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ehr weit liegen Regierung und Op- position mit ihren Plänen zu den Reformen im Gesundheitswesen gar nicht auseinander. Diesen Eindruck konnte man zumindest bei der gesund- heitspolitischen Auftaktver-anstaltung zum 7. Haupt- stadtkongress Medizin und Gesundheit (2. bis 4. Juni) gewinnen. Sowohl die Parla- mentarische Staatssekretä- rin im Bundesgesundheits- ministerium, Marion Cas- pers-Merk (SPD), als auch der CSU-Sozialexperte Horst Seehofer zeigten sich bei der Eröffnung einig: Nicht nur die gegenwärtig disku- tierte Richtungsentschei- dung zwischen Bürgerversi- cherung und Kopfpauschale sei relevant, sondern auch die strukturelle Weiterent- wicklung des Gesundheits- wesens. Prioritär ist für bei- de Politiker die Schaffung neuer Versorgungsformen sowie die Beseitigung von Kartellen und Monopolen.
Nach Einschätzung Seeho- fers müssten Einzelverträge ermöglicht und das Gesund-
heitswesen weiter liberalisiert werden.
Erst dann könne eine umfassende Fi- nanzreform folgen.
Erstmals schwarze GKV-Zahlen
Allenfalls eine Atempause haben sich Regierung und Opposition mit dem GKV-Modernisierungsgesetz geschaf- fen. Auch darüber gab es keinen Dis- sens. Nur in der Bewertung der jüngsten Positivmeldungen in Sachen Kranken- kassenfinanzen war man sich uneins.
Für Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt steuert die Gesetzliche Kran- kenversicherung (GKV) erstmals seit zehn Jahren in die schwarzen Zahlen.
Nach einem Defizit von mehr als 600
Millionen Euro in den ersten drei Mo- naten des Vorjahres hätten die Kassen zu Beginn dieses Jahres einen Über- schuss von fast einer Milliarde Euro er- wirtschaftet. Dabei hätten sich die Arz- neimittel-Ausgaben um 15,4 Prozent verringert. Die Kosten für Hilfsmittel seien um 12,1 Prozent gesunken. Fahrt- kosten hätten sich um 10,5 Prozent re- duziert. Dies seien, so Schmidt, struktu- relle Erfolge der Gesundheitsreform.
So weit wollte Seehofer zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht gehen.
Ebenso wie der Vorsitzende des AOK-
Bundesverbandes, Dr. Hans Jürgen Ah- rens, wandte sich Seehofer gegen eine vorschnelle Bewertung der Reform.
Dies sei frühestens in einem Jahr mög- lich. Insgesamt werde man mindestens vier Jahre brauchen, um die GKV wieder schul- denfrei zu machen. Bis dahin müsse trotz aller Kritik strikt am bisheri- gen Kurs festgehalten werden. Ulla Schmidt wurde von Seehofer aus- drücklich gelobt: Die Ministerin verdiene Re- spekt, weil sie trotz sin- kender Sympathiewerte einmal getroffene Ent- scheidungen nicht zurück- nähme. Seehofer: „Die größte Gefahr für Refor- men droht immer aus der Politik.“
Dies dürfte auch für die anstehende Finanz- reform der sozialen Si- cherungssysteme gelten.
Schmerzhafte Einschnit- te, dessen ist man sich bei Regierung und Oppositi- on bewusst, würden so- wohl die von Rot-Grün favorisierte Bürgerversicherung wie auch das CDU-Kopfpauschalensystem bringen. Für den Wirtschaftsweisen und Regierungsberater, Prof. Dr. Bert Rürup, besticht bei der Bürgerversiche- rung vor allem der Name. „Der Charme des Konzepts wird aber schwinden, de- sto konkreter es wird“, prognostizierte Rürup auf dem Hauptstadtkongress.
Wann das Konzept konkret wird, lässt sich gegenwärtig kaum absehen. Nach- dem in der SPD Stimmen laut wurden, noch in dieser Legislaturperiode ein entsprechendes Gesetzgebungsverfahren P O L I T I K
Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 2411. Juni 2004 AA1705
Hauptstadtkongress
Politik diskutiert Sozialreformen
Mehr als 5 000 Teilnehmer kamen zum diesjährigen Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit. Zur Eröffnung zeigten Vertreter von Regierung und Opposition überraschend viel Übereinstimmung.
CSU-Sozialexperte Horst Seehofer und der Vorsitzende des AOK-Bundes- verbandes, Hans Jürgen Ahrens: Keine vorschnelle Bewertung der Gesund- heitsreform.
Foto:Thomas Räse
einzuleiten, trat Schmidt auf die Bremse.
Bei der Bürgerversicherung stünde man – wie beim Kopfpauschalensystem der CDU – noch ganz am Anfang der De- batte. Weil sich unter dem Begriff der Bürgerversicherung vieles subsumieren lasse, wolle man sich für den Diskus- sionsprozess Zeit lassen.
Dies dürfte der Union gelegen kom- men. Denn nach wie vor sind sich CDU und CSU uneins, wie man sich gegen die Bürgerversicherung positionieren soll.
Als „schwierig“ bezeichnete Seehofer den Plan der Schwesterpartei, im Rah- men des Kopfpauschalensystems den Ausgleich für sozial Schwache über den Bundeshaushalt vorzunehmen. Hierfür stehe kein Geld zur Verfügung. Außer- dem werde die Gesundheitspolitik so zum „jährlichen Spielball des Finanzmi- nisters“. Die Folge wäre eine „schlei- chende Verstaatlichung“ der Versor- gung. Eine Sorge, die auch Bundesärz- tekammer-Präsident Prof. Dr. med. Dr.
h. c. Jörg-Dietrich Hoppe teilt. Er legte sich auf keines der diskutierten Model- le fest, appellierte aber an die Politik,
den Patienten wieder in den Mittel- punkt ihrer Überlegungen zu stellen.
Hoppe: „Bisher hatten wir vor allem Kostendämpfungspolitik. Richtige Ge- sundheitspolitik soll ja noch kommen.“
Warten auf die
„eigentlichen“ Aufgaben
Auch der Gemeinsame Bundesaus- schuss (GBA) musste nach den Worten seines neuen Vorsitzenden Dr. jur. Rai- ner Hess auf seine „eigentlichen“ Auf- gaben warten. Zunächst habe man nur die Schulaufgaben für die Politik erle- digt. Nunmehr wolle man beginnen, un- ter Berücksichtigung von Innovationen die Qualität und Wirtschaftlichkeit im deutschen Gesundheitswesen zu ver- bessern. So will der GBA in den näch- sten Wochen eine Entscheidungsbasis veröffentlichen, auf deren Grundlage er künftig den Zusatznutzen von Verfah- ren und Arzneimitteln im Verhältnis zu den Kosten bewertet. Dabei sollen nichttherapierelevante Arzneimittel und
Scheininnovationen keine Berücksich- titgung finden, sagte Hess. Unterstützt wird der GBA bei seiner Aufgabe von dem neu zu gründenden Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Ge- sundheitswesen. Es soll unabhängig vom GBA den aktuellen medizinischen Wissensstand darstellen und den Nut- zen von Verfahren und Arzneimitteln isoliert von den Kosten bewerten (dazu auch „Institut für Qualität und Wirt- schaftlichkeit: Horrorszenario oder ,zahnlose Tiger‘?“ in diesem Heft). Dass der GBA, der immer auch die Kosten im Auge behalten muss, vonseiten der Industrie argwöhnisch beäugt wird, liegt in der Natur der Sache. Wurde dem
„alten“ Bundesausschuss bislang doch häufiger vorgeworfen,ein „Hemmschuh“
für den medizinischen Fortschritt zu sein und einer zeitnahen Einführung von Innovationen im Wege zu stehen.
Zuverlässig zu beurteilen, ob es sich bei einem neuen Medikament um eine echte, eine relative oder nur eine Pseu- doinnovation handelt, ist jedoch kein leichtes Unterfangen. Die Verwendung von Stereoisomeren, von aktiven Sub- stanzen bekannter Medikamente oder von Analoga ohne primär unterschied- liche Wirkung sind altbekannte Tricks der Pharmaindustrie. „Häufig wird der Wirkungsnachweis von Arzneimitteln auch nur aufgrund von Surrogat-Varia- blen erbracht“, sagte Prof. Dr. med.
Bernd Mühlbauer, Bremen. Die Häu- figkeit von unerwarteten Nebenwir- kungen könne somit nicht beurteilt werden. „Optimal wäre es, Nachzulas- sungs-(Phase-IV-)Studien zu fordern“, meint der Pharmakologe.
Unverständnis zeigte Mühlbauer für den „Freibrief“, den einige Substanzen bei der Bewertung durch die Politik er- hielten. So hatte Anfang des Jahres das Bundesgesundheitsministerium die Aufnahme von Homöopathika und An- throposophika in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen durch- gedrückt, obwohl deren Wirksamkeit nicht evidenzbasiert ist. Eine Tatsache, über die sich auch Rainer Hess verär- gert zeigte. „Künftig sind wir nicht be- reit, uns politischen Ansichten zu beu- gen“, sagte der GBA-Vorsitzende. „Sonst verspielen wir das Vertrauen der Bevöl- kerung.“ Samir Rabbata, Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann P O L I T I K
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A1706 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 2411. Juni 2004
Hauptstadtkongress 2004 – Eine Bilanz
Am Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit vom 2. bis 4. Juni nahmen in diesem Jahr 5 600 Fachleute aus Medizin, Management, Pflege, Politik und Wirtschaft teil. Zum siebten Mal warteten die Veranstalter der drei zusammengeführten Fachkongresse für Klinikmanagement, Medizin und Pflege neben den gesundheitspolitischen Angeboten drei Tage lang mit einem vielfältigen Fortbildungsangebot auf.
Fünf Monate nach dem In-Kraft-Treten des GKV-Modernisierungsgesetzes zog der Kongress vor allem eine erste gesundheitspolitische Bilanz. Aber auch internationale Themen wurden berücksichtigt. So berichtete beispielsweise Finnlands Gesundheitsministerin Liisa Hyssälä über das finnische Gesundheitssystem und diskutierte gemeinsam mit Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt über „Europäische Gesundheitssysteme zwischen Solidarität und Eigenverantwor- tung“. Beim Forum der Europäischen Kommission ging es um aktuelle Trends in der EU-Gesund- heitspolitik und um Fragen zum europäischen Gesundheitsmarkt sowie Herausforderungen und Möglichkeiten im Bereich Gesundheit im erweiteren Europa.
Der Kongress Krankenhaus, Klinik, Rehabilitation 2004 widmete sich unter der Leitung von Prof. Dr. Heinz Lohmann, Vorstandssprecher des Gesundheitsunternehmens LBK Hamburg, dem Thema „Gesundheitswirtschaft im Interesse der Patienten“. Dabei diskutierten Klinikmanager erste Erfahrungen mit den neuen Krankenhaus-Fallpauschalen sowie Wand- lungsprozesse an den Universitätskliniken.
Höhepunkte des Deutschen Ärzteforums 2004unter der Leitung von Prof. Dr. med. Axel Ekkernkamp, Ärztlicher Direktor des Unfallkrankenhauses Berlin, waren Veranstaltungen zu Strategien für das Krankenhaus der Zukunft, zur Chirurgie sowie zu Dekompensierter Herzinsuf- fizienz und zu Atemwegserkrankungen. Gleichzeitig wurden Erfolgsbeispiele für eine gelungene medizinische Prävention im Alltag vorgestellt.
Geleitet von Marie-Luise Müller, Präsidentin des Deutschen Pflegerates, richtete sich der Deutsche Pflegekongress 2004an Pflegende aller Versorgungsbereiche. Im Mittelpunkt stand unter anderem neues Praxiswissen zum DMP-Modul „Chronische Wunde“ sowie das aus Kanada stammende Personal-Bemessungsinstrument „PLAISIR“ in der Altenpflege. ER