• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Eckpunkte zur Gesundheitsreform: Blankes Entsetzen über den Weg in die Verwaltungsmedizin" (05.03.1999)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Eckpunkte zur Gesundheitsreform: Blankes Entsetzen über den Weg in die Verwaltungsmedizin" (05.03.1999)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

icht alles wird anders, aber vieles wird besser! Dies – dar- an erinnert man sich noch gut – hat Gerhard Schröder vor der Wahl gesagt. Für die Gesundheitspolitik kann dieser Slogan nicht gelten. Im Gegenteil: Alles wird anders, aber nichts wird besser, ist wohl die ange- messene Prognose nach der zweitägi- gen Klausur der rot-grünen Gesund- heitspolitiker Mitte Februar in Bonn.

Die dort beschlossenen Eckpunkte zur „Gesundheits-Reform 2000“ las- sen zweierlei erkennen: Die Regie- rung will mehr als nur eine Reform, sie will einen grundlegenden Wandel des Gesundheitswesens. Sozialde- mokraten und Bündnisgrüne sind über Einzelheiten auf dem Weg da- hin allerdings derart zerstritten, daß schon die Terminabsprache zur Fortsetzung der Beratungen trotz erheblichem Zeitdruck zunächst nicht gelingen wollte. Inzwischen ist der 2. März ins Auge gefaßt.

Gleichwohl traten Rudolf Dreß- ler für die SPD und Bundesgesund- heitsministerin Andrea Fischer für Bündnis 90/Die Grünen im Anschluß an die Klausur gemeinsam vor die Presse und verkündeten, worauf sich die Koalitionäre bislang hatten eini- gen können. Auf herzlich wenig und dennoch erschreckend viel. Vier von 13 Eckpunkten sind beschlossen.

Über die restlichen neun Punkte muß noch verhandelt werden.

Da Dreßler und Fischer, deren persönliches Verhältnis von vorn- herein nicht frei von Konflikten war, keinen Hehl aus den vielen Mei-

nungsverschiedenheiten innerhalb der Koalitionsrunde machten und auch die Einigungsquote bei den Eckpunkten eher dürftig ausgefal- len war, herrscht seither mehr Ver- wirrung als Klarheit über den exak- ten Kurs der Regierungspartner.

Um die übergeordnete Zielset- zung der Reform zu verstehen, muß man die Prämisse kennen, von der SPD und Grüne ausgehen. Beide glauben, daß ausreichend Geld zur Verfügung steht, die Mittel jedoch nicht effizient genug eingesetzt wer- den. Beide halten die derzeitigen Strukturen für zu

starr und längst überholt. Beide mei- nen schließlich, daß die Krankenkassen mehr Einfluß auf das Leistungsge- schehen erhalten müßten. In Ärzte- kreisen weiß man

längst, daß die Kassen vom „Payer zum Player“ avancieren möchten – und ihre Aussichten sind nunmehr besser denn je.

So wollen SPD und Grüne eine

„globale Finanzsteuerung“ etablie- ren, „die den effizienten Einsatz der Versichertengelder bewirkt und da- durch die Beitragssätze auf Dauer stabilisiert“. In Zukunft soll es kei- ne getrennten Finanzierungssyste- me für den stationären und ambu- lanten Sektor mehr geben. Statt des- sen entscheiden – vereinfacht ausge- drückt – die Krankenkassen, wieviel Geld wohin fließen wird. Diesem

Ziel dient die sukzessive Umstellung der Krankenhausfinanzierung allein auf die Krankenkassen, angefangen bei den laufenden Instandhaltungs- kosten von jährlich rund 800 Millio- nen DM. Demselben Ziel dient die Absicht, ein einheitliches pauscha- liertes Preissystem für die gesamte stationäre Versorgung einzuführen.

Den Krankenkassen soll das Globalbudget überantwortet wer- den – aufgeteilt nach den vier großen Kassenarten. Sie verteilen die Mittel zunächst noch konventio- nell in Form von Gesamtvergütun- gen für die Kas- senärztlichen Ver- einigungen und die Krankenhäuser, spä- ter dann aber zu- nehmend individu- ell nach sektorüber- greifenden Versor- gungskriterien. Be- reits im ersten Schritt der jetzt anstehenden Reform wollen SPD und Grüne den Kran- kenkassen erlauben, Verträge mit einzelnen Ärzten, Arztgruppen, Krankenhäusern und weiteren Lei- stungserbringern über „integrieren- de Versorgungsformen“ zu schließen.

Sie sollen ferner berechtigt sein, ein- zelne Abteilungen von zugelassenen Krankenhäusern nicht in Vergü- tungsverträge einzubeziehen.

Die Steuerung der Geldströme durch die Krankenkassen ist die eine Stoßrichtung des angestrebten Sy- stemwandels. Die andere offenbart sich in der Formulierung der Eck- A-519

P O L I T I K LEITARTIKEL

Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 9, 5. März 1999 (15)

Eckpunkte zur Gesundheitsreform

Blankes Entsetzen über den Weg in die Verwaltungsmedizin

SPD und Grüne steuern ein grundlegend anderes Gesundheitswesen an. Der ärztliche Einfluß soll schwinden, alle Macht den Krankenkassen übertragen werden.

N

»Die Kassen entscheiden, wohin

das Geld fließt.«

(2)

punkte zur Verzahnung der statio- nären und ambulanten Versorgung und zur Stärkung der hausärztlichen Versorgung. Auch hier werden wieder- um Tendenzen in Richtung eines Einkaufsmodells der Krankenkassen deutlich. Die Krankenkassen sollen mit einzelnen Ärzten, Arztgruppen und Krankenhäusern Verträge zur me- dizinischen Rehabilitation schließen können, wenn inte-

grierte Versorgungs- formen angeboten werden.

Unabhängig von besonderen Versor- gungskonzepten wol- len SPD und Grüne die Krankenhäuser

„im eingeschränkten

Umfang zur Teilnahme an der ambu- lanten fachärztlichen Versorgung zu- lassen“. Diese Formulierung aus den Eckpunkten läßt zwar Interpretatio- nen zu, sie deutet aber auf eine institu- tionalisierte Öffnung der Kranken- häuser hin. Dies wäre eine strukturelle Änderung mit weitreichenden Fol- gen für die niedergelassenen Fachärz- te. Ein zweiter Punkt kommt hinzu:

„Ferner erhält das Krankenhaus die Berechtigung, Patientinnen und Pati- enten, die zu einer (nicht notwendi- gen) stationären Behandlung vom Vertragsarzt in das Krankenhaus ein- gewiesen werden, ambulant zu behan- deln.“

Im Gegenzug, heißt es in den Eck- punkten, soll den Kassenärzten die Möglichkeit eröffnet werden, ihre Pati- enten im begrenzten Umfang sowohl ambulant als auch kurzstationär im Krankenhaus zu betreuen. Vorausset- zung dafür ist das Zustandekommen von sogenannten dreiseitigen Verträ- gen zwischen den Krankenkassen, den Krankenhausgesellschaften und den Kassenärztlichen Vereinigungen.

Ein weiterer interessanter, wenn- gleich ziemlich realitätsferner Aspekt zum Thema Verzahnung ist die Vor- stellung der Koalitionäre zum ambu- lanten Operieren. Es soll ein Katalog von Eingriffen aufgestellt werden, die ambulant durchgeführt werden kön- nen. Soll eine solche Operation den- noch im Krankenhaus erfolgen, muß dies zuvor von der Krankenkasse ge- nehmigt werden. Preisfrage: Darf eine Krankenkasse im Zweifelsfalle den

Wunsch eines Versicherten nach sta- tionärer Operation zurückweisen?

Zusatzfrage: Wie steht es um die freie Arztwahl des Versicherten?

Letzteres ist auch im Hinblick auf die Stärkung der hausärztlichen Ver- sorgung von Bedeutung. Zwar gilt dieser Punkt als „abgestimmt“, doch in Wahrheit gehen hierzu die Meinun- gen nach wie vor weit auseinander.

Klar ist eines: SPD und Grüne wollen den Hausarzt stär- ken, beide wollen vor allem künftig verhin- dern, daß Patienten gleichzeitig mehrere Fachärzte derselben Arztgruppe in An- spruch nehmen.

Dreßlers Ansatz war die Verände- rung der Krankenversichertenkarte, die nur noch den Besuch einer engbe- grenzten Zahl von Ärzten in einem Quartal erlauben soll. Andrea Fischer will davon nichts wissen – und hat sich offenbar durchgesetzt. Deshalb einig- ten sich SPD und Grüne zunächst dar- auf, die Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen in die Pflicht zu nehmen. Sie soll wirksame Verfahrens- regelungen aufstellen, wonach der Hausarzt die ihm vom Gesetzgeber zu- gedachte Lotsenfunktion im Gesund- heitswesen tatsächlich erfüllen kann.

Ob dies von den Krankenkassen durch finanzielle Anreize (günstiger Haus- arzt-Tarif) begleitet werden soll, sei noch zu prüfen.

Festgelegt haben sich die Gesundheits- politiker indes auf die Absicht, den Haus- ärzten einen eigenen Honoraranteil zu ge- währen, der nach ei- genständigen Vergü- tungsformen zu ver-

teilen ist. Die Krankenkassen müssen diesen Regelungen im Honorarvertei- lungsmaßstab der Kassenärztlichen Vereinigungen zustimmen, sie wären damit in eine der letzten noch verblie- benen eigenständigen Domänen der KVen eingebrochen. Mehr noch: Die Kassen sollen das Recht erhalten, Mo- dellvorhaben zur hausärztlichen Ver- sorgung „mit einer hinreichend großen Zahl von Hausärzten“ auszuhandeln.

„Das Genehmigungsrecht der Kas-

senärztlichen Vereinigungen entfällt“, heißt es dazu in den Eckpunkten.

Der Hausarzt als Lotse, die Kran- kenhäuser mit erweiterten Kompeten- zen in der ambulanten Versorgung und die Krankenkassen als Gestalter und Verwalter des Leistungsgeschehens:

Das ist die Richtung, in die die rot-grü- ne Gesundheitsreform zielt. Es ist mehr als eine Reform, es ist ein gravie- render Umbruch, der die über Jahr- zehnte gewachsene gegliederte Versor- gung durch angestellte Kranken- hausärzte und freiberuflich tätige Kassenärzte durch ein zersplittertes

„Krankenkassen-Versorgungssystem“

ablöst. Der ärztliche Einfluß auf die Gestaltung des Gesundheitswesens wird zunehmend schwinden, statt des- sen geben mehr und mehr die „Kassen- hüter“ die gewünschte Richtung vor.

Die Reaktionen der Ärzteschaft auf die bislang bekanntgewordenen Eckpunkte sind daher kaum verwun- derlich. Sie reichen mehrheitlich von Fassungslosigkeit bis hin zu blankem Entsetzen. Prof. Dr. Karsten Vilmar, Präsident der Bundesärztekammer, bringt es auf den Punkt: „Das Koaliti- onspapier zielt ausschließlich auf eine Machtkonzentration bei den Kran- kenkassen – eine Verwaltungsmedizin vom grünen Tisch.“ Die Kassenärztli- che Bundesvereinigung fürchtet den

„Ausverkauf der ärztlichen Versor- gung“, für den Hartmannbund ist das Ganze ein einziges „Grusel-Szenario“.

Der Präsident der Bundesärz- tekammer wie auch der KBV-Vorsitzende Dr. Winfried Schorre drängen auf den seit Monaten zugesagten Dialog mit der Poli- tik. Dieser soll nach Angaben der Bun- desgesundheitsmini- sterin im März begin- nen. Die Frage ist jedoch, wie offen SPD und Grüne für die Argumente der Ärzteschaft sind.

Die Politik wäre gut beraten, ei- nen derartigen Systemwandel nicht mit der Brechstange durchzusetzen.

Wer nach eigenem Bekunden eine Reform im Dialog mit der Ärzteschaft sucht (Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer), der sollte dies letzt- lich auch tun. Bisher ist davon nichts

zu spüren. Josef Maus

A-520

P O L I T I K LEITARTIKEL

(16) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 9, 5. März 1999

»Vieles deutet auf eine institutionalisierte

Öffnung hin.«

»Die Kassen brechen in die letzten Domänen

der KV ein.«

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Was bleibt, ist der Umbau des bestehenden Systems: Wenn schon keine Einheitsversicherung, dann aber doch einheitliche Bedingungen für alle Kassen, bundesweiter Fi-

Bei den analysierten Finan- zierungen zeigte sich sowohl im Westen als auch im Osten ein Schwerpunkt der Einzel- praxisgründungen in der Groß- stadt: 51,9 Prozent (35,5

Die Landesverbände der Kranken- kassen und die Verbände der Ersatzkas- sen vereinbaren gemeinsam und einheit- lich auf Landesebene eine Gesamtvergü- tung für den stationären Bereich

immer wieder darauf hin, daß zumindest in Sachsen-Anhalt eine geplante Verlegung in Pflegeheime von der Patien- tenfähigkeit zur selbständi- gen Nahrungsaufnahme oder – wenn diese

Hauptur- sachen für diese Entwicklung: die Ab- kopplung der Ärzteschaft von der ge- samtgesellschaftlichen wirtschaftlichen Entwicklung, die fatale destruktive Wir-

32,2 Prozent der aus- gewerteten Finanzierungen bezogen sich auf Gründungen von Gemeinschaftspraxen und Praxisgemeinschaften sowie den Praxisbeitritt; 0,8 Prozent der Finanzierungen

März haben der Prä- sident der Vereinigten Staaten von Amerika, Ronald Reagan, und der Premierminister Frank- reichs, Jacques Chirac, in Wa- shington einen Vertrag unter-

Ich weiß zwar nicht so recht, ob mein Visitensystem richtig ist, aber bis jetzt habe ich die Patienten immer durchgeschleust.. Ich gehe rein, frage, wie es geht, tue so, als