DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Aktuelle Politik
StändigerAusschuß der Ärzte der EG
Eine neue Charta
für die Krankenhausärzte
Seit 25 Jahren wächst die europäische Ärztefamilie
E
ine gewisse Schwerfälligkeitherrscht, wie in wohl allen anderen europäischen G re- mien, auch in dem 1959 in Am- sterdam von den ärztlichen Or- ganisationen der damaligen
"Sechs" ins Leben gerufenen
"Ständigen Ausschuß der Ärzte
der EWG" (von den meisten, die damit zu tun haben, kurz "Corni- te Permanent" genannt). Das liegt schon an der Notwendig- keit des Übersetzens und Dol- metschens; nicht zuletzt eine Kostenfrage, die auch diesmal wieder diskutiert werden mußte.
Andererseits unterstrich der scheidende Präsident, der Fran- zose Dr. Jacques Manier, aus Anlaß der Jubiläumstagung die nun seit 25 Jahren bewährte Be- reitschaft, im kollegialen Team Verantwortung zu übernehmen. Sie habe inzwischen zu so etwas wie einer europäischen Arztfa- milie geführt, die sich mit dem Beitritt Spaniens und Portugals nun wiederum vergrößert. Für die deutsche Delegation nahm Dr. Karsten Vilmar das Stichwort auf: Gerade bei Ärzten, die im Grunde Individualisten sind, sei das Entstehen eines solchen
"Familiengefühls" besonders bemerkenswert.
Daß nach 25 Jahren eine gewis- se Zäsur erreicht ist, wurde un- ter anderem bei einer Festver- anstaltung im Palais de Luxem- bourg deutlich. Behandelt wur- den Themen, die, wie ebenfalls
Bei der Plenarversammlung des Ständigen Ausschusses der Ärzte der EG am 22./23.
November 1985 in Paris wur- den der Consejo General de los Colegios Oficiales de Me- dicos de Espana und der por- tugiesische Ordem dos Medi- cos mit großem Beifall zum 1.
Januar 1986 als neue Mitglie- der aufgenommen
.Zum glei- chen Termin werden turnus.1 gemäß das Sekretariat und die Präsidentschaft dieses euro- päischen Ärztegremiums für drei Jahre auf die Bundesärz- tekammer
,Köln
,übergehen.
Dr. Vilmar später hervorhob, in der Zukunft eine größere Rolle spielen werden als die organisa- torischen und rechtlichen Fra- gen, nämlich die rasanten Fort- schritte der biologischen, gene- tischen und überhaupt der me- dizinischen Forschung, die von der Ärzteschaft auch ethisch be- wältigt werden müssen; die Ko- sten im Gesundheitswesen; die steigenden Ärztezahlen - Pro- bleme also, die sich in allen Mit- gliedsländern etwa gleich stel- len und die sich daher für ge- meinsame Lösungsversuche ge- radezu anbieten.
Wie schwierig das sein kann, zeigte sich bei der Beratung ei- nes von der Arbeitsgruppe "Be-
rufsordnung/Ärztliche Ethik"
vorgelegten Entwurfes einer Empfehlung zu Fragen der In- vitra-Fertilisation und des Em- bryotransfers. Die unterschied- lichen gesellschaftlichen Struk- turen und die entsprechenden Rechtsvorschriften in den ein- zelnen EG-Ländern erlauben es nur, in solchen Empfehlungen Mindestbedingungen niederzu- legen. Nach mehreren Gegen-, Ergänzungs- und Kompromiß- vorschlägen gelang es schließ-
lich, sich auf einen Text zu eini-
gen (darüber wird in einer der nächsten Ausgaben berichtet).
Ein Hauptthema für das Comite Permanent war über Jahre hin- weg die Herstellung der Freizü- gigkeit für Ärzte in der EG, für die mit der gegenseitigen Aner- kennung der Diplome und der Angleichung der ärztlichen Aus- bildung ja erst die Vorausset- zungen geschaffen werden mußten. Ähnliche Themen wer- den auch in Zukunft immer wie- der zu behandeln sein. So wird nunmehr für 1986 aus Brüssel die seit Jahren angekündigte EG-Richtlinie über die Allge- meinmedizin erwartet; ein Richtlinien-Entwurf über Arznei- mittel wird offenbar zunächst ei- nen Zustand schaffen, bei dem von einem freien Verkehr für Arzneimittel über die europä- ischen Grenzen hinweg noch lange nicht die Rede sein kann.
..,.. Eine Revision erfuhr in Paris die vom Comite Permanent be- reits 1967-also vor Herstellung der Freizügigkeit - verabschie- dete "Charta für Krankenhaus- ärzte". Eine deutschsprachige Fassung der neuen Charta wird auf den folgenden Seiten veröf- fentlicht.
Die Sorgen über
die steigenden
Ärztezahlen kommen in einer Resolution zum Ausdruck, in der Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 49 vom 4. Dezember 1985 (15) 3667DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Comitö Permanent
eine Begrenzung des Zugangs zur Arztausbildung gefordert wird. Die Studentenzahlen soll- ten in Beziehung stehen zu den
Möglichkeiten einer adäquaten klinischen Ausbildung, den de- mographischen und volkswirt- schaftlichen Bedingungen so- wie einer Arztdichte, die es dem einzelnen Arzt ermöglicht, wäh- rend seines ganzen Berufsle- bens seine volle berufliche Kompetenz aufrechtzuerhalten.
Die Arbeiten des Ständigen Aus- schusses der Ärzte der EG wer- den bereichert durch die Beteili- gung einer Reihe europäischer Ärzteorganisationen, nämlich der Allgemein-, der Gebiets-, der Krankenhaus-, der ange- stellten und der jüngeren Kran- kenhausärzte. Und es zeichnet sich ab, daß Zusammenarbeit mit anderen in Zukunft ein häufi- ges Stichwort sein wird. Dies gilt für politische Organisationen wie z. B. die OECD, das Interna- tionale Arbeitsamt oder die Welt- gesundheitsorganisation. Deren Regionalbüro Europa steuert beispielsweise die Beteiligung des Comitö Permanent an einer Zusammenarbeit auch mit „Ärz- teorganisationen" der Ostblock- länder an — die sich daraus erge- bende Problematik könnte gera- de in der Zeit akut werden, da die Bundesärztekammer die Ge- schäfte des Comitä Permanent zu führen hat. Ähnlich problema- tisch sehen manche Mitglieder eine Zusammenarbeit mit inter- nationalen Organisationen etwa anderer Heil- oder der Heil-Hilfs- berufe. Am ehesten erscheint es möglich, daß sich der Ständige Ausschuß der Ärzte der EG auch zum „Kristallisationspunkt", wie Dr. Vilmar formulierte, der Euro- pa-Region des Weltärztebundes entwickelt.
Arbeit genug jedenfalls für die Arbeitsgruppen, für die Beob- achterorganisationen und Ple- narversammlungen, die näch- stes Jahr in Köln, 1987 in Mün- chen und 1988 in Berlin zusam- mentreten werden. gb
Präambel
Der Krankenhausarzt unterliegt wie je- der andere Arzt den Berufsregeln und allgemeinen ethischen Grundsätzen der Medizin, die die Ärzteschaft aufgestellt hat. Der Krankenhausarzt ist bei seiner ärztlichen Tätigkeit in rechtlicher Sicht den in den jeweiligen Staaten beste- henden Regelungen unterstellt. Diese wesentliche Eigenschaft wäre zerstört, wenn der Krankenhausarzt seine mate- rielle, technische und moralische Un- abhängigkeit verlöre.
Diese Überlegungen haben dazu ge- führt, die folgende Charta zu erstellen, welche für alle Ärzte maßgeblich ist, und zwar ungeachtet der Krankenhaus- form und der zwischen dem Arzt und dem Krankenhaus bestehenden Bin- dungen.
Charta
Unabhängigkeit und Verantwortung Der Status des Krankenhausarztes muß im Rahmen seiner ärztlichen Verant- wortung in erster Linie seine ärztliche
Unabhängigkeit gewährleisten, die kein Privileg des Arztes, sondern ein unan- tastbares Recht des Patienten ist. Fol- gende Regeln sind daher zu beachten:
1. Die Unabhängigkeit des Kranken- hausarztes in bezug auf Diagnose und Behandlung der Krankenhauspatien- ten, für deren ärztliche Versorgung nach bestem Wissen und Gewissen so- wie nach dem Stand der Wissenschaft und Technik er verantwortlich ist, muß gewährleistet sein'). Diese ärztliche Versorgung darf im beruflichen Bereich nicht unter die Aufsicht nichtärztlicher Personen gestellt werden.
2. Die Gestaltung ärztlicher Versor- gung (Dienst, unit, department — der Begriff ist unter Anlehnung an die je- weiligen Sprachen zu bestimmen) so- wie die Weiterbildung der angehenden Krankenhausärzte müssen im Verant- wortungsbereich des Krankenhausarz- tes liegen.
3. Die Quantität und Qualität der Aus- rüstung und des Personals, die dem
') Unter Berücksichtigung eventueller hierar- chischer Regelungen in einzelnen Län- dern.
Charta für Krankenhausärzte
Beschlossen vom Ständigen Ausschuß der Ärzte der Europäischen Gemeinschaft am 22./23. November 1985 in Paris
(Vorläufige Übersetzung)
Der Ständige Ausschuß der Ärzte der EWG ist der Auffassung, daß zur Er- leichterung der Freizügigkeit der Krankenhausärzte innerhalb der Europä- ischen Gemeinschaft Mindestregeln für die Tätigkeit der Krankenhausärzte festgelegt werden sollten, die in den jeweiligen Mitgliedsländern berück- sichtigt werden müssen.
Die in der Charta „Krankenhausärzte" dargelegten Grundsätze sollten in der Gesetzgebung und in anderen Bestimmungen des jeweiligen Landes beachtet werden.
Falls in einem Land oder mehreren Ländern grundsätzliche Unterschiede gegeben sind, würde die Freizügigkeit in Frage gestellt.
3668 (16) Heft 49 vom 4. Dezember 1985 82. Jahrgang Ausgabe A