Profit. Viele Facharzt-Einzelpraxen würden bald schließen müssen, die Um- stellung auf Fallpauschalen-Finanzie- rung werde das Aus für viele kleine Krankenhäuser bedeuten, sodass es in bestimmten Regionen zu Unterversor- gung kommen könne. Wenn so die Chancengleichheit im Zugang zum Ge- sundheitswesen zerstört werde, sei dies nichts anderes als eine „statistische Ra- tionierung“, kritisiert Hoppe.
Eben jene statistische Rationierung hält Sozialstatistiker Krämer für unaus- weichlich und fragt, ob man den ehema- ligen New Yorker Bürgermeister Ed- mund Koch allen Ernstes des Massen- mordes bezichtigen wolle. Koch hatte in den 80er-Jahren den Bau einer Spezial- klinik für Brandopfer, die pro Jahr etwa zwölf Menschen gerettet hätte, aus Ko- stengründen abgelehnt. „Durch die ein- gesparte Klinik wurden doch nicht jähr- lich zwölf Menschen zum Tode durch Verbrennung verurteilt.“ Vielmehr hät- te die Wahrscheinlichkeit, an Brandver- letzungen zu sterben, für jeden New Yorker um einen zehntausendstel Pro- zentpunkt zugenommen, rechnet Krä- mer vor und fordert: „Weg vom einzel- nen Patienten, hin auf eine möglichst hohe, abstrakte Ebene!“
Kritik an DMP
Für Ärzte dürften solche Lösungen spä- testens dann nicht mehr abstrakt sein, wenn sie vor ihren Patienten stehen. Vor allem dann, wenn den Versicherten nicht allein medizinische Neuerungen vorent- halten, sondern auch bisher verfügbare Leistungen begrenzt werden. Nach An- sicht Hoppes seien bereits die vom Ge- setzgeber auf den Weg gebrachten Dis- ease-Management-Programme ein Indi- kator für Konzentration und drohenden Qualitätsverlust in der Versorgung. Da die finanziellen Ressourcen begrenzt sei- en, werde es nicht zu verhindern sein, dass medizinische Notwendigkeiten den finanziellen Möglichkeiten angepasst werden. Für den BÄK-Präsidenten steht jedoch außer Frage, dass Maßstab für Qualität und Menschlichkeit des Systems die Behandlung des Patienten bleiben muss. „Daran und nicht am statistischen Durchschnitt müssen wir uns orientie- ren“, appelliert Hoppe. Samir Rabbata
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A1092 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 16⏐⏐22. April 2005
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eigentlich war es nur eine Frage der Zeit, bis auch in Deutschland ein fach- und sektorenübergreifendes Online-Berichtssystem für ärztliche Be- handlungsfehler eingeführt werden würde. Denn das Thema „Patientensi- cherheit“ war bereits 2003 stark in den Vordergrund gerückt – dem Jahr, in dem der Sachverständigenrat zur Be- gutachtung der Entwicklung im Ge- sundheitswesen in seinem Jahresgut- achten ein ganzes Kapitel den Vermei- dungsstrategien von Fehlern widmete.Seitdem etablieren sich nicht nur fach- gruppenspezifische Systeme wie das des Frankfurter Instituts für Allgemeinme- dizin für (haus)ärztliche Behandlungs- fehler*, sondern es nehmen sich zuneh- mend auch medizinische Fachgesell- schaften – zuletzt die Deutsche Gesell- schaft für Chirurgie (siehe DÄ, Heft 15/2005) – des Themas an. Die Kassen- ärztliche Bundesvereinigung (KBV) hat nun ebenfalls ein computerbasiertes Fehlermeldesystem eingeführt. Seit wenigen Tagen können Ärzte unter www.cirsmedical.ch/kbv Fehler und Beinahe-Fehler dokumentieren.
„Überall, wo Menschen zusammenar- beiten, können Fehler passieren. Davor ist keiner gefeit“, sagte der KBV-Vor- standsvorsitzende Dr. med. Andreas Köhler bei der Vorstellung des Systems in Berlin. Fehlerprävention sei daher in der ärztlichen Versorgung besonders wichtig. Bei der Suche nach einem Sy- stem, das in der Lage ist, Fehlerquellen zu identifizieren und Wege zu finden, sie zu vermeiden, wurde man in der Schweiz fündig. Dort wurde bereits vor einigen Jahren ein so genanntes Critical Incident Reporting System (Cirs) eingeführt – ein Zwischenfall-Berichtssystem, das
seinen Ursprung in der Luftwaffe hat.
Denn dort wird seit Jahrzehnten an Strukturen für eine effiziente Risikomi- nimierung gearbeitet. Prof. Dr. med. Da- niel Scheidegger, Chefarzt am Depart- ment Anästhesie der Universitätsklinik Basel, trug durch sein Engagement bei der Etablierung von Cirs in der Schweiz dazu bei, Fehler „salonfähiger“ zu ma- chen. Aus eigener Erfahrung wisse er, wie schnell man als Arzt in der Hektik des Alltags Etiketten von Infusionen versehentlich verwechseln könne oder falsche Medikamente verabreiche. In solchen Fällen sei eine Kultur gefragt, in der das Erkennen von Fehlern zum Ler- nen wichtig sei und nicht, um jemanden zu bestrafen, betonte Scheidegger in Berlin. Nur durch eine solch „positive Fehlerkultur“ könne die Prävention von Fehlern greifen, ergänzte Köhler.
Ärzte bleiben anonym
Ebenso wie bei dem Schweizer System können deutsche Ärzte über die Inter- netplattform der KBV anonym Fehler melden. So wird der berichtende Arzt zwar dazu aufgefordert, das Ereignis und die Einschätzung des Zwischenfalls detailliert zu schildern. Auch werden Begleitumstände wie Arbeitsbelastung oder Zeitfaktoren abgefragt. Über sich selbst muss der Berichtende jedoch nur angeben, welcher Fachgruppe er an- gehört und welchen Ausbildungsgrad er erreicht hat. Anschließend werden die Daten beim Baseler Rechenzentrum hinterlegt und gesichert. Parallel dazu prüft die KBV sie auf Plausibilität und ordnet sie nach Fehlergruppen. Diejeni- gen Meldungen, die plausibel erschei- nen, werden von einem KBV-Experten- pool analysiert und anonym ins Inter- net gestellt. Dort können Nutzer der Plattform die Fehlermeldungen kom- mentieren. Die KBV plant außerdem, von ihrem Fehlerlink aus auf andere Sy- steme zu verweisen und einen „Quer- link“ zu bestehenden Qualitätszirkeln zu setzen. KBV-Vorstandsmitglied Ul- rich Weigeldt betonte, dass es sich bei dem Fehlerprojekt nicht um ein vom Gesetzgeber initiiertes Projekt, son- dern um ein Vorhaben handele, das
„aus der Ärzteschaft heraus entstan- den ist“. Martina Merten
Ärztliche Behandlungsfehler
KBV bietet anonymes Berichtssystem an
Das Schweizer „Critical Incident Reporting System“ ist Vorreiter.
*Das Frankfurter Fehlermeldesystem für hausärztliche Behandlungsfehler ist unter www.jeder-fehler-zaehlt.de abrufbar.