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Archiv "Die pragmatische Art, „Strukturen“ zu verändern: Gesundheitspolitische Papiere des SPD-Parteivorstandes und von SPD-Gliederungen zum bevorstehenden Parteitag in Mannheim" (06.11.1975)

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Academic year: 2022

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6. November 1975 Postverlagsort Köln

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5000 Köln 40 (Lövenich) Postfach 40 04 30 Dieselstraße 2 Ruf: (0 22 34) 70 11 - 1 Fernschreiber 8 89 168 Verlag und

Anzeigenabteilung:

5000 Köln 40 (Lövenich) Postfach 40 04 40 Dieselstraße 2 Ruf: (0 22 34) 70 11 - 1 Fernschreiber 8 89 168

Herausgeber: Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung

Die pragmatische Art,

„Strukturen" zu verändern

Gesundheitspolitische Papiere

des SPD-Parteivorstandes und von SPD-Gliederungen zum bevorstehenden Parteitag in Mannheim

Das „10-Punkte-Programm zur Kostendämpfung im Gesundheits- wesen", das der SPD-Parteivorstand dem Mitte November in Mann- heim stattfindenden Parteitag zur Annahme vorschlagen will, wird in der Presse als gemäßigt bezeichnet. Im Vergleich zu Anträgen aus den Bezirken und Ortsvereinen, die für den Parteitag einge- reicht wurden, und verglichen mit den „Gesundheitspolitischen Leit- sätzen", die die Kommission „Gesundheitspolitik" beim Parteivor- stand der SPD präsentierte, kann man es tatsächlich so be- zeichnen.

Ehe es zu dem — relativ — pragmatischen Papier kam, soll es im Parteivorstand heftige Auseinandersetzungen darüber gegeben ha- ben. Bundeskanzler Helmut Schmidt, ja sogar der Parteivorsitzende Willy Brandt sollen sich im Vorstand dafür eingesetzt haben, For- derungen, „die zu weit gingen" (sprich: vor allem die Ärzte allzu ungerechtfertigt attackiert hätten), aus der ursprünglichen Vorlage zu eliminieren. Das ist den Pragmatikern zum Teil gelungen. Das vorgeschlagene 10-Punkte-Programm unterscheidet sich zumindest in der Sprache durchaus von Anträgen und Aussprüchen ideolo- gisch fixierter Vertreter der Parteilinken. In der Sache freilich hat sich in manchem doch die Richtung, die beharrlich auf grundle- gende Veränderungen im Gesundheitswesen hinarbeitet, durch- setzen können. Bezeichnend sind hier vor allem die enthüllenden Forderungen

des Vorstands zur vor- und nachstationären Betreu- ung

durch das Krankenhaus.

Die Sprache der „Progressiven" findet sich zudem weithin in einem

anderen Antrag des Parteivorstandes, der zwar

in der öffentlichen Diskussion im Vergleich zum 10-Punkte-Programm kaum beachtet wird, der aber wohl auch als die Auffassung des SPD-Parteivor- standes Gewicht hat. Offenbar hat der Parteivorstand in diesem

„Antrag zur Gesundheitspolitik" der äußersten Parteilinken einige

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Papiere zum SPD-Parteitag

weitergehende Konzessionen ma-

chen wollen. So manche Formel,

die unter linken SPD-Gesund- heitspolitikern mit ganz bestimm- ten Bedeutungen gefüllt ist, kehrt in dieser Vorstandsvorlage wieder. So wenn von der „starren Trennung" von ambulanter und stationärer medizinischer Versor- gung die Rede ist, wenn „unzurei-

chende Integration" beklagt wird,

wenn festgestellt wird, „das gegen-

wärtige Gesundheitswesen vernach- lässige Zusammenhänge, die zwi- schen den psychischen und gesell- schaftlichen Faktoren einerseits sowie der Gesundheit und Krank- heit andererseits bestehen". In diesem Antrag ist weiter von „sy- stematischer und aufeinander ab- gestimmter Planung einer bedarfs- gerechten medizinischen Versor- gung" die Rede, von der Schaffung

„gemeinschaftlicher Einrichtungen, insbesondere zur Verbesserung der Krankheitsdiagnostik", „um die fortschreitende Medizintechnologie der Bevölkerung sowohl kosten- günstig als auch voll verfügbar zu machen".

Das mag — für sich genommen und ahnungslos gelesen — harm- los, ja selbstverständlich klingen.

Doch belehrt durch die „Gesund- heitspolitischen Leitsätze" und ver- schiedenen Anträge aus den Bezir- ken und Ortsvereinen sowie beson- ders eingedenk beharrlich wieder- holter Vorschläge von Gewerk- schaftsseite, weiß man,

> daß dahinter zum Beispiel die Einrichtung sogenannter Medizi- nisch-Technischer Zentren (MTZ) stecken kann,

> daß die Etablierung der Kran- kenhäuser im ambulanten Bereich als Vorstufe zu einer Systemverän- derung gemeint sein kann,

• daß die zentrale Planung we- sentliche Aufgabe einer politisier- ten „Selbstverwaltung" sein soll, wie sie in den „Leitsätzen" vorge- schlagen und vorher schon von der

„Arbeitsgemeinschaft der Sozialde- mokraten im Gesundheitswesen"

propagiert wurde,

> daß mit der Forderung nach mehr Psychosomatik nichts eigent- lich Selbstverständliches propa- giert wird, sondern eine Lieblings- idee der extremen Linken um- schrieben wird, die aus APO-Zei- ten noch wohlbekannt sein sollte („Macht kaputt, was euch kaputt macht"),

> daß unter der Begründung

„mehr Psychosomatik" von ideolo- gisch einseitig festgelegten Partei- genossen massive Systemänderun- gen im Gesundheitswesen gefor- dert wurden und werden.

ZITAT

Starr

DGB-Vorstandsmitglied Gerd Muhr („Er gilt als einer der aussichtsreichsten Kandida- ten für die Nachfolge des DGB-Vorsitzenden Heinz Os- kar Vetter"), von den „Nürn- berger Nachrichten" befragt, was im Sozialbereich „kon- kret und in absehbarer Zeit unbedingt geschehen" müs- se, meinte:

„Wir sind der Meinung, daß Reformen, insbesondere im gesundheitlichen Bereich, einzusetzen haben, um das System effizienter zu ma- chen. Hier wäre zum Beispiel die starre Trennung zwi- schen ambulanter und statio- närer ärztlicher Behandlung zu lockern — ich will gar nicht sagen, zu beseitigen —, etwa mit d'em Ziel der schon vielzitierten vorstationären Diagnostik und nachstationä- ren Behandlung. Man könnte noch an einige andere Berei- che im Gesundheitswesen denken, insbesondere an eine größere Transparenz und damit auch eine bessere preisliche Kontrolle im Be- reich des Arzneimittelmark- tes."

Ein typisches Beispiel dafür, was unter „psychosomatischer Medi- zin"

politisch

verstanden wird, fin- det sich im Antrag OR (= Orientie- rungsrahmen) 395, vorgelegt von der SPD Mainz-Stadt. Diese wirft dem „heutigen Gesundheitswesen"

vor: „Bei der Behandlung der Krankheiten werden fast aus- schließlich nur die somatischen Er- scheinungen berücksichtigt, wäh- rend die gesellschaftlichen und psychologischen Ursachen in der Regel vernachlässigt werden. Daß sich dahinter die bewußte oder un- bewußte Absicht verbirgt, die be- stehenden Gesellschaftsverhältnis- se nicht zu verändern, liegt auf der Hand. Eine konsequente Medizin muß dagegen die Veränderung einer Gesellschaft, die sie als wesentlich krankheitsverursachend erkannt hat, postulieren."

Schlüsselwort „Integration"

und andere Reizwörter.

Im Mainzer Antrag finden sich auch weitere Schlüsselformulierun- gen, die in dieser oder ähnlicher Weise auch von anderen in der SPD vertreten werden. Ausführlich werden all die Propagandaformeln repetiert, mit denen so oft gegen unser Gesundheitswesen agitiert wird: Sie reichen von der „Unter- versorgung weiter Gebiete" über die „Fünfminutenmedizin" bis zur

„erschreckend hohen Säuglings- und Müttersterblichkeit".

Als Heilmittel für unser Gesund- heitswesen propagieren die Main- zer die „Schaffung eines integrier- ten Systems medizinischer Versor- gung, in welchem auf gesetzlicher Grundlage bundeseinheitlich auf Bundes-, Landes- und regionaler Ebene geplant wird". Vorgeschla- gen werden „regional medizinisch- technische Zentren" und „zentrale Informationssysteme". Zwar will man „historisch gewachsene For- men" (damit sollen wohl die Einzel- praxen gemeint sein) nicht zerstö- ren, sie sollen jedoch „integriert"

werden in „medizinische Selbstver- waltungssysteme". Dazu wörtlich:

„In ihnen sind Sozialversicherung,

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im Gesundheitswesen Tätige und Gebietskörperschaften vertreten."

Außerdem schlägt dieser Ortsver- band eine „regionale Einheitsversi- cherung unter Einschluß der Be- rufsgenossenschaften" vor, „die von den Versicherten allein verwal- tet wird".

Dieser Antrag ist hier, das sei aus- drücklich gesagt, nicht etwa als Kuriosum zitiert, sondern als ty- pisch für eine bestimmte Richtung in der SPD. lm Mainzer Antrag keh- ren in Kurzform die wesentlichen Forderungen aus den „Gesund- heitspolitischen Leitsätzen" der Vorstandskommission wieder. De- ren Inhalt wiederum deckt sich weitgehend mit dem Programm der

„Arbeitsgemeinschaft der Sozialde- mokraten im Gesundheitswesen"

(der früheren ASÄ) vom März die- ses Jahres. An unserer Beurteilung (getroffen im DEUTSCHEN ÄRZTE- BLATT, Heft 16/1975), das Pro- gramm dieser Arbeitsgemeinschaft bedeute Sozialisierung des Ge- sundheitswesens, braucht nach wie vor nichts geändert zu werden. Sie ist heute auch auf die „Gesund- heitspolitischen Leitsätze" der Kommission „Gesundheitspolitik"

beim Parteivorstand der SPD anzu- wenden. An dieser Einschätzung ändert auch nichts, daß die Kom- mission das Wort Sozialisierung vermeidet. Auch die Beteuerung, eine Verstaatlichung werde abge- lehnt, tröstet nicht. In einem sozia- lisierten System der vorgeschlage- nen Art wird dem Gesundheitswe- sen genau solch ein, gelinde ge- sagt: Korsett verpaßt wie in einem verstaatlichten. Die Bürokratie herrscht in beiden Fällen über Arzt und Patient.

„Übernahme

der Verfügungsgewalt"

durch die Gesellschaft

Um jedem Vorwurf, hier würde wie- der einmal ein „Wutgeheul" wegen nur vorgeblicher Sozialisierung er- hoben, zuvorzukommen, sei defi- niert, was unter Sozialisierung ver- standen wird und weshalb diese Charakterisierung auf ein Gesund-

heitssystem, wie es in den „Leitsät- zen" beschrieben ist, angewandt werden kann. Ein gewiß unver- dächtiger Zeuge ist der SPD-Unter- bezirk München, in dessen Antrag zum Orientierungsrahmen festge- stellt wird, Vergesellschaftung (das ist der weniger reiz-behaftete Aus- druck für Sozialisierung) bedeute nicht allein Übernahme von Eigen- tumstiteln. Sondern: „Zur Übernah- me der Eigentumstitel muß deshalb gleichzeitig die Übernahme der Verfügungsgewalt durch gesell- schaftlich kontrollierte Organe tre- ten, die von den im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmern, ihren Gewerkschaften und den Gebiets- körperschaften beschickt werden.

Übernahme von Eigentumstiteln und Verfügungsgewalt machen zu- sammen eine sinnvolle Vergesell- schaftung aus und sind Vorausset- zung einer Demokratisierung des ökonomischen Bereiches."

Regional-zentral:

Planung, Steuerung, Kontrolle Die „Übernahme der Verfügungs- gewalt durch gesellschaftlich kon- trollierte Organe" würde nach dem Konzept der SPD-Gesundheitskom- mission durch sogenannte Selbst- verwaltungseinrichtungen auf Bun- des-, Landes- und Regionalebene geschehen. Vor allem die Regio- nalkörperschaften würden die we- sentlichen Aufgaben der Planung, Steuerung und Kontrolle überneh- men. Sie sollen sorgen für „zentra- le Informationssysteme", „medizi- nisch-technische Zentren", Kran- kenhausneubauten, „medizinische Gemeindezentren". Bei den Diver- sen „Zentren" wären dann auch die „Eigentumstitel" in Händen der

„Gesellschaft". Zwar soll es auch weiterhin Praxen (in der Regel Gruppenpraxen) geben, bei denen niedergelassene Ärzte die „Eigen- tumstitel" hätten, doch deren Fi- nanzierung wäre von der „Selbst- verwaltung" abhängig, sie hätten zudem ihre Arbeit nach verbindli- chen „Standards" zu vollziehen.

Gegenüber solchen „Modellen" ei- ner sozialisiert-bürokratischen Zu-

kunft wirkt das 10-Punkte-Pro- gramm des SPD-Parteivorstandes also wahrlich pragmatisch: Es ent- hält in seinen Punkten eins bis drei bemerkenswert realistische Vor- schläge zur Krankenhausbedarfs- planung, zur Wirtschaftlichkeit der Krankenhäuser und zur Pflegesatz- politik, wenn hier auch auffallend Mitbestimmungsforderungen erho- ben werden, die ganz auf der Linie des Bundesverbandes der Orts- krankenkassen liegen. Es bringt außerdem Appelle (die auch von ärztlichen Repräsentanten vorge- bracht wurden) an die niedergelas- senen Ärzte, „durch sparsamere und wirtschaftlichere Leistungser- bringung" ihren Teil zur Dämpfung der Kostensteigerung beizutragen.

Der SPD-Parteivorstand ist durch- aus realistischer Auffassung über manche Ursache der Kostenent- wicklung: steigender Anteil älterer

Menschen, Zunahme chronischer Krankheiten, wachsendes Gesund- heitsbewußtsein und dadurch „ver- stärkte Inanspruchnahme von Lei- stungen". Angesichts der letzten Feststellung wäre es zwar reali- stisch gewesen, Direktbeteiligungs- formen zu diskutieren. Doch kann sich — auch das muß man reali- stisch sehen — ein sozialdemokra- tischer Parteivorstand (im Gegen- satz etwa zu einem frei-demokrati- schen) so etwas wohl nicht leisten.

Es verwundert also nicht, wenn der SPD-Vorstand eine Selbstbeteili- gung ablehnt. Diese ebenfalls durchaus parteipragmatische Ein- stellung hätte den Vorstand aller- dings nicht davon abhalten müs- sen, Sparappelle mit der Deutlich- keit, wie sie den Ärzten zugedacht werden, auch an die Versicherten zu richten.

Drei strukturverändernde Vorschläge:

Keine Rede mehr von „Modellversuchen"

Doch auch der auf weite Strecken so pragmatische Antrag mit dem

„10-Punkte-Programm" weist (ne- ben dem eingangs aufgeführten weiteren „Antrag zur Gesundheits-

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ZITAT

Spiegel-Fockes Talk-Show

Wie der „Spiegel" Frau Katha- rina Focke beim Ausplaudern half, nachzulesen in dessen Nr. 43, Seite 36 ff.!:

„Spiegel: Nehmen wir das Stichwort strikte Trennung zwischen stationärer Be- handlung und ambulanter Versorgung, ein Casus belli für die niedergelassenen Ärz- te, die sich gegen die Auf- weichung ihres Monopols auf ambulante Versorgung der Patienten wehren. Wäre hier nicht eine klare politische Entscheidung, notfalls gegen diesen Teil der Ärzteschaft, fällig?

Focke: Dies ist ein Punkt, an dem wir alle zusammen nicht mehr vorbeikommen, und ein Punkt, den wir ja auch schon mit praktischer Politik ange- hen. Zum Beispiel im Zusam- menhang mit der Neurege- lung des Paragraphen 218: In diesem Gesetz steht auch, daß der Schwangerschafts- abbruch, wenn die medizini- sche Situation und Technik dies ermöglicht, ambulant im Krankenhaus vorgenommen werden können muß.

Spiegel: Nun fallen Schwan- gerschaftsabbrüche zahlen- mäßig nicht sehr ins Ge- wicht ...

Focke: Wir können in allen diesen Bereichen nicht mit einem Donnerschlag plötz- lich in eine neue Welt hinein, sondern wir werden an den Punkten, wo die Unhaltbar- keit dieser strikten Trennung am deutlichsten und unbe- streitbarsten ist, konkret vor- ankommen müssen. So zum Beispiel auch im psychiatri- schen Bereich, wo von der Ärzteschaft kaum noch be- stritten wird, daß die Kran- kenhausärzte hier ambulant behandeln müssen. Im übri- gen haben wir nun also die Modellversuche laufen, die zeigen sollen, wie sich vor- stationäre Diagnostik und ambulante Nachbehandlung an den Krankenhäusern praktisch und kostenmäßig auswirken ...

Spiegel: Außerordentlich zaghafte Versuche, die im übrigen vom Wutgeheul der ärztlichen Standespresse schon wieder begleitet sind ...

Focke: Und Sie meinen, wenn schon Wutgeheul, dann gleich so, daß es sich lohnt?"

Papiere zum SPD

-

Parteitag

politik") Konzessionen an die „Pro- gressiven" aus, die zu beträchtli- chen Strukturveränderungen im Gesundheitswesen führen würden.

Nämlich:

0

Das 10-Punkte-Programm po- stuliert: „Den Krankenhäusern ist die Möglichkeit vorstationärer Diagnostik und nachstationärer ambulanter Behandlung zu geben."

Da ist keine Rede mehr davon, zu- vor in Modellversuchen zu erpro- ben, ob das überhaupt wirtschaft- lich und für den Patienten zumut- bar ist. Diese prinzipielle Forde- rung entlarvt mehr, als bisher aus dem Gesundheitsministerium zuge- geben wurde. Tritt also auch der SPD-Parteivorstand jetzt offen für einen derartigen — sachlich und wissenschaftlich unbegründeten — Einbruch in das System der ambulanten ärztlichen Versorgung ein? Will er tatsächlich riskieren, daß die Begrenzung von ambulan- ter und stationärer Betreuung be- seitigt wird, eine Arbeitsteilung, die keineswegs ohne Sinn eingeführt wurde (und die im übrigen keines- wegs so „starr" ist, wie es manche Politiker ihren kaum informierten Anhängern vormachen)? Wenn da- gegen lediglich mißverständlich formuliert wurde, wenn ein politi- sches Fait accompli nicht beab- sichtigt ist, dann böte sich auf dem kommenden Parteitag noch Gele- genheit, das Mißverständnis zu klä- ren.

Der zweite strukturverändernde Vorschlag betrifft die Vergütung ärztlicher Leistungen. Sie sei so zu gestalten, daß die „überhöhten Einkommenszuwächse der Ärzte in der Vergangenheit allmählich aus- geglichen werden". Diese ebenso vage wie vielsagende Forderung mag noch eine verbale Pflicht- übung gewesen sein. Doch dann kommt der Vorstand detailliert zur Sache: „Die Vergütung ist in glei- cher Höhe auf Bundesebene zwi- schen den Bundesverbänden der gesetzlichen Krankenversicherung und der Kassenärztlichen Bundes- vereinigung auszuhandeln. Die Stellung der Krankenversiche- rungsträger und ihrer Selbstverwal-

tungsorgane bei den Honorarver- handlungen ist zu stärken. Dabei sind vor allem volkswirtschaftliche Größen zu berücksichtigen." Das bedeutet: Beseitigung der von den einzelnen Kassen längst an ihre Landesverbände übertragenen Ver- tragsfreiheit zwischen Kassen und Kassenärztlichen Vereinigungen der Länder, statt dessen Honorar- verhandlungen ausschließlich auf

Bundesebene (welche Argumente wollten, wenn so etwas realisiert würde, dann künftig Gewerkschaf- ten und Arbeitgeber noch zur Ver- teidigung ihrer Regionalverhand- lungen vorbringen, die ja wie die Landesverhandlungen zwischen Ärzten und Kassen sehr wohl einen Sinn in der deutlichen Berücksich- tigung regionaler Unterschiede ha- ben?). Die „Stärkung der Selbst-

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verwaltungsorgane der Kassen" — soll das etwa heißen: Abweichung von der Parität bei den Verhand- lungen oder Begünstigung der Kassen beim Schiedsverfahren?

0 Zu dem Vorschlag nach bun- deseinheitlichen Verhandlungen paßt der dritte strukturändernde Vorschlag, die Krankenversiche- rung neu zu konstruieren. Im Vor- standspapier findet sich unter dem Abschnitt „Finanzierung der ge- setzlichen Krankenversicherung"

die Forderung, die Beiträge „der Kassen oder Kassenarten" anein- ander anzugleichen und einen Fi- nanzausgleich unter den Kassen herbeizuführen. Der Einstieg dazu soll mit der Rentnerkrankenversi- cherung gemacht werden. Dieses Finanzierungsverfahren wäre ganz unverhüllt der erste Schritt zu einer Einheitskrankenversicherung. Die heute noch selbständigen Kassen wären es dann nur noch dem Na- men nach. Wie hieß es doch im Antrag von Mainz-Stadt? „Um den Einfluß der Sozialversicherten zu stärken, ist eine regionale Einheits- versicherung zu bilden." Das wäre dann erst der nächste Schritt?

Der SPD-Parteivorstand hofft, daß seine Anträge auf dem Parteitag durchgehen und daß damit die ge- sundheitspolitischen Anträge ande- rer Provenienz abgeblockt werden können. Diese — im Vergleich mit den Vorstandsformulierungen — noch brisanteren Anträge sollen auf einem besonderen Gesund- heitskongreß der SPD, voraussicht- lich im Frühling des Wahljahres, ab- gehandelt werden. Auf diesem wer- den sich dann vermutlich die Ver- fasser der „Gesundheitspolitischen Leitsätze" mit anderen Modellbau- ern tummeln dürfen. Eine Spielwie- se für die Parteilinken? So ist es gewiß nicht ganz, denn selbst am pragmatischen Antrag des Vorstan- des läßt sich ablesen, daß die Beharrlichkeit der Theoretisierer doch wirkt und sich, wenn nicht in Systemveränderung, so doch in Strukturveränderung niederschlägt.

Und ist das nicht im Grunde ge- nommen nur noch ein Spiel mit Worten? NJ/DÄ

Gesundheitsabkommen mit der

DDR ratifiziert

Mit Zustimmung eines Teils der CDU/CSU-Fraktion hat der Bundes- tag das erste Folgeabkommen nach dem Grundlagenvertrag mit der DDR, das Abkommen vom 25.

April 1974 auf dem Gebiet des Ge- sundheitswesens, ratifiziert. In der Debatte hoben Sprecher der Re- gierung und der Koalition die poli- tische Bedeutung des Abkommens

— unter anderem wegen der voll erreichten Einbeziehung Westber- lins — ebenso hervor wie die huma- nitäre Bedeutung für die Menschen in den beiden Staaten angesichts des zunehmenden Besucherver- kehrs. Für die CDU/CSU kritisierte Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohen- stein, daß das Bundesgesundheits- amt in Berlin und das Deutsche In- stitut für medizinische Dokumenta- tion nicht als Partner in dem Ab- kommen erwähnt werden. Man könne nur hoffen, daß die nach dem Abkommen von den beiden Gesundheitsministerien zu ernen- nenden Beauftragten bald nähere Regelungen treffen, weil manchen Teilen des Gesundheits-Abkom- mens die wünschenswerte Be- stimmtheit fehle.

Zunächst sieht das Abkommen in Artikel 2 einen Informationsaus- tausch zu Fragen der Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten vor. In Artikel 3 wird festgelegt, daß Einreisende aus dem anderen Staat während ihres Aufenthaltes einen Anspruch auf ambulante oder stationäre medizi- nische Hilfe haben entsprechend dem jeweiligen Grad der Gesund- heitsschädigung ohne Ansehen der Person. Dies gelte für alle akuten Erkrankungen und Unfälle, für die akute Verschlimmerung älterer, insbesondere chronischer, Krank- heiten sowie für die medizinische Hilfe zur Verhütung einer Ver- schlimmerung oder zur Schmerz- linderung.

Im Ratifizierungsgesetz ist festge- legt, daß Einreisende von den zu-

ständigen Stellen der Länder einen Berechtigungsschein für kosten- freie ambulante oder stationäre medizinische Hilfe in dem im Ab- kommen bestimmten Umfang er- halten.

Das Entgelt bemißt sich bei ärztli- cher und zahnärztlicher Hilfe nach den Sätzen, welche die Ortskran- kenkassen im Bereich des jeweili- gen Arztes oder Zahnarztes für ihre Mitglieder zahlen, bei ärztlich angeordneter Aufnahme im Kran- kenhaus nach der Bundespflege- satzverordnung. Die Kosten dieser Leistungen trägt der Bund. Der Einreisende hat die freie Wahl un- ter Ärzten und Zahnärzten sowie sonstigen Leistungserbringern, die zur Leistung nach diesem Entgelt bereit sind.

Nach Artikel 3 des Abkommens umfaßt der Anspruch von Einrei- senden aus dem anderen Staat auch die Versorgung mit Arzneimit- teln, mit orthopädischen Hilfsmit- teln, Brillen, Zahnersatz und der- gleichen sowie den Krankentrans- port.

In Artikel 4 vereinbaren die beiden Staaten die Durchführung medizini- scher Spezialbehandlungen und -kuren auf besonderes Ersuchen ei- nes der beiden Staaten. In Artikel 5 wird der Austausch von Arzneimit- teln, medizinischem Verbrauchs- material und medizintechnischen Erzeugnissen geregelt. Dies betrifft unter anderem die gegenseitigen kommerziellen Lieferungen, die ge- genseitige Hilfe bei Katastrophen, die Genehmigung zum Mitführen von Arzneimitteln im Reiseverkehr sowie einen Informationsaustausch über die Nebenwirkungen von Arz- neimitteln. Schließlich (Artikel 6) soll auch auf dem Gebiet der Be- kämpfung des Drogen-, Rauschmit- tel- und Suchtmittelmißbrauchs zu- sammengearbeitet werden, insbe- sondere durch den Austausch von Informationen. — Die Mehrkosten für die Bundesrepublik werden auf eine Million bis 1,7 Millionen DM jährlich geschätzt, die in den Etat- ansätzen bereits berücksichtigt

sind. WZ

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