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Archiv "Ärztliches Handeln und politische Verfolgung in SBZ und DDR — Persönliche Erlebnisse (2)" (26.02.1993)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Ärztliches Handeln und politische Verfolgung in SBZ und DDR —

Persönliche Erlebnisse (2) Günther Herold

A

m 1. März 1932 bin ich in die NSDAP eingetreten. Hinter- grund für diese Entscheidung war sicherlich meine national-bür- gerliche Einstellung und das Interes- se an großdeutschen Fragen. Damit hatte ich mich während eines vierse- mestrigen Studienaufenthaltes in Graz/Osterreich intensiver beschäf- tigt, besonders aber auch auf Reisen zu den Auslandsdeutschen in Un- garn und Jugoslawien. Diese Reisen unternahm ich damals im Auftrag des „Vereins für das Deutschtum im Ausland", und meine Erfahrungen in dieser Zeit veranlaßten mich dann auch zum Parteieintritt.

Das rüde Auftreten der SA und die gesetzlose Niederschlagung des Röhm-Putsches durch Hitler ließen bei mir jedoch schon bald ernste Zweifel an der Aufrichtigkeit der Bewegung aufkommen. Nach der Er- richtung des Protektorats Böhmen und Mähren 1939 wurde mir klar, daß dieses großdeutsche Reich kein Rechtsstaat war und diese Politik meinen Vorstellungen nicht mehr entsprach.

1938 hatte ich nach vierjähriger ärztlicher Weiterbildung in Taucha bei Leipzig eine Praxis als Prakti- scher Arzt eröffnet. Zusätzlich war ich damals Vertragsarzt bei einer dem Reichsluftfahrtministerium un- terstellten Fliegertechnischen Vor- schule. Ich versuchte, die dort zu- nehmend brutaler werdenden Aus- bildungsmethoden zu mildern, machte mich damit jedoch bei der militärischen Leitung unbeliebt.

Durch meine Aktivitäten lernte ich aber auch Gleichgesinnte kennen, die mich vor der Gestapo warnten.

Ein einflußreicher Bekannter bewirkte dann, um mich aus der Ge- fahrenzone der Gestapo zu bringen, daß ich wieder zur Wehrmacht ein- gezogen wurde.

Am 13. Juli 1945, 14 Tage, nach- dem ich aus amerikanischer Kriegs- gefangenschaft entlassen worden war, nahm ich meine Tätigkeit als Praktischer Arzt in Taucha wieder auf. Noch am selben Tag erhielt ich vom Bürgermeister der Stadt, einem Patienten, den Auftrag, ein kleines städtisches Krankenhaus in der Villa des ehemaligen Direktors eines Flugzeug-Motorenwerkes einzurich- ten und die ärztliche und wirtschaft- liche Leitung der Klinik zu überneh- men. Der Bürgermeister sowie der damalige erste sowjetische Stadt- kommandant gehörten zu den Men- schen, die es mir ermöglichten, mei-

Dr. Günther Herold (Jahrgang 1910) gehört zu den Ärzten, die gleich nach Kriegsende mit dem Wiederaufbau des Ge- sundheitswesens in der damali- gen Sowjetischen Besatzungs- zone (SBZ) begannen. Er bau- te in Taucha/Sachsen ein Kran- kenhaus auf, geriet wegen sei- ner politischen Vergangenheit (NSDAP-Mitgliedschaft) und seiner anti-sozialistischen Ein- stellung aber immer mehr in Bedrängnis und mußte schließ- lich durch eine dramatische Flucht 1948 die SBZ verlassen.

Seitdem lebt er als Arzt für Allgemeinmedizin in den alten Bundesländern.

nen Beruf in der Sowjetischen Besat- zungszone unter relativ erträglichen Bedingungen ausüben zu können.

Glück hatte ich zum zweiten Mal, als ich zur Aufnahme meiner Personalien in das Polizeibüro be- stellt wurde. Die Sekretärin des Poli- zeichefs — ein Mann, der 11 Jahre im Konzentrationslager Buchenwald verbracht hatte — , war eine Patien- tin von mir. Während der NS-Zeit hatte ich bei ihr einen Krankenbe- such gemacht und nicht gemeldet, daß in ihrem Schlafzimmer ein gro- ßes Stalinbild hing. Dafür zeigte sie sich an jenem Tag im Polizeibüro er- kenntlich: Als ich in die Rubrik „Par- teieintritt" den 1.3.1932 eintragen wollte, sah sie mich scharf an und sagte laut und deutlich: „1.3.1933!"

Auf diese Weise rettete sie mich vor der Verschickung in den Ural. Ge- meinsam mit fünf weiteren Kollegen und Kolleginnen, die alle am 1.3. in die Partei eingetreten waren, konnte ich somit — im Gegensatz zu den Ärzten vieler anderer Städte — mei- ne Tätigkeit fortsetzen.

Natürlich gab es auch Leute, die mir den relativ großen Einfluß, den ich auf die Geschicke der Stadt nahm, nicht gönnten. Andere wie- derum drängten mich, als leitender städtischer Angestellter in die SED einzutreten, was für mich aber unter keinen Umständen in Frage kam.

Damit machte ich mich ebenfalls bei einigen Leuten unbeliebt.

In Heft 6/1993 wurde der erste Bericht eines Arztes veröffent- licht, der sich an dem DDR-Forschungsprojekt unter Leitung von Dr. Klaus-Dieter Müller beteiligt hat. Mit der folgenden

Schilderung wird die Serie fortgesetzt. Die einzelnen Berich- te sind nicht repräsentativ, geben aber einen guten Einblick, wie einzelne ihre berufliche und private Vergangenheit er- lebt haben.

Dt. Arztebl. 90, Heft 8, 26. Februar 1993 (27) A1-499

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Die Schwierigkeiten, mich von politischen Verpflichtungen fernzu- halten, nahmen jedoch zu, als ich zum Gesundheitsminister von Sach- sen ernannt werden sollte, weil man offenbar mit meiner Art der Klinik- führung sehr zufrieden war. Dafür hätte ich jedoch in die SED eintreten müssen. Ich lehnte zwar mit der Be- gründung ab, als Arzt zum Wohle der Patienten unpolitisch sein zu müssen, erregte dadurch jedoch Skepsis und Mißtrauen.

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Die Lage wird kritisch

Von diesem Zeitpunkt an ver- suchte man, mehr über meine wahre politische Haltung zu erfahren. So sollte ich zum Beispiel in Zeithain bei Riesa an einem Massengrab von durch die SS erschossenen Juden ei- ne kurze Rede halten. Erst im letz- ten Moment wurde ein anderer mit dieser Aufgabe betraut. Dafür muß- te ich 1946, am Vorabend einer Volksabstimmung für oder wider das System, im Tauchaer Schützenhaus eine kurze Wahlrede halten. Keine Rede ist mir je so schwer gefallen wie diese. Trotzdem wurde am näch- sten Tag bekannt, daß meine Frau und ich gegen das System gestimmt hatten, da unsere Stimmzettel ge- zinkt worden waren.

Die Lage wurde für mich nun immer kritischer, auch wenn mir noch einmal ein Vorfall zugute kam.

Der gerechte erste sowjetische Stadt- kommandant war inzwischen durch einen weniger angenehmen, unbere- chenbaren sowjetischen Offizier er- setzt worden. Dessen Sohn erkrank- te eines Tages an einer Lungenent- zündung. Weder die Behandlung durch einen russischen Arzt noch durch meine deutsch-bulgarische Kollegin und einen Heilpraktiker konnten das hohe Fieber bei dem Kind senken. Am 9. Erkrankungstag wurde ich hinzugezogen. Zufällig war dies der Tag, an dem das Fieber von allein nachließ. Ich aber galt von da an als der Wunderdoktor.

In dem Bewußtsein, daß meine Existenz trotzdem zunehmend ge- fährdet war, nahm ich Kontakt zu Patienten auf, die aus dem Westen stammten und teilweise bereits in ih-

re Heimat zurückgekehrt waren. Mit ihrer Hilfe strebte ich zunächst eine Existenzgründung im Raum Idar- Oberstein an. Leider verliefen die Bemühungen im September 1947 er- folglos.

Zum Trost brachte ich meiner Frau einen Aquamarin mit, handelte mir dadurch allerdings wieder neue Schwierigkeiten ein. Ein paar Wo- chen später erfuhr ich nämlich vom Amtsarzt des Landkreises Leipzig, daß behauptet würde, ich hätte Schmuck und Edelsteine aus dem Westen geschmuggelt. Da wir be- freundet waren, konnte ich ihn von der Wahrheit überzeugen und habe es seinem Einfluß zu verdanken, daß die Anschuldigungen zurückgenom- men wurden. Auch in der Folgezeit, in der ich zum Beispiel als Morphi- um-Schieber beschuldigt wurde oder als reaktionärer Ex-Militärarzt, der kranke Arbeiter zu früh wieder ar- beitsfähig schreibe, hat dieser Amts- arzt sich sehr für mich eingesetzt.

Doch waren auch seine Einfluß- möglichkeiten begrenzt. Am 1. Juni 1948 rief er mich zu sich und erklär- te, es sei erneut eine Anzeige gegen mich eingegangen, die so schwerwie- gend sei, daß er mich nun nicht mehr decken könne. Eine Liste der Thea- terärzte des Jahres 1942 war aufge- taucht, auf der auch ich verzeichnet war. Da zu dieser Zeit nur alte Par- teigenossen zu Theaterärzten be- stimmt worden waren, was mir aber nicht bekannt war, wurden meine Personalangaben bezüglich meines Parteieintritts als falsch entlarvt.

Der Entschluß steht fest

Nach Abwägung aller Möglich- keiten entschloß ich mich, die sowje- tische Besatzungszone zu verlassen, um einer Verhaftung durch den NKWD (damalige Bezeichnung der sowjetischen Geheimpolizei, Anm.

d. Red.) zu entgehen. Drei Tage lang, bis Freitag, sollte das Antwort- schreiben auf die Anzeige hinausge- zögert werden, so daß frühestens am Samstag Maßnahmen gegen mich eingeleitet werden konnten.

Mein Fluchtplan sah so aus, daß ich zunächst allein mit meinem

DKW-Wagen und dem allernötig- sten Gepäck in den Westen flüchten sollte. Ein befreundeter Ingenieur stellte mir eine Bescheinigung aus, daß ich als sein ärztlicher Sachver- ständiger von ihm ermächtigt wäre, die kürzlich von seiner Firma an ein Sanatorium in Stapelburg im Harz gelieferten Röntgen-Einrichtungen auf ihre medizinische Tauglichkeit hin zu überprüfen. Aufgrund dieser Bescheinigung besorgte mir ein wei- terer Patient einen Erlaubnisschein zum Befahren der Sperrzone beim Landratsamt. Von ihm bekam ich auch die Anschrift eines Grenzgän- gers in Stapelburg, der mich als Lot- se über die Zonengrenze leiten sollte.

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Flucht durch die Schußlinie der Vopos

Für Freitag mittag nach der Sprechstunde war die Abreise ge- plant. Am Donnerstag teilte ich mei- ner Oberschwester im Krankenhaus mit, ich müsse am Freitag für das Krankenhaus von Herzberg an der Schwarzen Elster Kartoffeln holen und könne deshalb erst am Samstag die nächste Visite durchführen. Das war glaubhaft, denn ich hatte schon mehrmals Kartoffeln und Pferde- fleisch für das Krankenhaus besorgt.

Trotz erheblicher Hindernisse gelang es mir am Freitag, den 4. Juni 1948, die Zonengrenze bei Stapel- burg zu überwinden — wenn auch nicht auf dem vorgesehenen Grenz- weg, sondern mitten durch das Schußfeld der Volkspolizisten, die damals schon Schießbefehl auf Zo- nenflüchtlinge hatten.

Meine Frau reichte in Taucha sofort die Scheidung ein und erklär- te, unsere Ehe sei zunehmend zer- rüttet gewesen, nur habe dies wegen meiner Stellung nicht bekannt wer- den dürfen. Jetzt hätte ich sie auch noch böswillig verlassen. Sie hat dann an einem Sonntagnachmittag unseren Sohn aus der Lungenheil- stätte geholt, wo er damals war.

Neun Wochen nach meiner dramati- schen Flucht sind die beiden mir dann gefolgt.

Dr. med. Günther Herold A1-500 (28) Dt. Ärztebl. 90, Heft 8, 26. Februar 1993

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