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Archiv "Ärztliches Handeln und politische Verfolgung in SBZ und DDR – Persönliche Erlebnisse (5)" (16.04.1993)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Ärztliches Handeln und politische Verfolgung in SBZ und DDR Persönliche Erlebnisse (5)

V

fiele Ärztliche Direktoren hat- te ich im Laufe der Jahre.

Manche übten ihr Amt nur für kurze Zeit aus, andere länger, ehe sie abgelöst wurden. An Dr. B.

erinnere ich mich gut, denn ich hatte mehrmals auf ungewöhnliche Weise mit ihm zu tun. Er war Chefarzt der Frauenklinik und außerdem der Ärztliche Direktor des Krankenhau- ses, in dem ich damals tätig war.

Selbstverständlich war er SED-Mit- glied — ohne Parteizugehörigkeit wäre er (vermutlich) nicht zu dieser Stellung gekommen.

Als Arztlicher Direktor war er mein oberster Vorgesetzter im Kran- kenhaus. Seine Anweisungen kamen meist in schriftlicher Form; persön- lich ging man ihm meist aus dem We- ge und war froh, wenn es keinen Grund gab, bei ihm vorsprechen zu.

müssen. In fachlicher Hinsicht konn- te er uns kaum Vorschriften machen, eher in politischer Hinsicht oder in Fragen, die die Disziplinierung der Ärzte betrafen.

Anfang der 80er Jahre begann die Zahl der Ausreisewilligen lang- sam anzuwachsen. Mein Mann und ich hatten uns Gedanken gemacht, wie wir der Reglementierung und Einengung, die wir in diesem Staat immer stärker empfanden, entgehen könnten. Ich hatte ein großes Inter- esse entwickelt für Philosophie, Grenzgebiete der Medizin, Natur- heilkunde, ethische Probleme, Reli- gionsphilosophie, die deutschen Klassiker und Theologie. Nur wenig von dem, was ich suchte, fand ich in den öffentlichen Bibliotheken, aus- genommen die Klassiker und ältere philosophische Werke. So gewann in uns der Gedanke, aus der DDR weg- zugehen, immer mehr Raum. In die Bundesrepublik wollten wir nicht:

Einerseits schien uns das zu gefähr- lich; es konnte bedeuten, daß wir verhaftet werden würden und die Kinder womöglich ins Heim müßten.

Andererseits schien uns eine so stark am Geld orientierte Gesellschaft kei-

ne echte Alternative zu sein. Nach- dem wir die Verträge von Helsinki eingehend studiert hatten, entschie- den wir uns für Schweden. Mit Be- geisterung lernten wir Schwedisch mit Hilfe von Schallplatten und aus dem Radio. Schwedische Zeitungen oder Bücher waren uns nicht zugäng- lich. Eines Tages wagten wir es, auf die schwedische Botschaft zu gehen und nach unseren Möglichkeiten zu fragen. Keiner, der im Westen lebt, wird uns nachfühlen können, welche Angst wir zu überwinden hatten, um nur ganz einfach an den beiden DDR-Polizisten, die den ganzen Tag vor dem Eingang des Botschaftsge- bäudes standen, vorbeizugehen und die Botschaft zu betreten. Dort er- hielten wir viel Ermutigung. Nach vielen Überlegungen stellten wir schließlich einen schriftlichen Über- siedlungsantrag an den Rat des Stadtbezirkes.

Einige Zeit danach erhielt ich vom Ärztlichen Direktor die Auffor- derung, mich am nächsten Morgen um 7.30 Uhr zu einer Besprechung bei ihm einzufinden. Als ich dort ein- trat, fand ich außer Dr. B. noch mei- nen Klinikchef vor, außerdem die Kaderleiterin und den Parteisekretär des Krankenhauses. Alle saßen um einen riesigen länglichen Tisch, weit

Die Verfasserin des Berichts — Nachkriegsjahrgang, Herkunft aus einer „Intelligenzler"-Familie — möchte anonym bleiben. Sie ist den Projektbearbeitern aber be- kannt. Als Ärztin ist sie fast zwei Jahrzehnte lang im stationären und ambulanten Bereich des Ge- sundheitswesens tätig gewesen.

Ihre Schilderungen kreisen um be- sondere Problembereiche der Ärz- te in der DDR: Das Stellen eines Ausreiseantrags und dessen Be- handlung durch Kollegen und Vorgesetzte und die Behandlung eigener leitender Kader des Ge- sundheitswesens durch Partei oder Staatssicherheit.

auseinander. Dies verstärkte noch den Eindruck des Fremden und Be- drohlichen. Keiner sah mich an.

Nun eröffnete der Ärztliche Di- rektor das Gespräch: „Frau R., wir haben hier ein Schreiben vorliegen, aus dem hervorgeht, daß Sie einen Ausreiseantrag nach Schweden ge- stellt haben. Uns würden die Gründe interessieren, die Sie zu diesem Schritt bewogen haben." Ich holte tief Luft und begann: „Ja, ich bin sehr interessiert an einer Reihe von Fragen, die die Medizin betreffen, besonders die Grenzgebiete der Me- dizin, die Übergänge zu Philosophie und Religion, ethische Probleme.

Nun habe ich versucht, zu diesen Themen Literatur zu bekommen, aber das ist nicht in ausreichender Weise möglich, auch nicht in den Universitätsbibliotheken... Und so ist in mir der Gedanke gereift, die DDR zu verlassen."

Sie waren auf alles vorbereitet gewesen, besonders auf wilde Aus- fälle gegen den realen Sozialismus, nicht aber auf eine solche Antwort.

Eine peinliche Stille trat ein. Dann ergriff der Ärztliche Direktor wieder das Wort. „Und warum gerade nach Schweden, warum nicht nach West- deutschland?" — „Ja", sagte ich,

„wir haben uns für Schweden ent- schieden, weil es ein Staat mit einem vorbildlichen sozialen Netz ist, der dem sozialistischen Lager näher steht als die Bundesrepublik. Darin sind wir uns einig: In die Bundesre- publik wollen wir nicht." Wieder be- troffenes Schweigen. Nach einer Weile meldete sich mein Chef zu Wort. „Und wieso sind Sie gegen den Sozialismus in der DDR einge- stellt?" fragte er. Ich antwortete:

„Der Sozialismus in der DDR hat auch viele gute Seiten. Ich glaube zum Beispiel, wenn ich in Schweden eventuell für die gleiche Arbeit weni- ger Geld erhalte als ein Mann, daß ich dann auch dort Mängel entdek- ken werde!" Was sollte er damit an- fangen?

Dt. Ärztebl. 90, Heft 15, 16. April 1993 (29) A1-1101

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Jetzt war die Kaderleiterin an der Reihe. Sie hatte vor einem halben Jahr auf mein intensives Drängen hin eine Reduzierung meiner Ar- beitszeit vornehmen müssen. Da ei- ne Vorgabe existierte, nach der mög- lichst alle Frauen vollbeschäftigt sein sollten, hatte sie es sehr ungern ge- tan. Nun fragte sie mit deutlicher Mißbilligung: „Wußten Sie bei der Änderung Ihres Arbeitsvertrages schon, daß Sie den Antrag stellen werden?". Das konnte ich mit gutem Gewissen verneinen.

Der Parteisekretär hatte noch nichts gesagt. Er räusperte sich und fing an, von ihm bekannten Fällen zu reden, wo Ärzte nach Schweden ge- gangen waren, dort überhaupt nicht zurechtgekommen seien und schließ- lich darum gebeten hätten, wieder in die DDR zurückkehren zu dürfen.

Ich antwortete, daß ich hierzu nichts sagen könne, weil ich ja nicht die Möglichkeit hätte, einige Zeit ein- fach einmal in Schweden zu arbei- ten, ohne gleich meine DDR- Staatsbürgerschaft hinter mir lassen zu müssen. Nun sah mich der Ärztli- che Direktor beinahe väterlich an.

„Frau R.", warnte er, „überlegen Sie sich das alles gut. Die Verhältnisse sind dort wesentlich anders als hier.

Nun, Sie haben ja noch Zeit, das Ganze reiflich zu durchdenken."Wir zogen den Antrag später zurück. Al- les in allem behielt ich den Ärztli- chen Direktor nicht in schlechter Er- innerung. Ich hatte deutlich das Ge- fühl, als habe er mich so sehr ge- schont, wie er konnte.

Die Jahre vergingen. Dr. B. war längst von einem anderen Ärztlichen Direktor abgelöst worden. Ich war wieder vollbeschäftigt und hatte vie- le Nachtdienste zu leisten. Da in ei- ner dermatologischen Klinik Notfäl- le selten nachts auftreten, bekamen wir die Auflage, zusätzlich Gewahr- samtauglichkeitsuntersuchungen von Festgenommenen für die Polizei zu.

machen. Auch Alkoholsünder brach- te die Verkehrspolizei zu uns. Eines Nachts wurde ich gegen zwei Uhr von der aufgeregten Nachtschwester angerufen: „Frau Doktor, halten Sie sich fest. Hier ist Ihr ehemaliger Ärztlicher Direktor! Bitte kommen Sie gleich runter!" „J-Ja, gleich!", stammelte ich und fuhr in meine Sa-

chen. Welcher von den Ex-Direkto- ren konnte es denn sein? Und was konnte ihn veranlassen, hier mitten in der Nacht zu erscheinen? Als ich ziemlich beunruhigt auf der Station eintraf, erblickte ich zwei Verkehrs- polizisten und daneben — Dr. B., Chef der Frauenklinik und ehemali- ger Ärztlicher Direktor. Er stand da, mit hängenden Schultern. Sein Blick glich dem eines Kaninchens, das vom Fuchs gestellt ist. Augenblicklich war mir die Lage klar. Mir persönlich fiel ein Stein vom Herzen. Aber wie konnte sich Dr. B. nur in eine solche Lage bringen! Ein staatlicher Leiter, von dem vorbildliches Verhalten er- wartet wurde!

[

Wiedersehen bei den Alkoholtests

Laut Protokoll mußte ich ihn nun befragen. Er war auf einer Party gewesen außerhalb der Stadt, hatte dort einige Gläser, er wußte nicht mehr wie viele, getrunken. Und dann war er ins Auto gestiegen. Ja, natür- lich wisse er, daß er das nicht gedurft hätte. Ich entnahm Blut aus der Ve- ne und begann mit den vorgeschrie- benen Untersuchungen. Der Mann tat mir aus irgend einem Grunde leid. Ich beschloß, die Sache abzu- kürzen und auf zwei der Untersu- chungen zu verzichten: den Finger- Nase-Versuch und das Laufen auf dem Strich mit dem entwürdigenden Dreimal-um-sich-selbst-Drehen wollte ich ihm ersparen. So setzte ich meine Unterschrift und den Stempel unten auf das Blatt und gab es den Polizisten.

Normalerweise interessierte sie meine Arbeit wenig, aber dies war ein besonderer Fall, das hatten sie gemerkt. Kritisch sah der eine mein Protokoll durch und meinte dann:

„Sonst waren es doch immer noch mehr Untersuchungen! Wir verlan- gen, daß das Protokoll ordnungsge- mäß ausgefüllt wird, auch wenn es sich um Ihren Ärztlichen Direktor handelt. Ansonsten müssen wir Sie belangen lassen."

Dr. B. hatte sich schon der Tür zugewendet. Peinlich der Moment, in dem ich ihn bitten mußte, noch einmal zurückzukommen. „Die Kol-

legen von der Polizei sind mit mei- nem Protokoll noch nicht zufrieden!

Wir müssen zwei Untersuchungen nachholen."Die Polizisten blieben.

Die Eintragung ins Buch stand noch aus. Einen Moment lang überlegte ich, einen falschen Namen einzutra- gen, aber dann dachte ich: „Wie komme ich dazu, den Mann zu dek- ken? Wenn er als Leiter einer Klinik solch grundsätzliche Dinge außer acht läßt, muß er eben die Folgen tragen." Und ich schrieb unter dem scharfen Blick der Polizisten den Na- men ein.

Einige Tage später hörte ich, daß die Parteigruppe ihn in einer Aussprache vollkommen niederge- macht hatte. Meine damalige Chefin, die so etwas war, was man eine „Par- teiricke" nannte, hatte am Morgen den Namen im Buch gelesen und al- len Kollegen empört von dem Vor- fall erzählt. Nun hörte ich längere Zeit nichts von ihm. Ich mußte hart arbeiten und vergaß die Sache all- mählich. Aber eines Tages herrschte große Aufregung im Krankenhaus.

Wieder war jemand den „Einflüste- rungen der imperialistischen Propa- ganda" erlegen und hatte sich in den Westen abgesetzt — Dr. B.! Wie hat- te er das endlich wiedererrungene Vertrauen der Partei mißbraucht! Er hatte, was für gewöhnliche Sterbli- che ein Wunschtraum bleiben muß- te, zusammen mit seiner Frau eine Kur nach Jugoslawien erhalten und war von dieser Reise nicht zurückge- kehrt. Über Österreich war er in die Bundesrepublik gelangt.

Bei dieser Gelegenheit nahm ich mir vor, keine Angst mehr vor die- sem Staatssystem zu haben. Für den Fall, daß mich jemand wegen meiner Gesinnung rügen würde, legte ich mir folgende Antwort zurecht: „Ja, was wollen Sie denn! Der und der und der Klinikchef vom Kranken- haus sind jetzt im Westen ... Das wa- ren doch alles Parteimitglieder! Wel- che, die uns ein Vorbild sein sollten!

Und trotz dieser negativen Beispiele sehen Sie ja, ich bin noch hier ..."

Das Letzte, was ich von meinem Ärztlichen Direktor hörte, war dies:

Er hat eine gynäkologische Praxis in R., einer Stadt in Oberbayern. Die Praxis geht gut, und er ist jetzt katho- lisch geworden. N.N A1-1104 (32) Dt. Ärztebl. 90, Heft 15, 16. April 1993

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