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Archiv "Ärztliches Handeln und politische Verfolgung in SBZ und DDR Persönliche Erlebnisse (6)" (30.04.1993)

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THEMEN DER ZEIT FORSCHUNGSPROJEKT

Ärztliches Handeln und

politische Verfolgung in SBZ und DDR Persönliche Erlebnisse (6)

Mit dem folgenden Bericht wird die Serie der Lebens- und Berufserfahrungen von Ärzten in der ehemaligen DDR fortgesetzt. Die Verfasserin, eine ehemali- ge Augenärztin, möchte anonym bleiben; ihr Name ist dem Leiter des For- schungsprojektes bekannt. Der Bericht zeigt, daß die Ärztin vor allem aus ei- ner christlichen Einstellung heraus ihre Arbeit versah, ohne dabei dem Sozia- lismus dienen zu wollen.

S

icher habe ich als Jahrgang 1921 die 25 Jahre von 1948 bis 1973 in der ehemaligen DDR anders erlebt als die nach dem Krieg geborenen Jahrgänge, die nichts anderes kannten als dieses Land und dieses Regime. Zudem war es aufgrund meiner bürgerlichen Herkunft für mich selbstverständlich, gesamtdeutsch zu denken. Somit wahrte ich einen kritischen Abstand zur Politik unseres Landes und stellte die propagierte Gültigkeit dieses

„kommunistischen Systems sozialisti- scher Prägung" in Frage.

Die von der politischen Führung der DDR gestellten Machtansprü- che, die im „Kalten Krieg" zwischen den Weltmächten offenbar wurden, verstärkten meine innere Abwehr.

Hinzu kam, daß die Strukturen von sowjetkommunistischem Dirigismus, von ständiger Bevormundung und to- taler Nivellierung des Lebens und Denkens meinem westlichen Wesen widerstrebten.

Was mich aber vor allem verbit- terte, war, in einer Gesellschaft leben zu müssen, in der ungehobelte Men- schen das Sagen hatten, die von „un- ten" kamen und jetzt ihre Chance zum sozialen und politischen Auf- stieg sahen. Der überwiegende Teil des in Mitteldeutschland ansässigen Bürgertums und der Bauern war in den 50er Jahren entweder wegen Enteignung oder Repressalien in den Westen gegangen. Deshalb gewann nach 1961 der proletarische Stand die Oberhand. Mitglieder dieses Standes waren auch leichter zu mani-

pulieren, da sie alles zu gewinnen, aber meist nichts zu verlieren hatten.

Viele wurden Parteigenossen und, wie wir heute wissen, zu Spitzeldien- sten für die Stasi mißbraucht.

Es war alles so eng und spießig, ohne Stil, Phantasie und Niveau. Das zeigte sich auch im Erscheinungsbild der Städte und Dörfer. Äußerlich verfiel alles, was der Krieg noch heil gelassen hatte. Überall herrschten Dreck, Verwahrlosung, Gleichgültig- keit oder Ignoranz. Kontrollzwänge im Beruf sowie die chronische Man- gelwirtschaft strapazierten die Ner- ven zusätzlich. Belastend für das menschliche Miteinander war auch, daß fast jeder von irgendeinem ande- ren bespitzelt wurde; dies war vor al- lem der Fall, wenn man in leitender Position beschäftigt war.

Wechsel von West nach Ost

Ungehalten werde ich, wenn ich heute oft von Westdeutschen höre, warum wir uns denn nicht gewehrt hätten. So kann nur jemand fragen, der niemals ein totalitäres System dieser Ausprägung erlebt hat. Im er- sten Jahrzehnt nach dem Mauerbau herrschte bei den Staatsfunktionären der DDR noch eine große Angst vor der Bevölkerung. Diese Unsicherheit wurde zusätzlich durch die West-Me- dien beeinflußt. Als Konsequenz wurde mit Hilfe von Geheimpolizei und russischem Militär hart durchge- griffen.

Als ich mich 1948 zwecks Famili- enzusammenführung entschloß, vom Westen in die sowjetische Zone zu gehen, prophezeiten mir meine Freunde und Verwandten, daß ich den Schritt noch bereuen würde, was sich später auch bewahrheitete. Da- mals dachte ich allerdings nicht so viel über politische Konsequenzen nach. Es ging mir mehr um den Auf- bau einer gesicherten Existenz.

Deutschland war in meinem Bewußt- sein bisher ein Ganzes gewesen. Da- her war ich der Ansicht, daß es ei- gentlich egal war, wo man sein Brot verdiente. Und schließlich wurde man als Arzt überall gebraucht.

So machte ich nach 1948 eine Facharztausbildung in der Augen- heilkunde an der Universität Halle an der Saale. Nach meiner Promoti- on ging ich 1951 nach Berlin-Buch.

Dort beendete ich meine Ausbildung im Jahre 1952 in der der Charitd an- geschlossenen Augenabteilung. Ins- gesamt elf Jahre lang, also bis 1963, arbeitete ich an der Berliner Klinik.

In den 50er Jahren war es kein Problem, während der Freizeit nach West-Berlin hinüberzufahren. So be- suchte ich in den Urlauben fast im- mer Verwandte und Freunde in den Westzonen und vermißte eigentlich nichts. Zum anderen beeinflußte mich aber auch das Argument der Kirche, man habe, vor allem als Al- leinstehender und Arzt, an seinem Arbeitsplatz zu bleiben. Ein weiterer wesentlicher Punkt, der mich zum Bleiben bewegte, war außerdem die starke Bindung an meinen Vater, der in Sachsen-Anhalt lebte.

Bis dann im August 1961 die Mauer quer durch Berlin erbaut wur- de. Im Anschluß daran erfolgte die zügige Totalabsperrung der gesam- ten DDR. Es war für mich die Zäsur.

Ich war geschockt von der Erkennt- nis, von da an womöglich für immer in der DDR „gefangen" zu sein. Va- ge erahnte ich, daß sich auch für die- A1-1264 (28) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 17, 30. April 1993

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jenigen, die bislang unbehelligt leben und arbeiten konnten, künftig einiges ändern würde. Der von der Sowjet- union bestimmte Unrechtsstaat DDR konnte jetzt seine Maske fallen las- sen und brauchte keinerlei Rücksich- ten mehr zu nehmen.

Für mich stellte sich von diesem Zeitpunkt an immer häufiger die Frage, was das Ergebnis meiner Zeit war, die ich in der DDR verbrachte.

Ich fand keine zufriedenstellende Antwort, zumal an eine Änderung der Gesamtsituation nicht zu denken war. Dabei gab ich hauptsächlich mir die Schuld, daß ich nicht schon viel eher klüger und weitsichtiger gehan- delt hatte. Trotz dieser Unzufrieden- heit konnte ich nicht aus meiner Haut, denn ich war noch geprägt von der Rolle der Frau, die zu dienen hatte und opferbereit sein mußte.

Trotzdem wuchs meine Verzweiflung täglich. Auch rings um mich herum waren alle wie gelähmt. Niemand konnte es fassen, daß der Westen nichts unternahm, um diese Aktion zu stoppen. Einige Menschen ver- suchten zu fliehen. Doch nur weni- gen gelang die Flucht. Die meisten wurden entweder erschossen oder landeten in Zuchthäusern. Auch Be- kannte von mir ereilte dieses Schick- sal. Jahrelang mußten sie auf ihre Rehabilitation warten. In ihre alten Berufe, geschweige denn in leitende Positionen, kamen sie nie mehr.

Als Katholikin gegen das System

Zur Zeit des Mauerbaus war ich Oberärztin an der Augenklinik in Berlin-Buch. Mein damaliger Chef hatte sich noch in letzter Minute un- ter dem Vorwand eines Kurzurlaubs mit Frau und Sohn in den Westen ab- gesetzt. Das hatte die Konsequenz, daß ich in dieser kritischen Phase die Abteilung kommissarisch leiten muß- te. Bald schon setzte der erwartete politische Druck ein: Sämtliche Lei- tende Ärzte der Klinikabteilungen sollten ein offizielles Papier unter- schreiben, auf dem stand, daß sie mit dem Mauerbau einverstanden seien.

Die wenigen Nein-Sager bekamen ei- nen Negativ-Vermerk in der soge- nannten „Kader-Akte". Der Bau

FORSCHUNGSPROJEKT

wurde als ein politischer Schutzwall gegen die imperialen, kapitalisti- schen Mächte des Westens gerecht- fertigt, die die sozialistischen Staaten ausbluten wollten. Systematisch soll- te mit solchen Mitteln das Feindbild des west-kapitalistischen Systems aufgebaut werden.

Anfangs brachten viele Men- schen ziemlich unverhohlen ihre Er- schütterung und Empörung über die veränderte politische Situation und ihren Haß auf das herrschende Sy- stem zum Ausdruck. Das aber änder- te sich bald. Immer häufiger hörte man von Verhaftungen, Repressalien und Spitzeleien. Viele derjenigen, die zuvor lauthals protestiert hatten, hielten sich plötzlich sehr zurück.

Zum Teil behaupteten sie sogar, man müsse jetzt, da es keinen Ausweg mehr gebe, sozusagen „mit den Wöl- fen heulen", auch im Hinblick auf ein künftiges Fortkommen, vor allem, wenn man Familie hatte.

So bildete sich bei vielen allmäh- lich ein gespaltenes Bewußtsein her- aus: Zu Hause sprach und dachte man anders als in der Schule, im Be- trieb oder an der Universität. Das wurde von einigen derart verinner- licht, daß diese „Schizophrenie" im Laufe der Jahre kaum noch bemerkt wurde. Der Westen war „abgehakt", und so richtete man sich in der abso- luten Anpassung ein.

Ich selbst ließ mich niemals ein- binden, da ich als Katholikin das Sy- stem von vornherein ablehnte. Trotz- dem unterlag auch ich großen Zwän- gen. So wagte ich es nicht, nicht zur Wahl zu gehen, da ich befürchtete, daß meinen Eltern sonst die jährli- chen Westreisen zu ihren Kindern untersagt worden wären. Von politi- schen Einflüssen blieb ich verschont, lediglich meine Arbeitskraft und Fachkompetenz wurden ausgenutzt.

Durch Invalidität Chance zur Flucht

Natürlich entstanden auch Neid- und Haßgefühle auf „die da drüben im Westen". In diesem Zusammen- hang stellten wir Ostdeutschen uns oft die Frage, ob wir den Krieg allein verloren hätten. Als junger Mensch wollten auch wir die Welt sehen; aber

es vergingen die schönsten Jahre, oh- ne daß sich diese Träume erfüllten.

Allerdings gab es auch einige Sa- chen, die man durchaus als positiv bezeichnen konnte. Als Angehöriger der sogenannten „Intelligenz" genoß ich zum Beispiel Vorteile in kulturel- ler Hinsicht und in bezug auf Reise- möglichkeiten. Zwar war auch dies nie selbstverständlich, und wenn ei- nem erlaubt war zu reisen, dann nur innerhalb der Ostblockländer. Auch die Ausbildung war gut. Zum Teil ar- beiteten noch die alten, renommier- ten Chefs an den Kliniken, und wir durften viele abwechslungsreiche und verantwortungsvolle Aufgaben übernehmen. An den Kliniken wur- den die Probleme sowieso erst später deutlich als woanders. Auch war es mir erlaubt, regelmäßig Fachkon- gresse zu besuchen.

Trotzdem empfand ich die allge- meine Lage als immer bedrückender.

Schließlich erkrankte ich 1973 so schwer, daß ich als Invalide eingestuft wurde. Aufgrund der Erkrankung wurde es mir gestattet, eine Westrei- se zu unternehmen. Laut DDR-Ge- setz konnte man als Früh-Rentner, falls politische Unbedenklichkeiten gegeben waren, eine Besuchsreise zu Verwandten zugestanden bekom- men. Unter Zurücklassung meines ganzen Besitzes nutzte ich die Gele- genheit zur Republikflucht.

So fing ich 1973 ganz von vorne an. Die ersten anderthalb Jahre lebte ich in einer Sozialhilfewohnung und bekam lediglich Arbeitslosenunter- stützung. Der Grund war, daß ich aufgrund meiner Invalidität erst wie- der gesundheitlich rehabilitiert wer- den mußte. Ich nutzte die Zeit, um mir die Augenarztpraxen von Freun- den anzusehen, und hospitierte auch eine Zeitlang an der Heidelberger Augenklinik. Es wurde mir klar, daß ein Praxiseinstieg für mich nicht mehr in Frage kam.

Die Lösung bot sich für mich, als ein ehemaliger Kollege aus Berlin- Buch, der inzwischen in Osnabrück arbeitete, mir vorschlug, es doch beim TÜV als Gutachterin zu versu- chen. Beim TÜV in Essen hatte ich schließlich das Glück, noch als 52jäh- rige im Herbst 1975 eine volle Plan- stelle zu erhalten. Bis zum Sommer 1983 war ich dort tätig. N.N.

Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 17, 30. April 1993 (29) A1-1265

Referenzen

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