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„Fördern und Fordern“ im Diskurs

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Academic year: 2022

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Publizieren s t at t archivieren M A G A Z I N SOZIOLOGIE

„Fördern und Fordern“ im Diskurs

Einstellungen in der Bevölkerung zu Hartz IV und aktivierender Arbeitsmarktpolitik

Mit Beiträgen von Julia Greve, Lisa Klein, Alexandra Kimel, Robert Tiede, Albrecht Hänig, Folashade Miriam Ajayi, Lisa Reiber und Annegret Heindl

Sonderheft | 2019 | Print 13,00 € | E-Journal: www.soziologiemagazin.de

SONDERHEFT 4

2/2019

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Publizieren s t at t archivieren

M A G A Z I N SOZIOLOGIE

Rausch und Ekstase

Erkundungen der Spaßgesellschaft

Außerdem: Expert_inneninterviews zum Titelthema | Soziologischer Podcast „Das Neue Berlin“ | Rezensionen | Call4Papers | Ausgewählte Fachliteratur | Konferenzen- und Tagungstermine

2019 #1

Der kostbarste Teil des Lebens.

Selbstverlust als Utopie

Arthur Hoffmann|

Die Ekstase der Spielplätze.Über die Kulturschöpfung in körperlichen und kognitiven Gegenwelten

Isis Mrugalla

Heft 19 | Jg. 12 | 2019 | Print 13,00 € | E-Journal: www.soziologiemagazin.de

AKTUELLES HEFT

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Vorwort

Hauptziel des soziologiemagazin e.V. ist es, den wissenschaftlichen Diskurs um (Nachwuchs-)Perspektiven zu erweitern und damit den sozialwissenschaftlichen Nachwuchs, Studierende aller Studien- abschnittsphasen anzusprechen und ihnen eine Publikationsplattform in unseren halbjährlich erscheinenden thematischen Heften zu geben. Unser Anspruch als Verein und als Redaktion ist es, junge Wissenschaftler_innen, Student_innen und andere soziologisch interessierte Personen zu fördern und ihnen die Möglichkeit zu geben, Erfahrungen im wissenschaft- lichen Publizieren zu sammeln. Sowohl die Peer-Review-Verfahren als auch die intensive Betreuung der Textarbeit unter- stützt angehende Wissenschaftler_innen Texte hervorzubringen, die nicht nur den aktuellen gesellschaftswissenschaftlichen Diskurs befruchten, sondern auch wissen- schaftlichen Standards entsprechen.

Unsere Sonderhefte sind nach demselben Prinzip konzipiert. Neben unserem zweiten Sonderheft, in welchem Beiträge vom 2.

Studentischen Soziologiekongress (2012) versammelt sind, konnten wir bisher Koope- rationsprojekte mit soziologischen Semi- naren und Kolloquien zum Thema Care (2018) (Ludwig Maximilian Universität München) oder dem Thema Kriegsdiskurse (2019) (Goethe Universität Frankfurt am Main) herausgeben. Für dieses Sonderheft

sind die Gastherausgeber_innen. Katharina Zimmermann und Jan-Ocko Heuer Ende 2017 auf uns zugekommen. Nach zwei Jahren gemeinsamer intensiver Arbeit an dem Heft freuen wir uns, dass der sozio- logiemagazin e.V. dieses Heft „Fördern und Fordern“ präsentieren kann. Ein Heft, das sich insbesondere durch die Relevanz seines Themas hervorhebt, da Hartz IV nachhaltig den deutschen Diskurs um Arbeit und Arbeitsmarkt geprägt hat und die Einführung als eine der einschnei- dendsten politischen Maßnahmen der letzten Dekaden angesehen werden kann.

Das Sonderheft geht aus einem sozio- logischen Master-Seminar an der Hum- boldt-Universität zu Berlin hervor und ver- eint acht hervorragende Texte, die sich mit Einstellungen zu Hartz IV und aktivierender Arbeitsmarktpolitik auseinandersetzen.

Damit steht dieses Sonderheft 2/2019 nicht nur im Kontext der Sichtbarmachung und Förderung nachwuchswissenschaftlicher Perspektiven, sondern kann auch als „good practice“ verstanden werden: Es zeigt, wie Lehrveranstaltungsleiter_innen Studierende stärker in innovative Forschungs projekte einbinden können und welche Mög- lichkeiten sie anbieten können, um die Studierenden am Wissenschaftsdiskurs teilhaben zu lassen. Wir freuen uns auf weitere Projekte, um die Reihe der Sonder- hefte schon bald fortzusetzen.

Stellvertretend für die Redaktion Andreas Schulz

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Vorwort ... 1 von Andreas Schulz

Editorial ... 3

„Fördern und Fordern“ im Diskurs: Einstellungen in der Bevölkerung zu Hartz IV und aktivierender Arbeitsmarktpolitik |von Jan-Ocko Heuer, Katharina Zimmermann & Lisa Klein

Schwerpunkt

Das Soziale im aktivierenden Paradigma und Einstellungen der Bevölkerung zu sozialer Hilfe ... 15 von Julia Greve

Einstellungen zu Sanktionen in sozialen Sicherungssystemen ... 41 Begründungsmuster im Diskurs zur aktivierenden Arbeitsmarkpolitik | von Lisa Klein

Diskurse der Wahrnehmung sozialer Ungleichheit ... 65 Eigen- und Fremdpositionierungen auf Erwerbslosigkeit und Hartz IV | von Alexandra Kimel

Zwischen Konditionalität und Universalismus ... 87 Argumentations- und Einstellungsmuster zu sozialpolitischer ‚Deservingness‘ | von Robert Tiede Welfare State Deservingness of Immigrants in Germany ... 109 Examining Deservingness Rankings and the Role of Identity | von Albrecht Hänig

Zugang unter Vorbehalt ... 129 Einstellungen zur sozialpolitischen Inklusion von Unionsbürger_innen | von Folashade Miriam Ajayi Opening the Black Box of Deliberation: What are Arguments (Really) Based on? ... 149 A theory-driven and exploratory analysis of the role of knowledge in the process of deliberation | von Lisa Reiber

Aktive Personen und Gruppendynamiken der Meinungsänderung ... 169 in einem Deliberativen Forum zur Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik | von Annegret Heindl

Literatur zum Thema ... 191 von Frieder Zaspel

Aus der Redaktion

Redaktionsteam und Danksagung ... 197 Impressum ... 199

Appendix ... 200

Sonderheft 2 / 2019

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3 Seitdem der Sozialstaat durch verstärkten

globalen Wettbewerb, demographischen Wandel und steigende Staatsschulden unter Druck geraten ist, erhöht sich auch der Druck auf die Bürger_innen. So wird im Zuge des Umbaus zum „schlanken“

bzw. „aktivierenden“ Staat auch in der Sozialpolitik vermehrt die individuelle Verantwortung und Eigeninitiative der Bürger_innen betont. Als zentraler Aus- druck dieser Neuausrichtung von Sozial- politik gelten in Deutschland die zwischen 2003 und 2006 in Kraft getretenen so - genannten „Hartz-Reformen“, die als Teil der von der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder verabschiedeten

„Agenda 2010“ eine fundamentale Neu- ausrichtung der Sozial- und Arbeitsmarkt- politik vornahmen. Kernstück war dabei die gemeinhin als „Hartz IV“ bezeichnete Ersetzung des Prinzips des Statuserhalts bei fortdauernder Erwerbslosigkeit durch eine Sicherung auf dem Niveau des Existenz- minimums und die unter dem Stichwort

„Fördern und Fordern“ vorangetrieben Qualifizierung und „Aktivierung“ von erwerbslosen Personen.

Die „Hartz-Reformen“ waren nicht nur die grundlegendsten Reformen der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch die umstrittensten (vgl. Heuer/Mau 2017;

Geus et al. 2016; Seeleib-Kaiser/Fleckenstein 2007). Während Arbeitgeber_innen und konservativ-liberale Parteien die Reformen überwiegend begrüßten, gab es innerhalb der Regierungsparteien deutliche Kritik und es kam zur Gründung einer neuen Partei, der „Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit“, die später in der Partei „Die Linke“ aufging. Zudem sah sich Bundeskanzler Schröder gezwungen, Neuwahlen auszurufen, in deren Folge die rot-grüne Regierung durch eine „Große Koalition“ unter Angela Merkel abgelöst wurde. Insofern beendeten diese Reformen nicht nur langjährige Debatten über den Sozialstaat und die Wettbewerbs fähigkeit der deutschen Wirtschaft, sondern auch die erste rot-grüne Regierung auf Bundes ebene.

Bis heute bewegt dieser epochale Wandel in der Arbeitsmarktpolitik die Gemüter.

Auch wenn die Arbeitslosenzahlen seit

Editorial

„Fördern und Fordern“ im Diskurs: Einstellungen in der Bevölkerung zu Hartz IV und aktivierender Arbeitsmarktpolitik

von Jan-Ocko Heuer, Katharina Zimmermann & Lisa Klein

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2005 deutlich gesunken sind, bleibt auch wissenschaftlich umstritten, inwieweit die „Hartz-Reformen“ zur günstigen Entwicklung der deutschen Wirtschaft beigetragen haben. Kritiker_innen argu- mentieren, dass viele neugeschaffene Jobs im Niedriglohnsektor entstanden sind und zu Prekarität und unzureichenden Renten führen. Zudem würden lang jährige Erwerbstätige durch den Rückfall auf das Existenz minimum nach einem Jahr Arbeitslosigkeit um ihre Lebensleistung gebracht sowie erwerbslose Personen durch die „Aktivierungsmaßnahmen“ generell einem Verdacht auf Faulheit, Arbeitsun- willigkeit oder Missbrauch von Sozialleis- tungen ausgesetzt (Kaufmann 2013). Kritik gibt es darüber hinaus an der Möglichkeit der Kürzung von zur Existenzsicherung vorgesehen Leistungen, an öffentlicher Beschäftigungsförderung mittels so ge- nannter „Ein-Euro-Jobs“ und hinsichtlich der Abstimmung und Wirksamkeit von Qualifizierungsangeboten. Noch heute setzen sich Teile der Bevölkerung und Politiker_innen mehrerer Parteien für eine (partielle) Rücknahme oder Reform der

„Hartz-Gesetze“ ein (vgl. Süddeutsche Zei- tung 2019; Schwan 2017; Die Linke 2013).

Nun ist es unbestritten, dass Einstel- lungen in der Bevölkerung zu politischen Reformen eine wesentliche Bedingung ihres (auch langfristigen) Erfolgs dar- stellen. Fehlt neuen Politiken die Akzep- tanz in der Bevölkerung, kann es zu

Legitimitätsproblemen kommen und die beabsichtigten Effekte auf individuelles Verhalten und soziale Normen bleiben aus. Zudem stellt sich die Frage, in wel- chem Maß sich eine fundamentale Ver- schiebung sozialer Rechte auch auf die Sicht der Bürger_innen auf den Sozial- staat auswirkt und wie heute Prinzipien wie Statuserhalt, Grundsicherung und Eigenverantwortung beurteilt werden. Es ist deshalb von großem Interesse, wie die

„Hartz-Reformen“ über ein Jahrzehnt nach ihrem Inkrafttreten in der Bevölkerung aufgefasst und diskutiert werden. In der Forschung gibt es dazu allerdings lediglich vereinzelte Studien, die mittels quantita- tiver Umfragen generelle Zustimmung oder Ablehnung der Reformen erfassen (vgl. Krömmelbein et al. 2007; Nüchter et al. 2008, 2009, 2010). Es fehlen dagegen tiefgreifendere Untersuchungen zu den unterschiedlichen Beweggründen der Kritiker_innen und Befürworter_innen dieser Reformen.

Vor diesem Hintergrund sind in einem zweisemestrigen Forschungsseminar des Instituts für Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin die Ein- stellungen in der Bevölkerung zur akti- vierenden Arbeitsmarktpolitik mittels einer innovativen sozialwissenschaftlichen Methode erforscht worden. Bei dieser als „Deliberative Foren“ bzw. „Mini-Pu- blics“ bezeichneten Methode werden Bürger_innen eingeladen, ausführlich

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5 über ein Thema zu diskutieren und dabei

politische Empfehlungen zu erarbeiten oder Szenarien zu entwickeln. Solche Foren sind bislang vorwiegend als Mittel zur Bürger_innenbeteiligung verwendet worden, doch ist in jüngster Zeit ihr Poten- tial als sozialwissenschaft liches Analyse- instrument entdeckt worden, da sie es erlauben, die Formierung und Begründung von Einstellungen sowie einen mögli- chen Wandel im Verlauf der Diskussion zu erfassen (vgl. Taylor-Gooby/Leruth 2018; Zimmermann et al. 2018). Auf diese Weise werden tiefergehende Einsichten in persönliche Beweggründe gewonnen als sie die auf Umfragen basierende Einstel- lungsforschung bieten kann.

Im Rahmen des Forschungsseminars wurde im Winter 2017 ein Deliberatives Forum mit 27 Bürger_innen durchgeführt, die in einem großen Plenum sowie in drei Kleingruppen über „Fördern und Fordern“

in der Arbeitsmarktpolitik und mögliche Alternativen diskutierten. Zudem füllten die Teilnehmenden vor Beginn und nach Ende der Diskussionen Fragebögen aus, mit denen Einstellungen zur Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik mittels Fragen u.a. aus inter- nationalen Bevölkerungs umfragen erhoben wurden (siehe Onlineanhänge 2. und 3.:

Pre-Survey-Fragebogen und Post-Sur- vey-Fragebogen). Die rund 12 Stunden Video- und Audioaufzeichnungen des Deli- berativen Forums wurden transkribiert, um in studentischen Forschungsarbeiten mit

unterschied lichen theoriegeleiteten Frage- stellungen und Auswertungsmethoden ana- lysiert zu werden. Acht dieser studentischen Arbeiten liegen nun im Rahmen dieses Son- derheftes auch gesammelt als Fachaufsätze vor. Sie bieten Beiträge zur Sozialpolitik-, Einstellungs- und Deliberationsforschung, die auch für fachwissenschaftliche Debatten in der Soziologie und Politikwissenschaft von großem Interesse sind.

Alle Aufsätze in diesem Sonderband bearbeiten eine eigene und unabhängige Forschungsfrage mit teilweise neuen theo- retischen Perspektiven und neuen metho- dischen Herangehensweisen. Gleichzeitig greifen alle Arbeiten auf eine gemein- same Datenquelle zurück: das Deliberative Forum, das im Rahmen des Forschungs- seminars durchgeführt wurde. Im Rahmen dieses Editorials wird im Folgenden ein kurzer Überblick über den Ablauf und die zentralen Charakteristika des Forums gegeben. Die einzelnen Aufsätze widmen sich dann in ihren methodischen Beschrei- bungen lediglich den für sie relevanten Einzelheiten der Durchführung und Aus- wertung.

Das Deliberative Forum fand im Januar 2017 in Räumen der Humboldt- Universität zu Berlin statt. Die Rekrutierung erfolgte mittels von den Studierenden erstellten Flyern, die an zahlreichen Orten in Berlin ausgelegt und verteilt wurden. In den Flyern wurde für die Teilnahme an

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einem „Demokratischen Forum“ zum Thema „Fördern und Fordern in der Arbeitsmarktpolitik“ geworben und es wurde eine Aufwandsentschädigung von 50 Euro für die Teilnahme in Aussicht gestellt. Interessierte Personen konnten sich telefonisch oder per E-Mail melden und ihre Kontaktdaten hinterlassen. Auf Basis aller Interessenbekundungen wurde dann eine Auswahl der Teilnehmenden nach einigen sozio-demographischen Kriterien getroffen. So wurde zum einen versucht, ein möglichst umfangreiches und heterogenes Abbild der Bevölkerung zu erreichen, beispielsweise in Bezug auf Geschlecht, Alter, politische Präferenz oder Migrationserfahrung. Zum anderen wurde darauf geachtet, dass Teilnehmende mit unterschiedlichem Erwerbsstatus ver- treten waren, d.h. sowohl unterschiedliche Gruppen von Erwerbstätigen (u.a. Vollzeit, Teilzeit, Angestellte, Beamte, Frei berufler_

innen, Geringverdiener_innen) als auch unterschiedliche erwerbslose bzw. auf staatliche Zusatzleistungen ange wiesene Personen (u.a. langzeitig und kurzzeitig erwerbslos, ergänzende Leistungen, Arbeitsunfähigkeit).

In der Summe nahmen 27 Personen an der Veranstaltung teil. Im Onlineanhang ist eine anonymisierte Liste der Teil- nehmer_innen sowie ihrer wesentlichen sozio-demographischen Merkmale zu finden (siehe Onlineanhang 1.). Trotz der Bemühung um eine möglichst heterogene

Gruppenzusammensetzung ließ sich eine Über- und Unterrepräsentation bestimmter Bevölkerungsgruppen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung nicht vermeiden;

so sind vor allem Personen mit hohem Bildungs stand, einer Präferenz für die Partei

„Die Linke“ und Menschen mit unterdurch- schnittlichem Einkommen überrepräsen- tiert. Alle Teilnehmenden unterzeichneten eine Einwilligungs erklärung, in der sie sich damit einverstanden erklärten, dass im Rahmen der Veranstaltung Video- und Tonaufnahmen von ihnen gemacht werden und diese transkribiert und Auszüge aus den Transkripten in wissenschaftlichen Publikationen veröffentlicht werden. Die vollständigen Namen der Teilnehmer_

innen sowie ihre Kontaktdaten waren ausschließlich der Veranstaltungsleitung bekannt. Während der Veranstaltung wurden lediglich Vornamen verwendet sowie (u.a. zur Kennzeichnung von Frage- bögen) zugewiesene Nummern.

Die Veranstaltung fand an einem Samstag von 9:45 Uhr bis 16:30 Uhr statt. Sie begann mit dem Ausfüllen eines Vor- ab-Fragebogens (siehe Onlineanhang 2.:

Pre-Survey-Fragebogen). Anschließend fand ein Eröffnungsplenum statt, in dem sich alle Anwesenden vorstellten. Die Teilnehmenden erhielten grundlegende Informationen zu Hintergrund und Ablauf des Deliberativen Forums und wurden mit den Gesprächsregeln vertraut gemacht.

Im Anschluss wurden sie gebeten, ihre

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7 Interessen, Themen und Fragen im Zusam-

menhang mit aktivierender Arbeitsmarkt- politik aufzuschreiben; hieraus wurden die zen tralen Themencluster „Gerechtigkeit“,

„Jobcenter“ und „Hartz IV“ destilliert.

Diese Themencluster wurden mit in die Kleingruppen genommen, die sich im Anschluss an das Plenum konkreten Aspekten der aktivierenden Arbeitsmarkt- politik und des Systems der sozialen Siche- rung widmeten.

Die drei Kleingruppen wurden auf Grund- lage des Erwerbsstatus gebildet. In einer Gruppe diskutierten ausschließlich erwerbslose Personen (sowie eine trotz Einkommen auf ergänzende Zusatzleis- tungen angewiesene Person), in einer zweiten Gruppe ausschließlich Erwerbs- tätige, und in der dritten Gruppe waren sowohl Erwerbslose als auch Erwerbstätige vertreten. Die Diskussion in den Klein- gruppen war in eine Vormittagsrunde und in eine Nachmittagsrunde unterteilt;

nach der Nachmittagsrunde trafen sich alle erneut zu einem (Abschluss-)Plenum. Die Aufteilung der Kleingruppen nach dem Erwerbsstatus erlaubte es nicht nur, die Gruppen bei der Auswertung im Stile eines quasi-experimentellen Designs zu verglei- chen, sondern folgte auch dem Gedanken, einer Machtverzerrung im deliberativen Diskurs entgegenzuwirken: Da Delibera- tion einen spezifischen Kommunikations- stil erfordert, werden Menschen, die diesen Sprachstil aufgrund von Statusunterschie-

denen nicht oder weniger gut beherrschen, im Prozess der Deliberation häufig exklu- diert (vgl. Young 2000).

Die Kleingruppendiskussionen wurden mittels ausgewählter Diskussionsstimuli und Zuordnungsübungen strukturiert.

In der Vormittagsrunde diskutierte jede Kleingruppe zunächst die drei zentralen Themencluster „Gerechtigkeit von Hartz IV“, „Jobcenter“ und „Hartz IV allgemein“.

Die Teilnehmenden wurden gebeten, für alle drei Themen je individuell für sie positiv und negativ konnotierte Aspekte zu notieren, sich dann auf einer Skala von positiv zu negativ – beziehungsweise von gut zu schlecht – selbst einzuordnen und im Anschluss als Gruppe über die jewei- ligen Einordnungen zu diskutieren. Hierbei ging es vor allem darum, Begründungen und Argumentationsmuster für bestimmte Positionen herauszuarbeiten.

Nach der Mittagspause kamen die Teil- nehmer_innen wieder in den Kleingruppen zusammen. Am Nachmittag wurde der Fokus auf das gewünschte Verhältnis von Fördern und Fordern in sozialen Sicherungs systemen im Allgemeinen gelegt.

Zunächst wurden die Teilnehmenden gebeten, das ihrer Meinung nach optimale Verhältnis von Rechten und Pflichten in der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik zu skizzieren; als Diskussions grundlage diente dabei eine Vorlage, in der verschiedene Positionen in Bezug auf das Verhältnis von

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Rechten und Pflichten von Leistungsemp- fänger_innen formuliert waren.

In einem zweiten Schritt wurde die Frage nach Rechten und Pflichten anhand konkreter Beispiele vertieft. Den Teil- nehmer_innen wurden nacheinander die folgenden vier Vignetten (Personenbe- schreibungen mit systematisch variierten Attributen) präsentiert: 1) „Maria ist 51 Jahre alt und bei guter Gesundheit. Sie ist seit einiger Zeit erwerbslos.“; 2) „Anna ist 37 Jahre alt, arbeitet und verdient dabei 1.400 Euro brutto im Monat. Nach Steuern und Sozialabgaben bleiben ihr noch 1.045 Euro netto.“; 3) „Jürgen ist 35 Jahre alt, alleinerziehend mit drei Kindern und ist seit mehreren Jahren erwerbslos.“; und 4)

„Adrian lebt seit kurzem in Deutschland und ist zurzeit erwerbslos. Er hat vorher in seinem Herkunftsland gearbeitet.“. Die Moderatorinnen der Kleingruppen fragten bei jeder Vignette, welche staatliche Unter- stützung die Person erhalten sollte, welche Pflichten sie haben sollte und was bei der Nichterfüllung von Pflichten geschehen sollte. Die Gruppe diskutierte über diese Fragen. Zudem wurde von der Moderation erfragt, ob es einen Unterschied mache, ob die jeweilige Person beispielsweise ein anderes Alter, ein anderes Geschlecht oder eine andere Gesundheits- oder Familien- situation habe, und wenn ja, warum. Im Anschluss an die Diskussionen wurden die Teilnehmer_innen aufgefordert, die Vignetten in eine Reihenfolge hinsichtlich

der folgenden zwei Fragen zu bringen (Ranking): Wer sollte mehr staatliche Unterstützung erhalten und wer weniger?

Wem sollten mehr und wem weniger Pflichten auferlegt werden? Zudem wurden die Teilnehmenden darum gebeten, die von ihnen vorgenommene Positionierung zu begründen und die Entscheidungen in der Gruppe zu diskutieren. Die Abstim- mungsergebnisse konnten im Nachhinein den Teilnehmer_innen zugeordnet werden.

Als letzter Teil der Kleingruppen diskussion folgte dann eine Erarbeitung von Reform- vorschlägen zur aktivierenden Arbeits- marktpolitik in Deutschland. Nach dem Ende der Nachmittagsrunde in den Klein- gruppen kamen alle Teilnehmenden wieder in einem Abschlussplenum zusammen.

Zunächst wurden von allen Gruppen zwei bis drei Reformvorschläge eingebracht, die kurz begründet und dann im Plenum diskutiert wurden. Dies diente dazu, Unter- schiede, Konfliktpunkte und Gemeinsam- keiten zwischen den Gruppen herauszu- arbeiten. Im Anschluss daran wurde ein zweiter Fragebogen ausgefüllt, der einige ergänzende Fragen zum Vorab-Frage- bogen enthielt, aber auch gleiche Fragen, so dass gegebenenfalls Meinungsänderungen erfasst werden konnten. Zudem wurden die Teilnehmenden auch gefragt, ob die Diskussionen ihre Meinung beeinflusst hätten und welche Aspekte der Diskus- sionen besonders zum Überdenken von Positionen angeregt haben (vgl. beide

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9 Frage bögen im Onlineanhang, v.a. Fragen

D48 - D55 im Post-Survey-Fragebogen).

Die im Deliberativen Forum erhobenen Daten (Fragebögen, Gruppen- und Plenar- diskussionen, Selbsteinordnungen der Teilnehmer_innen) wurden von den Studierenden aufbereitet und dienten als Grundlage für die vorliegenden Arbeiten.

Die Transkription der Plenar- und Grup- pendiskussionen erfolgte auf Grundlage des vereinfachten Transkriptionssystems nach Dresing und Pehl (2015). Für jede Plenar- und Gruppendiskussion wurde ein eigenständiges Transkript angefertigt, wobei die Benennung der Transkripte fol- gendermaßen erfolgte: Die Transkripte aus der Erwerbslosengruppe wurden mit dem Kürzel EL1 und EL2 versehen, wobei EL1 für das Transkript der Vormittagsdiskus- sion und EL2 für das Transkript der Nach- mittagsdiskussion steht. Die Transkripte aus der Erwerbstätigengruppe wurden analog hierzu mit ET1 und ET2 benannt und die Transkripte aus der gemischten Gruppe mit MIX1 und MIX2. Die Tran- skripte der Plenarsitzungen wurden mit PLENUM1 und PLENUM2 benannt. In den in diesem Band enthaltenen Bei- trägen wird auf einheitliche Weise aus diesen Transkripten zitiert bzw. auf diese verwiesen: Es wird das Kürzel des jewei- ligen Transkripts genannt, außerdem die entsprechende Absatznummer. Alle in den Beiträgen enthaltenen Aussagen sind anonymisiert und sofern Namen genannt

werden, handelt es sich um in allen Bei- trägen einheitlich verwendete Pseudo- nyme. Um eine bessere Nachvollziehbarkeit der Analyseergebnisse zu gewährleisten finden sich im Onlineanhang alle in den Beiträgen zitierten und erwähnten Aus- sagen aus dem Deliberativen Forum.

Die in diesem Heft versammelten acht Beiträge haben gemeinsam, dass sie auf das Deliberative Forum als Daten- quelle zurückgreifen und dass sie einen

„doppel blinden“ Begutachtungsprozess durchlaufen haben. Bei diesem in der Wis- senschaft üblichen Verfahren zur Qualitäts- sicherung werden renommierte Fachwis- senschaftler_innen um ein Gutachten zur Qualität der eingereichten Manuskripte gebeten, in dem sowohl die Publikations- würdigkeit des Beitrags beurteilt wird als auch Überarbeitungsvorschläge gemacht werden können (wobei Verfasser_innen und Gutachter_innen jeweils anonym bleiben) und die Verfasser_innen ihre Manuskripte vor der Veröffentlichung noch einmal gemäß den Vorschlägen der Gutachter_innen überarbeiten. Dieses Begutachtungsverfahren hat noch einmal erheblich zur Verbesserung der vorlie- genden Aufsätze geführt, und den begut- achtenden Wissenschaftler_innen – die wir an dieser Stelle nun bekanntgeben können – sei unser herzlichster Dank für ihre Arbeit ausgesprochen: Vincent Geng- nagel, Thomas Gurr, Tijs Laenen, Sarah Lenz, Thomas Lux, Ole Oeltjen, Deborah

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Rice, Femke Roosma, Patrick Sachweh, Peter Taylor-Gooby, Stefanie Unger und Hannah Zagel.

Die Beiträge spannen einen Bogen von Fragen der Bewertung der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik durch die Bevölkerung und den zugrundeliegenden Motivationen und Orientierungen über Fremd- und Selbstzuschreibungen bzw. Positionie- rungen in Bezug auf Erwerbslosigkeit und die Bedürftigkeit verschiedener sozialer Gruppen bis hin zu formalen Aspekten des Diskurses über Erwerbslosigkeit und Arbeitsmarktpolitik wie beispielsweise Gruppendynamiken und Prozesse der Meinungsänderung.

Der erste Beitrag von Julia Greve – mit dem Titel „Das Soziale im aktivierenden Para- digma und Einstellungen der Bevölkerung zu sozialer Hilfe“ – nimmt die soziologische Diagnose, dass die jüngeren Sozialstaats- Reformen eine fundamentale Neuausrich- tung des Verhältnisses von Gesellschaft und Sozialleistungsempfänger_innen bedeuten, zum Ausgangspunkt einer Untersuchung der Deutungsmuster des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft im Delibera- tiven Forum. Sie kommt zu dem Schluss, dass der institutionelle und diskursive Para- digmenwechsel in der Sozialpolitik zwar in den Diskussionen aufgegriffen wird, aber zur Herausbildung unterschiedlicher Deutungsmuster führt.

Lisa Klein widmet sich im Beitrag „Einstel- lungen zu Sanktionen in sozialen Sicherungs- systemen: Begründungsmuster im Diskurs zur aktivierenden Arbeitsmarkpolitik“ den Einstellungen in der Bevölkerung zur Knüp- fung sozialer Rechte an Bedingungen, die durch Sanktionen bewehrt sind. Sie zeigt, dass im Deliberativen Forum sowohl ethisch- moralische Erwägungen bezüglich der Legi- timität von Sanktionen als auch praktische Erwägungen bezüglich des antizipierten Nutzens bzw. der Folgen von Sanktionen bei der Beurteilung von Sanktionen eine Rolle spielen und sich bei den jeweiligen Abwä- gungsprozessen unterschiedliche Motive und Orientierungen identifizieren lassen.

Alexandra Kimel untersucht in ihrem Bei- trag „Diskurse der Wahrnehmung sozialer Ungleichheit: Eigen- und Fremdpositionie- rungen auf Erwerbslosigkeit und Hartz IV“

Gerechtigkeitsempfindungen in Bezug auf aktivierende Arbeitsmarktpolitik und zeigt, wie Erwerbslose und Erwerbstätige auf unter- schiedliche Weise abwertende Diskurse in Bezug auf Erwerbslosigkeit reproduzieren.

Robert Tiede knüpft in seinem Beitrag „Zwi- schen Konditionalität und Universalismus:

Argumentations- und Einstellungsmuster zu sozialpolitischer ‚Deservingness‘“ an die etablierte „Deservingness-Forschung“ an und zeigt, dass die Zuschreibung von wohl- fahrtsstaatlichen Leistungen für bestimmte Zielgruppen in komplexe Argumentations- und Einstellungsmuster eingebettet ist.

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11 Auch Albrecht Hänig schließt mit seinem

Beitrag „Welfare State Deservingness of Immigrants in Germany – Examining Deserv ingness Rankings and the Role of Identity“ an die „Deservingness-Forschung“

an und untersucht, welche Rolle Identitäts- fragen bei der Beurteilung und Zuschrei- bung von Leistungen für Migrant_innen spielen.

Folashade Miriam Ajayi widmet sich ebenfalls der Frage nach Einstellungen zu Migrant_innen und zeigt in ihrem Beitrag „Zugang unter Vorbehalt: Einstel- lungen zur sozialpolitischen Inklusion von Unionsbürger_innen“, dass der deutsche Sozialstaat von den Teilnehmenden des Forums mehrheitlich als exklusives Kon- strukt entlang nationalstaatlicher Grenz- ziehungen gedacht wird.

Die letzten beiden Beiträgen widmen sich der Ebene des Diskurses selbst. Lisa Reiber untersucht in ihrem Beitrag „Opening the Black Box of Deliberation: What are Argu- ments (Really) Based on?“ die Rolle von Wissen im Prozess der Deliberation und diskutiert nicht nur das vorhandene politi- sche Wissen der Teilnehmenden, sondern zeigt auch die verschiedenen Facetten und Wissensformen auf, die hinter delibera- tiven Argumenten stehen können.

Annegret Heindl schließlich untersucht in ihrem Beitrag „Aktive Personen und Gruppendynamiken der Meinungsänderung

in einem Deliberativen Forum zur Arbeits- markt- und Sozialpolitik“ Gruppendy- namiken und Prozesse der Meinungs- änderungen, indem sie auf Daten aus der Vor-und Nachbefragung der Teilneh- menden zurückgreift.

Abschließend möchten wir uns ganz herz- lich bei den Personen und Organisationen bedanken, die eine Veröffentlichung der studentischen Arbeiten in diesem Sonder- heft des Soziologiemagazins sowie als gedruckten Band im Barbara Budrich- Verlag durch ihre Unterstützung ermög- licht haben. Zunächst gilt unser Dank dem Soziologiemagazin, das dieses Projekt als Schwerpunktheft ausgewählt und von Anfang an unterstützt hat. Wir sind sehr beeindruckt von der engagierten Arbeit zur Förderung der Nachwuchswissenschaften und der guten Begleitung unseres Veröf- fentlichungsprozesses. Auch das Team des Budrich-Verlags verdient einen herzlichen Dank für die stets freundliche, flexible und professionelle Unterstützung. Ein ganz besonderer Dank geht außerdem an alle Teilnehmer_innen des Delibera- tiven Forums, die mit ihrer Beteiligung die Forschung überhaupt erst ermöglicht haben. Bedanken möchten wir uns an dieser Stelle zudem nochmals bei allen an dem Projekt beteiligten Studierenden – auch jenen, deren Arbeiten nicht in diesem Band veröffentlicht werden. Es war ein außerordentlich inspirierendes, auch für die Lehrenden lehrreiches Seminar!

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Aus der Reihe der finanziellen Unter- stützer_innen sei zunächst Steffen Mau, Professor für Makrosoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin genannt, der die Durchführung des Deliberativen Forums finanziell unterstützt hat. Ebenso ist dem Nachwuchsfonds des Instituts für Sozialwissenschaften und dem bologna.lab der Humboldt-Universität sehr zu danken, die ebenfalls einen wichtigen finanziellen Beitrag geleistet haben. Zudem wurde das Lehrprojekt mit dem Fakultätspreis 2018 für gute Lehre der Kultur-, Sozial- und Bildungs- wissenschaftlichen Fakultät der Humboldt- Universität zu Berlin ausgezeichnet – auch das Preisgeld war ein sehr hilfreicher Beitrag zum Veröffent lichungsprojekt. Nicht zuletzt ermöglichte der Publi kationsfonds der Uni- versitätsbibliothek der Humboldt-Universität die vorliegende kombinierte Publikations- form von Print- und Open-Access-Online- Verfügbarkeit, über die wir uns sehr freuen.

LITERATUR

Die Linke (2013): Hartz IV – zu den Zielen und den Misserfolgen der Reform. Online unter: https://www.

die-linke.de/start/nachrichten/detail/hartz-iv-zu-den- zielen-und-den-misserfolgen-der-reform/ (24.06.2019).

Dresing, Thorsten/Pehl, Thorsten (2015): Praxisbuch Inter- view, Transkription & Analyse: Anleitungen und Regelsysteme für qualitativ Forschende. 6. Auflage. Marburg: Eigenverlag.

Geus, Aart De/Thode, Eric/Weidenfeld, Christiane (2016):

Europe Reforms Labour Markets: Leaders’ Perspectives.

Berlin, Boston: De Gruyter.

Heuer, Jan-Ocko/Mau, Steffen (2017): Stretching the Limits of Solidarity: The German Case. In: Taylor-Gooby, Peter/Leruth, Benjamin/Chung, Heejung (Hrsg.): After Austerity: Welfare State Transformation in Europe after the Great Recession. Oxford: Oxford University Press, S. 27-47.

Kaufmann, Matthias (2013): Kein Recht auf Faulheit. Das Bild von Erwerbslosen in der Debatte um die Hartz-Re- formen. Wiesbaden: Springer VS.

Krömmelbein, Silvia/Bieräugel, Roland/Nüchter, Oliver/

Glatzer, Wolfgang/Schmid, Alfons (2007): Einstellungen zum Sozialstaat: Repräsentative Querschnittsuntersuchun- gen zu grundsätzlichen gesundheits- und sozialpolitischen Einstellungen in der Bevölkerung Deutschlands 2005.

Opladen: Barbara Budrich.

Nüchter, Oliver/Bieräugel, Roland/Schipperges, Florian/

Glatzer, Wolfgang/Schmid, Alfons (2008): Einstellungen zum Sozialstaat II: Akzeptanz der sozialen Sicherung und der Reform der Renten- und Pflegeversicherung 2006.

Opladen: Barbara Budrich.

Nüchter, Oliver/Bieräugel, Roland/Schipperges, Florian/

Glatzer, Wolfgang/Schmid, Alfons (2009): Einstellungen zum Sozialstaat III: Sechs Fragen zur Akzeptanz der sozialen Sicherung in der Bevölkerung. Opladen: Barbara Budrich.

Nüchter, Oliver/Bieräugel, Roland/Glatzer, Wolfgang/

Schmid, Alfons (2010): Der Sozialstaat im Urteil der Bevölkerung. Opladen: Barbara Budrich.

Schwan, Gesine (2017): Umkehren, Genossen! Online unter: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-02/

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Seeleib-Kaiser, Martin/Fleckenstein, Timo (2007): Dis- course, Learning and Welfare State Change: The Case of German Labour Market Reforms. In: Social Policy &

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Süddeutsche Zeitung (2019): Koalitionsbruch? Nahles wiegelt ab. Online unter: https://www.sueddeutsche.de/

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Taylor-Gooby, Peter/Leruth, Benjamin (Hrsg.) (2018):

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13 Young, Iris Marion (2000): Inclusion and Democracy.

Oxford: Oxford University Press.

Zimmermann, Katharina/Heuer, Jan-Ocko/Mau, Steffen (2018): Changing Preferences towards Redistribution: How Deliberation Shapes Welfare Attitudes. In: Social Policy &

Administration Jg. 52/5, S. 969-982.

ZU DEN HERAUSGEBER_INNEN

Dr. Jan-Ocko Heuer hat von 2015 bis 2018 als wissenschaftlicher Mitarbeiter (Postdoc) im internationalen Forschungsprojekt „Wel- fare State Futures: Our Children’s Europe“

(WelfSOC) an der Humboldt-Universität zu Berlin gearbeitet. Seit Herbst 2018 arbeitet er im Forschungs datenzentrum Qualiservice am SOCIUM Forschungs- zentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen. Er forscht zu Sozial- politik, sozialer Ungleichheit und Privat- verschuldung und lehrt u.a. zu Methoden der empirischen Sozial forschung.

Prof. Dr. Katharina Zimmermann ist Juniorprofessorin für Soziologie wirt- schaftlichen Handelns an der Universität Hamburg. Von 2015 bis 2019 arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt-Universität zu Berlin, unter anderem im internationalen For- schungsprojekt „Welfare State Futures:

Our Children’s Europe“ (WelfSOC). Sie forscht und lehrt in den Bereichen Arbeits- marktpolitik, vergleichende Wohlfahrts- staatsforschung, Europasoziologie und Wirtschaftssoziologie.

Jan-Ocko Heuer und Katharina Zimmer- mann haben von 2016 bis 2017 gemeinsam das diesem Buch zugrundeliegende zwei- semestrige Forschungsseminar „Innovative qualitative Methoden: Einstellungen zum

‚Fördern und Fordern‘ in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik“ geleitet und anschlie- ßend den Publikationsprozess begleitet.

Lisa Klein ist Co-Autorin, studiert aktuell an der Humboldt-Universität zu Berlin im Masterstudiengang Sozialwissenschaften.

Ihren B.A. in Sozialwissenschaften hat sie 2015 ebenfalls an der Humboldt-Univer- sität zu Berlin abgeschlossen. Ihre Studien- schwerpunkte sind soziale und politische Ungleichheiten.

Das Editorial wurde von Andreas Schulz lektoriert.

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Das Soziale im aktivie- renden Paradigma und Einstellungen der

Bevölkerung zu sozialer Hilfe

von Julia Greve

abstract

Der vorliegende Aufsatz überprüft anhand empirischer Daten eines delibe- rativen Forums, inwiefern das „aktivierende“ Paradigma der Sozialpolitik in den Deutungsmustern der Bevölkerung inkorporiert ist und inwiefern dabei von einer grundlegenden Transformation zentraler Wissensbestände gespro- chen werden könnte. Ausgangspunkt bildet die wissenssoziologische Pers- pektive Stephan Lessenichs, der den Paradigmenwechsel in der Sozialpolitik auf eine Umdeutung der sozialen Beziehung zwischen Leistungsempfänger_

innen und Gesellschaft zurückführt. Demnach treten in der neuen Deutung Schutzperspektiven in den Hintergrund, während das Individuum zu mehr Gemeinwohldienlichkeit angehalten wird. Als Ergebnis kann präsentiert werden, dass die Diskutant_innen zwar auf den Paradigmenwechsel reagiert zu haben scheinen, alarmistische Thesen einer Abkehr von einer das Indivi- duum schützenden Perspektive aber verfrüht sind. Neben eine Deutung, die eine grundsätzliche Rechtsperspektive, und eine Deutung, die einen neoli- beralen Ansatz vertritt, tritt eine Deutung, innerhalb derer das Soziale dem Individuum gegenüber auch Ansprüche formulieren darf; dies bleibt aber mit individuumszentrierten Erwägungen verknüpft.

Schlagwörter

Soziale Rechte; aktivierender Sozialstaat; Paradigmenwechsel; Einstellungen zu sozialer Hilfe; Dokumentarische Methode

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Einleitung

Die Gesellschaft konstituiert sich als Subjekt, das gemeinwohlkompatibles Handeln der Subjekte einklagt […].

Die Gesellschaft wird zum Bezugs- punkt des Sozialen und die Subjekte am Grad ihrer Gesellschaftlichkeit, an der

»individuellen Pflicht zum verantwort- lichen Umgang mit den gemeinsamen Ressourcen« (Schmidt-Semisch 2000:

171) gemessen. (Lessenich 2003a: 89) Der Soziologe Stephan Lessenich konsta- tiert mit dieser Bewertung der Anfang der 2000er Jahre im Kontext der Agenda 2010 in Kraft getretenen sogenannten „Hartz-Re- formen“ eine der weitrei chendsten Theo- rien eines Paradigmenwechsels innerhalb der Sozialpolitik: Es geht laut Lessenich um nicht weniger als eine Neudeutung des Werts des Sozialen, die den Hartz-Refor- men zugrunde liege. Während das Wohl des Individuums in den Hintergrund trete, wird das Gemeinwohl allbestimmender Zielpunkt, und sozialpolitische Hilfe dem- entsprechend umgedeutet. Nicht mehr der Schutz des Individuums, sondern dessen Gemeinwohldienlichkeit durch Arbeits- marktintegration sei der neue Angelpunkt staatlich vermittelter sozialer Hilfe.

Während sich die empirische Forschung zu sozialpolitischen Einstellungen in der Bevölkerung bisher meist auf deduktiv be- stimmte und relativ geschlossene Begriffe

und Variablen stützt und quantitative, ländervergleichende Studien dominieren, legt der konzeptionelle Rahmen Lessenichs als Vertreter eines wissenssoziologisch fundierten Ansatzes die qualitative Er- forschung der latenten Sinnstrukturen der Bevölkerung nahe: inwiefern ist dort das aktivierende Paradigma repräsentiert?

Kann von einer grundlegenden Transfor- mation zentraler Wissensbestände wie dem Konzept des Sozialen sowie dem daraus abgeleiteten Zielpunkt sozialstaatlicher Hilfe ausgegangen werden? Anknüpfend an diese Perspektive untersucht der vor- liegende Beitrag anhand von Gruppendis- kussionen im Rahmen eines deliberativen Forums die Einstellungen in der Bevölke- rung bezüglich sozialer Hilfe und die ihnen zugrundeliegenden Deutungsmuster.

Im Folgenden wird zunächst ein Über- blick über den theoretisch- konzeptionellen Rahmen gegeben. Relevant ist hier vor allem die theoretische Herleitung des „absichern- den“ und des „aktivierenden“ Paradigmas und die wissenssoziologische Perspektive Lessenichs. Es folgt der Methodenteil, in dem die zentralen Annahmen der Theo- rie für die empirische Analyse aufbereitet werden und die Methodik – Deutungs- musteranalyse und dokumentarische Methode – erläutert wird. Die empirische Analyse folgt dem Aufbau einer dokumen- tarischen Analyse; auf die Fallanalyse folgt die Erstellung von Typiken, die die Ergeb- nisse der Arbeit zusammenfassen.

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Das aktivierende Paradigma aus der wissenssoziologischen Perspektive

Die These eines sozialpolitischen Para- digmenwechsels postuliert, dass den Hartz-Reformen ein qualitativer Wechsel der Deutungsweise sozialer Hilfe zugrunde liegt: Während der vorherige absichernde Staat für das Ausgeben von passiven Leis- tungen auf der Basis standardisierter und universalisierter Rechtsansprüche steht (vgl. Dingeldey 2011: 129), werden Leis- tungen im aktivierenden Staat kontrak- tualisiert, also selektiv auf Basis individuell bestimmter Konditionen herausgegeben und stärker an das Ziel der Reintegration in den Arbeitsmarkt geknüpft.

Ein wissenssoziologischer Ansatz strebt in diesem Kontext an, über andere wohl- fahrtskulturelle Einstellungsforschung hinauszugehen und in seinen theoretischen und forschungspraktischen Prämissen dem Wandel der zentralen Wertideen, die sozial politischen Ordnungen zugrunde liegen, sowie daraus folgenden gesellschaft- lichen Implikationen nachzugehen. Mit Lessenich lassen sich die Hartz-Reformen

als Konsequenz einer Umdeutung des zen- tralen Deutungsmodus von sozialer Hilfe verstehen, genauer, einer veränderten Deu- tung des Beziehungsverhältnisses zwischen Individuum und Gesellschaft. Während das absichernde Paradigma seinen norma- tiven Ausgangs- sowie Zielpunkt in den Individuen und deren Wohl findet und sie damit als Zweck an sich konstituiert, der dem Individuum ein Recht auf Absiche- rung gegenüber dem Kollektiv zuspricht, folge das aktivierende Paradigma einer Deutung, die ihren impliziten normativen Ausgangs- und Zielpunkt für sozialpo- litische Maßnahmen vielmehr im Wohl der Gemeinschaft finde (vgl. Lessenich 2003a: 89). Kernbegriffe des Sozialstaats wie Solidarität und Sozialität sind aus dieser Deutung heraus dann nicht mehr etwas, das gesellschaftlich das Individuum schützen sollte, sondern etwas, das vom hilfsbedürftigen Individuum im Sinne der Gemeinwohldienlichkeit angemahnt wird, indem es moralisch zu Eigenverantwor- tung und einem gesellschaftlichen Beitrag angehalten wird (vgl. Lessenich 2003b).

Es ist diese neue Perspektive auf das Soziale, das die Reformen verständlich macht und

Die These eines sozialpolitischen Paradigmen- wechsels postuliert, dass den Hartz-Reformen

ein qualitativer Wechsel der Deutungsweise sozialer Hilfe zugrunde liegt.

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gleichzeitig in seiner Implikation als neues strukturierendes Prinzip weitläufige gesell- schaftliche Konsequenzen nach sich ziehen könnte. Denn, so postuliert Lessenich, es geht hier nicht allein um die Rücknahme von Hilfsversprechungen im Sinne einer residual-(neo)liberalen Sozialstaatsdeu- tung, die das Individuum an sich selbst verweist. Das aktivierende Paradigma geht hingegen einem, so Lessenichs Begriffs- findung, „neosozialen“ Deutungsmuster (Lessenich 2003a: 91) folgend darüber hinaus, indem es Eigenverantwortung aus sozialer Perspektive fordert. Wichtig ist dieser Unterschied, weil dies über eine liberale Deutung hinausgeht: Wo Eigenver- antwortung im liberalen Deutungs muster die Grenze sozialstaatlicher Eingriffe mar- kiert, begründet sie im neosozialen Deu- tungsmuster das Herzustellende, das der Gesellschaft gegenüber dem Individuum das Recht gibt, auf es einzuwirken (vgl.

Lessenich 2003a: 90).

In diesem Sinne werden Individualisierung und soziales Element eigensinnig zu einer

„individualisierenden Vergesellschaftung“

(Lessenich 2003b: 218) verknüpft und umgedeutet. Das Wohl des Einzelnen verliert seine Deutungsmacht und statt- dessen erhält das Kollektiv und dessen Wohl Priorität, indem normativ das Ideal einer Arbeitsgesellschaft und eine ent- sprechende moralische Arbeitspflicht des Einzelnen als Beitrag zum Gemeinsamen forciert wird. Soziale Hilfe wird so ihrer

ursprünglichen Funktion der Absicherung entledigt und stattdessen unter dem Norma- tiv der Gemeinwohldienlichkeit im Sinne sozialer Steuerung umgedeutet, indem die

„Recht-Pflicht-Beziehung“ beliebig und je nach (Gemeinwohl-)Bedarf verschoben werden könne (Lessenich 2003b: 217).

Folgt man der Annahme Lessenichs, bleibt jedoch weiterhin fraglich, inwiefern die Bevölkerung auf veränderte integrierte Ordnungsmuster auf institutioneller Ebene und entsprechende Diskurse reagiert. Es ist offen, ob sozialpolitische Einstellungen ebenfalls auf einen grundlegenden Wandel der zugrundeliegenden Wissensbestände weisen oder an alte Deutungen gebunden bleiben. Ausgangspunkt der in diesem Artikel präsentierten Forschung ist des- halb die Frage, ob sich die Einstellungen von Bürger_innen auf Lessenichs „ neues“

Verständnis des Sozialen rückbinden las- sen. In einem nächsten Schritt werden nun Untersuchungsdesign und Methoden erläutert.

Methoden und Design der Untersuchung

Um dem empirischen Vorhaben aus ei- ner wissenssoziologischen Perspektive heraus gerecht zu werden, wurde ein methodischer Ansatz gewählt, der über oberflächliche Einstellungen hinaus tiefer liegende Strukturen der Deutungen

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19 sozialer Wirklichkeit rekonstruieren kann.

Der Soziologe Matthias Müller hat hierfür in einer ebenfalls auf Lessenichs Theorie beruhenden Analyse der Idee des Grund- einkommens die Deutungsmusteranalyse von Oevermann sowie als Auswertungs- verfahren Bohnsacks dokumentarische Methode vorgeschlagen und beispielhaft angewandt (vgl. Müller 2011).

Eine Deutungsmusteranalyse bietet sich an, da ihr Anspruch ist, tieferliegende latente Sinnstrukturen von Menschen zugänglich zu machen. Sie erfasst eine Realitätsebene, die unter den beobachtbaren Phänomenen, wie Handlungen, Überzeugungen und Argumentationen liegt – den Deutungs- mustern. Diese strukturieren Wahrneh- mungen und Deutungen von Menschen grundsätzlich, sodass ihre Rekonstruktion die daraus resultierenden Handlungen und Argumentationen beziehungsweise Einstellungen verständlich machen kann (vgl. Lüders/Meuser 2013: 60). Deutungs- muster sind laut Oevermann außerdem als kollektive Muster zu verstehen, die Diskurse systematisch strukturieren kön- nen und weitreichende Implikationen mit sich tragen (vgl. Müller 2013: 298). Der Annahme der Arbeit folgend kann so auch mit Oevermann davon ausgegangen werden, dass institutionelle, politische und wissenschaftliche Diskurswechsel die Deutungsmuster der Bevölkerung beein- flussen können.

Grundlage für die Analyse war ein im Rahmen eines studentischen Forschungs- seminars durchgeführtes deliberatives Forum in Berlin, in dem die Teilnehmer_

innen relativ frei über vorgegebene the- matische Schwerpunkte sozialpolitisch relevanter Fragestellungen im Zuge der Hartz-IV-Reformen diskutieren konnten.

Die Analyse in der vorliegenden Arbeit beruht auf den Diskussionen zu zwei the- matischen Stimuli, die die Vorstellungen eines idealen Sozialstaats betrafen (siehe Online-Appendix 4.). Die Auswertung der qualitativ gewonnenen Daten bezüglich zugrundeliegender Deutungsmuster der Teilnehmer_innen erfolgte dann mittels mehrerer Schritte. Zunächst wurde eine deduktiv und induktiv geleitete inhaltlich strukturierende Inhaltsanalyse durchge- führt, die zur ersten Ordnung und Er- schließung des Materials diente. Einerseits wurde geprüft, ob die Kategorisierung der Teilnehmer_innen über die von ihnen geforderte Positionierung bezüglich der Konditionalisierung von Rechten (siehe Online-Appendix 2.) als Strukturierung der Deutungsmusteranalyse plausibel war. Andererseits diente sie der ersten Kennzeichnung relevanter Textstellen für die aus Lessenichs Theorie abgeleiteten Annahmen.

Zur genaueren rekonstruktiven Interpre- tation orientiert sich die Analyse an der dokumentarischen Methode Bohnsacks.

Bohnsack rekonstruiert Sinnstrukturen

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dabei in vier Schritten: formulierende In- terpretation, reflektierende Interpretation, Fall- beziehungsweise Diskursbeschrei- bung und schließlich der Ausblick auf eine (hier: sinngenetische) Typenbildung (vgl. Bohnsack 2010: 105-150). Für die vorliegende Arbeit wurden jedoch ent- scheidende Anpassungen vorgenommen.

Erstens wurde sich gegen Bohnsacks An- nahme entschieden, dass Deutungsmuster als kollektives Produkt von homogenen Gruppen generiert werden und somit der Gruppendiskurs zum zu analysierenden Fall wird, denn für keine der drei Diskurs- gruppen des Forums hat sich eine wirklich homogene Gruppenmeinung bezüglich zugrundeliegender Deutungsmuster er- geben. Zweitens ist die Stoßrichtung der Arbeit darauf gerichtet, die Kollektivität von Deutungsmustern auf individueller Ebene zu betrachten und zu überprüfen, wie individuell mit dem bei Lessenich beschriebenen aktivierenden Deutungs- muster umgegangen wird. Demnach ist das Zentrum der Analyse der kontrastierende Vergleich der zu Kategorien gefassten indi- viduellen Einstellungen mit den deduktiv gewonnenen Theorieelementen Lessenichs.

Um diese Kategorien zu bilden, wurden die Teilnehmer_innen zu Beginn der Diskussi- on aufgefordert, sich auf einer Vier- Felder- Tafel, die die Einstellung zur Bindung von Rechten an Pflichten und deren Sanktio- nierung abfragte, einzuordnen (siehe On- line-Appendix 4). Die so gebildeten drei

Kategorien wurden dann als Ausgangs- punkt für die Deutungsmusteranalyse ge- nutzt, indem zunächst kategorieintern die jeweils gewählten thematischen Deutungs- horizonte herausgestellt wurden und ein erster allgemeiner Überblick über Themen der Argumentationen und relevanter Äu- ßerungen bezüglich absicherndem und aktivierendem Paradigma sowie möglichen zugrundeliegenden Deutungen erarbeitet wurde, der kategorieübergreifende Verglei- che und Interpretationen möglich machte.

Darauf aufbauend wurde eine deduktive Überprüfung bezüglich der von Lessenich vermuteten latenten Sinnbezüge eines

„neosozialen“ (beziehungsweise aktivie- renden) Deutungsmusters vorgenommen.

Wie oben herausgestellt, ist Kernpunkt des latenten Sinnbezugs, wie Lessenich ihn postuliert, dabei die Umdeutung des Beziehungsverhältnisses Gesellschaft/

Individuum. In seiner Logik folgt das Deutungssystem dabei einer zweigliedrigen Umdeutung gegenüber dem absichernden Deutungssystem, die sich auf den Aus- gangs- und Zielpunkt von sozialer Hilfe bezieht: inhaltlich wird der Zielpunkt von sozialpolitischer Hilfe das Gemeinwohl, strukturell wird dabei aber am Individuum und dessen „Aktivierung“ angesetzt (vgl.

Müller 2011: 47), sodass die Zielfunktion von sozialer Hilfe die Regulierung der Indi- viduen zu gesellschaftlicher „Nützlichkeit“

wird. Um der These einer grundlegen- den Transformation der Orientierungen

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21 nachzugehen, wurden im Rahmen der

Analyse beide Glieder für die Auswertung des angestellten Vorhabens weitläufig ge- deutet. Bei der Zuordnung von Beiträgen der Teilnehmer_innen wurde vor allem ein Verständnis von Vergesellschaftung – beziehungsweise einer Transformation der Deutung des Sozialen – angelegt, das über die Reziprozitätsnorm hinausgehen sollte.

Die Vorstellung, dass zwischen Gesellschaft und Individuum eine gleichteilige Verant- wortlichkeit des Gebens und Nehmens zumindest normativ angestrebt werden sollte, ist traditioneller Bestandteil des deutschen Sozialstaatsprinzips, und ihre Befürwortung würde allein keine neue Per- spektive auf das Soziale bedeuten. Ebenso muss das neosoziale Konzept gegenüber liberalen beziehungsweise neoliberalen Konzepten des Kollektiven und sozialer Hilfe abgegrenzt werden können. Unter- scheidungsmerkmal ist hier vor allem der Bezug zu einem sozialen Konzept (siehe Online-Appendix 3).

Darüber hinaus wurde im Rahmen der Interpretation schließlich geprüft, inwie- fern sich aus einer möglichen, veränder- ten Perspektive auf das Soziale auch die Implikationen, die Lessenich daraus fol- gert, bestätigten: Über die Umdeutung des Sozialen kommt laut Lessenich sozialer Hilfe eine neue Funktion zu, indem es nicht mehr um qua Recht zugesprochene kollektive Absicherung des Individuums gegen strukturelle Notlagen, sondern um

die Forcierung des erwünschten Verhaltens der individuellen Eigenverantwortung im Sinne des Gemeinwohls geht. Funktion sozialer Hilfe ist also nicht mehr die durch Kollektivierung gestützte Inanspruch- nahme von Rechten, sondern die Steue- rung des Individuums hin zu erwünschtem Verhalten im Sinne des am Arbeitsmarkt produzierten Gemeinwohls.

Im vorliegenden Artikel können nun nur die Ergebnisse dieser Analyse, nicht die Analyse selbst präsentiert werden. Es sei dabei darauf hingewiesen, dass das Haupt- ziel der Arbeit war, mithilfe Lessenichs Theorie erste, stark verallgemeinerte Ty- piken der möglichen Deutungen sozialer Hilfe zu erstellen, sodass sich die präsen- tierten Ergebnisse eher als die Analyse einzelner empirischer Fundstücke lesen lassen, an deren Beispielen die Typiken erstellt worden sind. Problematischer wäre hingegen, die hier präsentierte Analyse als eine empirische Bestandsaufnahme der individuellen Einstellungen der ein- zelnen Teilnehmer_innen zu lesen. Alle Zählungen innerhalb der Analyse sowie Generalisierungen sind bezüglich ihrer Aussagekraft für die einzelnen Teilnehmer_

innen demnach nur unter diesem Vorbe- halt zu bewerten.

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22

Empirische Analyseergebnisse Wie bereits erwähnt, ordneten sich die Teil- nehmenden zu Beginn der Diskussion auf einer Vier-Felder-Tafel ein, die die Einstel- lung zur Bindung von Rechten an Pflichten und deren Sanktionierung abfragte.

Diese Selbsteinordnung ergab ein ge- mischtes Bild (vgl. Tabelle 2): Von 24 Teilnehmer_ innen sprachen sich sieben für ein bedingungsloses Recht auf finanzielle

Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (Kate- gorie 1), zwölf für ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Rechten und daran geknüpfte Pflichten (Kategorie 2) und fünf für die Voraussetzung von Pflichten als Bedingung für die Inanspruchnahme von Rechten (Kategorie 3) aus. In die vierte Kategorie, die einem neoliberalen Konzept nahekommend jegliche staatliche Verant- wortung ablehnte und private Vorsorge gegen Lohnausfall vorschlug, ordnete sich niemand von den Teilnehmer_innen ein.

Keine staatliche Verantwortung Es sollte sich jeder selbst gegen Lohnausfall

bei Arbeitslosigkeit versichern.

Es ist nicht die Verantwortung des Staates und der Gesellschaft, Arbeits losen zu helfen.

Anspruch ohne Pflichten Menschen haben einen Anspruch darauf, dass ihnen eine finanzielle Hilfe gegeben wird, wenn sie arbeitslos werden. Dieses Geld sollte ihnen unabhängig von Pflichten gegeben werden.

Anspruch und Pflichten zu gleichen Teilen Arbeitslose haben einen Anspruch darauf, dass ihnen eine finanzielle Hilfe gegeben wird, aber dann sollten sie auch etwas dafür tun müssen.

Kürzungen bei Verstoß sind schon richtig, aber man sollte immer noch davon leben können.

Pflichten als klare Voraussetzungen für Hilfe Arbeitslose sollten finanziell unterstützt wer- den, aber solche Leistungen sollten ganz klar an Pflichten geknüpft werden. Wer sich nicht an seine Pflichten hält, dem sollten dann auch alle Leistungen wieder gestrichen werden.

Quelle: Eigene Darstellung

Tabelle 1: Diskussionsstimulus „Vier-Felder-Tafel zu Rechten und Pflichten im Sozialstaat“

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23 Bedingungsloses Recht

(Kategorie 1)

Konditionales Recht, An- spruch und Pflichten zu

gleichen Teilen (Kategorie 2)

Konditionales Recht, Pflichten als klare Voraus-

setzung (Kategorie 3)

N = 7 N = 12 N = 5

Gruppe erwerbstätig Lore

(Hakan, Selbsteinordnung laut Teilnehmer „mit Stern- chen“)

Gruppe erwerbslos Lena

Heiko Daniele Günther

Gruppe gemischt Runa

Sabine

Gruppe erwerbstätig (Harald, Selbsteinordnung laut Teilnehmer „mit Stern- chen“)

Rüdiger Barbara John Manuela

(Hakan, Einordnung durch Autorin nach Analyse der Diskussion)

Gruppe erwerbslos Ruth

Thomas Jakob Theodor

Gruppe gemischt Doris

Anna Holger

Gruppe erwerbstätig Lars

Michael

(Harald, Einordnung durch Autorin nach Analyse der Diskussion)

Gruppe erwerbslos

Gruppe gemischt Cem

Viola Tabelle 2: Selbsteinordnung der Teilnehmer_innen

Quelle: Eigene Darstellung

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24

Kategorie 2 und 3 beziehungsweise die generelle Zustimmung zu Pflichten und Sanktionen wurden als Ausdruck eines

„aktivierenden Deutungsmusters“ gewertet (dies wurde auch durch die Inhaltsanalyse überprüft), während die Zustimmung zu einem bedingungslosen Recht auf finan- zielle Unterstützung als „absicherndes Deutungsmuster“ gewertet wird. Die Ergebnisse der Deutungsmusteranalyse werden nun für beide Aspekte schrittweise diskutiert.

Das absichernde Deutungsschema Die Teilnehmer_innen, die sich der ersten Kategorie – dem bedingungslosen Recht auf finanzielle Unterstützung – zuordneten, rekurrierten auf den thematischen Deu- tungshorizont eines Rechtstopos. Für sie steht die Frage nach dem guten Leben ( Heiko, EL2: 29), dem Recht des Indivi- duums auf „Selbstverwirklichung“ (Lena, EL2: 59) und Freiheit sowie absoluter Nor- mative wie dem „Existenzrecht“ (Heiko, EL2: 27) des Einzelnen im Zentrum. Ar- beitslosigkeit wird aus einer strukturellen Problemanalyse gedeutet und auf die Frage von Machtungleichgewichten zwischen Individuen und Marktmächten bezogen, gegen die das Individuum kollektiv abge- sichert werden müsse, sodass Sanktionen und Pflichten als ungerecht und unsozial abgelehnt werden (Günther, EL2: 21).

In dieser grundlegend vom Individuum

ausgehenden Perspektive der Teilnehmer_

innen steht der Wert des Menschen als gegeben da und bildet den zugrundeliegen- den Ausgangspunkt der Deutung sozialer Hilfe (Lena, EL2: 59). Insofern bestätigen diese Äußerungen die Erwartung für das absichernde Deutungsmuster.

Interessant ist, dass das Spannungsver- hältnis zwischen Wohl des Individuums und Wohl der Gemeinschaft, aus dem sich Lessenichs Umdeutung des Sozialen letztlich ergibt, dabei nicht unreflektiert blieb. So ist auffällig, dass die Teilnehmer_

innen teilweise lange Rechtfertigungen für ihren Standpunkt geben. Diese Recht- fertigungen lassen sich als Abgrenzung gegenüber einer Perspektive lesen, die das Konfliktverhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft auflösen will, indem dem Individuum mit Pflichten oder Sank- tionen begegnet wird. Bemerkenswert ist zudem, dass diese Rechtfertigungen nicht unbedingt durch den Gesprächsverlauf gefordert sein müssen und sich teilweise nicht auf konkrete Äußerungen aus der Gruppe bezogen wird, sondern schein- bar auf imaginierte Gegenvorstellungen.

Offensichtlich werden hier vermeintlich kollektive Orientierungen zu sozialer Hilfe selbst mitgedacht, die den eigenen Stand- punkt unter einen Rechtfertigungszwang bringen. So wird sich beispielsweise ne- gativ von dem Menschenbild fauler und unsozialer Arbeitsloser abgegrenzt, das Hartz-IV zugrunde liege (MIX2: Sabine,

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25 121), oder die Deutung einer ökono-

mischen Knappheit, die als für andere Einstellungen und Deutungen relevantes Strukturmerkmal vermutet wird, dezidiert abgelehnt, sodass das Konfliktverhältnis schlicht nicht vorhanden sei, weil für alle genug da sei (Lore, ET 2: 228-235). Dass diese imaginierten Gegenorientierungen dabei nicht explizit geäußert werden müs- sen, um trotzdem präsent zu sein und den Diskurs mit zu strukturieren, legt nahe, dass sie ihre empfundene scheinbare He- gemonie ohne wirkliche Vertreter_innen beanspruchen können.

Obwohl sich also die Teilnehmer_innen für die Individualperspektive entscheiden, werden eine Gemeinschaftsperspektive und deren mögliche Ansprüche latent mit- gedacht. So ist auffällig, dass der Bezug auf eine kollektive Perspektive dabei in den Ar- gumentationen der sich in diese Kategorie einordnenden Teilnehmer_innen eher eine Rolle innerhalb anderer Deutungskontexte spielt beziehungsweise in der Bezugnahme auf die oben erwähnte Abgrenzung von imaginierten Gegenorientierungen, die als „unsozial“ empfunden werden.

Auch explizite Bezüge auf eine Gemein- schaftsperspektive bleiben nicht ausge- spart. So äußert beispielsweise eine Teil- nehmerin,

dass jeder Mensch eigentlich das Recht haben sollte, sich selbst zu verwirklichen

in welcher Form auch immer und sich dann halt vielleicht Gedanken machen könnte: Wie kann ich hier mit meinen Werten, die jeder Mensch so hat, und wie lebe ich die denn dann, die Grund- bedürfnisse anderer befriedigen. Und dass dann, wenn man als Wert das Soziale hat, und dann halt eben darauf angeschlossen die ehrenamtliche Arbeit, dass ich denke, es wäre einfach gut und nützlich, dass die ehrenamtliche Arbeit, die viele, die geleistet wird auf unter- schiedlichste Art und Weise, irgendwie entlohnt werden könnte, sollte, dürfte, müsste. (Lena, EL2: 59)

Obwohl die Teilnehmerin sich zunächst also für die Grundlage sozialer Hilfe in einem individualistischen Selbstverwirk- lichungsrecht ausspricht, wird in der dar- auffolgenden Sequenz ein radikaler Indivi- dualismus (vgl. hierfür auch Müller 2011:

164) wieder verworfen und im Sinne des von Lessenich angesprochenen Normativs argumentiert, das vom Individuum for- dert, seine Handlungen an einer über- individuellen Ebene zu orientieren. Diese überindividuelle Bezugnahme konstruiert die Teilnehmerin dabei nicht gegen eine zuvor geschehene Äußerung ihrer Mit- diskutant_innen, sondern sie eröffnet das Thema des „Sozialen“ vielmehr selbst, scheint sich also untergründig an einer als Norm empfundenen Vorstellung zu orientieren. Die Bezugnahme auf eine Gemeinwohlorientierung wird jedoch

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26

ausschließlich als nachfolgende Ergän- zung („sich dann“) der individualistischen Rechtsperspektive in Erwägung gezogen und auch insgesamt wird der anvisierte Gemeinschaftsbeitrag weiterhin vom In- dividuum und dessen spezifischen eigenen

„Werten“ aus gedeutet, die sich nicht erst vor Nützlichkeitskriterien einer Gemein- schaftsperspektive bewähren müssen. Es geht also darum, den „Wert des Sozialen“, beziehungsweise die gemeinschaftliche Anerkennung von Nutzen und Beitrag, für die als vorhanden vorausgesetzten Beiträge der Individuen fern von der Nütz- lichkeitserwägung einer vereinnahmenden Gemeinschaftsperspektive zu öffnen. Das Problem, wie dann die Ressourcen des Gemeinwohls gegen mögliche „Trittbrett- fahrer_innen“ geschützt werden können, wird hingegen negiert, da von intrinsischer Arbeitsmotivation und dem natürlichen Wunsch des Individuums, einen eigenen Teil zur Gesellschaft beizutragen, ausge- gangen wird (Sabine, MIX2: 68).

Zusammenfassend kann festgehalten wer- den, dass in der ersten Kategorie zwar Gemeinschaftsperspektiven relevant sind und hier durchaus davon gesprochen wer- den könnte, dass das „neue“ Normativ des aktivierenden Paradigmas im Sinne Lessenichs eine strukturierende Macht auf die Deutungsmuster innehat, da sich darauf bezogen werden muss, um die dann gewählte Abweichung zu legitimieren.

Abweichung wird aber möglich gemacht,

indem der Konflikt zwischen dem Wohl der Gemeinschaft und dem Wohl des Indivi- duums als nicht vorhanden gedeutet wird und dem Individuum ein ursprünglicher Beitrag und Wille attestiert wird. So wird versucht, die Gemeinwohlperspektive mit einer individuumszentrierten Perspektive auszusöhnen und beide zu verknüpfen (vgl. auch Müller 2011: 164).

Das aktivierende Deutungsschema Es folgen nun die Ergebnisse der Kategorie 2 (ausgeglichenes Verhältnis zwischen Rechten und daran geknüpfte Pflichten) und 3 (Voraussetzung von Pflichten als Bedingung für die Inanspruchnahme von Rechten), in die sich insgesamt 17 der 27 Teilnehmer_innen einordneten. Die hohe Zahl der Selbstzuordnungen deutet darauf hin, dass die Verknüpfung von Rechten und Pflichten als institutioneller Kern des aktivierenden Paradigmas auf große Zustimmung stößt.

Die Verknüpfung von Rechten und Pflichten als institutioneller Kern

des aktivierenden Paradigmas [stößt] auf große Zustimmung.

"

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27 Auf der Ebene der Abbildung relevanter

thematischer Deutungshorizonte und erster inhaltlicher Deutungselemente kann konstatiert werden, dass für die Teilnehmer_ innen, die sich der zweiten Kategorie (Rechte/Pflichten zu gleichen Teilen) zuordneten, ein Reziprozitäts- normativ den dominanten Deutungshori- zont bildete. Inhaltlich wird hier sowohl auf die Bringschuld des Individuums als auch des Staates rekurriert, gelegentlich gemein- sam, gelegentlich indem – ausgehend von einer zunächst als einseitig empfundenen Beziehung – die Gegenleistung von der jeweils anderen Seite eingefordert wird (Ruth, EL2: 15; Doris, MIX2: 72; Holger, MIX2: 97). Diskutiert wird soziale Hilfe außerdem im Licht der Frage, welche Rolle der Staat dabei einnehmen sollte (Doris, MIX2: 101, 103; Holger, MIX2: 97). Es wird darauf rekurriert, wie der Staat die Individuen in der Arbeitsmarktintegration spezifisch unterstützen könne, und Ar- beitsmarktintegration wird von fast allen Teilnehmer_innen als wichtiger Zielpunkt sozialer Hilfe etabliert (Theodor, EL2:

31). Auffällig ist, dass im Vergleich zu den Teilnehmer_innen, die sich der ers- ten Kategorie (bedingungsloses Recht) zuordneten, nicht unter einem Rechts- dispositiv argumentiert wird, sondern fern von einer solchen Perspektive nach der Rolle des Staates gefragt wird. Andererseits wird auch von einigen Teilnehmer_innen auf Veränderungen der Arbeitswelt und die Verantwortung des Arbeitsmarktes

beziehungsweise der Arbeitgeber_innen für die Entstehung von Erwerbslosigkeit rekurriert und insofern zumindest von einigen Teilnehmer_innen die strukturelle Problemanalyse der Teilnehmer_innen der ersten Kategorie geteilt (Holger, MIX2: 97).

Unter diesem Deutungshorizont werden dann ebenfalls Faktoren genannt, denen das Individuum ausgeliefert ist, sodass dessen Unterstützung und Absicherung gegen diese Faktoren erforderlich sei.

Eine deutliche Unterscheidung zu den Teil- nehmer_innen in der ersten Kategorie (be- dingungsloses Recht) lässt sich bezüglich der Frage nach der Arbeitsmotivation von Menschen ausmachen. Auch für die Teil- nehmer_innen der zweiten Kategorie ist dies ein relevanter Deutungshorizont, der für die Frage von Sanktionen genutzt wird.

Schienen sich die Teilnehmer_innen der ersten Kategorie gegenüber imaginierten Vorwürfen der Faulheit und Unsozialität von Erwerbslosen abzugrenzen, bestätigen die Teilnehmer_innen der zweiten Kate- gorie diese imaginierten Vorstellungen teilweise. Inhaltlich wird zwar intrinsi- sche Arbeitsmotivation nicht prinzipiell ausgeschlossen, aber beispielsweise über die Konstruktion eines Generalisierungs- arguments, nach dem sie manchen Leu- ten eben doch fehle, teilweise explizit die Schlussfolgerung gezogen, dass Sanktionen schlicht notwendig seien, um vermeintlich Unwillige zum gewünschten Verhalten zu bringen (Holger, MIX2: 244).

Abbildung

Tabelle 1: Übersicht über herausgearbeitete Begründungsmuster
Abbildung 1: Wahrnehmung zur Un-/Gerechtigkeit von Hartz IV nach Gruppen
Abbildung 1: Deservingness-Kriterien, Arbeitsmoral und Bedingungslosigkeit –  Ergebnisse des qualitativen Codierens (Anzahl der Äußerungen pro Kategorie)
Abbildung 2: Deservingness-Kriterien, Bedingungslosigkeit, Präferenzen und  Einstellungen der Teilnehmenden
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