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Archiv "Hauptstadtkongress: Politik bleibt Antworten schuldig" (24.06.2005)

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er Wahlen gewinnen will, muss selbst vom Sieg überzeugt sein.

Zumindest sollte man sich Zweifel nicht anmerken lassen.

In ihrer Eröffnungsrede zum 8. Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit ist dies Bun- desgesundheitsministerin Ulla Schmidt nicht gelungen. Detail- lierte Aussagen über ihre poli- tischen Vorhaben fehlten. Fast schien es, als zöge sie drei Mo- nate vor der angestrebten Bun- destagswahl eine Abschlussbi- lanz. So wertete sie das GKV- Modernisierungsgesetz (GMG) als Erfolg: „Die Gesundheitsre- form hat einen Qualitätsschub im Bereich der Versorgung und ein Aufbrechen verkrusteter Struktu- ren gebracht.“ Bislang seien mehr als 600 Verträge zur Integrierten Versor- gung geschlossen sowie 126 Medizini- sche Versorgungszentren mit 450 Ärz- tinnen und Ärzten zugelassen worden.

Vages zur Bürgerversicherung

Zudem sei es mit dem GMG gelungen, die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) auf ein solides finanzielles Fun- dament zu stellen, betonte die Ministe- rin. Für 32 Millionen Versicherte habe es Beitragssatzsenkungen gegeben, für zehn Millionen Versicherte seien Ent- lastungen beschlossen. Ohne die Re- form läge der durchschnittliche Bei- tragssatz heute bei rund 15 Prozent, und die Verschuldung der Kassen wäre weiter gestiegen. Zwar kündigte Schmidt an, die GKV konsequent wei- terentwickeln zu wollen. Jedoch nannte

sie in ihrer knapp einstündigen Rede die Bürgerversicherung namentlich nur ein einziges Mal. Dabei lässt die SPD kei- nen Zweifel daran, das Projekt zu ei- nem hervorgehobenen Wahlkampfthema machen zu wollen. Ein detailliertes Mo- dell sollte ursprünglich bis Ende des Jahres stehen. Von den Neuwahlplänen der eigenen Parteiführung überrascht, arbeiten SPD-Sozialpolitiker nun unter Hochdruck daran.

Entsprechend schemenhaft skizzier- te die Ministerin ihre Vorstellung von einer Bürgerversicherung. Dabei be- tonte Schmidt, dass die heutige GKV- Finanzierung nicht mehr der modernen Arbeitswelt entspreche. Deshalb dürf- ten sich die Kassenbeiträge nicht länger nur am Arbeitseinkommen ausrichten.

Auch sei die Aufteilung in gesetzlich und privat Versicherte überholt. Viel- mehr sei eine Versicherungspflicht für alle nötig, wobei gesetzliche wie private Kassen jeden ohne Ansehen des Risi-

kos versichern müssten. Zu De- tails, etwa ob und wie andere Einkünfte wie Mieten, Pachten und Zinsen einbezogen wer- den, legte sich die Ministerin nicht fest. Dies müsse im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens geklärt werden, sagte sie.

Den beim Hauptstadtkon- gress zahlreich vertretenen Ärztinnen und Ärzte dürften Schmidts Ausführungen kaum ausgereicht haben. Denn von einem Systemwechsel wären sie dreifach betroffen: als Versi- cherte, als Arbeitgeber und als Leistungserbringer, die mit der Versorgung von Privatpatien- ten einen Teil ihrer Einnahmen erzielen.

Darauf verwies der Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutach- tung der Entwicklung im Gesundheits- wesen, Prof. Dr. Eberhard Wille. Die Bürgerversicherung bedeute das Aus für die Amtliche Gebührenordnung.

Dies wiederum werde nicht ohne Aus- wirkungen auf das Einkommen der Ärzte sowohl auf den ambulanten wie den stationären Bereich bleiben. Zu- dem sei die Bürgerversicherung keine adäquate Antwort auf steigende Lohn- nebenkosten und die Herausforderun- gen des demographischen Wandels.

Seehofer: Lust aufs alte Amt

Wie man es besser machen könnte, glaubt der ehemalige Bundesgesund- heitsminister Horst Seehofer zu wissen.

Im Fall eines Regierungswechsel wür- de er gerne erneut das Gesundheitsres- sort übernehmen. Allerdings sind seine P O L I T I K

A

A1780 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 25⏐⏐24. Juni 2005

Hauptstadtkongress

Politik bleibt Antworten schuldig

Rund 6 000 Teilnehmer kamen zum Hauptstadtkon- gress Medizin und Gesundheit. Zur Eröffnung skiz- zierte Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt nur schemenhaft ihre gesundheitspolitischen Vorhaben.

Sieht die Gesundheitsreform als Erfolg: Bundesgesundheitsmini- sterin Ulla Schmidt sprach auf dem Hauptstadtkongress von einem

„Qualitätsschub in der Versorgung“ infolge des GMG. Die neuen Vertragsformen hätten verkrustete Strukturen aufgebrochen.

Fotos:Thomas Räse

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Aussichten wegen seiner Kritik am Prä- mienmodell der Union eher gering.

Doch mit seinen Einwänden hielt See- hofer auch beim Hauptstadtkongress nicht hinter dem Berg. Der CSU-Sozial- experte plädierte ähnlich wie Schmidt für eine Versicherungspflicht bei freier Kassenwahl und Kontrahierungszwang.

Von einer Erweiterung der Beitragsbe- messungsgrundlage hält er aber nichts.

Denn auf Zinserträge müssten nur die- jenigen Beiträge zahlen, deren Löhne unterhalb der Beitragsbemessungs- grenzen liegen – „und das geht nicht“.

Außer Seehofer debattierten noch drei weitere ehemalige Bundesgesund- heitsminister, wie man es besser ma- chen könnte: Andrea Fischer (im Amt von 1998 bis 2001), Dr. Rita Süssmuth (1985 bis 1988) und Dr. Heiner Geißler (1982 bis 1985). Wie das so ist bei Ex- Ministern: Bei der Analyse von Fort- schritten und Problemen im alten Ar- beitsgebiet konnten sie glänzen, doch eine schlüssige Reformlösung hatten sie nicht parat. Manche ihrer Ansichten werden den jeweiligen Parteispitzen wohl ebenso missfallen wie die Seeho- fers. Ein Beispiel: Die Vorstellung, dass die Krankenkassen im Rahmen einer Bürgerversicherung auf Einkommen aus Mieten und Zinsen Beiträge einzie- hen und so zum zweiten Finanzamt wer- den könnten, sei schrecklich, fand – die Grüne Andrea Fischer. Sie bekundete

große Sympathien für eine Entkoppe- lung der Gesundheits- von den Lohn- kosten und plädierte für den Sozialaus- gleich übers Steuersystem.

„Das bleibt nicht bei 109 Euro“

CDU-Mitglied Süssmuth kann der Kopfprämie der Union nichts abge- winnen. Sie hält die Finanzierung für ungesichert. Schließlich fielen immer mehr Menschen aus dem System kon- tinuierlicher sozialversicherungspflich- tiger Beschäftigung heraus. Die genann- ten Beträge hält sie für Augenwischerei:

„Das bleibt ja nicht bei 109 Euro.“

Die Ex-Ministerin vermisst zudem seit Jahren Angaben dazu, was zum me- dizinisch Notwendigen gehören soll, das ihre Partei auch in Zukunft soli- darisch abgesichert wissen will. „Das ist wie mit der Gemeinnützigkeit, die können wir auch nie richtig definieren“, wandte sie ein.

Noch kritischer äußerte sich ihr Par- teifreund Geißler. Er wetterte: „Man kann das Wort Reform nicht mehr hören!“ Im Grunde gehe es doch um richtige oder falsche Gesundheitspoli- tik und darum, sich erst einmal Ziele zu setzen und dann über die Finanzierung zu entscheiden. Heute ist es zu seinem Ärger umgekehrt; alle sind fixiert auf GKV-Beitragssätze und Einsparungen.

Aber man müsse als Gesundheitsmini- ster doch zunächst fragen, welche Per- spektiven Ärzte oder Krankenschwe- stern im System hätten. Oder ob es hin- zunehmen sei, dass Patienten sich sorg- ten, nicht mehr alle notwendigen Medi- kamente zu bekommen. Der Unions- mann ist überzeugt, dass insgesamt nichts zu sparen ist: „Wir haben nicht zu viel Geld im Gesundheitssystem, son- dern eher zu wenig.“

Da hielt sich Andrea Fischer wie ge- wohnt nicht mehr zurück. Sie sei während ihrer Amtszeit immer für Bei- tragssatzstabilität eingetreten, und dazu stehe sie heute noch, betonte die Grüne.

Krankenschwestern und Ärzte finan- zierten das System mit und wollten, dass mit Beiträgen vernünftig umgegangen werde. Ein Gesundheitsminister müsse sich stets Gedanken um die Finanzie- rung von Leistungen machen. Das sei keine „Restfunktion“ des Jobs.

Und der Ausweg aus der Systemkri- se? Reformen mit Augenmaß, kein Übermaß an Regulierung – so lassen sich die Äußerungen Süssmuths deu- ten. „Niemand widersetzt sich der Do- kumentation“, wandte sie beim Disput um Fallpauschalen und Bürokratie ein.

„Aber wenn eine Pflegekraft 30 Pro- zent ihrer Arbeit für die Dokumentati- on braucht, ist das nicht mehr vertret- bar.“ Nach Ansicht von Fischer muss man es aushalten können, dass Ent- scheidungen über Krankenkassenlei- stungen immer komplexer und schwie- riger gestaltet werden, wenn man keine einfachen Rationierungen will. Viele Menschen hätten „Sehnsucht, dass man einen Schnitt macht und das System dann dauerhaft reformiert ist“. Das aber sei für einen so dynamischen Be- reich wie das Gesundheitswesen illu- sionär.

Geißler plädierte für einen geordne- ten Wettbewerb. Der Staat müsse Auf- gaben definieren, sie dann von privater Seite erfüllen lassen und das Ergebnis kontrollieren. Ein gelungenes Beispiel für eine Aufgabenübertragung sind für ihn auch die Kassenärztlichen Vereini- gungen als Körperschaften des öffentli- chen Rechts: „Ich wundere mich immer, dass man dagegen so polemisiert.“

Zwar müssten sie noch reformiert wer- den, doch „im Prinzip ist das ein richti- ger Gedanke“.Samir Rabbata, Sabine Rieser P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 25⏐⏐24. Juni 2005 AA1781

Ein Amt, drei Ex-Minister: Andrea Fischer, Rita Süssmuth, Heiner Geißler, dazwischen Moderator Klaus Bresser (von links). In den 80er-Jahren war das Bundesgesundheitsministerium noch anders zugeschnitten. Die GKV gehörte damals zum Wirkungsbereich des Arbeitsministers.

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