Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 111|
Heft 40|
3. Oktober 2014 A 1671 1. INTERNATIONALER HAUSÄRZTETAGHausarztmedizin besser fördern
Die Hausärzte fordern eine Trendwende in der Aus- und Weiterbildung sowie eine bessere Interessenvertretung in den ärztlichen Körperschaften.
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inen festen Hausarzt haben 91 Prozent der Menschen in Deutschland; 94 Prozent halten sei- ne Rolle als Lotse im Gesundheits- system für wichtig. Das ist das Er- gebnis einer Umfrage unter 1 000 Bürgern, die das Meinungsfor- schungsinstitut forsa im September im Auftrag des Deutschen Haus - ärzteverbands (HÄV) durchführte.„Das Ergebnis bestärkt uns in unse- rer Arbeit“, sagte dessen Bundes- vorsitzender, Ulrich Weigeldt, beim 1. Internationalen Hausärztetag, der am 25. und 26. September in Bonn stattfand. Ein Grund, sich zurück- zulehnen, ist es aber nicht.
Bis 2020 werden nach Berech- nungen des HÄV jährlich 2 000 Hausärzte ihre Praxen schließen.
Dass diese genügend Nachfolger fin- den, ist unwahrscheinlich. Der Anteil der Fachärzte für Allgemeinmedizin an den Facharztanerkennungen liegt nur noch bei zehn Prozent. Anlass genug für Weigeldt, eine Trendwen- de zu fordern. Denn: „Um eine älter werdende Gesellschaft mit mehr chronisch kranken und multimorbi- den Menschen angemessen behan- deln zu können, benötigen wir eine gute Primärversorgung.“ Sie verhin-
dere Fehl- und Unterversorgung und setze Ressourcen frei für eine koor- dinierte fachärztliche Versorgung.
Der HÄV-Vorsitzende hält es für einen Skandal, dass es an elf der 37 medizinischen Fakultäten noch im- mer keine Lehrstühle für Allgemein- medizin gibt, an denen die Studieren- den mit dem Fach in Berührung kommen. Man könne sich schließlich nicht für etwas entscheiden, das man gar nicht kenne, sagte Weigeldt. Ne- ben Verbesserungen in der ärztlichen Ausbildung forderte er aber auch ei- ne bessere Betreuung der Ärzte in Weiterbildung beispielsweise durch Weiterbildungsverbünde sowie eine angemessene Bezahlung der Weiter- zubildenden in den Hausarztpraxen.
Die KV als Hemmschuh
Die notwendige Stärkung der Haus- arztmedizin werde aber vor allem von der ärztlichen Selbstverwal- tung behindert, kritisierte Weigeldt.So werde das Förderprogramm für die allgemeinmedizinische Weiter- bildung in einigen Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) nicht zielstre- big umgesetzt. Außerdem unterlie- fen die KVen die hausarztzentrier- te Versorgung (HZV). Druckmittel
seien, wie jüngst in Bremen, die Weigerung, den ärztlichen Notdienst für die Versicherten des HZV-Ver- trags sicherzustellen oder kompli- zierte Regelungen zur Bereinigung der Gesamtvergütung.
Mehr Gleichberechtigung
Weigeldt nutzte den Hausärztetag, um erneut mehr Gleichberechti- gung für die Hausärzte in den Gremien der Selbstverwaltung zu fordern. Der Beschluss der Vertre - terversammlung der Kassenärztli- chen Bundesvereinigung (KBV) von Mitte September, mit einem neuen Ausschuss für einen faireren In - teressenausgleich zwischen Haus- und Fachärzten zu sorgen, schreibe lediglich die Facharztdominanz in der Vertreterversammlung fort, so der HÄV-Vorsitzende. Ein Alterna- tivvorschlag aus den eigenen Rei- hen hatte in der KBV-Vertreterver- sammlung keine Mehrheit gefun- den. Die Hausärzte hatten sich unter anderem dafür ausgesprochen, dass künftig jeder Versorgungsbereich separat ein Mitglied des KBV-Vor- stands wählt und eigenständig über die Vergütung entscheidet.Rückenwind erhielt der HÄV aus der Politik. Lutz Stroppe, Staatsse- kretär im Bundesgesundheitsminis- terium, erklärte vor den Delegier- ten: „Wir sind der Meinung, dass man hier gesetzlich nachsteuern muss.“ Es gebe eine klare Aussage im Koalitionsvertrag zur paritäti- schen Besetzung der ärztlichen Kör- perschaften. Das Ministerium will die hausärztliche Interessenvertre- tung im Oktober im Rahmen des Versorgungsstärkungsgesetzes re- geln. Auch weitere Forderungen des HÄV dürften Eingang in das Gesetz finden. So sollen Weigeldt zufolge die Förderung der Allgemeinmedi- zin verbessert und Hürden für die HZV beseitigt werden.
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Heike Korzilius Bekenntnis zur
Rolle des Hausarz- tes: Staatssekretär
Lutz Stroppe, HÄV- Chef Ulrich Weigeldt
und die nordrhein- westfäliche Gesund- heitsministerin Bar- bara Steffens (v.l.)
Foto: Georg J. Lopata