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Archiv "„Pro familia“ contra legem" (02.08.1979)

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DEUTSCHE S ÄRZTEBLATT

Ärztliche Mitteilungen

Herausgeber: Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung

„Pro familia"

contra legem

Eigenwillige Auslegung des § 218 aus dem Bremer

„Institut für Familienplanung und Schwangerschaftsabbruch"

Ein Interview, das Bundes- ärztekammer-Präsident Dr.

Karsten Vilmar in Radio Bremen gab, veranlaßte die Bremer „Pro familia" zu ei- nem offenen Brief. Vilmar antwortete — ebenfalls of- fen. Ein Bremer Vorgang?

Nur vordergründig. Tat- sächlich geht es um eine grundsätzliche Auseinan- dersetzung über die Hand- habung des § 218 und um die „soziale Indikation".

Der Anteil der Schwangerschaftsabbrüche aus „sozialer Indikation"

nimmt merkwürdig zu: 1976 lag er bei 45 Prozent aller Schwanger- schaftsabbrüche, 1977 bei 58 Prozent, 1978 bereits bei 67 Prozent und im ersten Quartal 1979 schon bei 72 Prozent. In besonders

„fortschrittlichen" Gegenden dürfte diese „Notlageindikation" noch beliebter sein. So wurden im Land Bremen, in dem die „Pro familia"

ein „Institut für Familienplanung und Schwangerschaftsabbruch"

unterhält, schon 1978 rund 76 Prozent der Schwangerschaftsabbrü- che mit einer „schweren Notlage" begründet.

Ein Land, das sich auf seine Sozialpolitik einiges zugute hält, und zumal ein Bundesland, in dem eine sozial engagierte Partei wie die SPD bereits seit Jahrzehnten das Sagen hat, müßte eine solche Zunahme sozialer Notlagen eigentlich als Makel ansehen. Dennoch:

Einem Bericht des Bremer Senats ist eher ein verhaltener Stolz darüber anzumerken, daß man in der Hansestadt deutlich über dem Bundesdurchschnitt liegt. Dabei werden von den Bremer Beratungs- stellen gar nicht einmal jene Kreise erfaßt, bei denen eine Notlage noch am ehesten zu vermuten wäre. Der Senat berichtet nämlich davon, daß „die Beratungsangebote von der sogenannten Unter- schicht, den sogenannten Randständigen und von den Ausländern anteilig nur unzureichend angenommen werden".

Wo mögen dann aber alle jene sozialen Notstände herrühren, deret- wegen in Bremen eine Schwangerschaft abgebrochen wird? Ein offener Brief der „Pro familia" in Bremen an den Präsidenten der Bundesärztekammer Dr. Karsten Vilmar sagt's: Man darf das Ganze nicht so materiell sehen; mit der richtigen gesellschaftspolitischen Einsicht findet sich auch leicht die gewünschte Begründung. Die

„Pro familia" hält nämlich eine „unerwünschte" Schwangerschaft per se schon für eine Notlage. Sie möchte die „erzwungene Austra- gung von Schwangerschaften" deshalb verhindern, weil — so ihre Argumentation — „unerwünscht" zur Welt gebrachte Kinder für die Gesellschaft „nachteilig" seien. Sie möchte „unerwünschte" Kinder vor jenem Los, „unerwünscht" zu sein, bewahren und nur solche Kinder das Licht der Welt erblicken lassen, die „eine gesicherte Erziehungs- und Lebensperspektive" hätten.

Einmal abgesehen davon, daß die Bremer §-218-Spezialisten (in deren Zentrum nicht nur beraten, sondern auch die Indikation

Heft 31 vom 2. August 1979 1985

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Die Information:

Bericht und Meinung

„Pro familia" und der § 218

Offene Briefe „Pro familia" / Vilmar

gestellt und der Eingriff vorge- nommen wird) prophetische Ga- ben besitzen müssen, um solche Perspektiven beurteilen zu können

— mit dem § 218 StGB, so wie er existiert, haben solche Kriterien überhaupt nichts zu tun. Dieser stellt immer noch auf eine Notlage der Frau (die zudem einen medizi- nischen Bezug haben muß) ab. Im übrigen: Solche Berater und Indi- kationssteller, die nach selbstge- fundenen Maßstäben über „er- wünscht" oder „unerwünscht"

entscheiden, geraten in bedenkli- che Nähe zu jenen, die über Wert und Unwert menschlichen Lebens hierzulande einmal entschieden haben. Die Bremer hören diesen Vorwurf nicht gern wie der nach- stehend dokumentierte Brief- wechsel zwischen „Pro familia"

und Vilmar ausweist —; sie werden ihn sich gefallen lassen müssen.

Und die „Pro familia" im Bundes- gebiet wird sich fragen lassen müssen, inwieweit sie sich mit Bremer Vorstellungen identifiziert und ob sie wirklich bundesweit und endgültig in den Geruch gera- ten will, eine Organisation zu sein, in der das Abtreiben besonders reibungslos klappt. Das medizini- sche Komitee der „Pro familia"

argwöhnt ohnehin: „Zum Teil wird die Pro familia mißbraucht, Schwangerschaftsabbrüchen ei- nen legalen Charakter zu verlei- hen." Die „Pro familia" gerät um so mehr in einen solchen Ver- dacht, als sie sich von ihrer ur- sprünglichen Aufgabe, der Bera- tung über Empfängnisverhütung abwendet, und den Schwanger- schaftsabbruch professionell be- treibt.

Die Bremer freilich sehen das an- ders: „Als Beratungsinstanz ver- hält sich Pro familia konsequent, wenn sie in Fällen fehlgeschlage- ner Empfängnisverhütung Frauen durch einen technisch-medizi- nisch einwandfreien Schwanger- schaftsabbruch und eine humane Behandlung hilft", heißt es in einer Stellungnahme. Diese Auffassung ist nicht nur contra familiam, son- dern auch contra legem. NJ

Pro familia:

Hilfeleistung bei unerwünschten Schwangerschaften

In einem Interview mit Radio Bre- men am 20. und 23. Juni 1979 äu- ßerten Sie Ihr Befremden darüber, daß drei Jahre nach Inkrafttreten des novellierten § 218 StGB 67 Prozent aller legalen Schwanger- schaftsabbrüche aufgrund einer sozialen Notlagenindikation ge- schehen. Sie stellen die Frage, wo denn unser Wohlstand sei, und ob es denn tatsächlich so viel Elend gebe, daß so viele soziale Not- lagenindikationen gerechtfertigt seien.

Daß aus der Sicht des höchsten Funktionärs der Ärzteschaft die sinnliche Anschauung von Not und Elend eingeschränkt ist, dafür gibt es viele Erklärungen.

Daß Patienten im Durchschnitt nicht mehr als fünf Minuten in den Praxen der niedergelassenen Ärz- te verweilen, dürfte das ärztliche Verständnis für die sozialen und psychischen Probleme kranker Menschen und ihrer Leiden nicht gerade fördern. Daß ländliche Re- gionen und Industriegebiete wie das Ruhrgebiet fachärztlich unter- versorgt sind, weil nur wenige Ärz- te dort arbeiten wollen, trägt si- cher ebenfalls zum Unverständnis über die klassenmäßige Verteilung des gesellschaftlich produzierten Wohlstands bei.

Die Lebenswelt, aus der Ärzte ihre Wagen vorzugsweise in eine zen- tral gelegene städtische Praxis lenken, hat nur wenig Ähnlichkeit mit den Industrielandschaften und Siedlungen, in denen die Mehrheit der kranken Versicherten lebt.

Die soziale Notlage im Sinne des

§ 218 allein auf zu geringes Ein- kommen zu reduzieren ist selbst wieder realitäts- und problem- blind. Als soziale Notlage muß al-

les gelten, was gegen die Bedürf- nisse und Lebensperspektive der Frauen gerichtet ist und sie ge- fährdet. Dieser Freiraum wurde durch die Neufassung des § 218 StGB ausdrücklich geschaffen. Als soziale Notlage muß weiterhin al- les gelten, was einer gesicherten Zukunft und emotional schützen- den Erziehung von Kindern entge- gensteht.

Das Abtreibungsverbot kann Frau- en in Einzelfällen zur Austragung der unerwünschten Schwanger- schaften zwingen, aber nie zu- gleich zu einer emotional schüt- zenden Kindererziehung.

Diese Überlegungen zeigen, daß das kleinunternehmerische Pro- blembewußtsein der Ärzte, wie vor allem auch ihr bislang vorherr- schendes naturwissenschaftlich- medikamentöses Krankheitsver- ständnis ihnen jedes Recht nimmt, über Austragung oder Abbruch ei- ner Schwangerschaft zu entschei- den — wenn es überhaupt eine Rechtfertigung dafür gibt, über Lebensperspektiven und Schick- sal fremder Menschen durch Fest- legung ihrer Kinderzahl zu ver- fügen.

Daß die Zahl der Schwanger- schaftsabbrüche aufgrund sozia- ler Notlagen seit dem Inkrafttreten des geänderten Gesetzes ständig steigt, ist ein sichtbares Zeichen dafür, daß ein wachsender Teil der Ärzteschaft im Umgang mit dem staatlich zugewiesenen Entschei- dungsmonopol über die Lebens- perspektiven fremder Menschen immer vorsichtiger umgeht. Sie entscheiden nicht nach den ab- strakten Interessen am Bevölke- rungswachstum, sondern an den konkreten Bedürfnissen und Le- benssituationen der Frauen und ihrer Partner. Dieses Verhalten be- wegt sich im Rahmen der gesetzli- chen Möglichkeiten für die Indika- tionsstellung, und es ist verfas- sungswidrig und nur als politi- scher Einschüchterungsversuch zu verstehen, wenn Sie diesen Ärz-

1986 Heft 31 vom 2. August 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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