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Archiv "Pro familia — contra legem: Komplexe Situation" (25.10.1979)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen FORUM

Komplexe Situation

Der Problemkreis des § 218 wirft hinsichtlich der Notlagenindikation Fragen auf aus dem Gebiete der Gy- näkologie, der psychosomatischen Gynäkologie, der medizinischen So- ziologie, der Jura und der Theologie.

Wenn man — wie Herr Dr. Vilmar — Ärzten und der übrigen Bevölkerung die Notlagenindikation als eine Handhabe interpretiert, uner- wünschte Schwangerschaften aus rein finanziellen Gründen abzubre- chen, dann geht das am Kern des Verständnisses, für das, was im Sin- ne des Gesetzbuches als Notlage konzipiert wurde, vorbei. Denn die- jenigen Fälle, die im Rahmen der

Notlagenindikation mit der Algebra des Portemonnaies zu kompensie- ren wären, machen etwa 5 bis 8 Pro- zent aller Notlagen aus. Eine Notla- ge ist nie das Produkt eines mono- kausalen Zusammenhangs, sondern resultiert immer aus einer ganzen Reihe von auslösenden Faktoren.

Und es gibt echte Notlagen, die zum Beispiel aufgrund mangelhafter Se- xualpädagogik bei Jugendlichen eintreten, wo sich nicht nur Schule und Elternhaus, sondern bedauer- licherweise auch manchmal Ärzte unzureichend in Sachen Kontrazep- tion engagiert haben: es gibt die Ak- zeleration, die biologische Rei- fungsinterferenz: es gibt nun mal die zerrütteten Ehen, den ausgedehnten Alkoholismus und die Kriminalität in unserer Gesellschaft sowie schließ- lich das Versagen von kontrazepti- ven Maßnahmen, und vieles andere mehr. Von diesen Fällen kann frei- lich nur der berichten, der an der Front des Geschehens mit den in einer Notlage befindlichen Frauen zu tun hat. In dem offenen Brief des Herrn Vilmar ist an keiner Stelle von der Not der Frauen die Rede, ge-

schweige denn, daß ihr Anliegen auch nur transparent würde. Statt dessen ist der Tenor seiner Argu- mentation über weite Strecken juri- stisch determiniert, was ich als Arzt nicht verstehen kann. Der Ursprung der Medizin nämlich kommt doch aus jener Zelle irdischen Daseins, in der Schmerz, Leid und Not angesie- delt sind. Dieser Bereich aber ist schicksalhaft-kasuistisch eventual, und die subjektive Not einer Frau kann nicht mit den Parametern einer Gesetzesarithmetik gemessen wer- den. Gesetze hinken immer hinter der menschlichen Wirklichkeit einher.

Die Behauptung, die auf dem Wege der Notlagenindikation abrumpier- ten Fälle stiegen an, wird von eini- gen Politikern immer wieder hoch- gespielt. Dabei wird verkannt, daß zunächst einmal unter diesem Kon- tingent die ehemalige Dunkelziffer ans Tageslicht tritt; und das war Sinn des Gesetzes, diese Gruppe im Interesse der Volksgesundheit aus der Illegalität herauszuholen. Des weiteren spielt bei dieser dem An- schein nach ansteigenden Zahl eine Rolle, daß anfänglich die Meldung vieler Fälle aufgrund bestimmter Ängste nicht erfolgte. Nunmehr geht offenbar der Fluß der Meldeformula- re an das Bundesamt für Statistik ungehinderter. Last, not least sei noch auf den erheblichen Mangel an in der Beratung und Indizierung ge- übten Ärzten hingewiesen, wodurch sicherlich mancher Fall, der als rela- tive medizinische Indikation oder kindliche Indikation — allerdings mit mehr Mühe — erarbeitet werden könnte, der Einfachheit halber unter der Notlagenindikation subsumiert wird.

Wenn die Bremer Sondereinrich- tung — die übrigens nicht von der

Pro familia als Träger ins Leben ge- rufen wurde — gegen das Gesetz ver- stößt, dann ist die Staatsanwalt- schaft in Bremen sicher Manns ge- nug, das zu ahnden. Das gibt aber dem DÄ nicht das Recht, mit der Überschrift „Pro Familia contra le- gem" die vielen übrigen Mitarbeiter der Deutschen Gesellschaft für Se- xualberatung und Familienplanung, einer Tochterorganisation der IPPF in der WHO, zu diffamieren.

Dr. Karsten Vilmar steht es als Präsi- dent der Bundesärztekammer jeder- zeit zu, in standespolitischen Fragen für die gesamte Ärzteschaft zu spre- chen. Zu Fachfragen ex cathedra zu sprechen, steht ihm nicht zu. Die Interpretation der Notlagenindika- tion erfordert aber Fachkompetenz.

Darüber ist von mir ausführlich im DEUTSCHEN ÄRZTEBLATT 74. Jg.

Heft 8/1977 berichtet worden.

Wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft. Keine Ideologie und keine Religion hat nach dem Grund- gesetz das Recht, bei der Markie- rung sittlicher Maßstäbe Dominanz- ansprüche geltend zu machen. Die Ergebnisse einer demoskopischen Studie mögen anhand einiger Zah- len den Zuwachs an Autonomie beim mündigen Bürger demonstrie- ren: 73,2 Prozent unserer Mitbürger billigen der Frau eine ausschlagge- bende Mitentscheidung in der Frage des Schwangerschaftsabbruches zu, 17 Prozent wollen dem Arzt und 1 Prozent dem Geistlichen die grö- ßere Kompetenz in der Entschei- dungsfindung beimessen.

Ich fühle mich als Arzt verpflichtet, weiterhin auf der Seite derer, die — sei es schuldig oder unschuldig — in Not geraten sind, zu stehen, und nicht da, wo Mitmenschen in schwarze und weiße Schafe einge- teilt und mit dem angemaßten Rich- teramt pharisäischer Herzen verur- teilt werden.

Dr. med. Herwig Poettgen Facharzt für Frauenleiden und Geburtshilfe

Psychotherapie

Josef-Schregel-Straße 17 5160 Düren

Pro familia — contra legem

Zu den „Offenen Briefen" der Pro familia/Bremen und des Präsidenten der Bundesärztekammer, Dr. Karsten Vilmar, sowie zu dem Kommentar in Heft 31/1979, Seiten 1985 ff.

2844 Heft 43 vom 25. Oktober 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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