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erkwürdig, wenn selbst einer rhei- nischen Frohna- tur die Lust am Karne- val vergeht. Bundesge- sundheitsministerin Ulla Schmidt scheint es der- zeit offensichtlich nicht leicht zu haben. Zum Be- dauern von Christian Mourad, dem Geschäfts- führer des Aachener Karnevalsvereins, hat sie in diesem Jahr die Teil- nahme am Karneval in ihrer Heimatstadt abge- sagt. Nicht einmal als Bremens Bürgermeister Henning Scherf den Or- den wider den tierischen Ernst verliehen bekam, war sie dabei. Doch werdem „Narrenvolk“ statt „Kamelle“ und
„Strüßjer“ eine Gesundheitsreform mit Praxisgebühr und Arzneimittelzuzah- lungen vor die Füße schleudert, mag in der Tat nicht besonders erpicht darauf sein, sich dem närrischen Treiben mit seinen politischen Anspielungen und Witzen direkt auszusetzen.
Bundesärztekammer- präsident Prof. Dr. med.
Jörg-Dietrich Hoppe – in Düren, nahe Aachen, zu Hause – findet den jüng- sten „Wurf“ der Ministe- rin alles andere als lu- stig. „Der Einstieg in die Gesundheitsreform
ist gründlich misslungen“, bilanzierte er am 10. Februar in Berlin. Es hagele Brie- fe von betroffenen Patienten und Ärz- ten. Für einige Patienten sei es durch mehrfache Bezahlung der Praxisgebühr und durch hohe Zuzahlungen bei den Arzneimitteln zu finanziellen Belastun-
gen gekommen, die sie sich kaum leisten könnten. Dass Patienten nun grundsätz- lich nichtverschreibungspflichtige Me- dikamente aus der eigenen Tasche zah- len müssen, stelle für einige eine Hürde dar, diese dann auch zu kaufen.
Die Praxisgebühr wieder abzuschaf- fen, würde der Bundesärztekammer- präsident der Ministerin indes nicht empfehlen.
Das deutsche Gesund- heitswesen sei bei der Fi- nanzierung am Ende der Skala angelangt. Hoppe reagierte damit auf ent- sprechende Forderungen der SPD-Linken. Sinn- voll ist es nach seiner Ansicht hingegen, die Gebühr von den Krankenkassen einziehen zu lassen.
Noch haben sich die Turbulenzen um die Instrumente der Gesundheitsreform nicht gelegt, da wird im Bundesgesund- heitsministerium bereits über weitere
„Neuerungen“ diskutiert.
Beispiel Rankings: Ihnen erteilte Hoppe eine deut- liche Absage. Listen, auf denen Krankenhäuser nach ihrer Güte sortiert würden, könnten mehr Schaden als Nutzen an- richten. Sie seien zu stark den personellen Schwan- kungen an den Kranken- häusern unterworfen. Pa- tienten könnten dadurch fehlgeleitet werden oder das Gefühl erhalten, nicht optimal behandelt zu werden.
Für „sehr diskussions- würdig“ hält der Bun- desärztekammerpräsident auch den Vorschlag des Wissenschaftsrates, zwei verschiedene Qualifikationswege zum Arzt und die Abschlussqualifikation
„Medical Doctor“ (MD) einzuführen.
Alle Medizinstudenten müssten über die gleichen wissenschaftlichen Grund- lagen verfügen, um im künftigen Beruf miteinander kommunizierfähig zu blei- ben, meint Hoppe. Zudem befürchtet er, dass die Patienten durch den neuen Titel
„MD“ verunsichert werden könnten.
Was Schmidts buntes Reformpaket so alles in sich birgt, wird erst allmählich of- fenbar. Fest steht: Die Versorgungsland- schaft wird in den nächsten Jahren kom- plett umgekrempelt. Die Wahlmöglich- keit der hausarztzentrierten Versorgung durch die Versicherten, der Aufbau von Medizinischen Versorgungszentren, der Ausbau der Integrierten Versorgung so- wie die Einführung der diagnosebasier- ten Fallpauschalen (DRGs) in den Kran- kenhäusern und deren Zulassung zur ambulanten Versorgung werden ihre
Spuren hinterlassen.
P O L I T I K
Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 820. Februar 2004 AA469
Gesundheitsreform
Die ersten 40 Tage
Praxisgebühr, Arzneimittelzuzahlungen und der verkorkste Start
der Gesundheitsreform haben für viel Wirbel gesorgt. Von den Hauptinhalten der Reform hat dies jedoch eher abgelenkt.
„Der Einstieg in die Gesundheits- reform ist gründlich
misslungen.“
Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe Bundesärztekammerpräsident
Besonders eines beschäftigt Schirmer, Hoppe und Kloiber (von links): die Sor- ge um das individuelle Arzt-Patienten-Verhältnis.
Foto:Georg Lopata
Verteufeln möchte der Bundesärzte- kammerpräsident die Neuerungen nicht.
„Es ist gut, dass das Gesetz eine Vertrags- vielfalt zulässt“, meint Hoppe. „Aber ich möchte dafür werben, dass sich Struktu- ren entwickeln, die die individuelle Arzt- Patienten-Beziehung sichern.“ Sorge be- reitet Hoppe nämlich die gleichzeitige Kommerzialisierung des Gesundheitssy- stems. Anzeichen dafür gibt es bereits.
Bei der Überführung der medizinischen Erkenntnisse in Disease-Management- Programme habe man die Erfahrung ge- macht, dass bei der Ausgestaltung der Programme nicht nur die Medizin, son- dern vor allem die Ökonomie entschei- dend sei. „Mit der Hilfe der Ärzte wird jetzt das Notwendige dem Finanzierba- ren angepasst. Dies wird zur kollektiven Unzufriedenheit führen“, warnt Hoppe.
Im stationären Bereich habe die Ein- führung der DRG bereits zu einer Men- talitätsänderung geführt. Bisher wäre ein Patient mit einer langen „Diagno- senliste“ so lange behandelt worden, bis er guten Gewissens nach Hause entlas- sen werden konnte, berichtet der Präsi- dent der Bundesärztekammer. Jetzt ge- be es nur noch eine Einweisungsdia- gnose mit dem Aufnah-
megrund, nach dem die Behandlungsdauer fest- gelegt werde. Begleiter- krankungen blieben un- berücksichtigt und müss- ten ambulant behandelt werden.
Immerhin hat die Bundesärztekammer ge- meinsam mit der Kas- senärztlichen Bundesver- einigung einige tiefere Einschnitte verhindern können. So bleiben der Ärzteschaft die Zerschla- gung der fachärztlichen ambulanten Versorgung,
der Aufbau eines staatlich gelenkten Qualitätsinstituts und der Einsatz eines Korruptionsbeauftragten erspart.
„Et hätt noch immer jot jejange“
heißt es so schön im Rheinland. Damit auch die Entwicklung der künftigen Strukturen, wie Medizinische Versor- gungszentren (MVZ) und Integrierte Versorgung, im Sinne von Patienten und Ärzten verläuft, will sich die Bun- desärztekammer daran beteiligen. Ver-
stärkt will sie die Versorgungsforschung und das Nationale Leitlinienprogramm vorantreiben. „In Medizinischen Ver- sorgungszentren und bei Vertragsfor- men der Integrierten Versorgung muss die individuelle Patient-Arzt-Bezie- hung erhalten werden“, fordert Hoppe.
Auch angestellte Ärzte dürften in Ge- sellschaften, die auf Gewinnerzielung ausgerichtet sind, ausschließlich medi- zinischen Maßstäben un-
terworfen sein. Ziel der Bundesärztekammer ist es deshalb, die Rechte der Ärzte als Freiberufler si- cherzustellen. „Entspre- chend den Vorbildern an- derer Freier Berufe, wie Rechtsanwälte oder Steu- erberater, wollen wir
durch berufs- und gesellschaftsrecht- liche Begleitregeln eine Art ,Ärzte- gesellschaft‘ schaffen“, erklärt Horst Dieter Schirmer, Justiziar von Bun- desärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung. Die Regeln sollen den beruflichen Anforderungen ent- sprechen und sicherstellen, dass zumin- dest die Mehrheit der Gesellschafter und die Geschäftsführer der MVZ Berufsange- hörige sind.
Ehe sich die Zentren tatsächlich etablieren und die neuen gesetzlichen Möglichkeiten vollständig ausgelotet werden kön- nen, sind noch eine Reihe von Rechtsfragen zu lö- sen. So besteht bislang in einigen Bundesländern ein Konflikt mit dem ärzt- lichen Berufsrecht. „Bun- desrecht geht vor Berufs- recht“, erklärt Schirmer.
„Mit ihrer sozialrechtli- chen Zulassung überwin- den Medizinische Versorgungszentren berufsrechtliche Einschränkungen.“
MVZ, nach der Definition des § 95 SGB V „fachübergreifende ärztlich ge- leitete Einrichtungen“, können auch außerhalb des Sicherstellungsauftrages der Kassenärztlichen Vereinigungen Vertragspartner der Krankenkassen werden. Gegründet werden dürfen sie jedoch nur von Leistungserbringern im Rahmen der Bedarfsplanung. Diese
müssen aufgrund von Zulassungen oder Verträgen bereits in das System der Ge- setzlichen Krankenversicherung inte- griert sein. Im Klartext: Vertragsärzte, Krankenhäuser, aber auch Apotheken und Sanitätshäuser können Gründer solcher Zentren sein. Gewiefte Unter- nehmer hat dies längst auf den Plan ge- rufen. „Mehr und mehr versuchen Un- ternehmen, niedergelassenen Ärzten die Zulassung abzukau- fen“, berichtet Hoppe. Ei- nen solchen Schritt müsse man sich allerdings genau überlegen. „Wer seine Zulassung verkauft hat, erhält sie beim Ausstieg aus dem Angestelltenver- hältnis nicht zurück, son- dern muss ein neues Zu- lassungsverfahren durchlaufen, wenn er sich erneut niederlassen will“, warnt Ju- stiziar Schirmer.
Medizinische Versorgungszentren, Disease-Management-Programme und diagnosebasierte Fallpauschalen in den Krankenhäusern sind keineswegs deut- sche Erfindungen. „Diese Elemente exi- stieren in vielen europäischen Staaten“, berichtet Dr. med. Otmar Kloiber, stell- vertretender Geschäftsführer der Bun- desärztekammer. „Die Gesundheitssy- steme in Europa gleichen sich einander an“, meint er. Bedauerlicherweise gebe es jedoch keine Koordinierung in Euro- pa. Stattdessen würden amerikanische Managed-Care-Elemente nachgeahmt.
„Motor dieser Harmonisierung ist die Europäische Kommission, die den Wett- bewerb zur allein selig machenden Dok- trin erkoren hat“, erklärt Kloiber. Nach Ansicht der europäischen Ärztevertre- tungen sei das Gesundheitswesen je- doch kein Markt im üblichen Sinne.
Nicht ungefährlich sei der immer häufi- ger von Krankenkassen geäußerte Wunsch, Leistungen im Ausland billiger einzukaufen. „Das wird zwangsläufig zu Rationierungen in Deutschland füh- ren“, prognostiziert Kloiber.
Eine schleichende Rationierung ver- spüren die Patienten bereits. Nicht um- sonst ist Ulla Schmidt bei Umfragen auf der Beliebheitsskala abgerutscht. Rech- nen darf sie während der diesjährigen Karnevalssession deshalb wohl auch mit der einen oder anderen Quittung für ihre Praxisgebühr.Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann P O L I T I K
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A470 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 820. Februar 2004
„Entsprechend den Vorbildern anderer Freier Berufe, wie Rechtsanwälte oder
Steuerberater, wollen wir durch berufs- und gesell-
schaftsrechtliche Begleitregeln eine Art
,Ärztegesellschaft’
schaffen.“
Horst Dieter Schirmer Justiziar von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung
„Die Gesundheits- systeme in Europa
gleichen sich einander an.“
Dr. med. Otmar Kloiber stellvertretender Geschäftsführer
der Bundesärztekammer