POLITIK
Erkennbar auf der Wahlschiene 1994 der Christlich-Sozialen Union (CSU), hatte der Landesvorsitzen- de des Gesundheitspolitischen Ar- beitskreises der CSU, Professor Dr.
med. Wolfgang Pförringer, einen
„Gesundheitspolitischen Kongreß"
im Münchner Sheraton als „De- monstrationsforum" konzipiert:
drei Referate — je eins aus der Kom- munal-, Landes- und Bundespolitik
—, aber keine eingeplante Diskussi- on. Wenn nahe am Ende der Veran- staltung doch noch einige Zuhörer zu Wort kamen, so deshalb, weil ei- ner der Referenten an sein State- ment eine Ermunterung anhängte:
„Ich freue mich auf Ihre Fragen."
Daß eine derart improvisierte Dis- kussion zerflattern mußte, liegt auf der Hand.
Obwohl Bundesgesundheitsmi- nister Horst Seehofer den Bund re- präsentierte, hatten bayerische Zei- tungen den Kongreß von vornher- ein der CSU-Wahlstrategie zuge- rechnet. Lediglich der „Bayern-Ku- rier", das „Hausorgan" der Partei, griff Pförringers Lesart von einem
„außergewöhnlichen Podium" auf.
Doch nicht nur der Öffentlich- keitswirkung dieses Kongresses be- kam die Zurückhaltung der Journa- listen schlecht. Auch ihnen selbst ging dabei verloren, daß der Bun- desgesundheitsminister eben nicht ins CSU-Horn stieß, sondern seine brillante Rede nach dem Motto
„Wir diskutieren nicht im Keller, sondern auf der ganz hohen Etage"
weit oberhalb der Tagespolitik an- siedelte.
Natürlich lieferte auch er sein parteipolitisches „Pflichtpaket" ab.
Schließlich ist die CSU seine politi- sche Heimat, und als Bundestagsab- geordneter des Wahlkreises Ingol- stadt weiß er, was er seinem Wählervolk schuldig ist. Beispiels- weise bemerkte er, „die christliche Nächstenliebe gebiete es, daß die
AKTUELL
SPD dort bleibt, wo sie sich so wohlgefühlt hat — in der Oppositi- on". Doch seine Aufforderung „Vor Wahlen nicht anders reden, als nach Wahlen handeln" verriet bereits Elemente von übergreifendem Ver- ständnis und scheuklappenfreier Problemprüfung.
Mußten sich seine Vorredner — Münchens Ex-Gesundheitsreferent Dr. med. Thomas Zimmermann, Auch-Gesundheitsminister Dr. phil.
Gebhard Glück — auf ihre Ressorts und Zuständigkeiten beschränken, durfte Horst Seehofer als „Libero"
des Kongresses agieren. Auch er hielt sich im Rahmen des Kon- greßthemas („Gesundheit sichern, Solidarität und Eigenverantwor- tung stärken"). Aber gerade diese Parole, die schon das Gesundheits- politische Programm der CSU vom 13. Juli 1991 ausgegeben hatte, lie- ferte ihm die Handhabe, sehr viel höher zu greifen. Nicht mehr nur Korrekturen am tradierten Gesund- heitswesen forderte er, sondern eine völlig neue Definition für Gesund- heit, Gesundheitsverhalten, Ge- sundheitspflege und Gesundheitser- ziehung. Seine Frage: „Was muß Gesundheitspolitik eigentlich sein?" Seine Antwort: „Auf keinen Fall nur Krankenversicherung, auf jeden Fall mehr Stärkung des Ge- sundheitsbewußtseins, mehr Vor- beugung aus verstärkter persönli- cher Verantwortung, mehr Auf- klärung — möglichst schon in Kin- dergärten und Schulen." Zugleich warb Seehofer für die Einsicht, daß derart tiefgreifende Veränderungen menschlichen Verhaltens einer ge- meinsamen großen Anstrengung al- ler Verantwortlichen und Kompe- tenten bedürfen. Nur bei einem weitgreifenden Konsens und bei Verzicht auf gruppengebundene Verweigerungstaktiken ließe sich ein solches „echtes Reformwerk"
auf den Weg bringen.
Seine Entschlossenheit, einen gangbaren Weg zu eröffnen und sich dabei nicht in den Arm fallen zu lassen, bekräftigte er: Es sei an der Zeit, mit dem „ewigen Nur- Nein-Sagen" aufzuhören. „Wer nicht selbst handelt, wird behan- delt." Die aktuellen Probleme aus- weichend unter Zukunftsaspekten zu untersuchen, verkenne deren Gegenwartsbedeutung und schwä- che die aktuellen Gegenmaßnah- men.
Einen der bislang wenigen di- rekten Berührungspunkte zwischen übergeordneter Großkonzeption und praktischer Tagespolitik sahen der Bundesgesundheitsminister und der bayerische Gesundheitsminister in Glücks Konzept „Gemeindena- her, dezentraler Gesundheitskonfe- renzen". Hier eröffne sich die Chance, die Bürger auf Prävention und Gesundheitsvorsorge einzu- stimmen und sie dabei genau auf je- nen Gebieten ihres Alltagslebens anzupacken, wo sie der Schuh drückt. Glück präzisierte: „Es geht nicht um Organisationsspielereien, sondern um ein Höchstmaß an ge- sundheitspolitischer Effizienz."
Kurt Gelsner
Seehofer jetzt stellvertretender CSU-Chef
Beim jüngsten Parteitag der Christlich- Sozialen Union in Bayern (CSU) am 2.
September in München wurde Bundesge- sundheitsminister Horst Seehofer (45), MdB aus Ingolstadt, zum neuen stellvertre- tenden Vorsitzenden der CSU (mit 572 von.
587 gültigen Stimmen = 97 Prozent) ge- wählt. CSU-Parteivorsitzender ist Bundes- finanzminister Dr. jur. Theo Waigel (55), München. Seehofer wurde Nachfolger des bisherigen stellvertretenden CSU-Vorsit- zenden, Staatsminister a. D. Gerold Tand- ler (58), München, der im März 1994 we- gen der sogenannten Zwick-Affäre zurück- getreten war. Der neue stellvertretende Vorsitzende, der nach eigenem Bekunden die Wahl „mit großer Dankbarkeit" an- nahm, ist zugleich Landesvorstandsmit- glied der Christlich-Sozialen Arbeitneh- merschaft (CSA), seit 8. Mai 1992 Bundes- minister für Gesundheit. Davor — von 1982 bis 1992 — war Seehofer Parlamentarischer Staatssekretär des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung, vor seiner Wahl in den Bundestag Geschäftsführer des Pla- nungs- und Rettungszweckverbandes Re- gion Ingolstadt (1974 bis 1980). EB
Gesundheitspolitischer Kongreß der CSU
Seehofer auf der
„ganz hohen Etage"
A-2474 (30) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 38, 23. September 1994