Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen
Hilfsmaßnahmen bei Reaktorunfällen
Kaliumjodid-Tabletten auf Vorrat
Bei der Emission radioaktiver Sub- stanzen nach einem Reaktorunfall ist vor allem mit der Inkorporation von Radiojod zu rechnen. Bei einer frühzeitigen Sättigung der Schild- drüse mit Kaliumjodid kann aufge- nommenes Radiojod wieder mit dem Urin ausgeschieden werden. Günsti- genfalls sollen Folgeschäden durch Radiojodablagerungen in der Schilddrüse dadurch bis auf ein Pro- zent verringert werden können.
Wie Hans Storner, ein Beamter im Bayerischen Staatsministerium des Inneren, während des Fortbildungs- seminars in München erklärte, läuft die Vorratsbeschaffung von Kalium- jodid (Streifenpackungen zu je zehn Tabletten) zur Zeit überall in der Bundesrepublik an. Dieses Antidot soll vorsorglich an die Bevölkerung in der sogenannten Zentralzone ei- ner kerntechnischen Anlage (Radius von zwei Kilometern) verteilt wer- den.
Es soll außerdem im Umkreis von zwei bis fünf Kilometern in den Ge- meinden (Schulen, Krankenhäuser) und bei den Kreisverwaltungen im Umkreis von fünf bis zehn Kilome- tern bevorratet werden.
Prognostische Aussage innerhalb von Stunden
Sobald die Möglichkeiten zur De- kontamination und vorläufigen De- korporation ausgeschöpft sind, kann der erstversorgende Arzt die Höhe einer vermutlichen Belastung mit penetrierenden Strahlen fest- stellen. Die allgemeinen Symptome in den ersten 24 Stunden sind Übel- keit, Erbrechen (oft schon nach Minuten), Hautrötungen, Durchfäl- le, zentralnervöse Erscheinungen, Schock.
Aufgrund der Untersuchungsbefun- de und der Labordaten (vor allem Blutbild und Knochenmarkuntersu- chung) ist es innerhalb von Stunden nach einem Unfall möglich, eine prognostische Aussage zu machen.
Wenn ausschließlich penetrierende Strahlen eingewirkt haben, können alle Maßnahmen ohne überstürzte Eile in Angriff genommen werden. In diesen Fällen wird die Beratung mit einem regionalen Strahlenschutz- zentrum empfohlen.
Klinische Versorgung in Spezialabteilungen
Klinischer Versorgung bedürfen Strahlengeschädigte, die zusätzlich Verbrennungen oder Verletzungen erlitten haben. Patienten, bei denen in den ersten 24 Stunden nach ei- nem nuklearen Unfall Symptome des „akuten Strahlen-Syndroms"
auftreten, sollen in klinischen Spe- zialeinrichtungen versorgt werden.
Zur Aufnahme solcher Patienten steht vor allem die Berufsgenossen- schaftliche Unfallklinik Ludwigsha- fen am Rhein mit ihrer Spezialabtei- lung für schwere Verbrennungen zur Verfügung. Die in dieser Klinik tätigen Kollegen geben auch jeder- zeit Auskünfte.
Darüber hinaus haben sich, wie Prof. Fliedner mitteilte, zahlreiche Chefärzte von internistischen (onko- logischen, hämatologischen) und nuklearmedizinischen Kliniken und Abteilungen bereit erklärt, bei der Versorgung von Patienten mit „aku- tem Strahlen-Syndrom" mitzu- wirken.
Zur Zeit seien Listen über die zur Verfügung stehenden Betten in Vor- bereitung.
Ärztliche Resignation nicht gerechtfertigt
Die Referenten dieser Pilot-Veran- staltung in München haben deutlich gemacht: Ärztliche Resignation ist selbst angesichts eines hypotheti- schen Super-GAUs nicht gerechtfer- tigt; denn wie bei allen Notfällen — auch katastrophalen Ausmaßes — können ärztliche Hilfsmaßnahmen die gesundheitlichen Schäden ein- dämmen und Leben retten helfen.
R-H
AUS EUROPA
IRLAND
Gesetzentwurf zur Familienplanung
Gesundheitsminister Charles Haughey hat den erwarteten Ge- setzentwurf über die Familienpla- nung im Parlament eingebracht (DEUTSCHES ÄRZTEBLATT, Heft 3/1979, Seite 136).
Der Entwurf bringt zwei wesentli- che Neuerungen. Einmal soll das Gesundheitsministerium einen umfassenden , Beratungsdienst über die „natürliche" Familienpla- nung einrichten; darunter werden alle Methoden verstanden, die oh- ne Verwendung künstlicher emp- fängnisverhütender Mittel aus- kommen.
Hierfür kämen die Gesundheitsbe- hörden oder spezielle Beratungs- stellen in Frage.
Zum anderen sollen durch das Ge- setz Ärzte das Recht erhalten, künstliche empfängnisverhütende Mittel (zum Beispiel auch Kondo- me) zu verschreiben, allerdings nur dann, wenn solche Mittel für Zwecke der Familienplanung oder aus angemessenen medizinischen Gründen und „in angemessenen Umständen" gewünscht werden.
Diese vorgesehene Regelung und ihre Einschränkungen haben dem Gesetzentwurf bereits Kritik von ärztlicher Seite und spöttisches Gelächter von politischen Kom- mentatoren eingebracht. Der Vor- stand der lrish Medical Associa- tion hat sich fast einstimmig ge- gen die Verschreibungspflicht für empfängnisverhütende Mittel ge- wandt und den Minister aufgefor- dert, diesen Teil des Gesetzent- wurfes entsprechend zu ändern.
Die Entscheidung eines Patienten, empfängnisverhütende Mittel be- nutzen zu wollen, habe nur in den seltensten Fällen etwas mit medi- zinischen Gründen zu tun; man dürfe aber das Verschreibungs- recht der Ärzte nicht für andere Zwecke mißbrauchen. gb
DEUTSCHES ÄRZ IEBL ATT Heft 14 vom 5. April 1979 963