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Archiv "Ärztliche Behandlungsfehler: Offenheit gefordert" (02.05.2003)

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er Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesund- heitswesen widmet in seinem im Februar vorgelegten Gutachten den ärztlichen Behandlungsfehlern ein um- fangreiches Kapitel, in dem unter ande- rem angemahnt wird, dass es bisher noch keine allgemein akzeptierte Be- griffsdefinition gibt und auch die Da- tenlage völlig unzureichend sei.

Die Zahl der vermuteten und ange- zeigten Behandlungsfehler wird in Deutschland nach Angaben des Robert Koch-Instituts von 2001 auf rund 40 000 pro Jahr und die der anerkannten Scha- densersatzansprüche auf circa 12 000 geschätzt. „Die Mehrzahl der registrier- ten Fehlervorwürfe betrifft die operativ tätigen ärztlichen Disziplinen ein- schließlich der Gynäkologie und Ge- burtshilfe, vermutlich weil fehlerhafte Behandlungsverläufe hier für den Lai- en einfacher erkennbar erscheinen als bei konservativen Therapieverfahren.“

Stationäre Einrichtungen beziehungs- weise Krankenhausärzte würden häufi-

ger mit Fehlervorwürfen konfrontiert als ihre nieder- gelassenen Kollegen.

Studien in den USA deu- teten darauf hin, dass bei 2,9 bis 3,7 Prozent aller im Krankenhaus behandelten Patienten unerwünschte Er- eignisse (adverse events) auftreten.Vergleichbare Un- tersuchungen aus anderen Ländern sprächen für zum Teil noch höhere Raten.

Die dadurch verursachten Kosten hält der Sachver- ständigenrat für erheblich:

„Unter der vereinfachten Annahme, die angloameri- kanischen Untersuchungs- ergebnisse wären auf die

Verhältnisse in Deutschland übertrag- bar, ergäben sich bei circa 16,5 Millio- nen Krankenhausbehandlungsfällen im Jahr 2001 zwischen 31 600 und 83 000 Todesfälle aufgrund unerwünschter Folgen medizinischer Interventionen in

Deutschland.“ Damit würden mehr Menschen an den Konsequenzen medi- zinischer Diagnostik und Therapie be- ziehungsweise an Behandlungsfehlern sterben als beispielsweise an Dickdarm- krebs, Brustkrebs oder Verkehrsun- fällen.

Als häufigste Fehlerquelle würden immer wieder Kommunikations- und Koordinationsdefizite identifiziert, die oft vor dem Hintergrund einer un- zulänglichen Prozessorganisation zu se- hen seien. Insbesondere fehlten häufig standardisierte Ablaufpläne und inter- ne Leitlinien (Tabelle). Aber auch be- stimmte Strukturmerkmale des Ge- sundheitssystems wirkten sich potenzi- ell fehlerfördernd aus, indem sie zum Beispiel ungünstige Rahmenbedingun- gen für die Handlungen der einzelnen Leistungserbringer und Institutionen festlegen.

Zur Vermeidung von Fehlern fordert der Sachverständigenrat die Etablie- rung einer neuen Fehlerkultur, die schrittweise auf mehreren Ebenen an- T H E M E N D E R Z E I T

A

A1174 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 182. Mai 2003

Ärztliche Behandlungsfehler

Offenheit gefordert

Der Sachverständigenrat für die Konzertierte

Aktion im Gesundheitswesen plädiert für die Einführung einer neuen Fehlerkultur auf mehreren Ebenen.

´ TabelleCC´

Organisatorische Mängel als Ursachen von Behandlungsfehlern – Analyse gutachterlicher Begründungen für anerkannte Fehlervorwürfe*

Fehlerursachen Anteil

Ungenügende Absprache/Koordination 23

Davon: – zwischen ambulanter und stationärer Versorgung 42

– zwischen niedergelassenen Ärzten 58

Dokumentationsmängel 20

Übernahmeverschulden 13

Mangelhaftes Erkennen und Behandeln von Komplikationen 10

Aufklärungsmängel 7

Hygienemängel 1

Notfallsituation 0,07

* Angaben in Prozent; analysiert wurden Verfahren vor Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Ärztekammern Quelle: Eigene Darstellung nach Robert Koch-Institut 2001 (vgl. auch Hansis, M. L. 2001 sowie Scheppokat, K. D. und Held, K. 2002)

Zwei Beiträge in diesem Heft beschäftigen sich mit dem Umgang mit ärztlichen Behandlungsfehlern.

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ie in allen Bereichen menschli- chen Lebens werden auch in der Medizin Fehler gemacht.

Das ist eine Binsenweisheit. Doch gera- de ärztliche Behandlungsfehler galten lange Zeit als Tabuthema. Das hat sich allerdings geändert. Die Ärzteschaft be- schäftigt sich selbst inzwischen intensiv mit dieser Problematik. Auch der Medi- zinrechtler Prof. Dr. iur. H. Gerhard Schlund, ehemaliger Vorsitzender Rich- ter am Oberlandesgericht (OLG) Mün- chen, sowie Prof. Dr. med. Peter Hel- mich, Allgemeinarzt und Psychothera- peut und früher Fachvertreter der All- gemeinmedizin an der Heinrich-Heine- Universität Düsseldorf, betrachten sich nicht als „Bilderstürmer“. Vielmehr plä- dieren sie für einen offensiven Umgang mit dem sensiblen Thema. Im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt erläuter- ten Helmich und Schlund, was Behand- lungsfehler sind, wie sie vermieden wer- den können und wie Ärzte damit umge- hen sollten, wenn ihnen dennoch ein sol- cher Fehler unterlaufen ist.

Häufigkeit und Definition

Nach Auffassung von Helmich hat die Ärzteschaft in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten ein ganz neues Qualitäts- bewusstsein entwickelt. Das belegen auch die von Schlund vorgestellten Zahlen: Nach einer Veröffentlichung des Statistischen Bundesamts Wiesba- den habe es im Jahr 1990 rund 335 Mil- lionen Arzt-Patienten-Kontakte gege- ben. Heute könne man hochgerechnet von rund 400 Millionen ambulanten Arztkontakten jährlich ausgehen. Bei

diesen rund 400 Millionen Arzt-Patien- ten-Kontakten entstehen etwa 400 000 Behandlungsfehler. Diese führten zu knapp 40 000 Anschreiben an Versiche- rungen, Schlichtungsstellen oder die Staatsanwaltschaft. Die Hälfte davon lande vor Gericht, sodass man letztlich von 7 500 bis 10 000 verurteilten Ärzten ausgehen könne. Schlund hält dies für eine verschwindend geringe Zahl im Verhältnis zu den Arzt-Patienten-Kon- takten. Und dennoch: „Für jeden Pati- enten, den ein Behandlungsfehler trifft, ist es einer zu viel.“ Und schließlich ge- be es ja auch eine nicht unbeträchtliche Dunkelziffer.

Doch was ist überhaupt ein ärztlicher Behandlungsfehler? Helmich bringt es folgendermaßen auf den Punkt: „Ein Behandlungsfehler liegt dann vor, wenn eine Behandlung vom Stand des Wis- sens (state of the art) ohne eine begrün- dende Erklärung abweicht.“ Und: „Es muss ein objektiv feststellbarer Scha- den entstanden sein“, ergänzte Schlund.

Zum medizinischen Stand des Wissens gehöre auch das Erkennen der eigenen Grenzen. Schlund: „Die Überweisung und die Wahrnehmung der eigenen Kompetenzgrenze ist im Stand des Wis- sens zweifelsfrei definiert.“ So ließen sich beispielsweise viele Patienten ganz bewusst von homöopathischen Ärzten behandeln. Aber wenn eine Halsent- zündung nach vier Wochen nicht geheilt sei, müsse der Arzt sagen: „Ich muss jetzt entweder selbst Chemie anwen- den, oder Sie müssen zu einem kompe- tenten Mann gehen, der Ihnen Chemie verschreibt.“ Ebenso wichtig wie der Stand des Wissens sei aber auch der Stand der Technik, das heißt, dass die T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 182. Mai 2003 AA1175

setzen müsse.Wenn einer neuen Fehler- kultur dies gelingen solle, sei es erfor- derlich, die Gestaltung des Arbeitsall- tags von Ärzten und anderen Berufs- gruppen in Klinik und Praxis kritisch zu überdenken. Bislang fehle beispielswei- se auch ein legitimer Raum oder ein ge- schütztes Forum, um offen und sankti- onsfrei über Fehler sprechen zu kön- nen. Zur Identifikation von Fehlerquel- len und typischen fehlerträchtigen Kon- stellationen müssten alle vorhandenen Informationen offen gelegt werden. Der Sachverständigenrat hält eine systema- tische Analyse der via Gerichtsverfah- ren oder außergerichtlicher Begutach- tungen „registrierten“ Fehler für not- wendig. Dies mache zum Beispiel auch die Offenlegung entsprechender Daten der Haftpflichtversicherer notwendig.

Zurzeit veröffentlichten zwar einzelne Gutachter- und Schlichtungsstellen ge- legentlich einschlägige Kasuistiken, ei- ne systematische, regional übergreifen- de Auswertung der Verfahren finde je- doch allenfalls vereinzelt statt.

Darüber hinaus bedürfe es auch der parallelen Etablierung verschiedener Formen von Meldesystemen: „Der Auf- bau sowohl von internen als auch exter- nen Melderegistern, die teils öffentlich zugänglich sind, teils vertraulichen Cha- rakter haben, ist ein entscheidender Schritt, um die Datenlage zu medizini- schen Fehlern und die Fehleranalyse auf den verschiedenen Ebenen der Ge- sundheitsversorgung zu verbessern so- wie die Transparenz zu erhöhen.“

Der Sachverständigenrat bewertet die Arbeit der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen grundsätzlich positiv. Dies deckt sich mit der Einschät- zung des Robert Koch-Instituts und des Statistischen Bundesamtes. In einer ge- meinsam vorgelegten Statistik stellten sie fest, dass bei Verfahren vor einer Gutachterkommission oder Schlich- tungsstelle in rund 30 Prozent der abge- schlossenen Fälle ein Behandlungsfeh- ler anerkannt wurde. Dass ein neues Qualitätsbewusstsein schon seit langem von der Ärzteschaft selbst etabliert wur- de, verdeutlichten auch der Allgemein- mediziner Prof. Dr. med. Peter Helmich und der Medizinrechtler Prof. Dr. iur.

Gerhard H. Schlund im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt (dazu neben- stehender Beitrag). Gisela Klinkhammer

Ärztliche Behandlungsfehler

Ein neues

Qualitätsbewusstsein

Im DÄ-Redaktionsgespräch informierten Prof. Dr. iur.

Gerhard H. Schlund und Prof. Dr. med. Peter Helmich unter

anderem über die Arzthaftung, die Aufklärungs- und Offen-

barungspflicht sowie über die Bedeutung von Leitlinien.

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Geräte entweder auf dem neuesten Stand sein müssten, oder der Arzt müs- se den Patienten zu einem Kollegen oder ins Krankenhaus überweisen.

„Wer heute noch bei Patienten mit ab- dominellen Beschwerden mit einem Breischluck den Magen untersucht, der handelt nicht nach dem Stand des Wis- sens“, sagte Helmich.

Im Arzthaftungsprozess wird, so Schlund, zwischen groben und nicht groben Behandlungsfehlern unter- schieden. Wenn der Sachverständige im Arzthaftungsprozess einen einfachen Behandlungsfehler konstatiert, muss der Patient den vollen Nachweis führen, dass das ärztliche Handeln seine Gesundheitsschädigung hervorgerufen hat. Wenn der Arzt dagegen, so Schlund, eine grobe

Sorgfaltspflichtver- letzung begeht, muss er den Nach- weis führen, dass der Schaden auch bei einer fehler- freien Behandlung aufgetreten wäre.

Schlund: „Ein gro- ber Behandlungs- fehler liegt dann vor, wenn der Arzt

gegen eindeutig gesicherte medizini- sche Kenntnisse und Erfahrungen ver- stößt.“ Eine schicksalhafte Weiterent- wicklung des Leidens eines Patienten liegt dagegen außerhalb der Verantwor- tung des Arztes.“ Versicherungsschutz sei für den Arzt außer bei Vorsatz im- mer gegeben, auch bei grober Fahrläs- sigkeit.

Die Aufklärung des Patienten

Ausführlich gingen Schlund und Hel- mich darauf ein, spätere Fehlervorwür- fen frühzeitig zu vermeiden. Ohne Ein- willigung des Patienten sei jedes Vorge- hen eines Arztes rechtswidrig. Der Ein- willigung habe in jedem Fall ein Ge- spräch zwischen Arzt und Patient vor- auszugehen. Die Aufklärung ist, so Schlund, Aufgabe des Arztes und sollte nicht delegiert werden. Aufklärungs- adressat sei der Patient, bei minder- jährigen oder einwilligungsunfähigen Patienten sei es der gesetzliche Vertre-

ter. Bei Kindern und Jugendlichen hän- ge deren Einwilligungsfähigkeit nicht von der Geschäftsfähigkeit ab, sondern von ihrer geistigen Entwicklung und ihrem Reifezustand. Je jünger die Kin- der und je größer der Eingriff mit Risi- ken sei, desto mehr sei die alleinige Ein- willigung beider Elternteile gefragt.Auf keinen Fall reicht es Schlund zufolge, dem Patienten ein Aufklärungsformu- lar zu überreichen und unterschreiben zu lassen. „Denn es beweist nicht, dass der vorstehende Text gelesen und noch weniger, dass er auch verstanden wur- de.“ Der Bundesgerichtshof (BGH) verlange ebenfalls, dass in jedem Fall ein Arzt-Patient-Gespräch geführt wer- de. Zur Vorbereitung eines solchen Ge- sprächs könnten Aufklärungsformulare

durchaus hilfreich sein. Und nachdem der Patient sich vorinformiert habe, könne er dann noch einmal vom Arzt über mögliche Risiken in Kenntnis ge- setzt werden. Die Aufklärung müsse dem Niveau des Patienten angepasst werden. Der Arzt müsse außerdem auf jeden Fall auf mögliche Komplikatio- nen und Kontraindikationen hinweisen.

Es genüge nicht, den Patienten auf den Beipackzettel zu verweisen. Die Auf- klärung müsste im Arzt-Patient-Ge- spräch vor allem die eingriffstypischen Risiken ohne Rücksicht auf Prozent- und Promillesätze offenbaren. Dabei sei die persönliche Fehlerhäufigkeit des Arztes oder der Ärzte des Krankenhau- ses von ausschlaggebender Bedeutung.

„Es genügt, wenn Sie beispielsweise sa- gen, dass eine Komplikation bisher äußerst selten aufgetreten ist oder dass sie bei Ihnen noch nie vorgekommen ist, aber theoretisch möglich wäre.“

Das Aufklärungsgespräch müsse so zeitgerecht geführt werden, dass dem Patienten noch ausreichend Gelegen- heit gegeben wird, es sich noch anders zu überlegen. Bei größeren Eingriffen mit erheblichen Risiken sei nach der Rechtsprechung eine Aufklärung erst am Tag vor der Operation in der Regel zu spät. Im Aufklärungsgespräch müss- ten dem Patienten auch Behandlungs- und Diagnostikalternativen aufgezeigt werden. Dringend empfehlenswert sei es, die wesentlichen Grundsätze des Aufklärungsgesprächs in den Kranken- unterlagen zu dokumentieren, weil dem Arzt die Beweislast hinsichtlich einer ordnungsgemäßen Aufklärung aufer- legt sei. Schlund empfiehlt die Verwen- dung von Aufklärungsbögen, in denen das Wesentliche vermerkt ist, was der Arzt im Ge- spräch seinem Pa- tienten erläutern muss, denn mit ei- nem solchen Bogen könne der Arzt re- lativ leicht bewei- sen, seiner Auf- klärungsverpflich- tung nachgekom- men zu sein.

Auch nach einem vermuteten Fehler zahlt sich Offenheit und Gesprächsbe- reitschaft dem Patienten gegenüber aus. Dennoch sollten Ärzte bei aller Of- fenheit im Patientengespräch nie eine Schuld eingestehen. Sie seien ledig- lich verpflichtet, Fakten mitzuteilen.

Schlund: „Das konstitutive Schuldaner- kenntnis ist – außer quasi beim § 142 StGB (unerlaubtes Entfernen vom Un- fallort) – nirgendwo erlaubt, weder im Straßenverkehr noch bei einer Operati- on.“ Das Bekenntnis eines fehlerhaften Verhaltens sei jedoch in keinem Fall ein Schuldanerkenntnis. Helmich weist auf die Obliegenheitspflicht des Arztes hin. Auch danach hat der Arzt zwar die Verpflichtung, den möglichen Behand- lungsfehler der Versicherungsgesell- schaft unverzüglich mitzuteilen, er hat jedoch außerdem das Anerkenntnisver- bot zu beachten. Helmich zitierte ein an ihn gerichtetes Schreiben des Gesamt- verbandes der Deutschen Versiche- rungswirtschaft, in dem es heißt: „Das Bekenntnis eines fehlerhaften Verhal- T H E M E N D E R Z E I T

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A1176 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 182. Mai 2003

Prof. Helmich (links) und Prof. Schlund plädie- ren für Offenheit gegenüber dem Patienten.

Fotos:Josef Maus

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tens allein stellt kein Anerkenntnis dar.

Ebenso sind wahrheitsgemäße Er- klärungen über Tatsachen allein kein Anerkenntnis. Um ein verbotenes An- erkenntnis annehmen zu können, ist zu- sätzlich stets die Erklärung erforder- lich, dass der Schaden ersetzt werde.“

Rechtspflicht zur Offenbarung

Helmich wies darauf hin, dass Rechts- anwälte, Steuerberater und Architekten verpflichtet seien, ihre Klienten auf von ihnen begangene Fehler hinzuweisen.

Ob auch Ärzte ungefragt ihre Patien- ten auf mögliche Behandlungsfehler hinweisen müssen, selbst wenn diese nicht mit Nachteilen für den Patienten verbunden sind, ist allerdings umstrit- ten. Helmich verwies auf einen Beitrag in der Neuen Juristischen Wochen- schrift aus dem Jahr 2000, worin die OLG-Anwälte Dr. Michael Terbille und Dr. Stephan Schmitz-Herscheidt schrei- ben: „Der Arzt ist aufgrund der allge- meinen, aus Treu und Glauben gemäß

§ 242 BGB herzuleitenden Leistungs- treuepflicht verpflichtet, den Patienten

ungefragt über eigene Behandlungsfeh- ler zu informieren, wenn das Informati- onsinteresse des Patienten höher zu be- werten ist als das Geheimhaltungsinter- esse des Arztes.“ Schlund ist da ganz an- derer Ansicht: „Die Steuerberater und Rechtsanwälte betreuen mein Vermö- gen, und die Ärzte betreuen meine Ge- sundheit. Das ist nach der Verfassung (Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes) viel höher anzusiedeln. Ich bin strikt da- gegen, dass der Arzt sich outen muss.

Ich bin gegen die Offenbarungspflicht, anders als diese beiden Rechtsanwälte sie fordern.“ Dies, so Schlund, sei ein- deutig herrschende Rechtsansicht.

Die Rechtspflicht zur Offenbarung ist nach Ansicht Schlunds nur gegeben, wenn es gilt, einen entstandenen Ge- sundheitsschaden zu beheben oder die Entstehung eines weiteren Schadens zu vermeiden. Die Pflicht des Arztes, sei- nen Patienten vor Gesundheitsschäden zu bewahren, begründe auch eine Of- fenbarungspflicht hinsichtlich des Ver- haltens der Ärzte, die vor ihm behan- delt hätten. Auch hier sei auf etwaige gesundheitliche Komplikationen hinzu- weisen, die einer weiteren Behandlung

bedürften, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob durch den Hinweis ein Be- handlungsfehler offenbar werde. Hel- mich: „Dazu bin ich auch vom Berufs- ethos her verpflichtet. Nach der alten Ethik galt ich dann als Nestbeschmut- zer, aber nach der neuen Ethik bin ich ein Arzt, der Patientenvertrauen ver- dient und im Sinne der Rechtsprechung handelt.“

Die Bedeutung von Leitlinien

Kann die evidence based medicine eine Hilfe für den Arzt sein? Oder eine Leit- linie? Ja, glaubt Helmich. Jedenfalls kön- ne die evidenzbasierte Medizin den Stand des Wissens so aufarbeiten, dass sie eine Entscheidungshilfe für den Arzt darstelle. Eine Leitlinie sei jedoch zur- zeit juristisch nicht anwendbar, da „es unter dem Begriff der Leitlinie ganz un- terschiedliche Qualitäten gibt. Schlund bringt es auf den Punkt: „Eine Leitlinie ist eine Empfehlung. Und das bleibt sie auch. Die Sorgfalt, die ich anwenden muss, muss ich immer anwenden. Egal, ob ich Leitlinien habe oder Verordnun- gen oder ob ich Neuland betrete.“

Schlund verweist auf ein Urteil des Oberlandesgerichts Naumburg (Az.: 1 U 46/01), wonach Leitlinien lediglich In- formationscharakter für Ärzte haben.

Und der Bundesgerichtshof habe sich bis heute noch nie an Leitlinien orien- tiert, sondern immer nur am Stand des Wissens in der Medizin. „Der BGH hat seit 40 Jahren die Therapiefreiheit als oberstes Banner für alle medizinischen Maßnahmen eines Arztes anerkannt, und er hält sie immer noch wie eine Monstranz hoch. Und dies wird unter- laufen von diesen angeblich verbindli- chen, nicht einmal aktualisierten, womöglich verbandsorientierten Leitli- nien.“ Als Empfehlungen könnten sie durchaus sinnvoll sein, eine Verbindlich- keit lehnt Schlund jedoch strikt ab. Hel- mich sagte dagegen, eine vom Ärztli- chen Zentrum für Qualität in der Medi- zin zertifizierte Leitlinie gebe den Stand des Wissens wieder und sei eine verbind- liche Handlungsanleitung. Im individu- ellen Fall dürfe beziehungsweise müsse davon abgewichen werden, wenn hierfür eine überzeugende Begründung gege- ben werden könne. Gisela Klinkhammer T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 182. Mai 2003 AA1177

Gesundheitspreis:

„Fehlervermeidung“

Mit der Verleihung des diesjährigen Berliner Ge- sundheitspreises prämierten der Bundesvorstand der AOK, die AOK Berlin und die Berliner Ärztekam- mer sechs Projekte, die sich in besonderer Weise durch eine Verbesserung der Fehlerprävention und Fehlerauswertung hervorgehoben haben. 51 Initiati- ven haben an dem mit 50 000 Euro dotierten Wett- bewerb unter dem Motto „Fehlervermeidung und Si- cherheitskultur – Qualitätsoffensive in Medizin und Pflege“ teilgenommen. Die Siegesprämie für den er- sten Platz wurde dabei zweimal von der 13 Mitglie- der zählenden Jury aus Politik, Wissenschaft und Praxis vergeben: Die Wettbewerbsbeiträge des Schweizer Department Anästhesie Kantonsspitals und des Instituts für Allgemeinmedizin der Univer- sität Kiel wurden jeweils mit 15 000 Euro ausge- zeichnet.

Die Schweizer Forschungsgruppe um Prof. Dr.

med. Daniel Scheidegger entwickelte ein „Meldesy- stem im Internet“ für den stationären Bereich. Mit diesem können „systematisch Anhaltspunkte zur Fehlerentstehung und -vermeidung“ gewonnen werden. In dem Kieler Forschungsprojekt unter der Leitung von Prof. Dr. med. Ferdinand M. Gerlach wur- de ein Risikomanagement zur Prävention von Feh-

lern und zur Schaffung eines Fehlerberichtsystems für den hausärztlichen Bereich umgesetzt. Nach Meinung der Jury leisten beide Projekte einen „we- sentlichen Beitrag zur Patientensicherheit“. Der Vor- standsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Dr. jur.

Hans Jürgen Ahrens, bezeichnete den Gesundheits- preis als einen „wichtigen Schritt“. Bei der Vermei- dung von Fehlern sei Deutschland zwar – trotz aller ärztlichen Bemühungen – noch „Entwicklungsge- biet“. Deswegen brauche man einen „sanktionsfrei- en Raum“, um aus gemachten Fehlern lernen zu können, sagte Ahrens bei der Verleihung in Berlin.

Bisher erschöpfe sich der Umgang mit Fehlern in Deutschland häufig darauf, „einen Schuldigen zu finden“, erklärte der Präsident der Ärztekammer Berlin, Dr. med. Günther Jonitz. Dies müsse sich än- dern. Deshalb entwickele die Bundesärztekammer derzeit ein „Curriculum Fehlermanagement“, das bundesweit für Fortbildungsveranstaltungen ange- boten werden soll. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt gab bekannt, dass ihr Ministerium eine Stu- die „zu den Möglichkeiten einer koordinierten Medi- zinschadensforschung“ in Auftrag gegeben habe.

Bis Ende des Jahres sollen in der repräsentativen und flächendeckenden Studie Schadensfälle geprüft und ausgewertet werden. Die Ergebnisse der Studie wür- den eine „wichtige Entscheidungsgrundlage“ für die Weiterentwicklung der Qualitätssicherung dar- stellen. Weitere Informationen unter: www.gesund

heitspreis.de. TBL

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