D
ie Erwartung, der 61. Partei- tag der Christlich Sozialen Union in Bayern (CSU) wer- de in sein Programm einige Knackpunkte der Philippika aufneh- men, die Bundesminister Horst See- hofer fünf Tage vorher als Ehrengast des Gesundheitspolitischen Arbeits- kreises der Partei (GPA) gehalten hatte, erwies sich als falsch.Obwohl die Themenliste durch- aus geeignete Nischen für aktuelle Er- gänzungen angeboten hätte, war in der Münchner Bayernhalle von Ge- sundheitswesen und Gesundheitspo- litik nur andeutungsweise die Rede:
im Rahmen der Sozialpolitik tauchten sie kurz auf, als eine von mehreren
„Unterabteilungen“ eines Initiativan- trags, der für „Wettbewerbsföderalis- mus und Regionalisierung in der So- zialversicherung“ plädierte.
Der Horst, der wird’s schon richten
Auf die Frage, ob es dem Partei- volk und insbesondere den Angehöri- gen der Heilberufe nicht unverständ- lich erscheinen müsse, wenn das heiße Thema „Gesundheitswesen“ auf der repräsentativsten öffentlichen Veran- staltung der in Bayern allein regieren- den Partei als Quantité négligeable erscheint, erhielten Beobachter un- terschiedlich stichhaltige, im wesentli- chen aber verneinende Antworten.
Einfach denkenden Christsozialen genügte sogar der Hinweis, daß ja der gerade wieder zum stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählte Horst Seehofer Bundesminister sei und daß
„der es in Bonn schon richten“ werde.
Tatsächlich konnte Seehofers GPA-Auftritt den Eindruck nähren, daß zwar an der Isar gesundheitspoli- tische Tagesarbeit verrichtet, am Rhein aber neue, auch für Bayern un- gewohnte Zeichen gesetzt und Impul- se ausgesandt werden.
Was der Bundesminister den Vertretern aller Zweige des Gesund- heitswesens ins Stammbuch schrieb
(zur Mitgliedschaft im GPA bedarf es keines Parteibuches!), verdeutlichte nicht nur, daß und wie er „es in Bonn richtet“, sondern war auch geeignet, die Selbstgefälligkeitssektoren ge- sundheitspolitischen Denkens und Handelns ins Wanken zu bringen.
Einen trittsicheren Fährtensu- cher hatte Seehofer im kürzlich neu- gewählten GPA-Vorsitzenden Dr.
Klaus Gröber, Allgemeinarzt in Berg- Assenhausen am Starnberger See und Abgeordneter im Bayerischen Land- tag. Der hatte als Nachfolger des Münchner Hochschulprofessors Dr.
Wolfgang Pförringer landauf, landab Basisarbeit geleistet und frischen Wind in den Arbeitskreis geblasen.
Mit seiner Zielmarkierung, daß bei der Reform des Gesundheitswe- sens mehr auf dem Spiel stehe als Budgets, Teilbudgets oder Fallpau- schalen, nämlich „die Ethik und das Selbstverständnis der Heilberufe“, gab er dem Demosthenes aus Ingol- stadt das entscheidende Stichwort.
Seehofers weiträumige Analyse der bislang getroffenen Reform- entscheidungen gipfelte in einem hart und cool vorgetragenen Resümee:
Was man erreicht habe, erfülle seinen Zweck und werde von ihm „auf Punkt und Komma“ vertreten; mehr Trans- parenz, mehr Selbstverantwortung und mehr Eigeninitiative führten ebenso in die richtige Richtung wie die Marschroute „So wenig Staat wie möglich“. Wenn er für all dieses über- zeugt einstehe, so müsse er es aller- dings ablehnen, für Fehler verant- wortlich gemacht zu werden, mit de- nen ihm manche Kräfte das Reform- geschäft unnütz erschwert haben.
Über die Feststellung, daß es bei der Kompliziertheit der Materie „kei- ne kollektiven Antworten“ geben könne, kam Seehofer zum Kern seiner Rede: der Forderung nach einer brei- ten Wertediskussion, die unabhängig von den Aktualitäten grundlegende neue Erkenntnisse vermittelt bezie- hungsweise ältere entweder bestätigt oder als für die Zukunft unbrauchbar ausschließt. Eine solche Diskussion
müsse von der Stellung des Menschen in einer veränderten Arbeitswelt und seinen Vorstellungen über die Ge- sundheitssicherung bis zu der Frage reichen, ob und in welchem Umfang die Menschen, zumal die jüngeren, sich mit den Phänomenen Krankheit und Kranksein auseinandersetzen.
Als Ergebnis der Diskussion erwartet Seehofer eine Belebung ethischer Ma- ximen und eine erhöhte Glaubwürdig- keit gesundheitspolitischen Handelns.
Zu den Gruppen, die er zur Eile mahnte, gehörte auch die Ärzteschaft:
„Man kann nicht abwarten, bis alle Ärzte im Land begriffen haben, was da an Veränderungen vor sich geht.“
Glaubwürdig und sozial gerecht
Glaubwürdigkeit war denn auch im Spiel, als auf dem Parteitag durch Beschluß befürwortet wurde, die Rentenversicherung, die Kranken- versicherung, die Pflegeversicherung und die Arbeitslosenversicherung zu regionalisieren. Horst Seehofer erteil- te dieser Absicht zum Mißfallen des bayerischen Regierungschefs, Dr.
Edmund Stoiber, eine Absage, weil das Vorhaben aus seiner Sicht mit ei- ner glaubwürdigen sozialen Gerech- tigkeit nicht vereinbar sei.
Ob der Bundesgesundheitsmini- ster, wie beim GPA angepeilt, eine Ab- gabe auf gesundheitsgefährdende Pro- dukte wie Tabak oder Alkohol reali- sieren kann – eine Absicht, die oft wie- derholten Vorstellungen des Bundes- ärztekammer-Präsidenten Dr. Karsten Vilmar entgegenkommt –, ist schwer abzuschätzen (dazu auch DÄ 49, Seite 1: „Kollektives Grübeln“). Die Widerstände dürften stark sein. Reelle Chancen, verwirklicht zu werden, soll- te dagegen Seehofers ebenfalls beim GPA dargelegtes Konzept haben, die Einnahmen der Krankenkassen und der Rentenversicherung nicht länger ausschließlich an der Erwerbstätig- keit und am Arbeitseinkommen fest-
zumachen. Kurt Gelsner
A-3395
P O L I T I K AKTUELL
Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 50, 12. Dezember 1997 (23)