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Archiv "Gummibärchen beim Facharzt" (09.12.2005)

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A

ls gerade erblindete und

„frisch gebackene“ Ärz- tin waren meine Aufga- ben im psychiatrischen Kran- kenhaus vielfältig: Abspra- chen mit dem gesamten Team über Patienten, organisatori- sche Besprechungen, Visiten, Einzelgespräche mit den Pati- enten, ihren Angehörigen; die Schreiben von Kollegen oder Verwaltungsbriefe ließ ich mir vorlesen; Krankengeschich- ten über den Genesungspro- zess der Patienten fasste ich selbst ins Unreine auf meinem blindenspezifischen PC ab, ebenso wie Arztbriefe.

In meiner anfänglichen Eu- phorie hatte ich geglaubt, dass eine körperliche Untersu- chung doch ganz einfach sein müsse: um die Leber tasten zu können, braucht man nicht zu sehen, die Herztöne sieht man nicht, sondern hört sie. Aber weit gefehlt! Es ist doch unge- mein wichtig, wo ich den Le- berrand taste, die Qualität der Herztöne hängt von dem prä- zisen Auffinden des Ortes ab.

Und jeder Körper ist anders aufgebaut, hat andere Propor- tionen. Nachdem ich dies für mich registriert hatte, überließ ich erst einmal die körperli- chen Untersuchungen meinen Kollegen.

Kleine Kniffe

Allmählich pirschte ich mich konzentriert an die schwierige Aufgabe heran. Ich lernte bei Untersuchungen einzelner Organe so manchen kleinen Kniff, um mir leicht und schnell zur notwendigen Ori- entierung zu verhelfen. Dabei wollte ich den Patienten nicht unnötig durch viel Manipulie- ren an seinem Körper oder durch zu viel körperliche Nähe verunsichern.

Nach über einem Jahr Ar- beit traute ich es mir dann zu, selber eine körperliche Un- tersuchung vorzunehmen. Zu Zeiten von übermäßiger Ar- beitsbelastung gab ich dies aber weiterhin regelmäßig ab, zum Beispiel zu Urlaubszei- ten. Das besondere Verhältnis zwischen mir als Ärztin und dem Patienten, das durch die Situation einer Untersuchung

durch mich entstand mit der Möglichkeit eines weiteren Austausches, wog zu hekti- schen Zeiten die große Kon- zentration dabei mit nachfol- gender größerer Vergesslich- keit für mich nicht auf. So konnte es geschehen, dass ver- traute Patienten trotz mehrfa- cher Klinikaufenthalte noch nie von mir körperlich unter- sucht worden waren.

Mit Frau T. muss es wohl so gewesen sein. Sie hatte Asci- tes. Die Erstuntersuchung hat- te eine Kollegin an einem hektischen Tag vorgenom- men. Heute war es wieder ru- higer. Frau T. ging es noch nicht gut. Ich wollte sie nachuntersuchen und bat sie, sich bis auf die Unterhose auszukleiden und sich aufs Bett zu legen. Frau T. schien sehr erschrocken, Sie hatte es noch nie erlebt, dass Frau

Doktor selber untersuchte.

War es denn so schlimm?

Dies oder Ähnliches muss wohl in ihrem armen kranken Kopf herumgegeistert sein.

Keine runde Hüften

Aufgeregt nestelte sie an ihrer Kleidung. Ich döste vor mich hin, horchte auf die Gesänge der Vögel vor dem Fenster – wie schön wäre es jetzt ohne Arbeit, auf meiner Terrasse zu Hause. Frau T. schien fertig.

Ich setzte mich neben sie auf die Bettkante und begann, wie gewohnt, mich durch wenige Griffe rechts und links am Körper zu orientieren.

Da, verflogen war alle Routine, ich wurde hellwach!

Etwas stimmte nicht! Ich fand keine runden Hüften, keine Taille, bekam nicht das typi- sche Hüftgelenk zu spüren,

Rippen schien es bei Frau T.

auch nicht zu geben. Ich über- legte fieberhaft: Ich konnte mich von früheren Aufenthal- ten her nicht an extreme ana- tomische Anomalien erin- nern! Ich hielt einen Moment inne. Frau T. wurde allmählich kalt. Sie schien auch nicht mehr zu atmen. Sie war sehr krank, ja aber nicht sterbens- krank! Oder doch?

Da tönte es vom Fußende her: „Frau Doktor, ich muss auch mindestens einmal pro Stunde Wasser lassen, das ist so lästig.“ Ich war erlöst! Des Rätsels Lösung erscheint mir noch heute kaum vorstellbar:

Frau T. hatte sich einerseits durch die leichte Verwirrtheit und andrerseits durch die Auf- regung über meine Untersu- chung verkehrt herum ins Bett gelegt: die Füße ruhten leicht erhöht auf dem Kopfkissen, der Kopf lag zur Tür hin. Ich drehte mich ein wenig und ta- stete nun den Bauch von der rechten Körperseite her ab statt der fachmännisch im Stu- dium gelehrten linken.

Den Thorax hatte ich ja aufrecht abhören wollen. Was ein Glück, dass ich nicht zu- erst mit dem Patellareflex der Beine begonnen hatte. Eine Horrorvorstellung, die mich veranlasste, ab sofort vor mei- nem ersten Handgriff dem Patienten stets einige belang- lose Worte zu entlocken.

Dr. med. Cordula von Brandis-Stiehl V A R I A

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 49⏐⏐9. Dezember 2005 AA3437

Seit 2003 veröffentlicht das Deutsche Ärzteblatt regelmäßig Arztgeschichten – zunächst aus der Literatur, seit Heft 3/2004 vorwiegend Beiträge aus der Leserschaft.

Schwierige anatomische Verhältnisse

Gummibärchen beim Facharzt

N

ach wochenlangem War- ten auf den Facharztter- min betraten meine zweijähri- ge Tochter und ich das Warte- zimmer. Eine heiße Wolke durchgeschwitzter Luft, ange- reichert mit Kohlendioxyd, schlug uns entgegen. Wir reihten uns geduldig in die Schlange der Wartenden. Er- leichterung, als meine Augen eine Kinderecke erspähten.

Auch mein Kind hatte die Ecke jetzt entdeckt und packte alsbald alles Angebo-

tene sorgfältig auf den Fuß- boden. Nach einer halben Stunde war das Wartezimmer noch genauso voll, die Kin- derkiste aber leer. Mein Kind beschloss zu gehen.

Wir wendeten die Kiste von oben nach unten, schau- ten die Bücher rückwärts an, malten zum dritten Mal Krei- se und Blumen. Es war so heiß. Ein Schuljunge setzte sich neben uns. Triumphie- rend packte er eine Tüte Gummibärchen aus. Der net- te Großvater stupste seinen Enkel an, mein Kind strahlte.

Das allgemeine Interesse im Wartezimmer war wieder auf uns gerichtet. Der Junge wur-

de aufgerufen, seine Gum- mibärchen ließ er da. Der Großvater und mein Kind waren nicht zu bremsen.Nach einer halben Tüte schritt ich dann doch ein. Da wollte sie dann wieder gehen.

Eine weitere Stunde war vergangen. Wir wurden auf- gerufen. Als wir dann gingen, war das Wartezimmer etwas leerer. Ich dachte erleichtert an morgen, wieder jenseits der Wartezimmertür arbeiten zu können. Manchmal schärft eine kleine Begebenheit ein- fach wieder neu die Sinne.

Abends hatte mein Kind Bauchschmerzen.

Dr. med. Arlett Schwarze

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