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Archiv "Ausschuß-Anhörung zum Schwerbehindertengesetz: Die Ärzte wurden ausgesperrt" (05.03.1986)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Aktuelle Politik

Ausschuß-Anhörung zum Schwerbehindertengesetz

B

ereits bei den Vorarbeiten des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung zur Novellierung des Schwerbe- hindertengesetzes, aber auch bei der Anhörung des Anfang Juni 1984 vorgelegten Referen- tenentwurfes im Ministerium waren Sachverständige der Ärz- teschaft maßgeblich beteiligt.

Die Anhörung zur Änderung und Weiterentwicklung des Schwer- behindertenrechts am 19. Fe- bruar 1986 vor dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung des Deutschen Bundestages al- lerdings fand ohne Vertreter der Ärzteschaft statt. Die Bitte der Bundesärztekammer, vor dem Parlamentsausschuß gehört zu werden, schlug der Vorsitzende des Ausschusses, Eugen Glom- big, SPD-MdB, ab: „Die Gesetz- entwürfe haben die Eingliede- rung Schwerbehinderter in Ar- beit und Beruf zum Inhalt und betreffen somit nicht die medizi- nische Rehabilitation."

Ist es bewußte Strategie oder Ignoranz, die aus dieser Begrün- dung spricht? Zum einen ist es nicht das erste Gesetzesvorha- ben (auch in jüngster Zeit), bei dem trotz offenkundiger ärzt- lich-medizinischer Relevanz entsprechende Ratschläge nicht erbeten wurden; zum anderen will der Gesetzentwurf Proble- me der „Eingliederung Schwer- behinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft" lösen.

Keineswegs zielt die Novelle nur .auf arbeitsmarkt- und berufspo-

litische Aspekte ab. Aber selbst in diesem Zusammenhang spie- len medizinische Überlegungen eine nicht unerhebliche Rolle.

Dies zeigt nicht zuletzt der Wer-

Die Ärzte wurden

ausgesperrt

degang der Gesetzesnovellie- rung. Ein Blick zurück ...

Das 1974 in Kraft getretene Schwerbehindertengesetz er- hob zwar nicht den Anspruch ei- nes „Jahrhundertgesetzes" — doch schon nach wenigen Jah- ren wurde auch in der Öffent- lichkeit Kritik daran laut, daß be- hinderte Bürger durch das Ge- setz in den Genuß von Vergün- stigungen (wie z. B. Lohn-, Ein- kommen- und Kraftfahrzeug- steuer einschließlich der Kraft- fahrzeugversicherung, Freifahrt im Nahverkehr, Befreiung von der Rundfunk-, Fernseh- und Te- lefongebühr usw.) gelangten, die durch ihre Behinderung nicht wesentlich in der Gestal- tung ihres Lebens beeinträchigt waren, während die Schwerst- betroffenen nur ungenügend berücksichtigt wurden. Nicht zu- letzt die begrifflichen Unklar- heiten im Schwerbehinderten- gesetz und die sich daraus erge- bende Ausnutzung seiner Mög- lichkeiten haben dazu geführt, daß die Zahl der Schwerbehin- derten in den letzten Jahren weit über den Kreis der wirklich Betroffenen hinaus bis Ende

1984 auf über fünf Millionen (amtliche Zahlen) gestiegen ist.

Danach liegt der Anteil der aner- kannten Schwerbehinderten an der Gesamtbevölkerung bei über sieben Prozent.

Schon im Mai 1982 forderte der 85. Deutsche Ärztetag in einer Entschließung den Deutschen Bundestag auf, baldmöglichst eine Untersuchung über die Auswirkungen des Schwerbe- hindertengesetzes zu veranlas- sen, in der insbesondere geklärt werden sollte,

> ob die Kriterien, die zur Defi- nition einer Behinderung ver- wendet werden, ausreichend und sachgerecht sind, um zwi- schen einer leichten, schweren und schwersten Behinderung zu unterscheiden.

> ob das Schwerbehinderten- gesetz genügend Anreize bietet, um Arbeitsplätze mit spezieller Auslegung für Schwerbehinder- te zur Verfügung zu stellen und

> ob durch das Schwerbehin- dertengesetz Betroffene mit schwersten Behinderungen im Vergleich zu Betroffenen mit leichteren Behinderungen hin- reichend unterstützt werden.

Auch ein gemeinsamer Arbeits- kreis des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekam- mer und der Arbeitsgemein- schaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaf- ten (AWMF) fand keine medizi- nisch-wissenschaftlich haltba- ren Gründe dafür, warum die Behindertenquote in der Bun- desrepublik Deutschland um ein vieles höher liegt als in anderen Ländern. Um für eine erforder- liche Novellierung des Schwer- behindertengesetzes Entschei- dungshilfen aus ärztlicher Sicht Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 10 vom 5. März 1986 (19) 595

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Schwerbehindertengesetz

geben zu können, haben dieser Arbeitskreis und der Vorstand der Bundesärztekammer emp- fohlen, bei der Novellierung des Schwerbehindertengesetzes folgende Grundsätze zu berück- sichtigen:

> Regelmäßige Prüfung vor Anerkennung einer Schwerbe- hinderung, ob, inwieweit und gegebenenfalls wann voraus- sichtlich diese durch Kranken- behandlung oder durch Rehabi- litationsmaßnahmen abzuwen- den, abzumildern oder zu behe- ben ist. Die Anerkennung als Schwerbehinderter im Sinne des Gesetzes kann nur erfolgen, wenn keine Aussicht besteht, daß durch Therapie oder Reha- bilitation die Schwerbehinde- rung binnen eines Jahres abzu- wenden ist.

> Ersatz der aus medizinischer Sicht ungeeigneten „Minderung der Erwerbsfähigkeit — (MdE)"

als Maßstab der Behinderung.

> Gewährung von Vergünsti- gungen im Rahmen der Aner- kennung als Behinderter nur un- ter Berücksichtigung der Art der Behinderung sowie der persön- lichen und beruflichen Situa- tion.

> Zeitliche Überprüfung der Begrenzung der Leistungsfähig- keit entsprechend der Art und des Ausmaßes der Behinderung sowie des Lebensalters.

Der im Juni 1984 vom Bundes- minister für Arbeit und Sozial- ordnung vorgelegte Referenten- entwurf berücksichtigte zwar nicht den grundlegenden Ansatz des Thesenpapiers, daß die An- erkennung als Behinderter nicht ohne Berücksichtigung der Art der Behinderung sowie der per- sönlichen und beruflichen Si- tuation zur Gewährung von Ver- günstigungen berechtigen soll- te, jedoch griff er wichtige ande- re Änderungsvorschläge der Ärzteschaft auf. Besonders zu erwähnen sind hierbei:

> Ersatz des Begriffs „Minde- rung der Erwerbsfähigkeit"

durch den Terminus „Grad der Behinderung" (GdB);

> Klarstellung in der Definition der Behinderung, daß Funk- tionsbeeinträchtigungen, die sich im Alter physiologisch ent- wickeln und die nach ihrer Art und ihrem Umfang für das jewei- lige Lebensalter typisch sind, nicht als Behinderung angese- hen werden können;

> Klarstellung, daß leichtere Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB um 10 und nicht um 20 Prozent bedingen, grundsätz- lich nicht zu berücksichtigen sind; unberührt sollen davon je- doch leichtere Gesundheitsstö- rungen bleiben, die bei isolier- ter Betrachtung noch nicht mit einem GdB um 20 Prozent zu beurteilen sind, deren Auswir- kungen aber im Zusammenwir- ken mit anderen Funktionsbe- einträchtigungen eine besonde- re Bedeutung erlangen und in- soweit Berücksichtigung finden müssen. Für die Feststellung des GdB sind grundsätzlich nur die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berück- sichtigung ihrer wechselseiti- gen Beziehung zueinander maß- gebend;

> Wegfall der Einschränkung, daß trotz einer Besserung des Gesundheitszustandes, der eine Herabsetzung des GdB rechtfer- tigen würde, eine Neufestset- zung vor Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe des Feststel- lungsbescheides nicht vorge- nommen werden darf.

Über die aus ärztlich-medizini- scher Sicht relevanten Aspekte hinausgehend beinhaltete der Gesetzentwurf noch weitere Re- gelungen (z. B. Beibehaltung der Behinderten-Pflicht-Quote, Erhöhung der Arbeitgeber-Aus- gleichsabgabe, Beibehaltung der steuerlichen Absetzungs- möglichkeit, Reduzierung des

Zusatz-Urlaubs und Anrechnung auf Kuren, Einschränkung des Kündigungsschutzes). Diese stießen erwartungsgemäß auf die harte Kritik sowohl der Be- hinderten-Verbände als auch der Gewerkschaften.

Ein nur geringfügig geänderter Entwurf wurde vom Bundeskabi- nett am 5. September 1984 ge- billigt. Der Bundesrat hat darauf- hin am 26. Oktober 1984 im er- sten Durchgang des Gesetzge- bungsverfahrens die Regie- rungsnovelle zum Schwerbehin- dertengesetz mehrheitlich im wesentlichen akzeptiert. Die wichtigsten Änderungswünsche der Ländervertretung betrafen die vorgesehene Überprüfung aller vor dem 1. Januar 1985 oh- ne ärztliche Untersuchung er- gangenen begünstigenden Feststellungsbescheide. Diese Regelung soll nach dem Votum des Bundesrates entfallen, da sie nur mit hohem Verwaltungs- aufwand realisierbar wäre und zudem auch zu einer erheb- lichen Verunsicherung bei den Schwerbehinderten führen wür- de. Weitere vom Bundesrat be- schlossene Änderungen waren u. a. die Einführung eines Vor- verfahrens für alle Fälle nach dem Schwerbehindertengesetz, die Wiedereinführung der un- entgeltlichen Beförderung Schwerbehinderter im Schie- nenverkehr sowie die Nichtan- rechnung der im Rahmen von Rehabilitationsmaßnahmen von Behinderten besetzten Arbeits- plätze.

Nach erster Lesung am 20. Juni 1985 im Bundestag ist der Ge- setzentwurf an die Bundestags- ausschüsse überwiesen wor- den. Soweit der parlamentari- sche Beratungsstand. Und nun soll auf einmal ärztlicher Sach- verstand auf Geheiß des A+S- Ausschuß-Vorsitzenden nicht mehr erforderlich sein? Immer- hin gaben Vorschläge der Ärzte- schaft der Gesetzesnovellierung wichtige Anstöße.

Dr. Hans-Jürgen Maas

596 (20) Heft 10 vom 5. März 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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