RECHT FÜR DEN ARZT
Pflicht zur Durchführung von Hausbesuchen
In einer Entscheidung vom 20.
Februar 1979 hat der Bundes- gerichtshof folgende Grundsät- ze für die Verpflichtung eines Arztes, der die Behandlung ei- nes Patienten übernommen hatte, zur Durchführung eines Krankenbesuches aufgestellt:
1. Die Garantenstellung des Arztes für einen Patienten, die ihm eine besondere Obhuts- und Fürsorgepflicht für dessen Gesundheit auferlegt, beginnt grundsätzlich mit der tatsächli- chen Übernahme der Behand- lung. Mit der Fallübernahme er- weckt der Arzt bei dem Patien- ten in der Regel das Vertrauen, dieser werde ihm unter Einsatz seiner ärztlichen Kenntnisse und Fähigkeiten beistehen, ihn weiter behandeln und notfalls weitere Hilfsmaßnahmen, zu denen er selbst nicht in der La- ge ist, in die Wege leiten, etwa die Überweisung an einen Facharzt oder in ein Kranken- haus. Der Kranke verläßt sich auf diese Obhut und wird nicht mehr versuchen, anderweitig Hilfe zu erlangen. Die schuld- hafte Verletzung dieser Garan- tenpflicht, die eine Körperver- letzung oder den Tod des Pa- tienten verursacht, führt zu ei- ner Haftung des Arztes nach
§ 823 Abs. 1 BGB für den dar- aus entstandenen Schaden.
2. Es gehört zu den Aufgaben des Arztes, sich von den Leiden des Patienten ein eigenes Bild zu machen, dabei die Angaben Dritter, insbesondere Familien- angehöriger, nicht ungeprüft zu übernehmen und wichtige Befunde selbst zu erheben. Da- zu ist, wenn der Patient nicht selbst in die Sprechstunde kommen kann, ein Hausbesuch jedenfalls dann erforderlich, wenn es sich offensichtlich um eine schwerere Erkrankung handelt. Ferndiagnosen auf- grund mündlicher Berichte von Angehörigen können in den seltensten Fällen ausreichen;
viel anders ist es auch nicht, wenn der Arzt den Patienten selbst sprechen kann.
Aus alldem folgt die Besuchs- pflicht des behandelnden Arz- tes, der er sich nur dann entzie- hen darf, wenn schwerwiegen- de Gründe (Behandlung ande- rer Patienten, anderweitige Ver- hinderung) ihn daran hindern und er für anderweitige Hilfe sorgt.
BGH — Urteil vom 20. 2. 1979 VI ZR 48/78
Ärztliche
Aufklärungspflicht
In einem Urteil vom 23. Oktober 1979 hat sich der Bundesge- richtshof erneut mit den an die ärztliche Aufklärung vor einem operativen Eingriff zu stellen- den Anforderungen befaßt. Of- fensichtlich um der als Folge seiner Rechtsprechung zu be- obachtenden Tendenz entge- genzutreten, in umfangreichen Formularen über alle nur denk- baren Risiken eines Eingriffs aufzuklären, stellt der Bundes- gerichtshof klar, daß der Arzt bei einem nicht geringfügigen, aber auch dem Laien seinem Wesen nach besonders ver- trauten Eingriff (Blinddarm- operation) nicht von sich aus über alle nur denkbaren mit ei- nem derartigen Eingriff mög- licherweise verbundenen Risi- ken aufzuklären braucht:
1. An dem Grundsatz, daß der Patient unter Umständen auch über extrem seltene Risiken ei- nes Eingriffs aufzuklären ist, wird festgehalten. Das bedeutet aber nicht etwa, wie dies viel- fach, vor allem in Arztkreisen, mißverstanden worden ist, daß bei einem dem Patienten sei- nem Wesen nach bekannten und damit als nicht unerheb- lich und nicht risikofrei erkenn- baren Eingriff im einzelnen alle Formen aufgezählt werden müßten, in denen sich dieses
hinsichtlich seines allgemeinen Stellenwerts ersichtliche Risiko verwirklichen kann. Vielmehr sind Einzelhinweise gegenüber einem Patienten, dem das all- gemeine Risiko nicht verbor- gen ist, nur erforderlich, soweit sich Komplikationen in eine Richtung entwickeln können, die für ihn als Laien überra- schend sein muß, und auch da, wo sie zu Ausfällen führen kön- nen, die in dessen besonderen Lebensverhältnissen erkennbar besonders schwerwiegend wä- ren. Daneben steht es dem Pa- tienten frei, spezielle Fragen zu stellen, die der Arzt jedoch nie unrichtig oder irreführend be- antworten darf; allerdings muß der Arzt bei der Bemessung der ungefragt zu erteilenden Auf- klärung auch in Rechnung stel- len, daß eine situationsbeding- te Befangenheit Patienten mit- unter auch davon abhält, Um- stände zu erfragen, die für sie ersichtlich von Interesse sein können.
2. Bei einer Blinddarmopera- tion (Appendektomie) handelt es sich um einen Eingriff, wel- cher sowohl nach seinem Ver- lauf als auch hinsichtlich seines Schweregrades wegen seiner Häufigkeit der Allgemeinheit in besonderem Maß vertraut ist.
Deshalb kann sich der Arzt bei der Aufklärung über Natur und Risiko dieses Eingriffs im allge- meinen kurz fassen. Es wird in der Regel genügen, wenn er sich davon überzeugt, daß der Patient nicht irrig davon aus- geht, daß dieser Eingriff wegen seiner Alltäglichkeit ganz unge- fährlich sei.
3. Die allgemeine Erkenntnisfä- higkeit, insbesondere der Bil- dungsstand des Patienten, spielen eine entscheidende Rolle für die Bemessung der Anforderungen, die billigerwei- se an die Pflicht des Arztes zu spontanen Belehrungen ge- stellt werden dürfen.
Bundesgerichtshof — Urteil vom 23. Oktober 1979, VI ZR 197/78
176 Heft 4 vom 24. Januar 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT