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Archiv "Riß der Knöchelbänder: Operative oder konservative Behandlung" (20.10.1988)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Hans Zwipp, Harald Tscherne,

Reinhard Hoffmann und Hajo Thermann

K

aum ein anderes the- rapeutisches Vorge- hen ist derzeit so um- stritten wie die Be- handlung der fibula- ren Bandruptur am oberen Sprung- gelenk. Diese in Westeuropa häufig- ste Verletzung im Freizeit-, Schul- und Breitensport betrifft vorwiegend 15- bis 25jährige Menschen im frühen Leistungsalter (24). Daraus resultiert ein hoher sozial-ökonomischer Fak- tor hinsichtlich Behandlungskosten (Krankenkassen, Berufsgenossen- schaften), Arbeitsunfähigkeitsperio- de (Arbeitgeber, Krankenkassen) und eventueller Invalidität (gesetzli- che Unfallversicherungen, Berufsge- nossenschaften und andere).

So wurden nach der Reha-Stu- die 85 (26) allein von BG und GUV 1985 insgesamt 13 554 Patienten mit einem fibularen Bänderriß i. M.

12,6 Tage stationär behandelt. An- gesichts dieser wirtschaftlichen Komponenten und gegenüber wis- senschaftlichen Prinzipien dürfen Therapieempfehlungen heute nicht mehr nach persönlichen Erfahrun- gen, allgemeinen Trends oder retro- spektiven Studien ausgesprochen werden, sondern müssen sich an ex- perimentellen Untersuchungen und klinischen, prospektiv-randomisier- ten Studien orientieren.

Aufgrund der kontrovers ge- führten Diskussion der Literatur (1, 2, 5, 7, 8, 9, 11, 12, 13, 14, 17, 18, 19) und der Verunsicherung prakti- zierender Chirurgen und Orthopä- den zur Frage der optimalen Be- handlung der frischen fibularen Bandruptur wurde in der Unfallchir- urgischen Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover vom 15.

April 1985 bis 31. Juli 1986 eine pro- spektiv-randomisierte Studie durch- geführt.

Die Ein- und Zwei-Jahres-Er- gebnisse einer prospektiv-ran- domisierten Studie zur operati- ven versus konservativen Be- handlung des Knöchelbänder- risses lassen die rein funktionel- le Therapie mit Orthese als das patientengerechte und kosten- günstigste Verfahren erkennen.

Eine Operation erscheint der- zeit nur bei der Luxatio pedis cum talo, bei zusätzlicher osteo- chondraler Taluskantenfraktur, bei second stage-Verletzung oder Reruptur angezeigt.

Prospektiv-randomisierte Studie

Ziel der Studie war die Evalua- tion der klinisch-radiologischen Er- gebnisse anhand einer erweiterten 100-Punkte-Checkliste einschließ- lich sportphysiologischer Kraftmes- sungen nach 3, 12, 24 und 60 Mona- ten an vier verschiedenen Behand- lungsgruppen mit je 50 Patienten:

Gruppe A:

Operativ-immobilisierend, Gruppe B:

Operativ-funktionell, Gruppe C:

Konservativ-immobilisierend, Gruppe D:

Konservativ-funktionell.

Die Studie wurde mit Billigung der Ethik-Kommission der Medizi- nischen Hochschule Hannover durchgeführt.

Unfallchirurgische Klinik (Direktor:

Professor Dr. med. Harald Tscherne) der Medizinischen Hochschule Hannover

Randomisierung

und Patientenaufklärung

Alle Patienten wurden über Sinn und Ziel, Ablauf und Notwen- digkeit der Randomisierung dieser Studie aufgeklärt. Die zufällige Zu- ordnung der vier verschiedenen Therapiegruppen erfolgte durch fortlaufende Kennzeichnung der Dokumentationsbögen') (A—D). Pa- tienten, die eine Randomisierung ablehnten, wurden in der Sonder- gruppe E erfaßt, wobei nur deren Befunde (Streß-Tenographie, OP- Situs etc.) mitausgewertet wurden.

Studienausschluß:

Zum Studienausschluß kamen alle Patienten, die anamnestisch ein vorausgegangenes Supinationstrau- ma angaben, die intraoperativ Ver- änderungen der Ligamente im Sinne einer Second-Stage-Ruptur aufzeig- ten oder Fälle mit zusätzlicher Knor- pelläsion.

Studienablauf:

Der Studienablauf wurde so konzipiert, daß der Erstuntersucher sich klinisch auf die Diagnose: „Fri- sche fibulare Bandruptur" festlegen mußte, einschließlich Instabilitäts- graduierung 1+ bis 3+ für Taluskip- pung und Talusvorschub. Als Zweit- Untersucher sollte sich der Radio- loge anhand der durchgeführten Streß-Tenographie, die innerhalb der ersten 24 bis 48 Stunden angefer- tigt wurde, festlegen, ob eine Ein- zel-,

Doppel

-

oder Dreiband

-

Läsion

vorlag. Als Dritt-Untersucher muß-

1) Beim Verfasser erhältlich

AKTUELLE MEDIZIN

Riß der

Knöchelbänder:

Operative oder konservative Behandlung

Dt. Ärztebl. 85, Heft 42, 20. Oktober 1988 (41) A-2897

(2)

Abbildung 1: Stress-Tenographie: a) (oben) Doppelbandläsion mit Austritt des Kontrast- mittels aus der Peronealsehnenscheide und retrograder Gelenkdarstellung, Taluskip- pung 24°, Talusvorschub 12 mm; b) (unten) gehaltene Aufnahmen derselben Patienten, zwei Jahre nach primär funktioneller Behandlung mit der MHH-Knöchelschiene (8° TK, 5 mm TV)

te der Operateur in den operati- ven Gruppen das Verletzungsmuster sorgfältig dokumentieren. Die Er- fassung sämtlicher Daten erfolgte anonym mit verschlüsselter Patien- tenziffer und Eingabe in einen Per- sonal-Computer.

Die Nachuntersuchung der Pa- tienten 3, 12 und 24 Monate nach Erstbehandlung erfolgte durch drei unabhängige Untersucher, die die Vorbefunde im Einzelfall nicht kannten. Die Auswertung der Be- funde erfolge anhand drei radiologi- scher, 20 klinischer und drei sport- physiologischer Kriterien (Kraft, Koordination und Propriozeption) unter Verwendung eines erweiterten 100-Punkte-Schemas (24).

Diagnostik

Da das Verletzungsmuster bei 100 nichtoperierten Patienten nur klinisch-radiologisch erfaßt werden konnte, wurde zur verbesserten Klassifizierung des Verletzungsgra- des und zur Kontrolle einer grup- pengleichen Verteilung die Streß- Tenographie (4, 25) als radiologi- sches Diagnostikum eingesetzt (Ab- bildung 1). Mit dieser Methode konnte in 92 Prozent der Fälle eine korrekte präoperative Diagnose ge- stellt werden, eine falschnegative Beurteilung bestand in acht Prozent, eine falschpositive in keinem Fall.

Die radiologische Differenzierung in Einzel- und Doppelbandläsionen be- stätigte sich intraoperativ in 78 Pro- zent der Fälle. Eine gruppengleiche Verteilung des Verletzungsmusters konnte angenommen werden.

Patientengut

In der unfallchirurgischen Kli- nik der Medizinischen Hochschule Hannover wurden vom 15. April 1985 bis 31. Juli 1986 insgesamt 227 Patienten mit fibularer Bandruptur entsprechend den Studienbedingun- gen behandelt, davon 200 randomi- siert, 27 nach selbstgewählter Thera- pie entsprechend A—D (Gruppe E).

185 randomisierte Patienten (92,5 Prozent) konnten nach drei Mona- ten, 168 (84,0 Prozent) nach 12 Mo- naten und 69,5 Prozent bisher nach

24 Monaten kontrolliert werden. In allen vier Gruppen wurde fünf Wo- chen nach der initialen Behandlung je sechsmal Eigenreflexschulung (Abbildung 2) und Pronatorentrai- ning verordnet.

Ergebnisse

Im Gesamtergebnis anhand ei- nes 100-Punkte-Schemas einschließ- lich sportphysiologischer Prüfung

konnten in den vier verschiedenen Behandlungsgruppen keine stati- stisch signifikanten Unterschiede (Chi-Quadrat-Test [15], T-Test [20], p < 0,05) im 3-, 12- und 24-Mona- teergebnis gesehen werden (Abbil- dung 3).

Hinsichtlich der radiologischen Prüfung mit gehaltenen Aufnahmen des oberen Sprunggelenkes in zwei Ebenen zeigte sich in den operativen Gruppen A und B im Dreimonatser- gebnis ein geringfügig höherer Pro-

A-2898 (42) Dt. Ärztebl. 85, Heft 42, 20. Oktober 1988

(3)

Abbildung 2: MHH-Knöchelschiene und Eigenreflextraining

zentsatz absolut stabiler (bis 5 Grad Taluskippung und bis 5 mm Talus- vorschub) Sprunggelenke in 89 bzw.

88 Fällen von 100, während in den konservativen Gruppen C und D bei der Dreimonatskontrolle nur 78 be- ziehungsweise 74 von Hundert die- sen hohen Stabilitätsnachweis zeig- ten (Abbildung 4). Bei der radiolo- gischen Stabilitätskontrolle nach 12 und 24 Monaten fanden sich in allen vier Behandlungsgruppen vergleich- bare Werte.

Diskussion

Die bisher gewonnenen Resul- tate der vorliegenden prospektiv- randomisierten Studie lassen im Ge- samt-Ergebnis keinen statistisch si- gnifikanten Unterschied erkennen und stimmen mit experimentellen Erkenntnissen (6, 10, 24) und klini- schen Ergebnissen anderer Autoren (4, 7, 8, 11, 12, 14, 17, 18, 19) über- ein.

Wenngleich im eigenen Kran- kengut ca. drei Viertel aller Fälle in allen Gruppen absolut stabile (5°

TK/5 mm TV) Verhältnisse zeigen, bleiben die noch ausstehenden Spät- ergebnisse (60 Monate) kritisch zu werten, da nach einer neuerlichen Mitteilung von Wetz et al. (19) eine deutliche mechanische Lockerungs- rate im Vierjahresspätergebnis nach primär funktioneller Behandlung mit der Aircast-Schiene gesehen werden konnte.

Bei einem relativ kleinen Kon- trollkollektiv von 18 Patienten wur- de bei immerhin 10 Patienten eine Taluskippung zwischen 8 und 14 Grad sowie ein Talusvorschub von 6 bis 10 mm gesehen. Bei einem Pa- tienten wurde sogar eine Taluskip- pung von 18 Grad und ein Talusvor- schub von über 10 mm beobachtet, wenngleich alle Patienten weitestge- hend subjektive Beschwerdefreiheit angaben.

In der vorliegenden Studie wur- de jedoch eine eigens dafür entwik-

kelte Orthese (MHH 2)-Knöchel- schiene) verwandt, die vor allem in der zweiten Generation hohen Sta- bilisierungskriterien unterliegt (9).

Wenngleich die Gruppe C mit dem primären konservativ-immobi- lisierenden Unterschenkelgipsver- band3) in der vorliegenden Studie ebenfalls keine schlechteren Resul- tate zeigte als die operativ behandel- ten Gruppen, so ist aufgrund der verkürzten Arbeitsunfähigkeitspe- riode als konservative Behandlungs- methode die primär funktionel- le Knöchelschienenbehandlung als Therapie der Wahl anzusehen.

Bei der Betrachtung sozial-öko- nomischer Aspekte bleibt zu beden- ken, welche wahrscheinlich — nach den vorliegenden Erkenntnissen — unnötigen Kosten durch eine opera- tive und stationäre Behandlung ent- stehen:

MHH = Medizinische Hochschule Hannover

3) in betonter Pronations-Eversions-Stellung (16)

Dt. Ärztebl. 85, Heft 42, 20. Oktober 1988 (45) A-2901

(4)

sehr gut /gut E

Gruppe 1 Vorgehen

52 93 %

50 97 %

B

48 91 %

50 95 %

D

instabil

stabil mässig stabil

instabil instabil

mässig instabil

100 %

3 3 3 wimazi==

61 63 39 37

74 28 29

89 3 M e 1 2 M 1324 M 89

0 0 0

36 35

22 26 28

0 0 0 0 0

100 % Nach der Reha-Statistik 85 (26)

wurden allein auf Kosten der Berufs- genossenschaften und der Gemein- deunfallversicherung im Jahre 1985 insgesamt 13 554 Patienten wegen ei- ner fibularen Bandruptur des oberen.

Sprunggelenkes operiert und im Mit- tel 12,6 Tage stationär behandelt. Bei Zugrundelegung des bundesdurch- schnittlichen Tagespflegesatzes des Jahres 1985 von 230,60 DM 4) betra- gen allein die mittleren stationären (12,6 Tage) Behandlungskosten pro Patient 2905,50 DM. Bei primär funk- tionell-konservativer Therapie mit Verordnung der MHH-Knöchel- schiene, die ausschließlich ambulant durchgeführt wird, entstehen für die alternative Verordnung der Schiene im Mittel 192,50 DM5) . Der hochge- rechnete Differenzbetragvon 2713 ,00

Abbildung 3: Behandlungsgruppen und gemitteltes Gesamt-Ergebnis nach 3, 12, 24 Mo- naten anhand eines erweiterten 100-Punkte-Schemas

Abbildung 4: Radiolo- gische Stabilitätsprü- fung für Taluskippung und -vorschub (TK/

TV). Stabil 5° und 5 mm, mäßig insta- bil < 10° oder 5. 10 mm, instabil 10°

und 10 mm

DM pro Patient betrüge für Berufsge- nossenschaften und gesetzliche Un- fallversicherungen für das Jahr 1985 insgesamt ca. 36,8 Millionen DM, wo- bei bei vergleichbaren ambulanten Behandlungs- beziehungsweise

4) Krankenhaustagepflegesatz im Bundesdurch- schnitt des Jahres 1985 nach Angaben des Ver- bandes der privaten Krankenversicherer, Köln.

5) Allgemeine Preisempfehlung der Bundesin- nungsverbände der orthopädietechnischen Be- rufe

Nachbehandlungskosten Reha-Auf- wendungen der operierten Patienten- gruppe unberücksichtigt bleiben.

Nicht einbezogen sind alle nicht berufsgenossenschaftlich behandel- ten Patienten des Jahres 1985 und die zusätzlichen gesundheits- und volkswirtschaftlichen Kosten, die sich durch die mittlere, auf drei Wo- chen verkürzte Arbeitsunfähigkeits- periode bei primär konservativ- funktioneller Therapie ergeben.

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das bei den Verfassern an- zufordernde Literaturverzeichnis im Sonderdruck.

Anschrift für die Verfasser:

Privatdozent Dr. med. Hans Zwipp Unfallchirurgische Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover

Konstanty-Gutschow-Straße 8 3000 Hannover 61

(46) Dt. Ärztebl. 85, Heft 42, 20. Oktober 1988 A-2902

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