Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 110|
Heft 47|
22. November 2013 A 2239B
evor die Tinte mit den Unterschriften trocken ist, verbietet sich eine Beurteilung des Koalitions- vertrags von CDU, CSU und SPD. Bis dahin wird aber noch einiges Wasser die Spree hinunterfließen. Doch in Berlin zirkulieren bereits diverse Papiere aus der Ar- beitsgruppe Gesundheit der Koalition, und die Chef - unterhändler Jens Spahn (CDU) und Karl Lauterbach (SPD) äußern sich regelmäßig. Sie können sicher sein, dass jeder Vorschlag, jedes Teilergebnis mit Spannung erwartet wird.Eines ist bisher nicht auszumachen: eine schlüssige Konzeption für die künftige Gesundheitspolitik. Die bekanntgewordenen Papiere enthalten eine Fülle von Einzelpunkten und Detailregelungen, von denen viele vernünftig sind. Manche aber auch nur gut gemeint. So sollen, um unnötige Operationen zu vermeiden, Ärzte ihre Patienten über das Recht aufklären, eine Zweit - meinung einzuholen. Das soll mindestens zehn Tage vor der OP erfolgen, was, um es vorsichtig zu sagen, von Unkenntnis des Klinikalltags zeugt.
Man gewinnt insgesamt den Eindruck, Union und SPD hätten sich zum Ziel gesetzt, von den Beratungen des Bundestagsgesundheitsausschusses der kommen- den vier Jahre möglichst viel vorwegzunehmen. Das aber wäre falscher Ehrgeiz. Wenn die großen Volkspar- teien – notgedrungen aufgrund des Wahlergebnisses – befristet eine Koalition bilden, muss man mehr erwar- ten als ein Kurieren an Symptomen. Union und SPD können mit ihren Mehrheiten in Bundestag und Bun- desrat grundsätzliche Weichenstellungen vornehmen.
Daraus erwachsen die Verantwortung und die Ver- pflichtung, Strukturprobleme wirklich anzugehen: zum Beispiel die kaum überwindbaren Grenzzäune zwi- schen ambulanter und stationärer Versorgung, die abge- baut werden müssen, wenn in weiten Teilen des Landes die Bevölkerungszahl abnimmt und der Fachkräfte- mangel in Medizin und Pflege sich weiter verschärft.
Auch das Nebeneinander von Kollektiv- und Selektiv- verträgen verlangt endlich Rahmenbedingungen für ei- nen Wettbewerb.
Hier muss die Große Koalition Lösungsperspektiven aufzeigen. Tatsächlich ist bei den Verhandlungspart-
nern oft von Qualität der Versorgung und Qualitätssi- cherung die Rede. Was stutzig macht: Union und SPD sehen offenbar in mehr Bürokratie und mehr Kontrolle den Königsweg. Wenn Patienten nicht innerhalb von vier Wochen einen Termin beim Facharzt bekommen, soll die Behandlung im Krankenhaus erfolgen können – den Vertragsärzten würden die Kosten vom Budget ab- gezogen, als neuer Kollektivregress. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) erhält eine Fülle neuer Auf- gaben und Kompetenzen. Erstmals soll er nun auch ei- ne Geldverteilungsinstanz werden: Er vergibt die Mittel aus einem neuen Innovationsfonds zur Förderung sek- torübergreifender Versorgungsformen, indem er Krite- rien festlegt und Ausschreibungen durchführt.
Die sektorübergreifende Qualitätssicherung, heute schon wichtige Aufgabe des G-BA, ist ins Stocken ge- raten. Die künftigen Koalitionäre wollen zu einer „be- währten“ Lösung greifen: Es soll tatsächlich ein weite- res bundeseigenes Institut gegründet werden – diesmal, um Routinedaten zu sammeln und für den G-BA auszu- werten. Um die Vorgaben des G-BA zur Qualitätssiche- rung zu überprüfen, soll der Medizinische Dienst der Krankenversicherung „unangemeldet Kontrollen in den Krankenhäusern durchführen“. Lautet die Devise statt
„Qualitätssicherung durch Transparenz“ künftig „Qua- litätssicherung durch Kontrolle“? Eine neue Misstrau- enskultur ist das Letzte, was das Gesundheitswesen braucht.
KOALITIONSVERHANDLUNGEN
Noch kein Konzept
Heinz Stüwe
Heinz Stüwe Chefredakteur