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Archiv "Operative Behandlung der Epilepsie" (04.12.1975)

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

Operative Behandlung der Epilepsie

G. Thomalske

Aus der Abteilung für Funktionelle Neurochirurgie (Leiter: Professor Dr. med. Günther Thomalske) des Zentrums für Neurologie und Neurochirurgie

der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main

Epilepsien, bei denen jede konservative Therapie versagt und sich mit häufigen Anfällen ein zunehmender psychischer Abbau voll- zieht. dürfen den Therapeuten nicht resignieren lassen: Es muß die Frage erörtert werden, ob es sich nicht um eine Fokalepilepsie han- delt, bei welcher der Herd einer chirurgischen Exstirpation zugäng- lich ist. Zwar bleibt die Zahl der endgültig neurochirurgischer The- rapie zugeführten Epileptiker relativ klein, doch sind die Erfolge — insbesondere, wenn man sich vergegenwärtigt, daß es sonst unbe- einflußbare Fälle sind — sehr ermutigend: Die Heilungsquote (- An- fallsfreiheit) liegt im Durchschnitt bei 25-45 Prozent der Operierten, insgesamt sind durchschnittlich 55-75 Prozent der Operierten durch den Eingriff günstig zu beeinflussen. Im folgenden werden die funk- tionell-anatomischen und pathophysiologischen Grundlagen der chirurgisch beeinflußbaren Epilepsien gestreift, ferner Indikation, verschiedene operative Verfahren und deren Ergebnisse darge- stellt. Bei den Operationsverfahren konkurrieren offene und stereo- taktische Methoden in isolierter oder kombinierter Anwendung.

Wichtig ist die Tatsache, daß bei 20 Prozent temporaler Herdepilep- sien klinisch latente Tumoren die Ursache des Anfallsgeschehens sind.

A) Einleitung terdrückung von epileptischen An- fällen gestatten.

Die pharmakologische Forschung

hat in den letzten Jahrzehnten Je nach Art der Anfälle verbleiben auch auf dem Gebiete der Antikon- in den einzelnen Kategorien jedoch vulsiva große Fortschritte gemacht. 10 bis 25 Prozent von Patienten, Sie gab dem Arzte Medikamente bei denen sich die konservativ-me- zur Hand, welche allein oder in dikamentöse Therapie als unzurei- sorgfältig ausgewählter Kombina- chend und unbefriedigend erweist, tion mit anderen, gleichgerichteten sei es, daß zahlreiche Anfälle oder Pharmaka, eine weitgehende Un- starke Verhaltensstörungen jede ÜBERSICHTSAUFSÄTZE:

Operative Behandlung der Epilepsie

Der derzeitige Stand der Behandlung von Parotistumoren

THERAPIE IN KÜRZE:

Verätzungen des Ösophagus

Temporäres Kolostoma

KONGRESS- NACHRICHTEN:

Aspirationsbiopsie der Prostata

Kinder im Straßenverkehr Angiographie

noch risikofreier

Prostatakrebs: Therapie Vorsicht bei

Hodenpunktion Umweltfreundliche Sonnenenergie

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 49 vom 4. Dezember 1975 3359

(2)

Fokale Epilepsien

a) Iso- = neokortikale Herdepi- lepsie mit partiellen Anfällen (Jackson-Anfälle)

Iso- = neokortikale Herdepi- lepsie mit generalisierten An- fällen

Limbische Epilepsie mit ge- neralisierten Anfällen.

Abbildung 1: Schematische Darstellung der „zentrenzephalen" und der verschiedenen, fokal ausgelösten Formen epileptischer Anfälle

A. „Kortiko-retikuläre" Epilepsie mit „zentrenzephalen", generali- Anfällen.

b) Iso- = neokortikale Herdepi- lepsie mit psychomotorischen An- fällen

c) Limbische Epilepsie mit psy- chomotorischen Anfällen

berufliche und soziale Adaptation erschweren oder sogar unmöglich machen, sei es, daß auch seltene Anfälle vom Patienten und/oder seiner Umgebung als so gravie- rend empfunden werden, daß er in völlige Isolation getrieben wird. An- dererseits soll nicht verschwiegen werden, daß es auch Patienten gibt, die trotz der Anfälle imstande sind, ein quasi normales Leben aufzubauen. — Da jeder Mensch unter bestimmten Konstellationen, vor allem im Kindesalter, einmal ei- nen Krampfanfall als plurigeneti- sche Terminalreaktion des Gehir- nes (Bamberger, Janzen) erleiden kann, ist hervorzuheben, daß sich nachfolgende Ausführungen auf die Epilepsie als Krankheit bezie- hen, bei der mehr oder weniger häufig spontan, ohne ersichtlichen Grund chronisch-rezidivierende Anfälle auftreten.

Patienten, bei denen die konser- vative Epilepsietherapie versagt und bei denen ein epileptogenes Herdgeschehen zu vermuten ist, rücken in den Blickwinkel neuro- chirurgischer Indikationsüberprü- fung. Die Zahl der tatsächlich ope- rierten Patienten ist jedoch nur verhältnismäßig gering.

B) Pathophysiologie und Klinik Neben dem allbekannten generali- sierten, großen Anfall (grand mal) gehört nach dem heutigen Wis- sensstand noch eine ganze Reihe von anderen, vielfältigen Manifesta- tionen in den Formenkreis der Epi- lepsie. So ist ganz generell festzu- stellen, daß es kaum eine abnorme psychische, motorische oder vege- tative Entäußerung gibt, die nicht im Rahmen einer der bekannten Epilepsieformen auch anfallsbe- dingt sein könnte: Neurologische und psychiatrische Manifestationen sind bei der Epilepsie verwoben.

Nach dem EEG-Befund ergeben sich zwei große Gruppen von Epi- lepsien (Abbildung 1):

0 Solche mit primär über der Ge- samtheit beider Hemisphären ge- neralisierten EEG-Anomalien, frü- her in Anlehnung an die Montrealer

(3)

0

® ' O 0 0 1 2 0 11 0 0 9 0 0 4 O

10

0 0

1 2 3

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A

h A, v

12

Abbildung 2: EEG bei ,.zentrenzephaler" Epilepsie (Anfall vom Petit-mal-Typ)

2

4 5

9

10 11

Abbildung 3: EEG bei Herdepilepsie (Intervall-Fokus mit steilen Wellen in Phasenumkehr über dem vorderen Tem- poralgebiet rechts)

Chirurgische Epilepsietherapie

DEUTSCHES .ÄRZTEBLATT Heft 49 vom 4. Dezember 1975 3361

(4)

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Chirurgische Epilepsietherapie

Schule „centrencephale", neuer- dings nach einem Vorschlag Gloors „kortiko-retikuläre" Epilep- sien genannt; zu ihnen gehören die Grand-mal- und die Petit-mal-An- fälle (Abbildung 2);

solche mit EEG-Anomalien (stei- le Wellen, langsame Potentiale mit hypersynchronen Wellenfolgen) über umschriebenen Gebieten des Großhirnes, als „Herdepilepsien"

bzw. „fokale" oder „partielle Epi- lepsien" bezeichnet (Abbildung 3).

Das klinische Bild allein erlaubt aber nicht immer Rückschlüsse auf den Entstehungsmodus von Anfäl-

len: Fokal ausgelöste Anfälle kön- nen zum Beispiel klinisch wie pri- mär generalisiert erscheinen, während Anfälle mit generalisierten elektrischen Krampfpotentialen eventuell klinische Symptome bie- ten, die an eine fokale Genese denken lassen.

Grundsätzlich ist jedoch anzuneh- men, daß wohl jede Krampfentla- dung primär an einem bestimmten, umschriebenen Ort in der grauen Hirnsubstanz beginnt. Das elektro- graphische Bild wie auch die klini- schen Phänomene der Anfälle hän- gen davon ab, wie nahe (= gene-

ralisierte Formen) oder entfernt (= fokale Formen) jener Ort der primären Krampfentladung in topo- graphischer oder funktioneller Hin- sicht (Abbildung 1) zu solchen sub- kortikalen Hirnstrukturen liegt, wel- che nach allen Kortexbereichen projizieren und somit als „Schritt- macher" das Substrat für Generali- sierungsmechanismen der Hirn- ströme darstellen. Gleichzeitig hängen Hirnstrombild und klinische Manifestationen der Anfälle auch noch davon ab, wie hoch die Reiz- schwelle — oder umgekehrt aus- gedrückt die Krampfgeneigtheit — der grauen Substanz des Entste-

0,,us a1OuT ( ARTA CANGt/LARis)

Abbildung 4: Stark schematisierte Übersicht der wichtigeren rhinenzephalen und limbischen Verbindungen. Afferente Verbindungen zu Mandelkern und Hippokampus gestrichelt, eoerente Verbindungen in ausgezogenen Linien (aus Thomalske, Woringer: Acta Neurochir., V, 223-317 [1957])

(5)

= Mandelkern = Amygdaloidkomplex

= Hippokampus und Hauptefferenzweg Fornix

Abbildung 5: Schematische Darstellung der Angriffspunkte neurochirurgi- scher Epilepsietherapie: 1 + 3 Subpiale Kortexresektion nach Kortikogra- phie oder SEEG, 2 Resektion des Temporallappens en bloc, 4 Fornikoto- mie, 5 Amygdalotomie, 6 Verschiedene Thalamotomien, 7 Vordere Zingulo- tomie, 8 Koagulation im Forel-H-Feld

hungsortes der pathologischen Entladungen selbst und des ge- samten Gehirnes jeweils ist.

Diese Betrachtungsweise hat dazu geführt, daß — wie die Arbei- ten der Montrealer (Penfield, Jas- per), der Marseiller (Paillas, Gas- taut) und der Pariser Schule (Talai- rach, Bancaud) bezeugen — die Kategorie der ehemaligen krypto- genetischen (= idiopathischen) Epilepsien immer mehr eingeengt werden konnte zugunsten des Nachweises herdförmiger Auslö- sung bei der überwiegenden Mehr- zahl der Epilepsieformen (Walker).

Den epileptogenen Herden können kongenitale Mißbildungen, Tu- moren oder Folgen von Traumen (insbesondere der Perinatalzeit), Ischämien und Entzündungen usw.

zugrundeliegen. Diese Läsionen können makroskopischer aber eventuell auch nur mikroskopi- scher Natur sein.

Epileptogene Herde mit übererreg- baren Neuronenpopulationen kön- nen überall in der grauen Hirnsub- stanz liegen. Neben Herden im Neo- (= Iso-)Kortex kommen auch sol- che in den phylogenetisch älteren Kortexgebieten des „limbischen Sy- stems" vor. Somit unterscheiden wir zwei Arten von Herdepilepsien (Abbildung 1):

Neokortikale (= isokortikale) Herdepilepsien

Im typischen Fall (sofern nicht Ge- neralisierung erfolgt) äußern sich Herdanfälle in isokortikalen Rin- denarealen spezifischer Funktion durch Manifestationen, welche ei- ner krankhaften „Übertreibung"

der physiologischen Normalfunk- tion dieser Gebiete entsprechen (z. B. akustische, vestibuläre, opti- sche, sensible oder motorische Phänomene).

Limbische Herdepilepsien (mit Prädilektionsort Temporalgebiet) Herdanfälle in Anteilen des limbi- schen Systems verlaufen, sofern sie nicht generalisieren, sehr häu- fig unter psychomotorischer Sym-

ptomatik, welche ebenfalls einer

„erheblichen Übertreibung der nor- malerweise in diesen Hirngebieten ablaufenden normalen Vorgänge"

(Jackson) entspricht.

Ungefähr 50 bis 60 Prozent aller im EEG feststellbaren herdförmigen epileptogenen Entladungen neh- men die Temporalregion, insbeson- dere ihren vorderen Abschnitt ein (Gastaut). Der Temporallappen hat besonders enge Beziehungen zum limbischen System und über dieses zu wichtigen subkortikalen Hirn- strukturen.

Zum besseren Verständnis der wei- teren Ausführungen ist es unum- gänglich, kurz auf das limbische System einzugehen:

Unter dem „limbischen System"

verstehen wir heute um den Hemi- sphärenstiel des Stammhirnes her- um (Abbildung 4) und im Zwi- schenhirn gelegene Strukturen wie Gyrus cinguli, Gyrus hippocampi (= parahippocampi = parahippo- campalis, P. N. A. 1 )), Hippokampus mit Hauptefferenzweg Fornix, Man- delkern (= Amygdala = Amygda- loidkomplex) mit Hauptefferenzweg Stria terminalis (= Taenia semicir- cularis), Septum pellucidum usw., phylogenetisch alte Anteile des ba- salen Schläfenhirnes, Teile des Hy- pothalamus und vorderen Thala- mus, Epithalamus und „limbic mid- brain area" mit allen wechselseiti- gen Verbindungsbahnen, die einen

1) Parisiensia Nomina Anatomica

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 49 vom 4. Dezember 1975 3363

(6)

32,1°/o 0 2

2,9%

45,8°/o 40%

1 6,6%

Tabelle 1: Ergebnisse der operativen Abtragung epileptogener Areale nach SEEG-Exploration (nach Talairach-Bancaud).

Exstirpation epileptogener Areale

frontal 24 central 15 parietal 28 temporal 68

E Vollständig R anfallsfrei F

0

L Extrem seltene G Anfälle

3 12,6°/o

4 26,6%

6 21,50/o

13 19,2°/o

Weiterbestehen der Anfälle

Mortalität

8 5

33,30/0 33,40/0

3 12,5°/o V

E R A G E R

9 32 ,1°/o

11 16,2%

19,1 0/0 10

41,6°/o

54,2°/o 5 33,40/0

60%

13 46,4°/o

67,9%

42 61,70/0

80,9°/o Op.-Ergebnis

Chirurgische Epilepsietherapie

geschlossenen, multineuronalen Funktionskomplex bilden. Diesen Formationen kommen Regulations- funktionen für das affektive, sexu- elle, olfaktiv- und oral-nutritive An- triebsverhalten, für endokrine Vor- gänge und den Wach-Schlafrhyth- mus sowie eine große Bedeutung für Merkfähigkeit und Gedächtnis zu. Es dient also Regulationen, die im Endeffekt die Selbsterhaltung und Arterhaltung bezwecken.

Elektrische Reizung im limbischen System, insbesondere in Hippo- kampus und Amygdaloidkomplex führt zu Manifestationen aus den eben umrissenen Funktionskreisen, die große Ähnlichkeit mit den An- fallserscheinungen bei psychomo- torischer Epilepsie aufweisen. Vor allem Hippokampus und Amygda- loidkomplex zeichnen sich durch eine besonders niedrige Krampf- schwelle aus. Sie sind deshalb von großer Bedeutung für jene Herd- epilepsieformen, bei denen die pa- thologisch gesteigerten Aktivitäten in ihnen selbst entstehen, oder aber, aus anderen Hirngebieten

kommend, infolge ihrer Krampfbe- reitschaft von ihnen besonders leicht aufgenommen werden. So kann es durch Miterregung dieser Strukturen oder anderer Teile des limbischen Systems auch bei Herd- epilepsien mit neokortikalem Pri- märfokus zu psychomotorischen Manifestationen kommen (Talai- rach, Bancaud). Besonders Hippo- kampus und Amygdaloidkomplex spielen dann also eine wichtige Rolle in der Organisation des An- fallsmusters und der Unterhaltung und Diffusion der Krampfentladun- gen. Das limbische System be- stimmt also nicht nur die Symptom- komposition jener Epilepsieformen, die primär von einem seiner Antei- le oder von dem mit ihm partiell identischen und besonders eng verknüpften Temporallappen aus- gehen, sondern kann auch das kli- nische Bild extralimbisch-extratem- poral entstehender Herdanfälle mitgestalten (Abbildung 1, B, b).

Eine sogenannte Temporalepilep- sie beziehungsweise Temporallap- penepilepsie, bei der im EEG epi-

leptogene herdförmige Entladun- gen von der Temporalregion ab- leitbar sind, kann demnach allein mit psychomotorischen Anfällen (bei Beschränkung auf limbische Strukturen) oder mit psychomotori- schen und großen Anfällen (bei Ge- neralisierung) oder aber auch mit großen Anfällen allein verlaufen. Im letzten Falle entgehen die partiel- len (= fokalen) Initialzeichen der Beobachtung beziehungsweise der Erinnerung, weil sie infolge rascher Generalisierung der Anfallsentla- dungen nur sehr kurzdauernd sind.

C) Indikation zur

chirurgischen Epilepsietherapie O Versagen konsequenter, über einen ausreichenden Zeitraum fort- gesetzter medikamentöser und an- derer konservativer Behandlungs- versuche.

O Schwere Beeinträchtigung des Patienten und seiner Umgebung durch Anfälle.

O Unmöglichkeit zumutbarer so- zialer Einordnung wegen des Krampfleidens.

(7)

14

Besserung 14

3 45

Summe 42

Nicht gebessert 9 1 (subtotal) 10

Verschlechterung Heilung

Anfallsfreiheit mit antikonvulsiver Medikation

10 (1 total)

2 (1 subtot.)

9

12

9

Anfalls- frei 21 Fälle

von 45 gebessert 35 von 45 Fällen Tabelle 2: Eigene Nachuntersuchungsergebnisse nach offener chirurgischer Therapie von 45 Patienten mit Herdepilepsie im Frontal-, Parietal- und Temporalgebiet. Postoperativer Beobachtungszeitraum bei den meisten Patienten 10 bis 18 Jahre (nach Thomalske, 1968)

Ergebnisse frontale Hemisphär- Total

parietale und ektomie temporale Herde

O Rascher psychischer Abbau.

O Sicher fokal-kortikal oder fokal- temporo-mediobasal ausgelöste Epilepsie mit Herdkonstanz bei Kontrollen über längeren Beobach- tungszeitraum (EEG +Provokation, klinische Anfallsmuster, elektrokor- tikographische Bestätigung bei Operation) oder einwandfreier Identifikation des Herdes durch SEEG (siehe unten!).

Bei plurifokalen Epilepsien ist ein Eingriff meistens kontraindiziert (außer siehe unten „Hemisphärek- tomie").

O Lokalisation des Herdes in ope- rablem Gebiet ohne Gefahr von gröberen postoperativen Ausfällen durch Läsion funktionell hochwer- tiger Hirnareale.

FI

Keine Operation bei Patienten mit deutlicher postkritischer Apha- sie.

O Bei Temporalepilepsien muß der Temporallappen der Gegensei- te intakt sein (Cave postoperative mnestische Störungen und/oder Klüver-Bucy-Syndrom).

O Patient nicht unter fünf Jahre alt.

O Allgemeinzustand ausreichend für Hirneingriff.

4D Sonderregeln für Temporalepi- lepsien:

a) Indikation nicht zu eng, da häu- fige Ursache (ca. 20 Prozent) laten-

te Tumoren oder Metaplasien mit tumoraler Tendenz.

b) Nicht zu spät operieren, da häu- fig rascher Persönlichkeitsabbau mit progressiven Charakter- und Verhaltensanomalien.

c) Möglichst noch intakte Persön- lichkeit.

d) Deutliche Dominanz einer Seite bei bilateralen Herden.

e) Keine Sprachstörungen.

f) Keine Kontraindikation bei nor- malem Pneumenzephalogramm und Arteriogramm.

O Keine Operation bei extrazere- bralen Erkrankungen, wie Stoff- wechselstörungen, Toxikosen, en- dokrinen Störungen, Allergien usw.

O Nach Berichten des Arbeitskrei- ses um Umbach ist in letzter Zeit Indikationserweiterung auf Fälle mit der „Kombination von Grand mal und kleinen Anfällen mit zen- trenzephalem EEG" möglich ge- worden.

Unumgänglich für die Indikations- stellung sind als Voruntersuchun- gen genaue radiologische Explora- tion mit Angiographie, Pneumenze- phalographie, eventuell Ventrikulo- graphie —, Isotopen-Scan bezie- hungsweise Gammaenzephalogra- phie, eventuell Computer-Tomome-

trie( 2 ), EEG mit verschiedenen Akti- vationsmethoden inklusive Schlaf- ableitung und eventuell Tiefenablei-

tungen (siehe unten!).

D) Operative Verfahren zur Epilepsietherapie

Bei der Vielfalt von Lokalisation, Ätiopathogenese und klinischem Manifestationsmuster bei Herdepi- lepsien gibt es keine Standardope- ration (Abbildung 5). Auf verschie- denen Wegen. versuchte man, dem Problem wirksamster operativer Therapie nahezukommen.

0 Klassisch offenes Verfahren mit oder ohne Kortikographie (= di- rekte kortikale EEG-Ableitung):

a) Die Abtragung des epileptoge- nen Herdes, des Ausgangsortes der Herdanfälle, erfolgt im Verfah- ren der subpialen Exhairese nach Penfield. Penfield operierte am wa- chen Patienten wegen der Erfor- dernis einer Mitarbeit desselben zur Auswertung der Reizergebnisse bei der elektrischen Exploration der herdnahen Rindengebiete. Bei grob-makroskopischen Läsionen ist nämlich meist nicht das Zen- trum, sondern ein Bezirk in der Randzone der Veränderungen Aus- gangsort für die Krampfstrompro- duktion. Der epileptogene Herd

2) siehe DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 12 (1975) 811-814

3366 Heft 49 vom 4. Dezember 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(8)

Temporallappen Kombiniert Grand mal und Temporallappen Kombiniert Grand mal und kleine Anfälle mit

„centrencephalem EEG"

einseitig 5

einseitig 2

doppelseitig

einseitig 3

doppelseitig 5

2

3 2

3 2

2

7 7 3 7

6 1 12

Chirurgische Epilepsietherapie

kann auch ä distance von der Lä- sion liegen und dann dem Eingriff entgehen, wenn ohne kortikogra- phische Kontrolle operiert wird.

b) Bei Temporalepilepsien kann der Temporallappen mit den medio- basalen krampfgeneigten limbi- schen Strukturen (Amygdaloidkom- plex, Hippokampus, Gyrus parahip- pocampalis) nach Falconer auch en bloc reseziert werden.

c) Falls eine Lobektomie nicht ausreicht, alle epileptogenen Kor- texareale auszuschalten (zum Bei- spiel ausgedehnte Hemisphären- sklerosen bei Hemiplegia spastica infantilis mit multifokalen Anfällen), kann eine partielle oder totale He- misphärektomie erforderlich wer- den (Gros, Laine, Tönnis, Pia).

0 Gemischt stereotaktisch( 3)-offe- nes Verfahren nach Talairach, Ban- caud und Mitarbeitern in drei Etap- pen:

a) Nach Voruntersuchungen (viel- fache Spontan-EEG-Kontrollen, medikamentöse Aktivation, Schlaf- EEG, Gamma-Enzephalographie und eventuell Amytaltest nach Wada zur Festlegung der Hemi-

sphärendominanz) Vornahme ope-

rativer teleröntgenologisch-stereo- taktischer Ortung der verschiede- nen Formationen in der Tiefe des Gehirnes und an der Gehirnober- fläche mit Pneumenzephalogra- phie, Arteriographie und Positiv- kontrast-Ventri kulographie.

b) Nach durch Voruntersuchungen und stereotaktische Ortung gewon- nenen Daten ausgerichtete operati- ve Stereoelektroenzephalographie ( = SEEG). Dabei erfolgt elektro- graphische und neurophysiologi- sche gleichzeitige Exploration ei- ner Vielzahl verschiedener Ableite- punkte der Hirnrinde und des Sub- kortex zur Ortung der epileptoge- nen Zone beziehungsweise des führenden epileptogenen Herdes mit Hilfe mehrerer operativ einge- brachter Nadel-Tiefenelektroden am wachen, kooperierenden Pa- tienten.

c) Exstirpation der epileptogenen Zone im offenen, klassischen Ver- fahren nach Penfield.

0 Rein stereotaktische Verfah- ren zur Blockierung der Ausbrei- tungswege der pathologischen Er- regungen oder zur Ausschaltung von Formationen, welche die Hirn- krampfschwelle regulieren:

a) Die Fornikotomie der Freiburger Schule (Hassler, Riechert, Um- babh), bei welcher der Haupteffe- renzweg des Hippokampus, der Fornix sowie ein Teil der Commis- sura anterior auf der erkrankten Seite durch Thermokoagulation zerstört wird. Der Eingriff ist auch doppelseitig möglich.

b)• Ausschaltung des Mandelkernes durch Thermokoagulation, mei- stens in Verbindung mit Fornikoto- mie durchgeführt. Nach Kim soll Koagulation des basolateralen An- teiles des Amygdaloidkomplexes besonders günstige Auswirkungen auf Verhaltensstörungen haben.

c) Ausschaltung von Strukturen, welche für die Entwicklung und Ela- borierung der Krampfentladungen von Bedeutung sind (z. B. Hippo- kampus, Amygdaloidkomplex) oder direkt zur epileptogenen Zone ge- hören, beziehungsweise Unterbre-

3)-Stereotaxie = Durch Vorberechnungen exakt lokalisiertes Anpunktieren tiefer Hirnareale ohne weitere Schädigung der darüberliegenden Hirnabschnitte. Nach neurophysiologischer Kontrolle der Na- dellage eventuell Ausschaltung be- stimmter Partien durch Hitze, Isotopen oder Kälte zwecks Beeinflussung krank- hafter Funktionen (u. a. zum Beispiel auch Schüttellähmung)

Tabelle 3: Ergebnisse bei den 1967 bis April 1973 vom Umbach'schen Team operierten Epileptikern (nach Bouchard, Kim, Umbach)

Anfälle Art des Eingriffes Ergebnis Total

ausgezeichnet -gut nicht gebessert

Total 15 16 5 36

(9)

Chirurgische Epilepsietherapie

chung der Propagationswege der epileptischen Entladungen durch Einbringen radioaktiver Isotope (meistens Yttrium = Y" [Talai- rach]).

d) Ausschaltung anderer subkorti- kaler Strukturen

I. Koagulation der Lamella media- lis thalami, von Spiegel und Wycis schon Anfang der fünfziger Jahre propagiert und von den Freiburger und Berliner Autoren häufig in Ver- bindung mit einer Fornikotomie durchgeführt.

II. Der ventromediale Anteil des vorderen Thalamuskerngebietes wurde nach Anregungen Mul- lans von den Berliner Autoren Um- bach, Kim und Bouchard in Fällen mit EEG-Anomalien zentrenzepha- len Musters (= über beiden Hemi- sphären paroxysmal-synchron auf- tretend) ausgeschaltet, um fördern- de Einflüsse des retikulären Aktiva- tionssystems zu dämpfen.

Auch Ventrolateral-Kern-Ausschal- tungen (VL) und Laesionen im Cen- tre mödian wurden vorgeschla- gen.

III. Jinnai in Japan schlug eine Zerstörung des unter dem Thala- mus liegenden Forel-H-Feldes vor, mit dem Ziel einer Unterbrechung der Ausbreitungswege der Konvul- sionen bei generalisierten Anfällen.

IV. Wada und Endo führten Dorso- medialkern-Thalamotomien durch und erreichten eine Verminderung der Anfallsfrequenz und Anfalls- schwere.

V. Diemath und Mitarbeiter gaben die stereotaktische vordere Zingu- lotomie bei therapieresistenter ge- neralisierter Epilepsie an.

E) Ergebnisse

chirurgischer Epilepsietherapie Die Auswertung von Resultaten operativer Therapie eines so kom- plexen Krankheitsgeschehens, wie es die Epilepsie darstellt, ist mit wesentlichen Unsicherheitsfakto- ren belastet. Hauptgrund ist die Tatsache, daß in zahlreichen Mit-

teilungen der Literatur kaum näher oder gar nicht darauf eingegangen wird, nach welchen Kriterien die Bewertung des Operationsresulta- tes und die Einstufung der einzel- nen Fälle erfolgte. Ganz besonders erschwert ist die vergleichende Be- urteilung der Ergebnisse verschie- dener Autoren, wenn die Auf- schlüsselung nach so lapidaren Begriffen wie „gut", „deutlich ver- mindert", „anfallsfrei oder fast an- fallsfrei" usw. erfolgte. Wir ver- suchten, diese Schwierigkeiten in unseren Arbeiten (1954, 1957, 1965, 1968 und 1973) durch detaillierte Beschreibung der Bewertungsmaß- stäbe etwas abzubauen.

Die Heilungsquote (=Anfallsfrei- heit) beträgt je nach dem Opera- tionsmaterial und in der Hand ver- schiedener Operateure zwischen 11,7 und 61,7 Prozent und liegt je nach Lokalisation des Herdes im Durchschnitt ungefähr bei 25 Pro- zent bis 45 Prozent der Operierten.

Eine wesentliche Besserung der Anfälle läßt sich durch den Eingriff bei weiteren etwa 30 Prozent der Operierten erzielen, so daß im Durchschnitt 55 Prozent bis 75 Pro- zent der Operierten durch die In- tervention günstig zu beeinflussen sind. Die Effekte der Hemisphärek- tomien sind noch günstiger: 60 bis 90 Prozent der Patienten werden anfallsfrei. Wichtig ist der Hinweis darauf, daß in allen Fällen eine an- gepaßte antikonvulsive Therapie über längere Zeit nach der Opera- tion fortzuführen ist.

Nach Talairach bessern sich bei 45 Prozent der operierten Patienten vorbestehende psychische Störun- gen und 62 Prozent der Patienten, welche von ihren Anfällen geheilt wurden, zeigten keine schweren psychischen Auffälligkeiten mehr, sondern wurden völlig resoziali- siert. Die Berichte anderer Autoren divergieren in dieser Hinsicht.

In dem vom Autor nachuntersuch- ten Krankengut kam es lediglich in 31 Prozent nach dem Eingriff zu unerwünschten psychischen Ne- benwirkungen, wozu auch mnesti- sche Störungen gehören; 44,5 Pro-

zent änderten sich in psychischer Hinsicht nicht, bei 24,5 Prozent kam es zu einer Besserung im psy- chischen Bild.

Postoperative Komplikationen in Form von aphasischen Störungen oder andersartigen Funktionsein- schränkungen werden sich insbe- sondere bei Eingriffen in der domi- nanten Hemisphäre nicht immer mit Sicherheit vermeiden lassen.

Die Operationsletalität schwankt stark je nach Art des Eingriffs zwi- schen bis zu 12,5 Prozent bei offe- nen (im vom Autor nachuntersuch- ten Krankengut 4,4 Prozent) und 0,5 Prozent bei stereotaktischen Operationen.

Die Tabellen zeigen die Resultate einiger verschiedener Arbeitskrei- se und machen gleichzeitig auf die Schwierigkeiten einer vergleichen- den Bewertung aufmerksam (Ta- bellen 1 bis 3). Auch die Ergebnis- se der temporalen Lobektomie va- riieren beträchtlich:

Nach einer Übersicht Walkers er- reichten verschiedene Operateure (Bailey, Baldwin, Falconer, Paillas, Rasmussen, Walker) Anfallsfreiheit bei 27.5 Prozent bis 53 Prozent der Patienten und „deutliche Anfalls- minderung" bei 25 Prozent bis 44 Prozent der Kranken. Der postope- rative Beobachtungszeitraum lag zwischen acht Monaten und fünf Jahren.

Hervorgehoben zu werden verdient noch: Der Operationserfolg steht und fällt mit einer minutiös-exakten Indikation zum Eingriff, während die Art der Intervention für das Er- gebnis nicht so bedeutungsvoll er- scheint. Auch hier scheint nicht nur ein Weg nach Rom zu führen.

Literatur beim Verfasser.

Professor Dr. med. G. Thomalske Leiter der Abteilung

für funktionelle Neurochirurgie am Zentrum der

Neurologie und Neurochirurgie 6 Frankfurt (Main)-Niederrad Schleusenweg

3368 Heft 49 vom 4. Dezember 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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