Nachsorgezeitraum mindestens fünf Jahre umfassen (5).

Inwieweit die 1998 veröffentlichte Leitlinie zur Dia- gnostik und Therapie des Merkelzellkarzinoms (5) Ein- gang in die klinische Praxis der Ärzte gefunden hat, war bislang unbekannt. Obwohl in aller Regel von Experten- kommissionen erarbeitet, stellt sich immer deutlicher heraus, dass die Beeinflussung von ärztlichem Routine- handeln durch die Publikation von Leitlinien ein äußerst anspruchsvolles Vorhaben ist (7, 8). Neben der rein „pas- siven“ Veröffentlichung von Leitlinien scheint vor allem die Integration der Inhalte in Aus-, Weiter- und Fortbil- dung die Umsetzung zu fördern (7–9).

Patienten und Methoden

Zwischen Juni 2004 und Januar 2005 wurde ein in Würz- burg entwickelter und von der Arbeitsgemeinschaft Der- matologische Onkologie (ADO) unterstützter Fragebo- gen zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Merkel- zellkarzinoms seit Publikation der Leitlinie im Jahre 1998 an 47 Kliniken im deutschsprachigen Raum ver- sandt. Neben Daten wie Alter und Geschlecht des Patien- ten, Tumorgröße und Histologie wurden Informationen zu Staginguntersuchungen, Therapie und Verlauf der Er- krankung erhoben. Rückmeldungen erfolgten von 15 der angeschriebenen Kliniken (32 Prozent), wobei die Zahl der gemeldeten Patienten zwischen zwei und 31 schwankte; ebenso muss von einen unterschiedlichen Er- fassungsgrad ausgegangen werden, da nur ein Teil der Kliniken systematische Register unterhält. Die Auswer- tung der gesammelten und elektronisch erfassten Bögen erfolgte mit Hilfe von Microsoft Access (Microsoft Corp., Redmont, WA, USA) und Statview (Statview für Windows, SAS Institute inc., Cary, NC, USA).

Ergebnisse

Bis Mitte März 2005 waren Informationen zu insgesamt 150 Patienten eingegangen (Tabelle). Das Alter bei Erstdiagnose betrug im Mittel 74 Jahre. Die Geschlech- terverteilung lag bei 1,6 : 1 mit einer höheren Prävalenz bei Frauen. Der horizontale Tumordurchmesser lag bei der Primärdiagnose im Durchschnitt bei 1,97 cm, die Tu- mordicke bei 1,81 cm. Es zeigte sich dabei ein Unter- schied der mittleren Tumordurchmesser von 1,74 ± 0,20 cm bei Frauen versus 2,30 ± 0,38 cm bei Männern. Dieser Unterschied war allerdings nicht signifikant (p = 0,16, „un- Abbildung:

a) Klinik und b) Histologie des Merkel- zellkarzinoms

a

b

Klinik und Poliklinik für Hautkrankheiten – Allgemeine Dermatolo- gie und Venerologie, Universitätsklinikum Münster (Prof. Dr. med.

Nashan) Klinische Kooperationseinheit Dermato-Onkologie an der Klinik für Dermato- logie, Venerologie und Allergologie des Uni- versitätsklinikums Mannheim (Dr. med.

Thoelke) Dermatologische Kli- nik, Allergologie, Der- matoOnkologie, Vene- rologie, Universitäts- spital Zürich (Dr. med.

Letsch)

Universitäts-Hautkli- nik, Universitätsklini- kum Freiburg (Prof. Dr.

med. Nashan) Universitäts-Hautkli- nik, Universitätsklini- kum Heidelberg (Prof.

Dr. med. Näher)

(3)

paired t-test“). Für 68 Patienten lagen eindeutige Angaben zum histologischen Typ vor: in 44 Prozent der Fälle lagen Karzinome vom trabekulären, in 32 Prozent Karzinome vom intermediären und bei 24 Prozent der Patienten Tu- moren vom kleinzelligen Typ vor. Die Gesamtrezidivrate war bei den unterschiedlichen histologischen Typen mit 25 bis 31,8 Prozent weitgehend gleich. Von 75 immunhi- stologischen Untersuchungen zu Zytokeratin 20 waren 72 positiv und nur drei negativ.

Primärstaging

Im Rahmen des Primärstagings (Grafik 1a) wurde bei insgesamt 56/150 Patienten ein leitlinienkonformes Grundstaging mit Röntgen-Thorax-Untersuchung, Ab- domen- und Lymphknotensonographie durchgeführt.

18/150 weitere Patienten erhielten ebenfalls ein vollstän- diges Staging, allerdings wurde bei ihnen bereits initial CT oder MRT des Abdomens und/oder Thorax durchge- führt. Bei 32/56 Patienten mit vollständigem Grundsta- ging wurde aufgrund unklarer Befunde in mindestens ei- ner Region eine zusätzliche Untersuchung mittels CT oder MRT durchgeführt, also das Staging intensiviert. Ei- ne Untersuchung des Schädels erfolgte initial bei 33/150 Patienten. Abgesehen von der organspezifischen Diagno- stik des Schädels, bei der häufig ein MRT eingesetzt wur- de, überwiegt bei den Schnittbildverfahren der Thorax- und Abdomenregion deutlich die Computertomographie.

Zusätzlich wurden in 20,7 Prozent der Patienten eine Somatostatinrezeptor-Szintigraphie und in 24,7 Prozent eine Sentinel-Lymphknotenbiopsie durchgeführt. Bei 46/150 Patienten wurde nur ein eingeschränktes und da- mit unzureichendes Primärstaging durchgeführt. Für 30 Patienten lagen keine Informationen zu Art und Ausmaß der durchgeführten Untersuchungen vor. Für 143 Patien- ten wurde das Stadium bei Erstdiagnose des Merkelzell- karzinoms angegeben: bei 118 Patienten lag ein Stadium I, bei 23 Patienten das Stadium II und bei zwei Patienten das Stadium III vor (Grafik 1b). Für einen Teil der Pati- enten konnte der histologische Typ des Merkelzellkarzi- noms (n = 68) mit dem Stadium bei Erstdiagnose korre- liert werden: Primär bereits im Stadium II befanden sich dabei zwei von 30 Patienten (6,7 Prozent) mit trabe- kulären Tumoren, sieben von 22 (31,8 Prozent) Patienten mit intermediären und drei von 16 Patienten (18,8 Pro- zent) mit kleinzelligen Merkelzellkarzinomen.

Primärbehandlung

Bezüglich der Primärbehandlung des Merkelzellkarzi- noms ergab die Umfrage, dass diese in der Regel unter dem in den Leitlinien angegebenen Umfang lag. Die Ex- zision des Primärtumors erfolgte im Durchschnitt mit 1,86 cm Sicherheitsabstand (Median 2 cm). Dabei gab es je nach Lokalisation deutliche Unterschiede mit einem mittleren Sicherheitsabstand von 1,40 cm (Median: 1 cm) am Kopf, 1,87 cm (Median: 2 cm) am Stamm und 2,01 cm (Median: 2 cm) an den Extremitäten.

Nur 60 der 150 Patienten (40 Prozent) erhielten im Rahmen der Primärbehandlung eine Radiatio. Der Anteil der Patienten im Stadium I (n = 118), die eine Radiatio erhielten, war mit nur 41 Patienten, das heißt mit nur

34,7 Prozent in dieser Patienten-Untergruppe, noch ge- ringer. Bei 34 Patienten davon handelte es sich zumindest um eine lokale Radiatio, bei 17 Patienten um eine Be- strahlung des Lymphabflussgebietes und bei 14 Personen um eine Radiatio der regionären Lymphknoten. In 19/23 Fällen wurde die Bestrahlung bei Patienten vorgenom- men, die sich primär im Stadium II befanden.

Sentinel-Lymphknotenbiopsie

Bei insgesamt 37 Patienten erfolgte eine Sentinel-Lymph- knotenbiopsie. Ein eindeutiges histologisches Ergebnis lag in 33 Fällen vor; in 24,2 Prozent der Fälle waren die Lymphknoten tumorpositiv. Bei sieben der acht Patienten mit positivem Sentinel-Lymphknoten wurde eine Lymph- knotendissektion angeschlossen, bei zwei Patienten kam es dennoch im Verlauf zu einem Rezidiv der re- gionären Lymphknotenmetastasen (261 beziehungsweise 98 Tage nach der Primärdiagnose). Von den sechs Patien- ten, die einen tumorpositiven Sentinel-Lymphknoten auf- wiesen, aber in der Folge kein lokoregionäres Rezidiv entwickelten, erhielten vier Patienten eine Radiatio der Lymphknotenstation. Von den Patienten mit negativem Sentinel-Lymphknoten-Ergebnis traten im Verlauf bei drei Patienten (9,1 Prozent) regionäre Lymphknotenme- tastasen auf (240, 240 beziehungsweise 199 Tage nach Primärdiagnose). Bei einem dieser drei Patienten war eine adjuvante Radiatio (lokal, Lymphabflussgebiet und regionäre Lymphknoten) durchgeführt worden. Insgesamt erhielten in der Patientengruppe mit tumornegativem Sentinel-Lymphknoten neun Patienten eine adjuvante Radiatio. Zu einer Entwicklung von Fernmetastasen kam es im Verlauf bei zwei Patienten mit Sentinel-Lymph- knotenbiopsie; bei beiden waren im Schildwächterlymph- knoten ursprünglich keine Metastasen gefunden worden.

Zu einem Lokalrezidiv kam es bei zwei Patienten mit po- sitivem und vier Patienten mit tumornegativem Sentinel-

Lymphknoten.

* Zwischen Frauen und Männer bestehen keine signifikanten Unterschiede („unpaired t-test“) hinsichtlich Tumordurchmesser oder -dicke.

TABELLE

Epidemiologische Daten*

Frauen Männer

Anzahl (n) 92 58

Durchschnittsalter 73 74

Lokalisation Primarius

Kopf 29 (32 %) 16 (28 %)

Extremitäten 58 (63 %) 32 (55%)

Stamm 5 (5 %) 10 (17 %)

Tumordurchmesser (n = 81)

Mittelwert 1,74 ± 0,20 cm 2,30 ± 0,38 cm

Median 1 cm 1,45 cm

Tumordicke (n = 18)

Mittelwert 1,33 ± 0,21 cm 2,05 ± 0,46 cm

Median 1 cm 1,5 cm

(4)

Rezidivhäufigkeit

Unsere Erhebung bestätigt die hohe Rezidivrate von Merkelzellkarzinomen. Von 150 Patienten entwickel- ten insgesamt 56 (37,3 Prozent) innerhalb des Erhe- bungszeitraums ein Rezidiv. Neben 29 Patienten (19,3 Prozent) mit lokalem Rezidiv wurden 33 Patienten (22,0 Prozent) mit lokoregionären Filiae und 22 (14,7 Prozent) mit Fernmetastasen erfasst. Von den Patienten mit Fernabsiedelungen hatten 22,7 Prozent zusätzlich ein Lokalrezidiv, 45,5 Prozent Lymphknotenmetasta- sen und 18,2 Prozent sowohl Lokalrezidiv als auch Lymphknotenmetastasen. Das Auftreten von Rezidiven zeigte eine signifikante Abhängigkeit von dem gewähl- ten Sicherheitsabstand bei Primärexzision (Grafik 2a).

Für 90 Patienten war der Sicherheitsabstand dokumen- tiert.

Bei 28 Patienten betrug dieser zwischen 0 und 1 cm, bei 28 weiteren zwischen 1 und 2 cm und bei 34 Patien-

ten zwischen 2 und 3 cm. Während in der ersten Grup- pe 39,3 Prozent ein Rezidiv entwickelten (drei Lokal- rezidive, neun lokoregionäre Metastasen, vier Fernme- tastasen), waren dies bei den Patienten mit 1 bis 2 cm Sicherheitsabstand 17,9 Prozent (zwei Lokalrezidive, zwei lokoregionäre Metastasen, zwei Fernmetastasen) und in dem Patientenkollekiv mit einem Sicherheitsab- stand zwischen 2 und 3 cm nur 8,8 Prozent (zwei Lo- kalrezidive, eine lokoregionäre Metastase, eine Fern- metastase).

Eine adjuvante Radiatio wird verabreicht, um die Rezidivrate zu verringern; tatsächlich entwickelten in unserer Erhebung signifikant weniger Patienten nach Radiatio ein Lokalrezidiv (p = 0,012, ␹²-test, Grafik 2b).

Die Bestrahlung des Lymphabflussgebietes und/oder der regionären Lymphknoten zeigte in dem erhobenen Patientenkollektiv keine signifikante Verbesserung der lokoregionären Rezidivrate (p = 0,388, ␹²-test, Grafik 2c).

GRAFIK 1 a) Staging

(n = 150) und b) Stadium bei Erstdiagnose (n = 143)

a) Lokalrezidive in Abhängigkeit vom Sicherheitsabstand der Primärexzision (n = 90), oder b) der Durchführung einer adjuvanten lokalen Radiatio (n = 104);

c) lokoregionäre Rezidive in Abhängigkeit der Durchführung einer adjuvanten Radiatio des Lymphabstrom- gebietes (n = 74) GRAFIK 2

(5)

Dieser Umstand mag zum Teil darauf basieren, dass bei der Berechnung der Daten zur lokoregionären Bestrah- lung alle Patienten, die zusätzlich zur Bestrahlung eine elektive Lymphknotendissektion, eine Sentinel-Lymph- knotenbiopsie oder eine Chemo- oder Immuntherapie erhalten hatten, ausgeschlossen werden mussten. Für eine multivariate Analyse war das betroffene Patienten- kollektiv zu klein.

Nachsorgeintervalle

In der Erhebung der Nachsorgeintervalle nach Primär- therapie (Grafik 3) lagen Informationen zu 93 Patienten vor. Insgesamt kamen dabei elf Patienten (11,8 Pro- zent) alle sechs bis acht Wochen zur Nachsorge, 42 vierteljährlich (45,2 Prozent), 30 halbjährlich (32,3 Prozent) und zehn Patienten jährlich (10,8 Prozent).

Insgesamt betrug die durchschnittliche Nachbeobach- tungszeit der Patienten bis zur Erhebung 887 ± 98 Tage.

Todesfälle wurden für 17 Patienten (11,3 Prozent) ge- meldet.

Diskussion

Während die Lokalisationsverteilung der Merkelzell- karzinome in der aktuellen Erhebung in einem Bereich lag, der auch von anderen größeren retrospektiven Fall- sammlungen angegeben wird (10), zeigte sich ein Un- terschied in der Geschlechterverteilung. Allerdings gibt es auch mehrere Berichte, die eine höhere Inzidenz bei Frauen zeigen (11, 12). Die histologische Untersu- chung der Karzinome zeigte eine überraschend hohe Rate an trabekulären Tumoren (44 Prozent), wobei al- lerdings in der aktuellen Erhebung nicht die Möglich- keit bestand, Mischvarianten anzugeben. Ebenso deckt sich die vorliegende hohe Mitoserate mit den Ergebnis- sen anderer Autoren (1, 10). Das Stadium bei Diagno- sestellung (82,5 Prozent Stadium I, 16,1 Prozent Stadi- um II und 1,4 Prozent im Stadium III) entspricht den von Goessling und Mitarbeitern aus vier Studien zu- sammengefassten Ergebnissen (1). Somit erscheint un- sere Erhebung in Einklang mit den bisher bekannten Daten zu Epidemiologie, Histologie und Stadienvertei- lung bei Erstdiagnose zu stehen. Diese Konkordanz spricht für eine Validität der im Weiteren diskutierten Daten zu den diagnostischen und therapeutischen Maß- nahmen.

Die deutsche Leitlinie zu Diagnostik und Therapie des Merkelzellkarzinoms von 1998 (5) empfiehlt eine Exzision des Primarius mit 3 cm Sicherheitsabstand.

Unserer Erhebung zufolge entspricht dies nicht der Pra- xis. Die Aufschlüsselung nach Lokalisationen ergab, dass in Bereichen, in denen größere Sicherheitsabstän- de ohne funktionelle Einbußen möglich sind, im Mittel auch größere Abstände für die Primärexzision gewählt werden; diese liegen aber immer noch deutlich unter den Empfehlungen. Ebenso wurde eine adjuvante Ra- diatio bei nur 34,7 Prozent der Patienten durchgeführt.

Da die vorliegende Erhebung erneut zeigt, dass adä- quate Sicherheitsabstände und eine adjuvante Radiatio zu niedrigeren Rezidivraten führen, wäre hier ein leitli- niengemäßes Vorgehen wünschenswert.

Bei den Untersuchungen zum Primärstaging über- wiegen leitlinienkonform die Sonographie der drainie- renden Lymphknoten und des Abdomens sowie Rönt- gen-Thorax-Untersuchungen. In einer nicht unerhebli- chen Anzahl von Fällen erfolgten jedoch zusätzliche Schnittbildverfahren. Ob dies jeweils bereits unter dem Verdacht auf eine Fernmetastasierung geschah, wurde in dieser Erhebung nicht erfragt. Allerdings ist hier an- zumerken, dass in der gesichteten aktuellen Literatur keine systematischen Untersuchungen zu der Frage, welche bildgebenden Verfahren im Rahmen der primären Ausbreitungsdiagnostik sinnvoll sind, exi- stieren. Unsere Daten zeigen in Deutschland eine deut- liche Tendenz zur Anwendung von Schnittbildverfah- ren, also zu verfeinerter, organspezifischer aber auch kostenintensiverer Diagnostik. Diese erweiterte Dia- gnostik bewirkte allerdings nur in einer unwesentlichen Zahl der Fälle eine Änderung der Eingruppierung („Upstaging“) des bestehenden Krankheitsstadiums.

Die Sentinel-Lymphknotenbiopsie wird als eine möglicherweise nutzbringende, diagnostisch-progno- stische oder gar therapeutische Methode diskutiert (4, 13). Die hier vorliegende Datenerhebung belegt, dass die Sentinel-Lymphknotenbiopsie in vielen Kliniken bereits Anwendung findet. So wurden bei 37/150 Pati- enten eine Sentinel-Lymphknotenbiopsie durchge- führt; wobei sich zusätzlich eine steigende Tendenz ab- zeichnet. 24,2 Prozent tumorpositive Sentinel-Lymph- knoten verdeutlicht den Wert der Methode. Ob die Biopsie allerdings eine prognostische Aussagekraft hat, vermag die Datenerhebung nicht zu klären. Zwar zeigten sich im Verlauf mit 25 Prozent versus 9,1 Pro- zent eine höhere Rate an Lymphknotenmetastasen bei Patienten mit tumorpositivem Sentinel-Lymphknoten, doch ist die Fallzahl für eine valide statistische Beur- teilung zu gering.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich die aktuell gültigen Leitlinien zur Therapie und Dia- gnostik des Merkelzellkarzinoms nicht vollständig im klinischen Alltag wiederfinden. Vor allem bei der adju-

GRAFIK 3 Nachsorgeintervalle

(n = 94)

(6)

vanten Strahlentherapie und der Nachsorge bestehen deutliche Diskrepanzen. Die hohe Anzahl der Sentinel- Lymphknotenuntersuchungen, aber auch die Daten zur Auswirkung der adjuvanten Radiatio auf die Rezidiv- neigung, machen jedoch Hoffnung, dass die Versorgung von Merkelzellkarzinompatienten zunehmend effekti- ver gestaltet werden kann. Kontrollierte, prospektive Studien zu Diagnostik und Therapie sind aber weiterhin dringend nötig, um qualitativ bessere Erkenntnisse ge- winnen zu können.

Danksagung

Der Dank der Autoren gilt allen Ärzten der Hautkliniken, die diese Erhebung mög- lich gemacht haben und die nicht als Koautoren berücksichtigt werden konnten, insbesondere den Kollegen aus Berlin, Frankfurt, Freiburg, Hamburg, Homburg, Kiel, Mannheim, Münster, Neukölln, Nürnberg, Tübingen, Würzburg sowie den Schweizer Kollegen aus Zürich. Ein weiterer Dank gilt Frau Brigitte Bauer für die große Unterstützung bei der Datensammlung und deren Auswertung. Ebenso möchten die Autoren ihren Dank an Familie Gaissmaier, Stegaurach richten, deren großzügige Spende in Erinnerung an Herrn Walter Gaissmaier diese Erhebung mit ermöglicht hat.

Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des In- ternational Committee of Medical Journal Editors besteht.

Manuskriptdaten

Manuskript eingereicht: 28.12. 2005, revidierte Fassung angenommen: 2. 8. 2006

LITERATUR

1. Goessling W, McKee PH, Mayer RJ: Merkel Cell Carcinoma. Jour- nal of Clinical Oncology 2002; 2: 588–98.

2. Agelli M, Clegg LX: Epidemiology of primary Merkel cell carci- noma in the United States. J Am Acad Dermatol 2003; 49:

832–40.

3. Gould VE, Moll R, Moll I, Lee I, Franke WW: Neuroendocrine (Mer- kel) cells of the skin: hyperplasias, dysplasias, and neoplasms.

Lab Invest 1985; 52: 334–53.

4. Mehrany K, Otley CC, Weenig, RH, Phillips PK, Roenigk RK, Nguy- en TH: A meta-analysis of the prognostic significance of sentinel lymph node status in merkel cell carcinoma. Dermatol Surg 2002;

28: 113–7.

5. Hauschild A, Garbe C: ADO Leitlinie Merkelzell-Karzinom (Lang- fassung 1998). http://www.ado-homepage.de.

6. Hauschild A, Garbe C: Deutsche Leitlinie: Merkelzellkarzinom (Ku- tanes neuroendokrines Karzinom). In: Garbe C (Hrsg.): Interdiszi- plinäre Leitlinien zur Diagnostik und Behandlung von Hauttumo- ren. Stuttgart, New York: Georg Thieme Verlag 2005; 56–61.

7. Gerlach FM, Beyer M, Szecsenyi J, Fischer GC: Leitlinien in Klinik und Praxis. Dtsch Arztebl 1998; 95: A 1014–21.

8. Grol R, Grimshaw J: From best evidence to best practice:

effective implementation of change in patients care. Lancet 2003; 362: 1225–30.

9. Meyer R: Leitlinien – Oftmals Papiertiger. Dtsch Arztebl 2004;

101(31–32): A 2145.

10. Krasagakis K, Tosca AD: Overview of Merkel cell carcinoma and recent advances in research. Int J Dermatol 2003; 42: 669–76.

11. Meyer-Pannwitt U, Kummerfeldt K, Boubaris P, Caselitz J: Merkel cell tumor or neuroendocrine skin carcinoma. Langenbecks Arch Chir 1997; 382: 249–358.

12. Ott MJ, Tanabe KK, Gadd MA, Stark P, Smith BL, Finkelstein DM et al.: Multimodality management of Merkel cell carcinoma. Arch Surg 1999; 134: 388–92.

13. Sian KU, Wagner JD, Sood R, Park HM, Havlik R, Coleman JJ:

Lymphoscintigraphy with sentinel lymph node biopsy in cuta- neous Merkel cell carcinoma. Ann Plast Surg 1999; 42: 679–82.

Anschrift für die Verfasser Prof. Dr. med. Jürgen C. Becker Universitätshautklinik Würzburg Josef-Schneider-Straße 2 97080 Würzburg

E-Mail: becker-jc@mail.uni-wuerzburg.de

REFERIERT

Genotyp-basierter Therapieansatz bei Depression bald möglich?

Die unipolare Depression ist eine häufige Erkrankung mit erheblichen sozialmedizinischen Folgen für Betroffene. Nur bei einem Teil der Pati- enten erreichen Antidepressiva eine vollständige Remission. Dabei ist nicht vorhersagbar, welche Patienten in welchem Ausmaß auf die un- terschiedlichen antidepressiven Medikamente ansprechen. Diese in- terindividuellen Unterschiede sind unter anderem auf genetische Fak- toren zurückzuführen.

Die Arbeitsgruppe von Francis J. McMahon untersuchte 768 gene- tische Varianten in 68 Kandidatengenen, die an Stoffwechselwegen beteiligt sind, innerhalb derer Antidepressiva ihre Wirkung entfalten.

Das Untersuchungskollektiv bestand aus zwei Stichproben mit 859 und 438 unipolar depressiven Patienten, die mit dem Serotonin- Reuptake-Hemmer Citalopram behandelt wurden. Je nach Therapie- ansprechen wurden die Patienten in Gruppen von Respondern und Nicht-Respondern unterteilt. In beiden Gruppen war einheitlich ein

Allel einer genetischen Variante im HTR2A-Gen (Serotonin-2A-Rezep- tor-Gen) hochsignifikant mit der Therapie-Response assoziiert.

Gegenüber Patienten, die homozygot für das „Non-Responder-Allel“

waren, hatten Patienten, die homozygot für das „Responder-Allel“

waren, ein 18 Prozent niedrigeres Risiko, nicht auf Citalopram anzu- sprechen. Interessanterweise ist die Frequenz des Responder-Allels in Populationen afrikanischer Herkunft wesentlich geringer als bei Europäern (6 Prozent versus 42 Prozent). Dies erklärt auch, weshalb Patienten mit afrikanischer Abstammung wesentlich schlechter auf Citalopram ansprachen. Allerdings geben die Autoren nicht an, ob das unterschiedliche Therapieansprechen zwischen beiden ethni- schen Gruppen unter anderem bezüglich sozialer Faktoren korrigiert war.

Sollten weiterführende Untersuchungen die Befunde bestätigen, wäre ein pharmakogenetischer, d. h. genotyp-basierter Therapiean- satz in Zukunft denkbar, der einen wesentlich verbesserten Therapie-

erfolg verspricht. shm

McMahon FJ, Buervenich S, Charney D et al.: Variation in the gene encoding the serotonin 2A receptor is associated with outcome of antidepressant treatment. Am J Hum Genet 2006; 78: 804–14.

E-Mail: mcmahonf@intra.nimh.nih.gov

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Phänologie der Blütenknospen von Golden Delicious in Wädenswil. (Aktuelles Jahr, Vorjahr

[r]

Phänologie der Blütenknospen von Golden Delicious in Wädenswil. (Aktuelles Jahr, Vorjahr

iD Eine schockbedingte lokale Lä- sion des Endokards mit Abschei- dungsthrombose entwickelt sich zu einer nicht-bakteriellen verrukösen Endokarditis, welche Quelle einer

Die Autoren sind der Auffassung, dass ihre Ergebnisse zusammen mit denen anderer Gruppen nahelegen, dass das relative Risiko, an Brustkrebs zu sterben, bei Frauen ab 40 Jahren bei

In diesem Beispiel sind die Risiken der Empfehlung gut be- kannt; es ist aber vorstellbar, dass eine spezifische Empfehlung – oder die Re- aktion der Patienten auf die Empfeh- lung

In dieser Gruppe, so zeigen erste Stu- dien, ist der gezielte Einsatz von Thera- piepausen aus immunologischen und virologischen Erwägungen (Autovak- zine) sinnvoll und kann bei

Lokal ausgedehnte Karzinome finden sich häufig, auch ohne Lymphknotenmetasta- sierung oder invasives Wachstum, in Muskulatur oder Thoraxwand, deshalb ist ein fortgeschrittenes