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Archiv "Dr. Ulrich Oesingmann: Der einseitigen Politik des Kaputtsparens kündigen wir die Gefolgschaft" (09.05.1991)

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Das Referat des Ersten Vorsitzenden der KBV Dr. Ulrich Oesingmann:

Der einseitigen Politik

des Kaputtsparens kündigen wir die Gefolgschaft

Wir freuen uns, daß Frau Mini- sterin Hasselfeldt heute hier in Ham- burg unser Gast sein wird und gleich zu Beginn ihrer Amtszeit den offe- nen Dialog mit den Kassenärzten führen will.

Wir werten dies als Zeichen der grundsätzlichen Bereitschaft, mit uns gemeinsam Wege zur Bewälti gung der großen gesundheitspoliti- schen Aufgaben zu beschreiten. Ich darf ihr versichern, daß auch wir ein starkes Interesse am Dialog mit ihr haben, auch wenn wir in einigen Fra- gen abweichende Auffassungen ver- treten. In diesem Sinne kommt den Beratungen unserer heutigen Ver- treterversammlung eine zukunfts- weisende Bedeutung zu.

Daß sich eine Ministerin in die Koalitionsdisziplin und damit auch den durch die Koalitionsvereinba- rung vorgegebenen Kurs eingebun- den fühlt, können wir verstehen.

Daß sie deswegen insbesondere auch das Gesundheits-Reformgesetz grundsätzlich nicht in Frage stellen kann, müssen wir so zur Kenntnis nehmen. Begeisterung löst dies nicht aus.

Um so wichtiger erscheint es mir aber, die Position der Kassenärzte zu diesem Gesetz und zu weiteren Ge- setzgebungsvorhaben klar darzule- gen, um schon zu Beginn der Legisla- turperiode unsere teilweise grundle- gend abweichende Auffassung in die politische Diskussion einzubringen und insbesondere Verständnis für unsere Position zu wecken.

Zunächst aber freue ich mich, aufgrund ihrer bisherigen Äußerun- gen in der Öffentlichkeit feststellen

Seine Rede fand große Resonanz: Dr. Ul- rich Oesingmann markierte die elemen- taren Positionen der Kassenärzteschaft im Verhältnis zur Politik und zu den Kran- kenkassen. Das Referat ist hier wieder- gegeben

zu dürfen, daß es offensichtlich eine Reihe von Übereinstimmungen in ihren und unseren Vorstellungen gibt.

• So sind wir mit der Ministerin einer Meinung, daß die Aufbauar- beiten und die Aufrechterhaltung und Verbesserung der medizinischen Versorgung der Bevölkerung in den neuen Bundesländern zur Zeit na- türlich Vorrang haben.

• Wir teilen mit ihr auch die Schlußfolgerungen aus der vom Sachverständigenrat für die Konzer-

tierte Aktion im Gesundheitswesen durchgeführten sorgfältigen Mängel- analyse des sozialistischen Gesund- heitssystems in der ehemaligen DDR sowie die daraus abgeleiteten Vor- schläge für eine Angleichung der Versorgungssysteme nach westdeut- schem Vorbild.

• Wir Kassenärzte erteilen al- len Versuchen, nicht nur vorüberge- hend zur Sicherstellung der ambu- lanten Versorgung, sondern auf Dauer an dem bisherigen Poliklinik- system festzuhalten, eine eindeutige Absage. Eins haben alle diese Versu- che gemeinsam: Hinter dem Vor- wand, sie seien für die ärztliche Ver- sorgung der Bevölkerung unentbehr- lich, verbirgt sich die Absicht, die Niederlassung freiberuflich tätiger Kassenärzte zu behindern und das System einer institutionalisierten ambulanten Versorgung mit ange- stellten Ärzten unter neuem Namen zu zementieren. Das, meine Damen und Herren, nicht mit uns!

• Wir stimmen deswegen mit der Ministerin darin überein, daß so- wohl die Individualität der Patient- Arzt-Beziehung als auch die Qualität und Wirtschaftlichkeit der ambulan- ten Versorgung in freiberuflichen Organisationsstrukturen besser ge- währleistet sind als in anonymen po- liklinischen Einrichtungen, zumal das interdisziplinäre Leistungsange- bot poliklinischer Einrichtungen durch Umwandlung in Praxisgemein- schaften und Gemeinschaftspraxen mit flankierenden Dienstleistungen wie zum Beispiel Physiotherapie und häuslicher Pflege für die zukünftige ambulante Versorgung durchaus nutzbar gemacht werden kann. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hat dazu ein Umstrukturierungsmo- dell für Polikliniken als Hilfestellung Dt. Ärztebl. 88, Heft 19, 9. Mai 1991 (23) A-1651

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entwickelt und dem „Brandenburg- Modell" zur Errichtung von Gesund- heitszentren entgegengestellt.

• Wir teilen schließlich auch die Einschätzung des Finanzierungs- bedarfs für die Aufrechterhaltung und Verbesserung der medizinischen Versorgung in den neuen Bundes- ländern. Die Deckung dieses Be- darfs wirft ohne Frage erhebliche Probleme auf, zumal die Leistungs- ausgaben der Krankenkassen-Ost auf deren Beitragseinnahmen be- schränkt sind. Wir müssen also Auf- bauhilfen geben und tun das auch.

Wir mißbilligen aber aufs schärfste, wenn bei der Verteilung dieser Mit- tel bestimmte Formen der Leistungs- erbringung zu Lasten anderer begün- stigt werden. Oder sagen wir es auf gut Deutsch: wenn diese Aufbauhil- fen von Regierungs- und Verwal- tungsstellen nur poliklinischen Ein- richtungen zugeleitet werden. Wenn zum Beispiel das Land Brandenburg Polikliniken als Gesundheitszentren an den Tropf hängt und ihnen Mil- lionenbeträge infundiert, dann ver- stößt das ganz klar gegen Wortlaut und Absicht des Einigungsvertrages und benachteiligt den notwendigen Strukturwandel in freiberufliche Or- ganisationsformen. Wie negativ sich eine verfehlte Subventionspolitik auswirken kann, zeigt beispielsweise die jahrelange, erfolglos gebliebene finanzielle Unterstützung der Dia- gnoseklinik in Wiesbaden und der poliklinischen Eigeneinrichtung der AOK Berlin (West). Die Aussage, daß Ideologie keine Kostenüberle- gungen kennt, sollte nicht erneut Schule machen.

Erlauben Sie mir an dieser Stelle einen kurzen Situationsbericht über den Stand der Dinge in den neuen Bundesländern. Der angestrebte Umstrukturierungsprozeß dort ist er- freulich rasch in Gang gekommen Wir haben inzwischen erste gesicher- te Zahlen. Als berufstätig gemeldet sind rund 42 500 Ärztinnen und Ärz- te. Rund 19 000 von ihnen waren zum 31. Oktober letzten Jahres am- bulant tätig. Mitte April dieses Jah- res waren bereits exakt 9753 Ärzte niedergelassen, gut 2500 mehr als im Vormonat.

Angesichts dieser Entwicklung möchte ich unseren Kolleginnen und

Kollegen in den neuen Bundeslän- dern an dieser Stelle ausdrücklich unseren Dank und unsere große An- erkennung aussprechen. Was sie in- nerhalb so kurzer Zeit bei derart un- gleicher Ausgangslage gegenüber den bestehenden staatlichen oder betrieblichen Einrichtungen des ehe- maligen DDR-Gesundheitwesens und unter den erschwerten Bedin- gungen der derzeit angespannten wirtschaftlichen Situation in den neuen Bundesländern leisten, ver- dient unsere ganze Hochachtung und Anerkennung.

„Aufschwung Ost" auch für freie Praxen

1111111M111111MMIIMIIIIMII Daß schon nahezu 10 000 Ärzte sich für die freiberufliche Tätigkeit in eigener Praxis entschieden haben und immer mehr diesen Weg wäh- len, ist eine klare Bestätigung dafür, daß die im Einigungsvertrag veran- kerte Entscheidung für eine ambu- lante Versorgung durch niedergelas- sene freiberufliche Ärzte richtig war.

Um so mehr müssen wir jetzt dafür sorgen, daß die politisch-ökonomi- schen Vorgaben des Einigungsver- trages den zügigen weiteren Aufbau einer freiberuflichen ärztlichen Ver- sorgung nicht hemmen Es gibt hier nur eine Lösung:

Die Vergütung für Leistungen der ambulanten Versorgung muß un- bedingt verbessert werden!

Der Vorstand der Kassenärztli- chen Bundesvereinigung hat bereits Verhandlungen mit den Kranken- kassen aufgenommen mit dem Ziel, eine Erhöhung der Vergütung zu vereinbaren, die der raschen Kosten- entwicklung Rechnung trägt. Die- se Erhöhung beziehungsweise Redu- zierung des Einigungsvertrazsab- schlages sollte nach unserer Uber- zeugung rückwirkend zum 1. April erfolgen.

Dabei gehen wir davon aus, daß aufgrund der Entwicklung der Brut- tolöhne und -gehälter in den neuen Bundesländern selbst bei weiterem deutlichen Anstieg der Arbeitslosig- keit das Beitragsaufkommen eine nennenswerte Erhöhung der Vergü-

tungen erlaubt. Die gerade veröf- fentlichten Daten über die wirt- schaftliche Entwicklung in den neu- en Bundesländern und die in der er- sten Hälfte dieses Jahres vereinbar- ten Tarifabschlüsse bestätigen un- sere Auffassung nachhaltig. Außer- dem verzeichnen die westdeutschen Krankenkassen durch eine hohe Zahl hauptsächlich jüngerer Berufs- pendler aus den neuen Bundeslän- dern nicht unbeträchtliche Mehrein- nahmen, die prinzipiell in die neuen Bundesländer zurückfließen müß- ten. Das muß in den Verhandlungen mit den Spitzenverbänden seinen Niederschlag finden. Wir sind der Auffassung, daß die Grundidee des staatlichen Programms „Aufschwung Ost" auch für die ambulante kassen- ärztliche Versorgung in den neuen Bundesländern gelten muß. Gerade die ambulante Gesundheitsversor- gung, die durch die Kassenärzte als Freiberufler und als mittelständische Unternehmer sichergestellt wird, ist von elementarer Bedeutung. Sie darf nicht durch eine mangelhafte Fi- nanzausstattung gefährdet werden.

Die Lösung der Finanzierungs- probleme beim Aufbau von Kassen- arztpraxen in den neuen Bundeslän- dern setzt aber voraus, daß der im Einigungsvertrag vorgesehene Ab- schlag schnell und spürbar abgebaut wird. Warten wir damit bis zum Jah- resende, könnte der erfreulich schnell in Gang gekommene Umwandlungs- prozeß unerfreulich schnell ins Stok- ken kommen und sogar Rückschläge erfahren. Das Virus der Frustration hat sich bereits eingeschlichen und ist allein mit optimistischen Reden nicht zu bekämpfen. Wir müssen handeln.

Es wäre geradezu tragisch, wenn durch die Teilung Deutschlands in zwei Sozialgebiete und durch den Grundsatz der Stabilität des Kran- kenkassenbeitrages, der in die Über- gangsvorschriften zum Einigungsver- trag übernommen wurde und der nach dem Willen der Politiker Bei- tragssatzstabilität auch in den neuen Bundesländern gewährleisten soll, bei einem unflexiblen starren Fest- halten an diesen Prinzipien zur De- stabilisierung der Verhältnisse in den neuen Bundesländern beitragen würde.

A-1652 (24) Dt. Ärztebl. 88, Heft 19, 9. Mai 1991

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Ich meine, Politik und Selbstver- waltung müssen gerade hier an ei- nem Strang ziehen und schnell und gezielt handeln, wenn die Situation dies gebietet. Im Interesse des zügi- gen Ausbaus einer leistungsfähigen und qualitativ hochstehenden ambu- lanten Versorgung dort schlägt der Vorstand ein spezifisches kassen- ärztliches Fortbildungsangebot für bestimmte medizinische Leistungen vor, für deren Erbringung durch nie- dergelassene Ärzte in den neuen Ländern ein besonderer Bedarf be- steht. Mit Hilfe von Experten aus Klinik und Praxis sollen den inzwi- schen nahezu 10 000 niedergelasse- nen Ärzten Fortbildungsmöglichkei- ten eröffnet werden, die sie sonst zur Zeit nicht haben. Über die Finan- zierung dieser strukturfördernden Maßnahme durch die KBV wird die- se Vertreterversammlung heute zu beschließen haben.

Bei allem Verständnis für den immensen Handlungsbedarf in den östlichen Bundesländern dürfen wir aber die Probleme und Aufgaben, die wir hier bei uns haben, nicht aus den Augen verlieren.

Die Frau Ministerin ist in ihrer Rede auf eine Frage eingegangen, die uns seit Jahren bewegt, bedrängt, beunruhigt: Ich meine die Qualifika- tion des Kassenarztes, und ich freue mich, daß sie ganz klar Stellung dazu bezogen hat. Es geht um die Ablei- stung einer mindestens dreijährigen Weiterbildung in der Allgemeinme- dizin als Voraussetzung für die Zu- lassung als Kassenarzt im Rahmen der hausärztlichen Versorgung.

Wir hoffen, daß aufgrund ihrer Zusage — und nachdem offenbar die Meinungsverschiedenheiten, die es zwischen ihrem Hause und dem Bundesarbeitsministerium gegeben hat, behoben sind — eine gesetzliche Neuregelung der Zulassungsvoraus- setzungen erfolgen wird. Der Deut- sche Ärztetag würde dann Gelegen- heit haben, die bisher vierjährige Weiterbildung in der Allgemeinme- dizin in Anpassung an diese Neure- gelung auf drei Jahre mit einem ver- änderten Curriculum umzustruktu- rieren. Ohne den Beratungen des Deutschen Ärztetages zum Thema

„Qualitätssicherung" vorgreifen zu wollen, würde ich den von der Mini-

sterin skizzierten Weg — nachdem bereits auf dem letzten Deutschen Ärztetag in Würzburg auch inner- ärztlich der Konsens auf breiter Ba- sis hergestellt werden konnte — für gangbar halten.

Gerade was die Weiterbildung in der Allgemeinmedizin als Zulas- sungsvoraussetzung für die kassen- ärztliche Tätigkeit angeht, ist die Kassenärzteschaft jedoch ein „ge- branntes Kind". Ich muß in diesem Zusammenhang an den großen Ver- trauensvorschuß erinnern, den unter Führung meines verstorbenen Amts- vorgängers, Professor Dr. Siegfried Häußler, die Kassenärzte 1986 dem damals zuständigen Minister Dr.

Norbert Blüm geleistet haben. Zwi- schen Professor Häußler und dem Bundesarbeitsminister gab es damals eine politische Absprache. Auf sei- ten der Kassenärzteschaft war man zu einem Honorarstillhalteabkom- men bereit, um eine Neustrukturie- rung des Einheitlichen Bewertungs- maßstabes zu ermöglichen. Der Mi- nister versprach dagegen, die Quali- fikation des Kassenarztes auf der Grundlage einer abgeschlossenen Weiterbildung sicherzustellen. Diese Zusage ist bis heute nicht eingelöst worden.

Politischer Konsens zeichnet sich ab

Imalsw

Wir sind damals mit etwas

„Nachhilfeunterricht in parlamenta- rischer Demokratie" abgespeist wor- den: Der Minister könne nicht zusa- gen, daß der Gesetzgeber etwas be- schließe, er könne sich nur dafür ein- setzen. Ich bin allerdings der Mei- nung, daß ein solcher Einsatz Erfolg haben wird, wenn er mit genügen- dem Nachdruck erfolgt, überzeu- gend begründet wird und . . . wenn er keine Haushaltsmittel erfordert.

Geld kostet er nicht. Überzeugende Gründe haben wir vorgetragen. Und an der Einsatzkraft und Einsatzbe- reitschaft der Frau Bundesministerin zu zweifeln, habe ich keine Veranlas- sung.

Um so wichtiger erscheint mir allerdings auch, daß wir angesichts dieses sich abzeichnenden politi- schen Konsenses nun auch innerärzt-

lich auf der Linie bleiben und an dem auf dem letztjährigen Deut- schen Ärztetag in Würzburg auf breiter Basis gefundenen ärztlichen Konsens in dieser Frage festhalten.

Innerärztlich hat sich an der da- maligen Vereinbarung mit dem Bun- desarbeitsminister aber nicht nur wegen der nicht eingehaltenen poli- tischen Zusage massive Kritik ent- zündet. Inzwischen sind die Kassen- ärzte insbesondere auch deswegen verbittert, weil sie sich in diesem Zu- sammenhang auch in ihrer bisher auf der Devise „Vertrauen gegen Ver- trauen" gründenden Vertragspart- nerschaft mit den Kassen enttäuscht sehen.

Über Jahre hinweg haben wir Kassenärzte einen großen Beitrag zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung geleistet. Ich erinnere daran, wie En- de der siebziger Jahre und in den achtziger Jahren die Ausgabenent- wicklung den Kassen aus der Hand glitt und die Beitragssätze in die Hö- he schnellten. Wir, die niederge- lassenen Kassenärzte, sind damals nachweislich bereits unter Führung unseres Ehrenvorsitzenden, Kolle- gen Dr. Hans Wolf Muschallik, die einzigen gewesen, die nicht zur Stei- gerung der Beitragssätze Anlaß ge- geben haben. Aus sozialpolitischer Verantwortung und um den Kran- kenkassen eine Atempause zu ge- ben, haben wir uns in dieser Zeit ko- stenbewußt und diszipliniert verhal- ten. Wer Dankschreiben dafür er- wartet hatte, wurde allerdings ent- täuscht.

Bei der EBM-Reform stimmten wir trotzdem einer auf zwei Jahre be- fristeten Pauschalierung der Ge- samtvergütung zu, um gemeinsam mit den Kassen die von beiden Sei- ten für notwendig erachtete grundle- gende Überarbeitung der ärztlichen Gebührenordnungen mit verteiltem Risiko vorzunehmen. Für beide Sei- ten stand aber unumstößlich fest:

Danach kehren wir zur Einzellei- stungsvergütung zurück — ein Ver- sprechen, das die Kassen in der Zwi- schenzeit mehrfach bekräftigt, aber nicht eingelöst

haben. Die Decke-

lung der Gesamtvergütung besteht trotz der Zusagen bis heute, also nunmehr fast über fünf Jahre, fort, Dt. Ärztebl. 88, Heft 19, 9. Mai 1991 (25) A-1653

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ohne daß in den zwischenzeitli- chen Empfehlungsvereinbarungen mit den Spitzenverbänden der Kran- kenkassen deutliche Fortschritte er- reicht werden konnten.

Diesen Zustand kann die Kas- senärzteschaft nicht länger hinneh- men. Er führt dazu, daß der Kassen- arzt Leistungen erbringt, ohne zu wissen, was er dafür bekommen wird. Der sinkende Punktwert hat dazu geführt, daß der Kassenarzt notwendige Investitionen nicht mehr vorzunehmen wagt, weil die Gefahr besteht, daß er trotz mehr Arbeit we- niger verdient.

• Deswegen melde ich bereits an dieser Stelle für die anstehenden Honorarverhandlungen und den Ab- schluß einer Empfehlungsvereinba- rung für das Jahr 1991 die eindeuti- ge, bereits auf unserer letzten Ver- treterversammlung bekräftigte For- derung der Kassenärzte an, daß wir unter Aufhebung der Honorardecke- lung nunmehr endgültig zur Einzel- leistungsvergütung zurückkehren.

Nur so wird der Kassenarzt in Zukunft wieder mit fest kalkulierba- ren Punktwerten seine ärztlichen Leistungen erbringen und notwendi- ge Rücklagen für erforderliche Inve- stitionen zur Anpassung seiner Pra- xisausstattung und seines Leistungs- spektrums an den Stand der medizi- nischen Entwicklung bilden können.

• Vorauskalkulierbare Vergü- tung, angemessenes Honorar für die einzelne ärztliche Leistung und Si- cherung der Investitionsfähigkeit von Arztpraxen — mit diesen Forderun- gen werden wir in die anstehenden Honorarverhandlungen mit den Spitzenverbänden der Krankenkas- sen gehen, und die Kassen werden unsere Forderungen anerkennen müssen, wenn ihnen an einer moder- nen und leistungsstarken ambulan- ten Versorgung ihrer Versicherten gelegen ist!

Diesen berechtigten Forderun- gen der Kassenärzteschaft darf die aus dem Gesundheits-Reformgesetz abgeleitete, überzogene Politik der Beitragssatzstabilität um jeden Preis nicht entgegenstehen. Insoweit sind auch die entsprechenden Aussagen aus der Koalitionsvereinbarung und im Jahresgutachten 1991 des Sach- verständigenrates für die Konzertier-

te Aktion im Gesundheitswesen zu- rückzuweisen.

Es sollte keine Reform gegen die Kassenärzte geben; so lautete die zweite Zusage des damaligen Auf- sichtsministers. Auch sie wurde nicht eingelöst; im Gegenteil. Das Ge- sundheits-Reformgesetz brachte uns neben der Verkündung des medizi- nisch unhaltbaren Grundsatzes der Beitragssatzstabilität mehr Verwal- tungsarbeit in die Arztpraxen, mehr Prüfungen, mehr bürokratische Re- glementierung.

Um so enttäuschender war für uns die Koalitionsvereinbarung, in der die im Vorfeld der Verhandlun- gen angekündigte Entbürokratisie- rung keinen Niederschlag fand, son- dern im Gegenteil die uneinge- schränkte Fortsetzung der GRG-Po- litik festgeschrieben wurde.

Alte Zauberformel:

Sparen, sparen ...

Zu all dem — und das kann nun wirklich kein Kassenarzt mehr ver- stehen — glauben die Regierungspar- teien noch an weitere Einsparpoten- tiale in der kassenärztlichen Versor- gung. Und die Kassen stoßen erleich- tert in dasselbe Horn. Wir Kassen- ärzte sollen, so lautet die Forderung, vor allem durch Festbeträge, Richt- größen und Wirtschaftlichkeitsprü- fungen noch nicht erschlossene Ein- sparpotentiale, wo immer diese auch zu finden sein mögen, erschließen!

• „Sparen! Sparen! Sparen!" — das ist das Rezept der Sozialpoliti- ker, der Finanzpolitiker und der Weisen aus dem Abendlande, ge- nannt Sachverständigenrat. Sparen die Kassenärzte, bleiben sie brav un- ter dem Deckel einer pauschalierten Gesamtvergütung, so lassen sich not- wendiger Mehraufwand, medizini- scher Fortschritt und das unvermeid- lich teurer werdende Krankenhaus finanzieren, ohne daß die Beitrags- sätze erhöht werden müssen. Das war die Zauberformel, auf die Nor- bert Blüm seine Vision „Gesundheit 2000" gründete, als er noch für die gesetzliche Krankenversicherung zu- ständig war. Der Glaube an die wun- dertätige Kraft dieser Formel scheint, das beweist das jüngste Jah-

resgutachten des Sachverständigen- rates, unausrottbar.

• Mit Verlaub, Frau Bundes- ministerin: Dieser einseitigen Politik des Kaputtsparens, die keinen ande- ren trifft als uns, kündigen wir Kas- senärzte die Gefolgschaft!

Dies bedeutet nicht, daß wir uns aus der Verantwortung für ein lei- stungsfähiges und wirtschaftliches System der ambulanten Versorgung herausstehlen wollten. Wir beabsich- tigen auch nicht, wie es einige

„Querdenker" öffentlich fordern, uns aus unserer ethischen Pflicht als Ärzte und unserer sozialpolitischen Verantwortung insbesondere unse- ren Patienten gegenüber zu verab- schieden und uns einem rein tarifori- entierten Denken nach gewerk- schaftlichem Vorbild zuzuwenden.

Gerade weil wir die Verantwortung für die Sicherstellung der ambulan- ten Versorgung tragen und auch wei- terhin tragen wollen, müssen wir aber auf die schädlichen Folgen ei- ner reinen Kostendämpfungspolitik hinweisen.

Gewiß haben im Jahre 1989 Ein- sparungen bei den Leistungsausga- ben der Krankenkassen vorüberge- hend Senkungen der Beitragssätze möglich gemacht. Auf dieses Faktum berufen sich die Befürworter des GRG-Kurses immer wieder. Aber das Mittel war kein Heilmittel, son- dern ein Analgetikum, dessen Wir- kung längst verflogen ist. Das Ge- sundheits-Reformgesetz hat allen- falls eine kurze Atempause in der Kostenentwicklung bewirkt. Schon ein Jahr nach dem Inkrafttreten sind die Ausgaben wieder kräftig in die Höhe gegangen. In fast allen Lei- stungsbereichen melden die Kran- kenkassen 1990 wieder spürbare Ausgabenzuwächse, insgesamt ein Ausgabenplus von 6,5 Prozent. Die Einnahmen blieben demgegenüber mit einem Plus von 5,1 Prozent deut- lich dahinter zurück. Bei weitem den stärksten Schub verursachten, wie vom Bundesarbeitsminister in der Konzertierten Aktion im Gesund- heitswesen schon vorsorglich progno- stiziert, mit fast sieben Prozent wieder einmal die Ausgaben im Kranken- haus. Dem Ausgabenanstieg in die- sem Bereich sind ganz offensichtlich keine Grenzen gesetzt.

A-1654 (26) Dt. Ärztebl. 88, Heft 19, 9. Mai 1991

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Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der wieder ver- gleichsweise hohe Anstieg der Auf- wendungen für Rentnerversicherte, 7,1 Prozent insgesamt, vor allem aber im Krankenhaus mit 8,5 Pro- zent. Diese Zahlen sprechen für sich;

in meinen Augen eine weitere Bestä- tigung dafür, daß insbesondere unter Berücksichtigung der demographi- schen Entwicklung und verbesserter Möglichkeiten der medizinischen Versorgung unser Gesundheitswe- sen einfach mehr finanzielle Mittel benötigt, als im Rahmen der Grund- lohnsummenentwicklung verfügbar sind.

Zweifel daran, daß die Beitrags- sätze in alle Ewigkeit eingefroren werden können, sind nur allzu be- gründet. Wer angesichts demogra- phischer, konjunktureller und lei- stungsrechtlicher Entwicklungen an die Kraft der Beitragssatzstabilität glauben soll, muß ein wahrhaft gläu- biger Mensch sein. Durch die zu er- wartenden demographischen Verän- derungen im Altersaufbau der Be- völkerung, durch veränderte Morbi- dität und verändertes Inanspruch- nahmeverhalten, höhere Lebenser- wartung älterer Menschen und die Einführung der neuen Pflegeleistun- gen nach dem Gesundheits-Reform- gesetz zum 1. Januar 1991 wird es schon in den nächsten zehn Jahren zu einem deutlichen Leistungsan- stieg in der gesetzlichen Krankenver- sicherung kommen Nach neuesten Berechnungen des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung werden sich die Ausgaben allein für die Behandlung und Betreuung alter und älterer Menschen in unserem Land mehr als verdoppeln, und als Folge der angesprochenen Verände- rungen werden die Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversiche- rung um etwa die Hälfte steigen.

Allein diese Wachstumsdynamik offenbart die Fiktion einer Politik und eines Denkens ausschließlich in Verknappungsmodellen. Beitrags- satzstabilität um jeden Preis, auch um den von Qualität und Fortschritt, ist ökonomischer Fetischismus. Auf- stellung und Erfüllung von Plansoll- daten haben sich schon in der Wirt- schaft als unzulänglich erwiesen.

Dort, wo es um Menschen geht, kön-

nen sie zur Gefahr werden. Die strik- te Bindung von Gesundheit und Be- handlung im Krankheitsfall gefähr- det die Qualität der Versorgung und bringt den Arzt zunehmend in den Konflikt zwischen seiner ethischen Verpflichtung, das medizinisch Not- wendige unter Beachtung der Wirt- schaftlichkeit zu tun, und der immer deutlicher ausgesprochenen Forde- rung, zu selektieren, zu rationieren, also sein ärztliches Handeln dem ökonomischen Gebot begrenzter fi- nanzieller Ressourcen unterzuord- nen. Das ist eine Entwicklung, die man mit größter Sorge betrachten muß.

Medizin-Technik im Patienten-Interesse Der medizinische Leistungsbe- darf wird weiter steigen, und zwar durch Faktoren bedingt, die nicht wir Ärzte allein beeinflussen kön- nen. Wir kennen die Vorwürfe an- geblich medizinisch unvertretbarer Mengenentwicklung, vor allem bei technischen Leistungen, zur Genüge.

Die Medizin ohne Technik ist heute nicht mehr vorstellbar. Sie ist im In- teresse der Patienten dringend not- wendig.

Computertomographie, Kern- spintomographie, Sonographie, EKG-Untersuchungen, Angiokar- diographie — das alles ist Ausdruck moderner Medizin. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen. Die Krankenkassen und die Ärzte haben eine bedarfsgerechte und gleichmä- ßige, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnis- se entsprechende Versorgung der Versicherten zu gewährleisten. Sie haben durch geeignete Maßnahmen auf eine humane Krankenbehand- lung der Versicherten hinzuwirken — so steht es im Gesetz. So wollen es die Versicherten, und so wollen es die Krankenkassen.

Wenn wir dieser Forderung und Verpflichtung nachkommen und be- müht sind, unseren Patienten eine leistungsfähige und zugleich huma-

ne, weil patientenschonende Medi- zin anzubieten, dann darf man uns dies, wenn es ans Bezahlen geht, nicht zum Vorwurf machen.

Hier muß die Politik endlich ein- mal klar Farbe bekennen: Entwe- der man will die Errungenschaften des medizinischen Fortschritts allen Versicherten zuteil werden lassen und bejaht gestiegene Lebenserwar- tung und sachgerechte medizinische Versorgung der Bevölkerung nach dem neuesten Wissensstand auch im Alter — dann muß man konzedieren, daß die erforderlichen finanziellen Mittel dafür zur Verfügung gestellt werden. Oder man stellt Beitrags- satzstabilität und Sparen an die erste Stelle — dann muß der Gesetzgeber aber auch die Verantwortung dafür übernehmen, für wen welche Lei- stungen in Zukunft gegebenenfalls nicht mehr aus den Mitteln der Soli- dargemeinschaft der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht wer- den dürfen. Die Alternative heißt:

entweder weniger Geld und weniger Leistung und Qualität; oder mehr Leistung und Qualität, dann aber auch mehr Geld! Diese Entschei- dung liegt allein beim Gesetzgeber, nicht beim Arzt!

Im übrigen kann man bei der Gesamtbetrachtung aller technikge- bundenen Leistungen — um darauf zurückzukommen — nachweislich längst nicht mehr von einer übermä- ßigen Leistungsentwicklung spre- chen. Auch das wird durch jüngste Analysen unseres Zentralinstituts eindeutig bestätigt. Allenfalls einzel- ne Leistungsbereiche, vor allem die neueren bildgebenden Verfahren, die Nuklearmedizin und die Endo- skopie, zeigen eine Wachstumsdyna- mik. Sie haben allerdings mit jeweils zwischen 1,0 Prozent und 2,2 Prozent verhältnismäßig bescheidene Anteile am Gesamtvolumen. Im übrigen ist ein dynamisches Wachstum bei neu- en Verfahren ganz normal. Außer- dem gibt es klare Substitutionswir- kungen wie beispielsweise eine Sta- gnation bei der konventionellen Röntgendiagnostik, die nur noch mä- ßig wächst. Das heißt, es kommt nicht zu einer wahllosen Vermeh- rung, wie immer wieder gern be- hauptet wird, sondern die neuen Verfahren lösen alte ab und ersetzen Dt. Ärztebl. 88, Heft 19, 9. Mai 1991 (29) A-1657

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diese. Das bedeutet: Qualität und Innovation haben zwar ihren Preis, wirken sich aber mittel- und langfri- stig im Interesse einer humanen und wirtschaftlichen Versorgung aus.

Auch der Sachverständigenrat kann nicht umhin, Zweifel an der Stabilität der Beitragssatzentwick- lung einzuräumen. Aber den sieben Weisen fällt nichts anderes ein, als weiterhin in möglichen Verteilungs- wirkungen, Steuerungseffizienzen und Kasten-Ausgabenwirkungen bei Leistungsträgern und Kostenträgern zu denken und letztendlich erneut die Verantwortung allein der Selbst- verwaltung zuzuschieben.

Wir geraten da in die Rolle des Sancho Pansa, der seinen Herrn Don Quichotte vor dem sinnlosen Kampf gegen Windmühlen warnt. Aber un- ser gesunder Schildknappenverstand kann offenbar gegen die Illusion fah- render Ritter wenig ausrichten.

.... Dabei müßte jedem klar sein, daß durch die seit Jahren prak- tizierte pauschale Berechnung der kassenärztlichen Gesamtvergütung mit der Folge sinkender Punktwerte überhaupt kein Einsparpotential mehr vorhanden ist, und daß wir im Interesse einer leistungsfähigen am- bulanten ärztlichen Versorgung, die Voraussetzung für Entlastung in an- deren Leistungsbereichen ist und bleibt, zur Einzelleistungsvergütung mit angemessenen Punktwerten zu- rückkehren müssen.

Kritiker halten uns entgegen, wir seien bei dem Wirtschaftswachstum der letzten Jahre mit der pauscha- lierten Gesamtvergütung gar nicht schlecht gefahren. Wenn man allein die Gesamtvergütung im Auge hat, mag das sogar annähernd zutreffen.

Aber auch hier haben wir mit der Anhindung an die Grundlohnsum- menentwicklung eine Obergrenze, die, wie ich schon ausgeführt habe, nicht ausreicht, um den Leistungsbe- darf zu decken. Im übrigen haben solche statistischen Berechnungen den Nachteil, die sehr heterogene Kassenärzteschaft als Kollektiv im Sinne von Umsatz und Praxiskosten zu sehen. Das führt zu erheblichen Trugschlüssen. Sehen wir den einzel- nen Kassenarzt, müssen wir feststel- len: Beim einzelnen Kassenarzt kommt immer weniger an. Was er

einzeln leistet, wird ihm durch die pauschalierte Vergütung nicht ange- messen honoriert. Die Zuwächse, die wir in den letzten Jahren in der Ge- samtvergütung hatten, werden auf- gezehrt durch steigende Arztzahlen, erheblich steigende Praxiskosten und durch starke Verteuerungen bei Innovationen.

Mehr noch: Die steigenden Ko- sten für qualifiziertes Praxispersonal, hochwertiges Gerät, für Qualitätssi- cherung und medizinischen Fort- schritt müssen die Kassenärzte heute aus der eigenen Tasche bezahlen. Die Folge: Das Realeinkommen ist in den letzten Jahren ständig gesun- ken. Um es ganz deutlich zu sagen:

Die Krankenkassen waren nicht be- reit, zusätzliche Mittel für die Finan- zierung des Fortschritts, der allein den Patienten zugute gekommen ist, zur Verfügung zu stellen.

Innovations- und Investitionsfähigkeit gleichmäßig sichern

Um so unverständlicher ist die Auffassung des Sachverständigenra- tes, die Rückkehr zur ungedeckelten Einzelleistungsvergütung sei mit dem Grundsatz der Beitragssatzsta- bilität nicht in Einklang zu bringen.

Diese Aussage ist ja nicht neu. Das klang auch schon in den Ausführun- gen von Bundesarbeitsminister Blüm in den letzten beiden Sitzungen der Konzertierten Aktion im Gesund- heitswesen an. Wer hier wen geistig befruchtet hat, mag dahingestellt bleiben.

Ich kann nur an das Bekenntnis anknüpfen, das die Frau Ministerin in der Debatte zur Regierungserklä- rung im Deutschen Bundestag abge- geben hat, und mit allem Nachdruck an sie appellieren, daß sie sich diese Auffassung nicht zu eigen macht. Sie sagte, ich darf zitieren: "Wenn wir im Gesundheitswesen, wo es um das höchste Gut nicht nur von uns, son- dern von jedem Bürger unseres Lan- des geht, den Sozialneid und das Schießen des einen auf den anderen zur Richtschnur machen und nicht Konsens und die Gemeinsamkeit als Grundlage unseres Handeins anstre- ben, dann ist es mit der verantwor- A-1658 (30) Dt. Ärztebl. 88, Heft 19, 9. Mai 1991

tungsvollen Politik im Gesundheits- wesen nicht allzuweit her."

Gemeinsamkeit als Grundlage un- seres Handeins setzt aber auch vor- aus, daß alle Vergütungsbereiche der gesetzlichen Krankenversicherung, insbesondere soweit es die Innovati- ons- und Investitionsfähigkeit an- geht, gleich behandelt werden.

.... In keinem anderen Lei- stungsbereich der gesetzlichen Kran- kenversicherung wird aber in Vergü- tungsvereinbarungen ein Gesamtbe- trag für die Ausgabenentwicklung vereinbart. Hierfür fehlen in den meisten Leistungsbereichen schon die gesetzlichen Grundlagen. Nur wir Kassenärzte, fest an der Leine der Sozialgesetzgebung liegend, sind jene letzten, die die sprichwörtlichen Hunde beißen.

In allen anderen Leistungsberei- chen ist auch die Sicherung notwen- diger Investitionen durch die jeweili- ge Preisfestsetzung gewährleistet.

Nehmen Sie beispielsweise die Ent- wicklung der Ausgaben für die Arz- neimittelversorgung oder die Kran- kenhauspflegesätze:

[> Die Arzneimittelpreise be-

stimmt der Hersteller selbst. Er selbst kann daher über die Preisfest- setzung auch notwendige Kosten zu Lasten der gesetzlichen Krankenver- sicherung geltend machen.

Die Festbetragsregelung gibt zwar faktisch ein Preislimit vor. Das setzt aber voraus, daß eine Vielzahl gleichartiger Präparate auf dem Markt ist und daher innerhalb einer vorhandenen Preisspanne Festbeträ- ge überhaupt festgesetzt werden können.

[> Im Krankenhausbereich gilt

bekanntlich das Selbstkostendek- kungsprinzip bei der Pflegesatzver- einbarung. Das hat zur Folge, daß sämtliche für ein Krankenhaus nach- gewiesenen Kosten erstattungs- pflichtig sind, soweit die Kranken- kassen nicht im Einzelfall Unwirt- schaftlichkeit nachweisen können.

Alle Tarifanhebungen und alle Preissteigerungen, zum Beispiel auf dem Gerätesektor, gehen daher voll über die Pflegesatzfestsetzung in die Kostenerstattungspflicht durch die Krankenkassen ein.

Auf dem Deutschen Krankeu- haustag ist zwar über Änderungen

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der pauschalierten Pflegesätze ge- sprochen worden. An der notwendi- gen Finanzierung von Investitionen zur Sicherung der Hochleistungsme- dizin des Krankenhauses wurde aber nicht gezweifelt. Minister Heine- rnano kündigte vielmehr für sein Land (Nordrhein-Westfalen) die Herausnahme der Computertomo- graphie aus der Großgeräteplanung noch für dieses Jahr an, und damit zu einer Zeit, in der die Kassenärztli- chen Vereinigungen in einer Viel- zahl von Rechtsstreiten gesetzestreu versuchen, die Flut von Großgeräte- aufstellungen einzudämmen. Die von uns mehrfach geforderte und dem damals noch zuständigen Bun- desarbeitsminister vom Vermitt- lungsausschuß aufgegebene Geset- zesänderung erscheint vor diesem Hintergrund dringender denn je.

~ Es steht für mich völlig außer Frage, daß für den ambulanten Lei- stungssektor eine Sicherung notwen- diger Investitionen als Vorausset- zung für den Erhalt einer leistungs- fähigen ambulanten Versorgung ebenso gewährleistet sein muß wie im Krankenhaus. Dies um so mehr, als die ambulante Versorgung gewis- sermaßen das Fundament der ge- samten gesundheitlichen Versor- gung in unserem System darstellt.

Dem steht aus unserer Sicht der Grundsatz der Beitragssatzstabilität, der im übrigen ja für alle Leistungs- bereiche gilt, nicht entgegen, jeden- falls so, wie er im Gesetz steht. Das Gesundheits-Reformgesetz sieht ausdrücklich die Möglichkeit der Beitragssatzsteigerung zur notwendi- gen Finanzierung eines steigenden medizinischen Leistungsbedarfs als dem Grundsatz der Beitragssatzsta- bilität immanent vor.

Schon heute sehen viele Kassen- ärzte angesichts der Tatsache, daß sie, obwohl sie über Jahre hin ein ho- hes Maß an gesamtwirtschaftlicher Verantwortung, Disziplin und Wirt- schaftlichkeit bewiesen haben, durch die Begrenzung und Verteilung des verfügbaren Einnahmenpotentials der gesetzlichen Krankenversiche- rung immer mehr geknebelt werden, keine Zukunftsperspektive mehr.

Immer mehr Leistungen, vor al- lem in Praxen mit hohem personel- len und technischen Aufwand, kön-

nen längst nicht mehr kostendek- kend erbracht werden. Aber auch in der für die Basisversorgung der Be- völkerung so wichtigen primärärztli- chen Versorgung gibt es erhebliche Probleme. Nicht nur, daß die Schere zwischen spezial- und hausärztlicher Versorgung sich immer weiter öff- net. Mit den derzeitigen Vergütungs- strukturen ist auch in der hausärztli- chen Versorgung mittlerweile ein Punkt erreicht, wo in Verbindung mit der wirtschaftlichen Situation in der freien Arztpraxis zugleich auch

Dr. Klaus Voelker (l.), der Vorsitzende der gastgebenden Kassenärztlichen Ver- einigung Harnburg, im Gespräch mit Dr.

Ulrich Oesingmann und Dr. Eckhard Weisner (r.)

die Qualität und Innovationsfähig- keit der Versorgung ernsthaft auf dem Spiel stehen. Mit anderen Wor- ten:

e

Jede weitere Verzögerung, die HonorardeckeJung zu beseitigen, würde zu auch für die Krankenkas- sen unerwünschten Leistungsver- schiebungen in andere kosteninten- sivere Leistungsbereiche führen.

Jegliche Motivation zur Intensivie- rung der ambulanten Versorgung ginge bei den Kassenärzten als Folge sinkender Punktwerte verloren.

Insbesondere gilt das für die Förderung des ambulanten Operie- rens, für Einsparungen bei den Arz- neimittelausgaben durch eine Inten-

sivierung der ärztlichen Beratung und für die Anpassung der Medizin- technik an den jeweils neuesten Stand der medizinisch-technischen Entwicklung. Denn bei dem jetzigen Vergütungssystem wird der Arzt, der derartige Investitionen beziehungs- weise Intensivierungen der ambulan- ten Versorgung in seiner Praxis vor- nimmt, geradezu dafür bestraft. Je besser wir die ärztliche Versorgung gestalten, je mehr Qualitätssiche- rung wir betreiben, je intensiver das System der ambulanten Versorgung genutzt wird, in anderen Leistungs- bereichen Einsparungen zu erzielen, desto mehr wird dieses System aus- genutzt. Denn desto niedriger fällt, als Folge der Plafondierung der Ge- samtausgaben der Krankenkassen für die ambulante ärztliche Behand- lung, die Vergütung der einzelnen ärztlichen Leistung aus.

Wie schwer sich die Kranken- kassen zur Zeit tun, mit uns zu Wei- terentwicklungen im EBM zu kom- men, zeigen die aktuellen, noch lau- fenden Verhandlungen. Auch nach drei Sitzungen des Arbeitsausschus- ses des Bewertungsausschusses se- hen sich die Spitzenverbände noch nicht in der Lage, längst überfällige Leistungen wie die Langzeitblut- druckmessung oder den bereits in der Empfehlungsvereinbarung abge- sprochenen Hausbesuch im Kran- kenhaus in den EBM aufzunehmen.

Besonders befremdet uns das Ver- halten der Ersatzkassenverbände, die offensichtlich aus honorarpoliti- schen Gesichtspunkten des laufen- den Vergütungsvertrages versuchen, Zeit zu schinden.

Das ist für die Kassenärzteschaft ein untragbarer Zustand geworden, und wir sind nicht bereit, dies länger hinzunehmen. Damit komme ich zu meiner eingangs schon angemelde- ten Forderung zurück:

..,.. Bereits für die nächste, für 1991 anstehende Empfehlungsver- einbarung verlangen wir ein Vergü- tungssystem mit einer grundsätzli- chen Rückkehr zur Einzelleistungs- vergütung.

Dabei möchte ich eines von

vornherein, auch gegenüber unseren

Vertragspartnern, klarstellen: Dies kann nicht davon abhängig gemacht werden, daß vorher Einsparungen in Dt. Ärztebl. 88, Heft 19, 9. Mai 1991 (33) A-1661

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anderen Leistungsbereichen erzielt werden, wie es die Kassen gerne hät- ten.

Darauf können wir uns auf kei- nen Fall einlassen. Denn solche Ein- sparungen sind nicht allein vom wirt- schaftlichen Verhalten der Kassen- ärzte abhängig, sondern von einer Vielzahl anderer Faktoren. Ich nen- ne nur beispielhaft die steigende Selbsteinweisungsquote in der Kran- kenhausbehandlung.

Sicher aber ist, und darauf müs- sen die Krankenkassen sich einstel- len, ein immer stärker zunehmender Druck auf entsprechende Leistungs- verlagerungen, wenn jetzt nicht un- verzüglich gehandelt wird.

e

Schnell gehandelt werden muß auch deshalb, weil wir es für un- verantwortlich halten, daß das Wirt- schaftlichkeitsgebot von e1mgen Krankenkassen aus Wettbewerbs- gründen mit Füßen getreten wird.

Ich weiß, die Krankenkassen hören das nicht gern, aber ich kann ihnen eine Auflistung nicht ersparen, eine Auflistung, die an einen Warenhaus- katalog erinnert:

..,.. Da sind die ganzen Maßnah- men angeblicher Gesundheitsförde- rung mit medizinisch fragwürdigem Wert, zum Beispiel im Bereich der Raucherentwöhnung und der Ernäh- rungsberatung oder der Krankheits- prophylaxe.

.... Da werden Außenseiterme- thoden, die im Sachleistungssystem nicht angewandt werden dürfen, im Wege der Kostenerstattung von den Krankenkassen bezahlt, zum Bei- spiel Akupunktur, Hippotherapie, Ozontherapie. Für die Nichtärzte und Nichthumanisten: Hippothera- pie ist das Reiten als physiothera- peutische Maßnahme. Wie ich hörte, soll auch Golf spielen sehr gesund sein. Hier ist also noch eine Markt- lücke.

..,.. Da ist die stationäre Unter- bringung und Behandlung in Reha- bilitationseinrichtungen, die mittler- weile beliebte Anlageprojekte ge- worden zu sein scheinen, im übrigen aber eine medizinisch fragwürdige und sehr kostenintensive stationäre Versorgung außerhalb der Kranken- hausbehandlung anbieten.

.... Wie oft müssen wir erleben, wie vom Arzt als unwirtschaftlich ab-

gelehnte Leistungen nachträglich trotzdem von Krankenkassen erstat- tet werden! Nicht nur, daß wir uns damit den Ärger des Patienten zu- ziehen. Oft genug wird das Vertrau- ensverhältnis zwischen Patient und Arzt dadurch massiv beeinträchtigt.

Und das können wir nicht dulden.

Ich frage: Wie soll sich der Arzt sei- nem Patienten gegenüber auf das ihm auferlegte Gebot der Wirt- schaftlichkeit berufen, wenn die Krankenkasse, deren aggressive Lei- stungswerbung offenbar niemand prüft, sich den Teufel um dieses Ge- bot kümmert! Er fühlt sich zu Recht durch das Verhalten der Kassen auf den Arm genommen und gegenüber seinem Patienten decouvriert.

.... Genauso empörend finde ich das Verhalten von Krankenkassen- mitarbeitern, die auf die alleinige Entscheidungskompetenz des Arztes zur Leistungsgewährung eindeutig unwirtschaftlicher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden verwei- sen und sich um die eigene klare Lei- stungsverweigerung gegenüber ihren Versicherten herumdrücken.

Honorarverhand.lungen:

Schluß mit der

Verzögerungsstrategie

Angesichts solcher Praktiken und einer jedenfalls von uns empfun- denen Verzögerungsstrategie bei den Honorarverhandlungen dürfen sich die Krankenkassen nicht wun- dern, wenn unsere Geduld erschöpft ist. Vor diesem Hintergrund sehen wir kaum noch eine sachliche Be- gründung für eine verschärfte Wirt- schaftlichkeitsprüfung der Honorar- abrechnung des Arztes. Diese wird für uns erst dann wieder plausibel, wenn durch eine Rückkehr zur Be- rechnung der Gesamtvergütung nach Einzelleistungen mit einem fest ver- einbarten Punktwert der im Gesetz niedergelegte Grundsatz der Ange- messenheil der Vergütung der einzel- nen vom Arzt erbrachten Leistungen wieder Geltung hat. Nur unter dieser Voraussetzung sind wir nach wie vor bereit, eine sinnvolle Wirtschaftlich- keitsprüfung der Honoraranforde- rungen mitzutragen und mitzugestal- ten. Überbürokratie der Prüfung A-1664 (36) Dt. Ärztebl. 88, Heft 19, 9. Mai 1991

muß aber in jedem Fall vermieden werden.

Von unserer Seite könnten ge- wisse strukturelle Maßnahmen, wie sie in unserem Handlungskonzept dargestellt worden sind, die Lei- stungsfähigkeit der ambulanten Ver- sorgung stärken. Ich nenne in Stich- worten: Inhaltliche Bestimmung der hausärztlichen Versorgung, mög- lichst in Anlehnung an das neu zu gestaltende Weiterbildungsrecht;

Einführung von Fachkundenachwei- sen zur Erbringung bestimmter Lei- stungen, ebenfalls möglichst in An- lehnung an das Weiterbildungsrecht;

Förderung von Kooperationsformen ärztlicher Tätigkeit zur gemeinsa- men Nutzung vor allem der Medizin- technik; Erleichterung der Beschäfti- gung ärztlicher Mitarbeiter in der Kassenpraxis; letzteres auch zur Be- wältigung der Umstrukturierungs- probleme paliklinischer Einrichtun- gen in den fünf neuen Bundeslän- dern. Dazu haben wir zum Teil be- reits fertige Konzepte in der Schub- lade. Auch die Frage der Qualitätssi- cherung könnte in diesem Zusam- menhang eine Rolle spielen.

Vergleichbare Probleme, wie ich sie hier für die ambulante ärztliche Behandlung aufgezeigt habe, sehen wir aber auch für die ärztliche Ver- ordnungsweise. Die ärztliche Ver- ordnungstätigkeit unterliegt be- stimmten Rahmenbedingungen. Vor ihrem Hintergrund ist die immer stärker erhobene Forderung der Krankenkassen nach Vereinbarung von Richtgrößen als Grundlage für eine Wirtschaftlichkeitsprüfung ab- solut unbegründet. Für geradezu ab- surd halte ich das kürzlich neuerli- che Vorpreschen der Betriebskran- kenkassen, die sich mit Hilfe von Richtgrößen 5,5 Milliarden DM Arz- neimitteleinsparungen bei uns holen wollten .

Man kann sicher über alles treff- lich streiten. Aber beim derzeitigen Stand der Diskussion über eine der- art problematische und sensible The- matik wie die Richtgrößen mit so un-

ausgego~enen Vorstellungen voreilig an die Offentlichkeit zu gehen, wie die Betriebskrankenkassen dies ge- tan haben, halten wir schlichtweg für leichtfertig und im Interesse der Pa- tienten unverantwortlich. Zumal dies

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nicht das erste Mal war, daß der Bundesverband der Betriebskran- kenkassen mit derart irreführenden Vorstößen auf den Markt gegangen ist, bloß weil er glaubt, uns damit un- ter Druck setzen zu können.

Ich möchte hier noch einmal mit allem Nachdruck feststellen: Derart unhaltbare Forderungen belasten die Vertragsbeziehungen außeror- dentlich und machen uns eine Fort- setzung der Diskussion über Richt- größenvereinbarungen praktisch un- möglich.

e

Und in der Sache selbst:

[> bei einem für den Arzt nicht

mehr überschaubaren Arzneimittel- markt;

[> bei 12 000 Pharmaberatern,

die täglich den Arzt durch mehr oder weniger sachkundige Informationen in seiner Verordnungsweise zu be- einflussen versuchen;

[> bei einer Rechtsprechung

des Bundessozialgerichts, die auch Außenseitermethoden in bestimm- ten Fällen zu Lasten der Kran- kenversicherung verordnungsfähig macht,

halten wir es für unvertretbar, ausschließlich den Arzt durch Richt- größenprüfungen an ein bestimmtes Verordnungsvolumen binden zu wol- len!

..". Was aber noch viel mehr ins Gewicht fällt: Wer ernsthaft glaubt, durch Richtgrößen

a

la BdB sparen zu können, ohne die sachgerechte Patientenversorgung zu gefährden, der gibt sich und andere einer ge- fährlichen Illusion hin. Oder meinen die Verfechter solcher Richtgrößen- modelle etwa wirklich, die ambulan- te Versorgung nähme keinen Scha- den, wenn Kassenärzte unter Re- greßdrohung bei Überschreitung des ihnen zugebilligten "Quartalsetats"

notwendige Arzneiverordnungen einstellen und die Patienten bis zum nächsten Quartal warten müssen?

Wenn es überhaupt möglich ist, medizinisch sinnvolle Richtzahlen mit den Krankenkassen zu vereinba- ren, wie es das Gesetz befiehlt, dann nur und wirklich nur auf der Grund- lage, wie wir es in Vorgesprächen mit den Ersatzkassen erörtert haben:

nämlich ohne Regreßdrohung und einzig und allein zum Zwecke der Beratung! Mit anderen Worten: Die

Einführung von Richtgrößen mit Re- greßfolge nach den Vorschlägen des Bundesverbandes der Betriebskran- kenkassen ist für uns völlig indisku- tabel. Wenn Richtgrößen, dann nur, wenn gewährleistet ist, daß eine Überschreitung im Einzelfall allen- falls Anlaß zur Beratung des Kassen- arztes sein kann.

Entbürokratisierung zwingend erforderlich

Ein weiteres gravierendes Pro- blem in diesem Zusammenhang ist die zum 1. Januar 1992 zu befürch- tende Spaltung des Arzneimittel- marktes in zuzahlungsfreie, einem Festbetrag unterliegende Arzneimit- tel und solche Arzneimittel, die au- ßerhalb von Festbeträgen liegen und mit einer hohen prozentualen Zu- zahlung belastet werden. Wenn das eintreten sollte, stößt man den Arzt in ein Labyrinth von Regelungen der Arzneimittelverordnung, in dem so- zusagen jeder Weg, den er ein- schlägt, in ein Prüfungsverfahren führen kann. Juristisch handelt er ei- gentlich nur richtig, wenn er über- haupt nichts verordnet. Dann aller- dings wird er ärztlich falsch handeln.

Unter solchen Voraussetzungen die Verordnungsweise des Kassenarztes auf dem Arzneimittelsektor einer Prüfung zu unterwerfen, betrachte ich einfach als absurd!

Insoweit begrüßen wir es, daß Frau Bundesministerin Hasselfeldt zumindest eine zeitliche Verschie- bung des Termins für die vorgesehe- ne prozentuale Zuzahlung ins Auge fassen will. Allerdings würde das Problem durch eine zeitliche Ver- schiebung nicht gelöst. Wir setzen uns daher für die Einführung einer einheitlichen prozentualen Zuzah- lung für Arzneimittel in Höhe von 10 Prozent ein, mindestens 3 DM, höch- stens aber 10 DM, unter Einführung einer sozialen Härteklausel für den gesamten Arzneimittelmarkt ein- schließlich der Arzneimittel, die ei- nem Festbetrag unterliegen.

..". Generell - und dies möchte ich der Frau Bundesministerin als unser Anliegen ans Herz legen - hal- ten wir eine Entbürokratisierung der kassenärztlichen Tätigkeit für zwin-

gend erforderlich, um dem Arzt nicht durch ein Übermaß an Regle- mentierungen und Verwaltungsar- beiten die Freude an seinem Beruf zu nehmen. Die Diskussion um die Einführung der Krankenversicher- tenkarte ist ein deutliches Beispiel dafür, wie empfindlich die Kassen- ärzteschaft zur Zeit auf jede zusätzli- che Belastung der Arztpraxis mit Verwaltungsaufgaben reagiert. Eine Terminverschiebung ist daher rich- tig, aber sicher allein nicht ausrei- chend.

Auch der vom Bundesarbeitsmi- nisterium vorgelegte Gesetzentwurf zur Anpassung des Sozialgesetzbu- ches V an die novellierte Daten- schutzgesetzgebung ist keineswegs hilfreich, um dieses Problem zu lö- sen. Er verschärft im Gegenteil die Problematik, indem er dem Medizi- nischen Dienst die Kompetenz ein- räumt, versichertenbezogene Daten kassen- und kassenartenübergrei- fend zu speichern und auszuwerten.

Ich darf daran erinnern, wie sensibel die Kassenärzteschaft auf derartige Versuche, den gläsernen Patienten und den gläsernen Arzt zu schaffen, bereits bei der Gesundheits-Reform- gesetzgebung reagiert hat.

Ich hoffe, die Ministerin ver- steht unsere Empfindlichkeit in die- sem Punkt und hat deswegen auch Verständnis dafür, daß die Ärzte- schaft mit dem Ausdruck ihrer Sorge um den Datenschutz nicht erst war- tet, bis die Ressortberatungen und Verbändeanhörungen abgeschlossen sind, sondern sich schon zu den er- sten Ansätzen eines Referentenent- wurfes kritisch auch in der Öffent- lichkeit äußert.

Sie haben heute nachmittag un- ter dem Tagesordnungspunkt "Fi- nanzangelegenheiten" neben vielen anderen wichtigen Entscheidungen auch eine Entscheidung zu treffen, die uns Ärzte unmittelbar angeht - Stichwort: Prävention!

Wie Sie wissen, beabsichtigen wir, in Abstimmung mit allen Kas- senärztlichen Vereinigungen der Länder in einer breit angelegten In- formations- und Aufklärungskampa- gne die Bevölkerung

über den 1989

eingeführten Gesundheits-Check up zu informieren und zu einer stär- keren Inanspruchnahme dieser so Dt. Ärztebl. 88, Heft 19, 9. Mai 1991 (39) A-1667

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wichtigen Präventionsleistung zu motivieren. Leider mußten wir fest- stellen, daß die bisherige Resonanz nicht den Erwartungen entsprach.

Nur ein Fünftel der Berechtigten ha- ben bislang die Gesundheitsuntersu- chung in Anspruch genommen

Der Grund: Die Versicherten sind nicht hinreichend informiert.

Erstens versenden bislang nur weni- ge Krankenkassen unaufgefordert den Berechtigungsschein für diese Untersuchung zusammen mit dem Krankenscheinheft; zum anderen sind die Möglichkeiten, beispielswei- se über die Zeitschriften der Kran- kenkassen an die Versicherten her- anzukommen, offensichtlich zu we- nig genutzt worden.

Deshalb sind wir der Meinung:

Wir müssen die Information der Be- völkerung selbst in die Hand neh- men. Wir wollen versuchen, in einer professionell ausgearbeiteten Auf- klärungskampagne über Hörfunk, Fernsehen und Presse der Bevölke- rung das Thema Prävention nahezu- bringen. Der Check up ist dabei der Aufhänger. Wir wollen der Bevölke- rung klar machen, daß präventive Maßnahmen gerade in bestimmten, genau definierten Bereichen ausge- sprochen sinnvoll sind und auch für den Patienten Vorteile haben, und zwar immer dann, wenn man bereits in frühen Stadien durch Untersu- chung und anschließende Beratung den Patienten auf andere Verhal- tensweisen hinweisen und dazu moti- vieren kann.

Natürlich kostet so etwas Geld.

Rund 2,8 Millionen DM sind für die- ses Jahr zu veranschlagen. Das ist viel Geld. Andererseits ist das eine sinnvolle Investition in die Zukunft.

Eine so große Summe können wir natürlich nicht einfach aus dem Haushalt nehmen. Dafür brauchen wir eine breite Zustimmung. Die Er- sten Vorsitzenden der Kassenärztli- chen Vereinigungen haben bereits grundsätzlich zugestimmt. Wegen der besonderen Bedeutung möchten wir aber auch Ihr Votum einho- len, das Votum dieser Vertreterver- sammlung, des höchsten Entschei- dungsgremiums der deutschen Kas- senärzteschaft.

Davon geht in zweifacher Hin- sicht eine Signalwirkung aus: Ihr Vo-

tum bestätigt, daß die gesamte deut- sche Kassenärzteschaft geschlossen für den Gedanken der Prävention steht. Zum anderen bestätigen Sie damit auch nach außen hin unseren berechtigten Anspruch, daß Präven- tion primär Sache des Arztes ist und somit in die Hand des Arztes gehört.

In unserer Gesellschaft vollzieht sich ein Wertewandel. Umweltsensi- bilität, der Wunsch nach Gesundheit und die Bereitschaft zu entsprechen- der Verhaltensweise gewinnen im Bewußtsein der Bevölkerung immer mehr an Bedeutung. Das ist durch Befragungen und Studien hinrei- chend belegt. Prävention bestimmt zunehmend unser Denken, entwik- kelt sich zur Lebenseinstellung. Der aktuelle Lagebericht der WHO un- terstreicht die Bedeutung der Prä- vention.

Einmalige Chance zu breiter Aufklärung

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Vor diesem Hintergrund haben wir mit dem geplanten Check up- Projekt die einmalige Chance, einer breiten Öffentlichkeit klar zu ma- chen, daß sich der Wunsch der Pa- tienten nach fachkundiger und medi- zinisch fundierter Prävention durch Ärzte mit unserer Bereitschaft deckt, den präventiven Zweig innerhalb der ambulanten kassenärztlichen Ver- sorgung weiter in den Vordergrund zu rücken.

Wie wichtig gerade im Interesse der Patienten die Beratung durch den Arzt ist, wird auch durch eine vor kurzem erschienene klinisch- pharmakologische Untersuchung aus dem Institut für Pharmakologie und Toxologie der Universität Münster zur Frage der Selbstmedikation be- stätigt. Die Ergebnisse zeigen, daß die Selbstmedikation mit erhebli- chen Risiken verbunden ist. Bei 89 Prozent der Patienten, die Medika- mente eigenverantwortlich anwen- den, müssen — so die Untersuchung — unerwünschte Wirkungen befürchtet werden. Das Risiko einer Gesund- heitsschädigung durch Selbstmedika- tion wird durch mangelndes Gefah- renbewußtsein und durch unbedach- ten Umgang mit Arzneimitteln geför- dert.

Dem muß — das wird auch in den Schlußfolgerungen der zitierten Un- tersuchung bestätigt — insbesondere durch eine entsprechende Aufklä- rung der Patienten abgeholfen wer- den. Und dafür ist der Arzt zuständig.

Der Arzt ist mit der Krankheitsge- schichte seines Patienten vertraut; er erhebt im Wege der gezielten Pa- tientenbefragung die Anamnese; er führt die diagnostische und differen- tialdiagnostische Abklärung durch;

er berät seinen Patienten in Fragen von Krankheit und Gesundheit, auch und gerade dann, wenn es darum geht, Gesundheitsgefahren und -risi- ken vorbeugend vom Patienten abzu- wenden.

Insoweit möchte ich in diesem Zusammenhang auch noch einmal allen Versuchen insbesondere sei- tens der Apothekerschaft, sich einen

„Markt Gesundheitsberatung" zu er- schließen, eine klare Absage ertei- len. Gesundheitsberatung darf nicht zu einer Sache des Marktes werden, sondern muß eine Sache der fachli- chen Kompetenz bleiben. Wir wollen nicht den Konflikt mit den Apothe- kern, aber wir scheuen ihn auch nicht da, wo es um das Interesse und Wohl des Patienten geht.

Die Arbeit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ist zur Zeit mit einem enormen Konfliktpotential und unverhältnismäßig hohem Ar- beitsaufwand belastet. Ich möchte es an dieser Stelle nicht versäumen, so- wohl meinen Kollegen im Vorstand als auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Geschäftsfüh- rung der Kassenärztlichen Bundes- vereinigung ein besonderes Wort des Dankes und der Anerkennung zu sa- gen für ihr Engagement und ihren unermüdlichen Einsatz bei der Be- wältigung dieser Aufgaben. Ich darf Sie in diesem Zusammenhang auch darüber informieren, daß wir insbe- sondere im PR-Bereich, im betriebs- wirtschaftlichen Bereich und für Fra- gen der Qualitätssicherung erhebli- che personelle Erweiterungen vorge- nommen haben.

An die Frau Ministerin richte ich die Bitte, den Sorgen der Kassen- ärzte um ihre berufliche Zukunft als freiberuflich tätige Ärzte und die auf dieser Freiberuflichkeit basierende Leistungsfähigkeit des Systems der A-1668 (40) Dt. Ärztebl. 88, Heft 19, 9. Mai 1991

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Dank im Namen der Kollegen: Dr. Klaus Penndorf, der Vorsitzende der Arbeits- gemeinschaft der Kassenärztlichen Ver- einigungen in den neuen Bundeslän- dern, würdigte die große Unterstützung durch die KBV und die westlichen Kas- senärztlichen Vereinigungen beim Auf- bau eines neuen ambulanten Gesund- heitswesens in der Ex-DDR

Die Delegierten unterstützen den härteren Kurs

in der Honorarpolitik

ambulanten Versorgung nicht nur heute, sondern auch in Zukunft ihre Aufmerksamkeit zu leihen. Wir wür- den uns freuen, wenn wir gemeinsam an Lösungen arbeiten könnten, die das international anerkannt gute Sy- stem der ambulanten kassenärztli- chen Versorgung erhalten und be- darfsgerecht weiterentwickeln. Wir sind zu einer solchen Zusammenar- beit bereit und bedanken uns noch- mals ganz herzlich dafür, daß sie trotz ihres beengten Zeitplans den Weg nach Hamburg zu unserer Ver- treterversammlung gefunden hat.

An alle meine Kolleginnen und Kollegen draußen möchte ich von dieser Stelle aus nochmals die herzli- che Bitte richten, gerade in diesen schwierigen Zeiten ihre kassenärztli- che Selbstverwaltung zu unterstüt- zen und die innerärztliche Solidari- tät fest zu wahren. Gerade ange- sichts der von mir aufgezeigten gro- ßen Probleme ist es wichtig, die Kräfte der deutschen Kassenärzte, aller deutschen Kassenärzte, zu kon- zentrieren, damit wir sowohl gegen- über der Politik als auch in den an- stehenden Verhandlungen mit den Vertragspartnern eine entsprechend starke Position beziehen können.

Nur diese Vereinigung unserer Kräf- te ist der Schlüssel zum Erfolg.

Dr. Horst Kohne leitete gelassen die Sit- zung der Vertreterversammlung und de- ren intensive Diskussionen

Die wichtigsten „Diskussions- beiträge" zur aktuellen Situation der ambulanten ärztlichen Versorgung lieferten die Referenten selbst, wenn es auch zwischen dem KBV-Vorsit- zenden Dr. Ulrich Oesingmann und der Bundesgesundheitsministerin Gerda Hasselfeldt zu einer Diskus- sion — im wahren Wortsinn — nicht kam. Frau Hasselfeldt erschien zwar

— während des Referats des KBV- Vorsitzenden — wie auf ein Stichwort hin mitten in dem Satz, mit dem Dr.

Oesingmann seine Begründung des Erfordernisses einer dreijährigen Weiterbildung zum Allgemeinarzt als Zulassungsvoraussetzung für die Kassenpraxis einleitete. Aber dieser Punkt war ohnehin nicht kontrovers zu diskutieren, wie die sofort einset- zenden Ausführungen der Ministe- rin und deren Zusicherungen in die- ser Frage erkennen ließen. Sie muß- te dann aber genau in dem Moment den Saal verlassen, als Dr. Oesing- mann darauf pochte, daß die von der Ministerin erwartete „Gemeinsam- keit als Grundlage unseres Han- delns" auch voraussetzt, daß alle Vergütungsbereiche der Kranken- versicherung gerade auch im Hin- blick auf die Innovations- und Inve- stitionsfähigkeit gleich behandelt werden müssen.

Den erkennbaren Unmut einzel- ner Delegierter konnte Dr. Oesing- mann schnell dämpfen, wenn auch tatsächlich zu bedauern ist, daß die Ministerin nicht alles hörte, was Dr.

Oesingmann offen und klar sagte:

über die Notwendigkeit, den politi- schen Grundsatz der Beitragssatzsta- bilität aufzugeben,

über die

Unange- messenheit verschärfter Wirtschaft- lichkeitsprüfungen, über die illusio- nären Vorstellungen einzelner Kas-

senarten zu Richtgrößen zur Arznei- verordnung, über absurde Auswir- kungen der Zuzahlungspflichten auf dem Arzneimittelsektor, über das Unmaß an Reglementierung, an Verwaltungsarbeit. Sie wird es gewiß

nachlesen, wenn es ernst damit ist, daß mit beiden Referaten die Sach- diskussion über die brennenden Fra- gen der ambulanten Versorgung öf- fentlich eingeleitet wurde.

Wegen ihrer Terminnot hat die Ministerin auch nicht mitbekommen, welche Themen einzelne Delegierte bewegen, die sich in der von Dr.

Horst Kohne in bewährter Weise

strukturierten Diskussion zu Wort gemeldet haben, insbesondere zur Entwicklung in den neuen Bundes-

I Die

Sachdiskussion zumindest eingeleitet

Dt. Ärztebl. 88, Heft 19, 9. Mai 1991 (43) A-1671

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