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Archiv "Konservative Behandlung zerebraler arterieller Durchblutungsstörungen" (01.08.1983)

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lmZTEBLATT

Heft 30/31 vom 1. August 1983

Nach akutem Auftreten eines ischämischen Schlaganfalls kann der Arzt am Kranken- bett nicht sicher entschei- den, ob es sich um eine TIA, PRIND oder einen sich aus- dehnenden Hirninfarkt han- delt. Daher muß rasch dia- gnostiziert und therapiert werden, um so viel zu retten, wie möglich. Neben optima- ler Herz-Kreislauf-Behand- lung hat die Hämodilutions- therapie neue Möglichkeiten eröffnet zur Verbesserung der Fließeigenschaften des Blutes und damit der regio- nalen und kollateralen zere- bralen Durchblutung. Die Therapie mit Acetylsalizyl- säure-Präparaten hat sich zur Prophylaxe mikroembo- lisch ausgelöster Hirnin- farktrezidive bewährt. Jen- seits des 60. Lebensjahres kann eine rasche progre- diente Hirnatrophie vorkom-

men. Auch ein Altersparkin-

son ist möglich. Hier kann

eine Therapie mit sogenann- ten enzephalotropen Sub- stanzen versucht werden.

ARTERIOSKLEROSE-SERIE

Konservative Behandlung zerebraler arterieller

Durchblutungsstörungen

Ulrich Gottstein

Aus der Medizinischen Klinik

(Chefarzt: Professor Dr. med. Ulrich Gottstein) des Bürgerhospitals, Frankfurt am Main

Es ist nicht die Aufgabe dieses Beitrags, auf Klinik, Pathophysio- logie, Pathogenese und Diagno- stik zerebraler Durchblutungsstö- rungen detailliert einzugehen;

vielmehr sollen Hinweise für eine sinnvolle konservative Therapie gegeben werden. Es wird davon ausgegangen, daß alle notwendi- gen internistisch-neurologischen, angiologischen und radiologi- schen Untersuchungen durch den behandelnden Arzt vorausgegan- gen sind und eine weitgehend ge- sicherte Diagnose bereits vorliegt.

Wie in Tabelle 1 aufgezeigt, findet man beim akuten Schlaganfall in etwa 80 Prozent einen Hirninfarkt durch Atherosklerose, Thrombose und Embolie, nur in etwa 10 Pro- zent kann die embolisehe Genese bewiesen werden, in weiteren et- wa 10 Prozent findet sich eine Hirnblutung (3).

Seit Einführung der Computerto- mographie wissen wir, daß kleine Kugelbluturigen oder sogar um- schriebene ausgedehntere Hirn- blutungen ohne Anschluß an das Ventrikelsystem häufiger vorkom- men, als wir früher erkennen konnten. Als Faustregel gilt je-

doch nach wie vor, daß nur Patien- ten mit erheblichem arteriellem Hypertonus eine Hirnblutung erlei- den, Ausnahmen sind Rupturen von Aneurysmen (insbesondere bei jüngeren Menschen) sowie Blutgerinnungsstörungen der ver- schiedensten Ätiologie. Bei feh- lender Bewußtlosigkeit des Akut- erkrankten ist ein Hirninfarkt wahrscheinlicher als eine Hirn- massenblutung. Der erfahrene Arzt stellt allein aus der Anamnese und einer sorgfältigen interni- stisch-neurologischen Untersu- chung in über 90 Prozent die rich- tige Diagnose, wie durch spätere Computertomographie oder An- giographie oder auch etwa durch die Sektion bewiesen werden kann.

Differentialdiagnostisch muß na- türlich immer an eine Hirnblutung, einen Hirntumor oder einen Hirn- abszeß gedacht werden.

Nach akutem Auftreten der neuro- logischen Symptomatik, wie z. B.

1111- Mono- oder Hemiparesen,

Aphasien oder Dysarthrien, Hyp- ästhesien oder Parästhesien, Hirn- nervenausfällen, systematischem Schwindel, starker Taumeligkeit

usw., [>

(2)

kann von dem ans Krankenbett ge- rufenen Arzt zunächst nicht vor- ausgesagt werden, welchen Ver- lauf die zerebrale Ischämie neh- men wird.

Therapie der akuten

Wenn sich die Ausfälle wieder rasch zurückbilden, das heißt in wenigen Minuten oder längstens 24 Stunden, dann spricht man von einem "transitorischen ischämi- schen Insult" bzw. von einer

"transitorischen ischämischen At- tacke (TIA)".

Bildet sich jedoch der neurologi- sche Ausfall im Verlaufe von zwei bis drei Tagen wieder zurück, so wird die Bezeichnung de& "pro-

longierten reversiblen ischämi- schen Insultes" bzw. in der an- gloamerikanischen Literatur des

"prolongierten reversiblen isch- ämischen neurologischen Defizits (PR/ND)" angenommen. Fast nie handelt es sich aber wirklich nur um eine flüchtige Zirkulationsstö- rung (bzw. "Attacke") ohne Hin- terlassen morphologischer Verän- derungen, wie man jetzt immer besser durch die Computertomo- graphie nachweisen kann.

Bei Patienten mit häufigen TIAs oder PRINDs findet man später zahlreiche kleine Hirninfarkte, so daß sich das Krankheitsbild eines

"Multiinfarkt-Syndroms" entwik- keln kann.

zerebralen Mangeldurchblutung Die Ursache einer akuten zerebra- len Ischämie ist fast immer eine morphologische Strombahneinen- gung, entweder durch Atheroskle- rose, Thrombose oder Embolie, oder durch Stase und Aggregation der Blutsäule in poststenotischen Arealen oder an einem Intimaein- riß eines atherosklerotischen Bee- tes (also nie ein Gefäßspasmus, wie man früher glaubte). Daher ist es

~ nicht sinnvoll, sogenannte ge- fäßerweiternde Mittel anzuwenden (2), vielmehr kommt es darauf an, eine Verbesserung der Strö- mungsverhältnisse zu erreichen.

Für die Qualität der Blutströmung sind ein optimaler Strömungs-

Kanne! et al.

(Framingham) 1950-1964

(n = 90)

Hirninfarkt

(Atherosklerose 63%

und Thrombose)

Hirnembolie 15%

Hirnblutung 22%

gung des Umstandes, daß sich der behandelnde Arzt in der Diagnose getäuscht haben könnte, nicht al- so ein umschriebener Infarkt, son- dern eine umschriebene Hirnblu- tung vorliegt, ist ein zu hoher arte- rieller Blutdruck gefahrvoll. Wir wissen aus Messungen der globa- len und regionalen Hirndurchblu- tung sowie durch unsere klini- schen Beobachtungen, daß sich bei Patienten mit aktuer zerebraler Ischämie und arteriellem Hyperto- nus eine vorsichtige Blutdruck- senkung auf Werte von etwa 160/

90 mmHg in jeder Beziehung gün- stig auswirkt. Eine arterielle Hypo- tonie muß natürlich vermieden werden, da sonst der Strömungs- druck zu niedrig würde, und damit die Durchblutung, besonders auch im lschämieareal, weiter ab- fallen würde.

Bernsmeier/ Gottstein Soyka Gottstein et al.

1954-1957 1968-1974 1968-1971 (n = 275) (n = 581) (n = 442)

62% 80% 78%

13% -7% 5%

18% 13% 5%

Wenn sich die neurologischen Ausfälle infolge der zerebralen Durchblutungsstörung nicht zu- rückbilden, sondern sich im Ge- genteil noch kontinuierlich und schubweise verstärken, so spricht man von dem "sich ausweitenden Hirninfarkt" oder dem "advancing strake" bzw. dem "progressive strake".

Tabelle 1: Atiologie des akuten Schlaganfalls ..

Dann besteht die große Gefahr und Wahrscheinlichkeit, daß sich ein irreversibler, also bleibender neurologischer Ausfall entwickelt, das heißt ein Hirninfarkt ohne Rückbildung der Ausfälle, der in der angelsächsischen Literatur als

"completed strake" bezeichnet wird (3).*)

druck, also ein optimaler Blut- druck, mit möglichst normaler Pe- riodik des Stromflusses sowie eine Verbesserung der Fließeigan- schatten des Blutes von größter Bedeutung (2).

Ein arterieller Hypertonus, auch im Stadium der akuten zerebralen Ischämie, ist schädlich, da er das Risiko der Einblutung in den ln- farktbereich vergrößert sowie das parifokale Ödem verstärkt, wie man experimentell nachweisen konnte. Auch unter Berücksichti-

Eine Bradykardie oder Bradyar- rhythmie mit Frequenzen unter 50/

min. wirkt sich strömungsdyna- misch besonders dann ungünstig aus, wenn der diastolische Blut- druck unter 80 mmHg liegt. Dieser diastolische Blutdruck ist nämlich bei der Bradykardie und Bradyar- rhythmie in den relativ langen dia- stolischen Phasen der effektive

*) Vergleiche die ausführliche Darstellung von G. Paal: Zerebrale Arteriosklerose. Ihr Er- scheinungsbild unter Einbeziehung extra- kranieller Gefäßverschlüsse, Dt. Ärztebl. 80 (1983) 22,29 (Ausgabe A und B), 27 (Ausga- be C).

28 Heft 30/31 vom 1. August 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ARZTEBLATT Ausgabe A

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Strömungsdruck. Bei Werten un- ter 70 mmHg fällt schon normaler- weise die Hirndurchblutung ab, wobei die zerebrale Sauerstoffauf- nahme noch gewährleistet ist. Bei vorgeschädigten Gefäßen und be- reits bestehender Mangeldurch- blutung kann die weitere Vermin- derung der Zirkulation eine De- kompensation der Sauerstoff-und Substratversorgung des Hirnge- webes bewirken, was zu einer wei- teren Funktionseinbuße führt.

Liegt aus besonderen Gründen bei Patienten mit akuter zerebraler Ischämie eine arterielle Hypotonie vor, also z. B. mit Werten unter 120/70 mmHg, so sollte durch in- travenöse Infusionen mit Plasma- expandern oder, z. B. bei Herzin- suffizienz, mit Dopamin (Dopamin Giulini®, Dopamin-Nattermann®) oder Dobutrex eine vorsichtige leichte Drucksteigerung erreicht werden. Die Ursache der Hypoto- nie muß natürlich behandelt werden.

..,.. Ein therapeutischer Nihilismus im Fall einer akuten zerebralen Ischämie ist heute nicht mehr be- rechtigt, da wir durch klinische Beobachtungen, Messungen am Menschen und durch tierexperi- mentelle Untersuchungen wissen, daß es Möglichkeiten gibt, die re- gionale und perifokale Durchblu- tung zu bessern und damit die Ausdehnung eines Hirninfarkts im günstigen Fall zu begrenzen (4).

Es ist ja bekannt, daß die Flüchtig- keit neurologischer Ausfälle bei den sogenannten TIAs sowie bei nachgewiesenen Thrombosen und Embolien damit erklärt wer- den kann, daß diese durch das fi- brinolytische Potential des Blutes oder aber durch die Schubkräfte der Blutsäule rasch wieder aufge- löst werden. Am Augenhinter- grund ist, wenn man sofort nach Auftreten einer flüchtigen Erblin- dung (Amaurosis fugax) fundo- skopiert, gelegentlich ein pen- delnder Thrombus zu sehen, der sich unter der Beobachtung plötz- lich weiterbewegt und auflöst, wo- durch es dann im Verlauf von 30

bis 60 Minuten zur Wiedererho- lung der Retinafunktion und zur vollen Wiederherstellung der Seh- kraft kommt.

Angiographische Kontrollen ha- ben uns gelehrt, daß sich emboli- sehe oder thrombotische Ver- schlüsse, z. B. der A. cerebri me- dia, im Verlauf von wenigen Stun- den wieder auflösen können, ohne daß ein größerer Hirninfarkt resul- tiert. Wir lernten also daraus, daß nicht jede Lähmung durch einen massiven Zelluntergang verur- sacht ist, sondern daß ein Teil der Lähmungen infolge des nicht ge- währleisteten hohen Funktions- stoffwechsels der minderversorg- ten Ganglienzellen bei z. B. in- komplettem Verschluß oder bei noch ausreichender Kollateral- durchblutung entstanden war. Der nur 10 Prozent des gesamten Stoffumsatzes betragende Struk- turstoffwechsel kann dabei jedoch aufrechterhalten gewesen sein.

Daraus ergibt sich für uns die the- rapeutische Konsequenz,

..,.. bei jedem akuten neurologi- schen Ausfall, den wir auf eine Hirndurchblutungsstörung zu- rückführen, ganz rasch für eine Verbesserung der Zirkulationsver- hältnisse zu sorgen. Es gilt, Stasen und Aggregate sowie saure Stoff- wechselprodukte fortzuspülen, um damit die Progredienz des ok- klusiven Gefäßprozesses sowie der Ödementwicklung und Aus- breitung des Hirninfarktareals zu stoppen.

Es ist also das Ziel unserer Thera-

pie, bei neurologischen Ausfällen eine möglichst weitgehende Re- versibilität und natürlich auch eine Senkung der Letalität zu errei- chen, was auch zu einem hohen Prozentsatz gelingt. Gelegentlich sind auch Spontanheilungen ohne unsere Therapie zu beobachten.

Allzu häutig jedoch ist ein Fort-

schreiten der neurologischen Aus-

fälle trotz unserer Therapie nicht zu verhindern. Die Folge ist dann meist ein Hirninfarkt mit bleiben- den neurologischen Defiziten. Bei länger fortgesetzter Therapie

Zerebrale Durchblutungsstörungen

kommt es allerdings auch vor, daß sich die Ausfälle doch noch, zu- mindest partiell, zurückbilden, manchmal sogar völlig. Wie sind diese Verläufe zu erklären?

Schon seit Jahren wissen wir aus der konservativen und auch chir- urgischen Therapie arterieller Durchblutungsstörungen der Bei- ne, daß nach Wiederherstellung der Durchgängigkeil eines Gefäß- verschlusses ein Hyperperfusions- ödem für einige Tage auftreten kann. Es entsteht durch die ver- mehrte Durchlässigkeit zuvor ge- schädigter Kapillarmembranen, auf die nun der volle Druck der Blutdrucksäule wieder einwirkt.

Nach wenigen Tagen bildet sich die Schrankenstörung wieder zu- rück, die Ödeme verschwinden wieder. Die gleichen Vorgänge können am Gehirn auftreten, wie aus Messungen bei Tier und Mensch bekannt ist:

..,.. Nicht nur durch den Gewebs- untergang und die ischämische Schädigung der Kapillarmembra- nen infolge des Hirninfarkts ent- stehen das zytotoxische und das vasogene Ödem, sondern auch in- folge der wieder verbesserten Zir- kulationsverhältnisse nach Auflö- sung eines Gefäßverschlusses kann sich ein postokklusioneil zu- nächst aufgetretenes Ödem vor- übergehend verstärken. (Auch aus diesem Grund ist die Senkung des arteriellen Bluthochdrucks auf Normalwerte so wichtig).

Ein solches, also durch Verbesse- rung der Zirkulationsverhältnisse zunächst entstandenes ausge- dehnteras Ödem kann vorüberge- hend die neurologischen Ausfälle verstärken, um sich dann im Ver- laufe von mehreren Tagen auch wieder langsam zurückzubilden.

Wenn die neurologischen Ausfälle also trotz unserer Therapie zu- nächst nicht rasch abnehmen, sondern sich sogar noch verstär- ken, so muß man als Therapeut nicht gleich verzweifelt sein, son- dern darf die berechtigte Hoff- nung haben, daß sich trotz oder bei fortgesetzter Therapie eine

(4)

Besserung noch einstellen wird.

Dies ist unsere Erfahrung aus der Behandlung von weit über 1000 Patienten mit Hirninfarkt

~ Welche therapeutischen Mög- lichkeiten gibt es, um Thrombosen und Embolien oder Stasen und Aggregate aufzulösen, oder aber die Durchblutung in den Randbe- zirken des Hirninfarktes zu verbes- sern?

Die Therapie mit Streptokinase (Kabikinase®, Streptase®) und Di- kumarolen (Marcumar®) oder mit höher dosierter Liqueminisierung (etwa mit Dosierungen, wie bei der Therapie von Beinvenen- oder Ar- terienthrombosen, Lungenembo- lie usw. üblich) hat sich beim aku- ten zerebralen ischämischen In- sult nicht bewährt, da gefährliche oder tödliche Hirnblutungen im akuten Stadium mehrfach die Fol- ge waren (Literatur bei 2,3). Die Behandlung mit dem Schlangen- gift Arwin zur Defibrinogenisie- rung hat bislang auch noch keine gesicherten therapeutischen Er- folge gebracht.

Die größten Erfahrungen existie- ren in der internationalen Literatur bislang mit der Hämodilutionsthe- rapie, die wir 1969 publizierten und in die Behandlung der zere- bralen Ischämie einführten (6). Wir hatten nachweisen können, daß es

mit Hilfe der induzierten Hämedi- lution durch Infusion niedermole- kularer Dextranlösungen möglich war, die Hirndurchblutung signifi- kant zu steigern, infolge der Hä- matokrit- und Viskositätsvermin- derung des Blutes.

Unsere Ergebnisse wurden dann von anderen Autoren bestätigt (Li- teratur bei 2), und es konnte ge- zeigt werden, daß auch in den ischämischen Regionen unter der Hämodilutionstherapie die Hirn- durchblutung zunahm.

Inzwischen gibt es zahlreiche tier- experimentelle Untersuchungen mit artifiziell gesetzten zerebralen Gefäßverschlüssen, und auch da- bei konnte bewiesen werden, daß die fokale und perifokale Durch- blutung bei der induzierten Hämo- dilutionstherapie, besonders der hypervolämischen, zu einer Ver- besserung der Durchblutung und Verkleinerung der Hirninfarkte führt, im Vergleich zu Kontrolltie- ren und besonders zu solchen, die polyglobul sind oder Erythrozyten zusätzlich transfundiert bekamen (9). Das dünnflüssige Blut vermag also, Stasen und Aggregationen sowie die angefallenen Stoffwech- selendprodukte wegzuspülen und die Kollateraldurchblutung we- sentlich zu steigern. Das sind pa- thogenetisch vernünftige Prinzi- pien einer Therapie.

ln Tabelle 2 ist die Letalität des akuten Hirninfarktes in einer retro- spektiven Studie (Gottstein et al.) sowie einer randomisierten Dop- pelblindstudie (Matthews et al.) wiedergegeben (aus 4). Zu erken- nen ist, daß eine deutliche Letali- tätssenkung durch die Hämodilu- tionstherapie mit niedermolekula- rem Dextran (Rheomacrodex®) er- reicht worden ist. Die neurologi- schen Ausfälle sind, bei lege artis durchgeführter Hämodilutionsthe- rapie (also kontinuierlich über 7 bis 14 Tage), nach unserer Erfah- rung (3, 4) und nach der Erfahrung der beginnenden internationalen Studien (1, 8), in einem höheren Prozentsatz rückbildungsfähig, als ohne eine solche Blutverdün- nungstherapie.

Tabelle 3 gibt schematisch die Hä- modilutionstherapie des akuten Hirninfarktes, wie sie von uns ein- geführt wurde und durchgeführt wird, wieder (3, 4).

~ Nach Vorinjektion von einer Ampulle Promit® zur Vermeidung ernsthafter allergischer Zwischen- fälle (7) wird bei den Hirninfarkt- kranken mit normalem Hämatokrit und ohne Herz- oder Niereninsuffi- zienz eine hypervolämische Hä- modilution mittels einer kontinu- ierlichen Infusion (lnfusionsappa- ratur) Tag und Nacht durchge- führt, über 7 bis 14 Tage.

Krankenhausletalität des akuten Hirninfarkts

mit und ohne Infusionstherapie mit niedermolekularem Dextran Vergleichende Studien

N Dextran 40 5% Glukose N Therapiedauer Autor Art der Studie

46 4% 15% S. 54 3 Tage Gilroy et al. 1969 Prospektiv, randomisiert 30 26% 21% N. S. 29 3 Tage Spudis et al. 1973 Prospektiv, randomisiert 52 10% 19%

s.

48 3 Tage Matthews et al. 1976 Prospektiv, randomisiert 21 19% 54% S. 13 3 Tage Matthews et al. 1976 (nur komplette Hemiparesen)

202 35% 54%

s.

226 10-14 Tage Gottstein et al. 1976 Retrospektiv, Vergleich gegen Vasodilatantientherapie Mittleres Alter: 69 Jahre Tabelle 2

32 Heft 30/31 vom 1. August 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ARZTEBLATT Ausgabe A

(5)

..,.. Bei Kranken mit einem erhöh- ten Hämatokrit und ebenfalls kei- ner Herz- oder Niereninsuffizienz wird am einen Arm initialein Ader- laß durchgeführt, während am an- deren Arm zur gleichen Zeit die Infusion einläuft, in etwa gleicher Geschwindigkeit, um eine Hypo- volämie zu verhindern. Es handelt sich dann also um eine leicht hy- pervolämische Hämedilution mit Aderlaß (die genauen Dosierun- gen sind der Tabelle zu ent- nehmen).

..,.. Bei Kranken mit Herz- oder Niereninsuffizienz und erhöhtem Hämatokrit wird eine insovolämi- sche Hämodilution durchgeführt, indem ein Aderlaß von 300 bis 500 ml am einen Arm Vorgenommen wird, während am anderen Arm mit gleicher Geschwindigkeit eine Infusion mit Rheomacrodex® oder Humanalbumin® einläuft.

..,.. Eine Hämodilutionstherapie ist nicht durchführbar bei Patienten, die herz- oder niereninsuffizient sind oder schon als Ausgangswer- te tief normale oder erniedrigte Hämatokritwerte haben.

ln diesen Fällen geben wir 3 x 1 oder 3 x 2 Tabletten Trental® 400 (Pentoxifyllin) oder, falls keine Kontraindikation besteht, intrave- nöse Infusionen mit 300 mg Tren- tal®, evtl. 3 x täglich.

Es liegen mehrere Ergebnisse von Hirndurchblutungsmessungen am Menschen und von Tierexperi- menten vor, die zeigen, daß wahr- scheinlich infolge verbesserter Erythrozytenflexibilität unter dem Einfluß von Pentoxifyllin (Trental®) die Durchblutung gesteigert wer- den kann. Abgeschlossene Dop- pelblindstudien über die klinische Wirksamkeit von Trental beim aku- ten Hirninfarkt liegen noch nicht vor. Mit anderen Präparaten, die ebenfalls entweder die Erythrozy- tenflexibilität angeblich steigern, oder angeblich die Blutviskosität senken, oder angeblich vasoaktiv sind, konnten keine gesicherten Therapieeffekte beim akuten Hirn- infarkt erzielt werden.

Zerebrale Durcliblutungsstörungen

Hypervolämische Hypervolämische lsovolämische Hämedilution Hämedilution mit Hämedilution mit

Aderlaß Aderlaß

300 bis 500 ml bis 500 ml

Aderlaß Aderlaß

1000 ml Rheoma- 1000 ml Rheoma- 300 bis 500 ml crodex/24 Stunden crodex/24 Stunden Rheomacrodex 1000 ml trinken 1000 ml trinken oder

Humanalbumin oder Infusion oder Infusion

Indikationen:

Hämatokrit Hämatokrit Hämatokrit

unter 40% über 40% über 40%

Keine Herz-oder Keine Herz- oder Vorhandene Niereninsuffizienz Niereninsuffizienz Herz- oder

Niereninsuffizienz Tabelle 3: Hämodilutionstherapie des akuten Hirninfarktes und Indikationen

Die Behandlung des Hirnödems bei der akuten zerebralen Isch- ämie mit Manitol oder Glycerol {Giycilax®) führt zwar gelegentlich zu einer flüchtigen Verminderung der neurologischen Ausfälle oder zu einer Aufhellung des Bewußt- seins infolge einer Senkung des Hirndrucks, doch hat sich leider eine anhaltende Besserung der klinischen Symptomatik oder eine Senkung der Letalität nicht verifi- zieren lassen (3).

Auch die Therapie mit Dexametha- son (z. B. Decadron®) bzw. Corti- son-Präparaten ist nicht zu emp- fehlen.

Weder im Tierexperiment noch bei Doppelblindstudien konnte eine günstige Wirkung der Cortison- Präparate beim Hirninfarkt nach- gewiesen werden, im Gegensatz zu den guten Effekten bei Hirn- tumor, Hirnmetastasen und even- tuell auch bei Hirntrauma.

Beim Hirninfarkt sollte also auf Dexamethason verzichtet werden, da ohnehin diese Kranken zum Auftreten von hämorrhagischer Gastritis und Magenulkus neigen, und es durch die Cortison-Thera- pie zu gefährlichen Magenblutun- gen kommen kann (3).

Therapie

im Postinfarkt-Stadium

Die weitergehende Behandlung nach durchgemachter zerebraler Ischämie hat sich auf eine optima- le internistische Therapie und Be- kämpfung aller Risikofaktoren zu konzentrieren, um eine Progre- dienz der Gefäßveränderungen und thrombotischen Abläufe zu vermeiden.

Auf die entsprechende Literatur wird verwiesen. Die Verordnung aller sogenannten gefäßerweitern- den Medikamente bewirkt keine erkennbaren oder nachweisbaren Basserungen im Befinden der Pa- tienten sowie in der Beeinflussung neurologischer Ausfälle oder der Prognose. ln wissenschaftlichen Untersuchungen konnte eine an- haltende Durchblutungsverbesse- rung nicht nachgewiesen werden.

..,.. Für die Prophylaxe erneuter thrombotischer, nicht emoboli- scher zerebraler Ischämien ist es wichtig, die Fließeigenschaften des Blutes optimal zu halten.

Dazu gehört die Vermeidung einer Polyglobulie, wie sie häufig bei Emphysematikern sowie bei chro- nischen Rauchern vorliegt. [>

(6)

Die durch das Rauchen bedingte Hypoxämie und Kohlenmonoxyd- belastung des Blutes bewirkt eine solche Polyglobulie, hinzu kommt das Lungenemphysem. Durch so- fortiges Einstellen des Rauchens sowie durch Behandlung einer et- waigen Emphysembronchitis kann man oft genug im Verlauf weniger Wochen die Normalisierung des Hämatokrit erreichen.

Bei konstant anhaltender Polyglo- bulie, auch anderer Ursache, kön- nen regelmäßige kleine Aderlässe bei solchen Patienten, die zerebra- le Ischämien erlitten hatten, sinn- voll sein.

Die Wirksamkeit der prophylakti- schen Therapie mit Acetylsalicyl- säure-Präparaten bei Patienten nach transitorischer lschämie oder Hirninfarkt oder Amaurosis fugax ist in internationalen Stu- dien weitgehend bewiesen (Litera- tur bei 3).

Auch die Behandlung mit Dikuma- rol (Marcumar®) hat sich in zahl- reichen Studien bewährt: Rezidive von Amaurosis fugax, TIAs sowie das Auftreten bleibender oder le- taler Hirninfarkte waren in der Be- handlungsgruppe signifikant sel- tener, als in der Vergleichsgruppe.

Da jedoch die Antikoagulantien- Therapie nur bei sehr zuverlässi- gen Patienten längerfristig durch- geführt werden kann, und viele der Hirninfarktpatienten alt und unzuverlässig sind, so daß es auch zu Hirnblutungen kam, ist die Anti- koagulantien-Therapie nach erlit- tenem Hirninfakt auf Sonderfälle beschränkt. Man wendet daher heutzutage vorwiegend Acetylsali- cylsäure-Präparate in der Dosie- rung von 3 x 0,5 Gramm (oder 2 x 0,5 Gramm bei zarten alten Patien- ten) an. Damit können die Throm- bozytenadhäsivität reduziert und das Auftreten von Mikroembolien, die von atherosklerotischen Bee- ten ausgehen, wesentlich vermin- dert werden (Literatur bei 3).

Es versteht sich, daß neben einer optimalen Herz- und Blutdruck-

therapie und neben der Beach- tung der Blutviskosität, der Blut- zucker- und Fettstoffwechselwer- te, der Nierenfunktion sowie der Serumelektrolyte vor allem auch die psychische Führung des Pa- tienten, die Beratung der Angehö- rigen und die krankengymnasti- sche Therapie von größter Bedeu- tung sind.

Therapie der chronischen zerebrovaskulären Insuffizienz Bei Patienten mit Beschwerden ei- ner sogenannten chronischen ze- rebrovaskulären Insuffizienz han- delt es sich entweder um Zustände nach akuten Infarkten oder um ein sogenanntes Multiinfarkt-Syn- drom: ferner um die Auswirkun- gen atherosklerotischer Gefäßein- engungen, etwa unter dem Einfluß schwankender Blutdruckwerte oder Stasen der Blutsäule, oder um eine hypertensive Enzephalo- pathie. Sehr häufig aber handelt es sich nicht um eine zerebrovas- kuläre Insuffizienz, sondern um ei- nen hirnatrophischen Prozeß.

Wir wissen heute durch die Com- putertomographie sehr gut, daß bei vielen Menschen jenseits des 60. Lebensjahres eine wissen- schaftlich bislang nicht sicher auf- geklärte, rasche progrediente Hirnatrophie vorkommen kann, im Sinne eines Morbus Alzheimer mit deutlich erweiterten Liquorräu- men, unabhängig von Gefäßverän- derungen.

Auf dieses Krankheitsbild kann hier nicht näher eingegangen wer- den. Wir Ärzte müssen ja eingeste- hen, daß wir auch heute noch nicht wissen, auf welche Weise Altersveränderungen verursacht sind, warum z. B. bei manchen Menschen die Haare frühzeitig grau werden oder ausfallen, ein Altersstar auftritt, degenerative nicht vaskulär bedingte Verände- rungen der Wirbelsäule und ande- rer Organe einsetzen usw. In glei- cher Weise wissen wir auch nicht, warum bei manchen Menschen ein rascherer Ganglienzellunter-

gang einsetzt, selbst wenn Ri- sikofaktoren fehlen (zum Bei- spiel chronischer Alkoholabusus, schlecht eingestellter Diabetes mellitus, hypertensive Enzephalo- pathie usw.). Bei vielen alten Men- schen tritt auch ein Altersparkin- son hinzu.

Die Therapie mit sogenannten en- zephalotropen Substanzen wie z. B. Normabrain 800 oder Noo- trop, evtl. in der Kombination mit Madopar, kann bei zerebralen Funktionsstörungen im Alter ver- sucht werden.

(Prof. Dr. Hans Hiess, München, in freundschaftlicher Verbundenheit zum 65. Geburtstag im November 1983 — Der Verfasser)

Literatur

(1) Asplund, K.; Eriksson, S.; Hägg, E.; Lithner, F.; Strand, T. Wester, P. 0.: Ischemic stroke treated by hemodilution. An Interim report of a randomized trial. ,.Cerebra) Vascular Dis- ease", In: Meyer, J. S.; Lechner, H.; Reivich, M.; Ed.: Excerpta Medica, Amsterdam-Oxford, (1983) 148-150 — (2) Gottstein, U.: Behandlung der zerebralen Mangeldurchblutung. Eine kri- tische Übersicht, Internist 15 (1974) 575-587 — (3) Gottstein, U.: Der akute zerebrale Insult.

Differentialdiagnose und therapeutische Pro- bleme. Internist 21 (1980) 252-259 — (4) Gott- stein, U.: Einfluß der Hämodilution sowie der Blutviskosität auf die zerebrale Zirkulation mit Konsequenzen für die Therapie, Arzneimittel- Forschung/Drug Res. 31 (1981) 2028-2032 — (5) Gottstein, U.: Kardiologische und rheologi- sche Aspekte der Hirnleistungsinsuffizienz.

Therapiewoche 33 (1983) 1550-1571 — (6) Gott- stein, U.; Held. K.: Effekt der Hämodilution nach intravenöser Infusion von niedermoleku- lären Dextranen auf die Hirnzirkulation des Menschen, Dtsch. Med. Wschr. 94 (1969) 522-526 — (7) Laubenthal, H.; Peter, K.; Rich- ter, W.; Kraft, D.; Selbmann, H. K.; Messmer, K.: Anaphylaktoide/anaphylaktische Reaktio- nen auf Dextran: Pathomechanismus und Pro- phylaxe, Diagnostik und Intensivtherapie 8 (1983) 4-14 — (8) Wood, J. H.; Fleischer, A. S.:

Observations during hypervolemic hemodilu- tion of patients with acute focal cerebral ische- mia, J. Neurosurg. 1983 (im Druck) — (9) Wood, J. H.; Snyder, L. L.; Simeone, F. A.: Failure of intravascular volume expansion without hemodilution to elevate cortical blood flow in region of experimental focal ischemia, J.

Neurosurg. 56 (1982) 80-91.

Anschrift des Verfassers:

Professor

Dr. med. Ulrich Gottstein

Chefarzt der Medizinischen Klinik des Bürgerhospitals

Nibelungenallee 37-41 6000 Frankfurt (Main) 34 Heft 30/31 vom 1. August 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A

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