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Archiv "Nachwuchsflut der Boden wird schmaler für den einzelnen" (23.08.1979)

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Spektrum der Woche Aufsätze -Notizen TAGUNGSBERICHT

Mit besorgten Worten über die an- schwellende Nachwuchsflut und de- ren Konsequenzen hatte Prof. Sewe- ring die berufspolitische Bestands- aufnahme eingeleitet: die Jahrgänge der neu beginnenden Medizinstu- denten haben bei uns mittlerweile bereits die Größenordnung von 12 000 erreicht, und nach Erklärun- gen der Bundesregierung besteht auch keine Aussicht auf Reduzie- rung. „Eine beklemmende Zahl", denn sie bedeutet, daß künftig auch rund 12 000 junge Menschen jähr- lich dieses Studium beenden wer- den; soweit tatsächlich Medizinstu- denten zwischenzeitlich ausschei- den, werden ihre Plätze in aller Re- gel durch „Quereinsteiger" besetzt;

das sind Bundesbürger, die sich nach bisherigem Studium im EG- Ausland nun um einen Medizin-Stu- dienplatz an einer Hochschule in der Bundesrepublik Deutschland bemü- hen.

Die vor Jahren im Auftrag der Bun- desregierung erarbeitete McKinsey-

Untersuchung, so erinnerte Sewe- ring, habe noch den jährlichen Zu- gang von lediglich 5600 Neuappro- bierten für ausreichend gehalten, um — eine 50prozentige Steigerung des Behandlungsbedarfs unterstellt!

— etwa bis zur Jahrhundertwende ei- ne Arztdichte von 1:340 zu errei- chen.

• Setze man in diese Schätzung je- doch anstelle der 5600 die in Bälde Jahr für Jahr zu erwartenden 12 000 Neuapprobierten ein, dann müsse im Ergebnis gegen Ende dieses Jahrhunderts bereits eine Arztdichte von etwa 1:200 angenommen wer- den!

• Und: schon in zehn Jahren — auch das sei ins Gedächtnis zu rufen

— werden laut Berechnungen des Zentralinstituts für die kassenärztli- che Versorgung voraussichtlich rund 30 000 Kassenärzte mehr in der Bundesrepublik praktizieren, als ei- ner vernünftigen Bedarfsdeckung entsprechen würde . . .

Aufsplitterung verhindert in der Ausbildung

Mit geeigneten Wegen zur Behe- bung der Ausbildungsmisere, in die der Medizinstudenten-Ansturm an den Universitäten bisher bereits führte, hat sich — so der bayerische Kammerpräsident weiter — der jüng- ste Deutsche Ärztetag in Nürnberg bekanntermaßen gründlich befaßt und dabei insbesondere auch die sehr ernst zu nehmenden Sorgen der Allgemeinärzte eingehend dis- kutiert. Die Beschlüsse schließlich:

Forderung nach einer fünfjährigen Universitätsausbildung, die dann angesichts der hohen Studenten- zahlen weitgehend eine theoreti- sche Ausbildung in der großen Vor- lesung wäre; danach eine zweijähri- ge praktische Ausbildung, eine Art Pflichtassistentenzeit, mit einer wei- teren Prüfung am Ende — dem Ab- schluß der einheitlichen Ausbildung zum Arzt.

Die erste Reaktion auf diese Forde- rung ist denn auch sehr positiv ge- wesen. Im Bundesgesundheitsmini- sterium beispielsweise begrüßte man es, daß der Deutsche Ärztetag an dem Ausbildungsziel Arzt festge- halten und sich der Gefahr wider- setzt hat, bereits in der Ausbildung eine Aufsplitterung zuzulassen.

• „Wir stehen auf dem Standpunkt, daß bis zur Approbation die Ausbil- dung für den gesamten ärztlichen Nachwuchs nach wie vor einheitlich sein muß, so daß jeder den gleichen Ausbildungslevel erreicht und damit die Approbation als Arzt mit gutem Gewissen erhalten kann", betonte Sewering.

Die „vielleicht extremste Gegenvor- stellung" habe Prof. Dr. Siegfried Häußler entwickelt. Sie gehe dahin, daß sich bereits im praktischen Aus- bildungsabschnitt, der nach dessen Auffassung nicht zwei, sondern min- destens drei Jahre betragen müßte, jeder Pflichtassistent entscheiden solle, in welchen „Kanal" er gehen wolle, ob er also beabsichtige, bei- spielsweise Allgemeinarzt oder Au- genarzt oder Urologe zu werden;

schon in diesem Abschnitt der

Nachwuchsflut der Boden wird schmaler für den einzelnen

Berufspolitisches Colloquium beim XXVII. Internationalen Fortbildungskongreß der Bundesärztekammer in Grado

Zu einer Tour d'horizon, die insbesondere die Problemzonen Nach- wuchsschwemme, Aus- und Weiterbildung — vor dem Hintergrund der Beratungsergebnisse des diesjährigen 82. Deutschen Ärztetages — ins kritische Blickfeld nahm, wurde das Referat, das Prof. Dr. Hans, J.

Sewering, Präsident der Bayerischen Landesärztekammer, beim Berufspolitischen Colloquium des XXVII. Internationalen Fortbil- dungskongresses der Bundesärztekammer in Grado gehalten hat.

Ebenso aktuelle Stichworte wie Änderungen der Berufsordnung („Ärztliche Aufzeichnungen", „Kollegiales Verhalten"), Honorarent- wicklung, Kostendämpfungsgesetz, Abtreibungsboom und Säug- lingssterblichkeit markieren einige weitere Schwerpunkte dieses in klaren Strichen gezeichneten Gesamtüberblicks. Prof. Sewering gab ihn vor einer sehr großen Zuhörerschaft im Freilichtauditorium Pineta, unmittelbar neben dem neuerrichteten modernen Gradeser Kongreß- gebäude (DEUTSCHES ÄRZTEBLATT, Heft 31/1979, Seite XII). das mittlerweile seiner Bestimmung übergeben worden ist.

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•Spektrum der Woche Aufsätze •Notizen

Berufspolitisches Colloquium in Grado

Pflichtausbildung würde somit die bisherige Weiterbildung vorwegge- nommen und dann erst die Appro- bation erteilt.

• Prof. Sewering dazu: „Das hätte aber zur Folge, daß man eben kei- nen Arzt mehr ausbildet, sondern einen Allgemeinarzt oder einen Au- genarzt oder einen Urologen usw., usw. Und damit würde das einheitli- che Berufsbild Arzt verschwinden;

wir hätten künftig eine Vielzahl von Arztberufen, die untereinander kei- ne Verbindung mehr haben. Es wäre dann auch nicht mehr möglich, etwa von einem Berufsbild in ein ande- res überzuwechseln, wie es heute auf der Grundlage der ärztlichen Approbation ja jederzeit realisierbar ist."

Der Deutsche Ärztetag sei also die- sen Vorstellungen nicht gefolgt, sehr zur Erleichterung der meisten Delegierten. Wenn auch nicht ver- kannt werden dürfe, daß die Weiter- bildung zum Allgemeinarzt proble- matisch geworden sei: „Denn wenn die Pflichtassistentenzeit zu Ende ist, die Approbation erteilt wurde, dann stehen ja künftig pro Jahr rund 12 000 frisch approbierte Ärzte vor den Türen der Krankenhäuser;

wahrscheinlich weniger als die Hälf- te von ihnen werden die Chance ha- ben, eine planmäßige Assistenten- stelle zu erhalten und eine Weiterbil- dung zu betreiben." (Der gegenwär- tige Personalbestand der Kranken- häuser läßt erwarten, daß pro Jahr lediglich 5500 bis höchstens 6000 solcher Stellen frei werden.) „Somit wird also möglicherweise Tatsache werden, daß diejenigen, die keine Assistentenstelle bekommen, sich bereits allein auf der Grundlage ih- rer Approbation niederlassen und allgemeinärztliche Tätigkeit aus- üben."

Sicherlich werde man nach Wegen suchen, die Zahl der Planstellen an den Krankenhäusern zu vermehren, notfalls unter Teilung der bisherigen Aufgaben. Doch auch dann träten, abgesehen von der Kürzung finan- zieller Erwartungen der betreffen- den jungen Ärzte, wiederum nach- teilige Konsequenzen ein: der ärztli-

che Dienst am Krankenhaus würde aufgesplittert, unüberschaubar, eine ordnungsgemäße Versorgung der Patienten ebenso wie die erforderli- che Qualität der Weiterbildung wäre dann sicher nicht mehr gewährlei- stet.

• Sewering abschließend zu dem vielschichtigen Problemkreis Nach- wuchsflut: Wie die soziale Stellung des Arztes in Zukunft aussehen wird, wenn diese sich anbahnende Über- füllung des Berufes eintritt, wenn es auch zu einer Überschwemmung der freien Praxis kommt — darüber kann sich jeder seine eigenen Ge- danken machen. „Die Auswirkungen werden zweifellos erheblich sein.

Der Boden wird schmaler für den einzelnen."

Arzt-Aufzeichnungen dienen auch dem Patienten-Interesse ...

Direkt den ärztlichen Alltag von heu- te betreffen die zwei vom Deutschen Ärztetag beschlossenen Änderun- gen in der Berufsordnung, die der Referent anschließend erläuterte.

Sie beziehen sich auf die Paragra- phen „Ärztliche Aufzeichnungen"

und „Kollegiales Verhalten". Wie erinnerlich, sind in letzter Zeit einige Gerichtsurteile in dem Sinne ergan- gen, der Patient habe ein Anrecht darauf zu erfahren, was in den ärztli- chen Aufzeichnungen über ihn ent- halten sei. Zwar ist es bisher noch zu keinen Konsequenzen in dieser Richtung gekommen; warnend muß aber die Öffentlichkeit darauf hinge- wiesen werden, daß die Folgen einer Realisierung jenes angeblichen

„Anspruches" ungemein weitrei- chend sein könnten.

Sewering erläuternd dazu: Wer sei- ne Nierensteine oder seine Gallen- steine los ist und nach gut gelunge- ner Operation nach Hause geht, dem ist im allgemeinen bestimmt völlig gleichgültig, was in seinem Kran- kenblatt steht. Derjenige aber, dem es nicht besser, sondern stetig schlechter geht, und der nicht weiß, daß sein Leiden daran schuld ist, dieser Mensch ist es doch, der hier unser Problemfall wird; der zu-

nächst einmal Mißtrauen gegen den Arzt entwickelt, weil er die Schuld für sein schlechtes Befinden dann nicht in seinem Schicksal Krankheit sieht, sondern in einem vermeintli- chen Unvermögen des Arztes. „Und wenn es hier tatsächlich in letzter Konsequenz dahin käme, daß der Patient persönlich das Recht erhiel- te, in die Arzt-Aufzeichnungen Ein- blick zu nehmen, dann könnte das in vielen Fällen der Eröffnung eines Todesurteils gleichkommen. — Das heißt also: humanitäre Überlegun- gen müßten hier mindestens gleich- gewichtig mit rein abstrakten Rechtsüberlegungen erörtert wer- den, wenn man an diese Frage her- angeht", betonte Sewering.

• Zur Verdeutlichung habe der 82.

Deutsche Ärztetag den entsprechen- den Paragraphen 11 der Berufsord- nung geändert, der nunmehr so lau- tet: „Der Arzt hat über die in Aus- übung seines Berufes gemachten Feststellungen und getroffenen Maßnahmen die erforderlichen Auf- zeichnungen zu machen. Ärztliche Aufzeichnungen sind nicht nur Ge- dächtnisstützen für den Arzt; sie die- nen auch den Interessen des Patien- ten an einer ordnungsgemäßen Do- kumentation."

Man könne nur hoffen, daß es mit Hilfe dieser Verdeutlichung gelingen werde, eine Entwicklung einzulei- ten, die nicht den extremen Rechts- vorstellungen einiger Gerichte ent- spricht.

„Kollegiales Verhalten" — jetzt noch genauer definiert Zu der Änderung des Berufsord- nungs-Paragraphen mit der Über- schrift „Kollegiales Verhalten" erin- nerte Prof. Sewering daran, daß in der Öffentlichkeit wiederholt der Vorwurf erhoben worden ist, die Ärzte seien durch die bisherigen Be- stimmungen daran gehindert, gut- achtlich auch einen Behandlungs- fehler eines Kollegen festzustellen.

Das ist zweifellos falsch; die zahlrei- chen Gutachten von Ärzten über Be- handlungsfehler anderer Ärzte be- weisen, daß das von den Ärzten an-

2154 Heft 34 vom 23. August 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Berufspolitisches Colloquium in Grado

Zum XXVII. Internationalen Fortbildungskongreß der Bundesärztekammer in Grado, über dessen Berufspolitisches Colloquium auf diesen Seiten berichtet wird, waren annähernd 15 Prozent ärztliche Teilnehmer mehr angereist als zum Frühsommerkongreß des vergangenen Jahres. Ein erfreulicher Aufwärtstrend: der Fortbildungswille setzt sich offenbar nun doch deutlich gegen jene Teilnahmebehinderungen durch, die infolge des wirklichkeitsfremden Bundesfinanzhof-Steuerurteils (vom 4. August 1977) zunächst bei allen Auslands-Fortbildungskongressen der Bundesärztekammer 1978 schmerzhaft spürbar geworden waren. — Unsere Fotos von der Eröffnungsveranstaltung, die letztmalig im „Cinema Cristallo" stattfand (mittlerweile verfügt Grado, wie berichtet, über ein eigenes modernes Kongreßgebäude), zeigen einen Blick auf einige Reihen der Teilnehmer und (rechtes Bild) den Präsidenten der Bayerischen Landesärztekammer, Prof. Sewering, während seiner Begrüßungsansprache Fotos: Zuliani

ders gesehen und verstanden wird.

Immerhin hat sich aber auch der Ju- ristentag mit dieser Frage beschäf- tigt und die Sorge geäußert, der bis- herige Wortlaut könnte jedenfalls ei- nen Arzt davon abhalten, ein negati- ves Gutachten über einen anderen zu schreiben.

• Der verdeutlichte Paragraph 15 lautet — wie schon im Rahmen der Berichterstattung über den 82. Deut- schen Ärztetag im Zusammenhang dokumentiert — nunmehr im An- schluß an den unveränderten Einlei- tungssatz „Der Arzt hat seinen Kol- legen durch rücksichtsvolles Verhal- ten Achtung zu erweisen" weiter:

„Die Verpflichtung des Sachverstän- digen, nach § 12 Satz 1, in einem Gutachten, auch soweit es die Be- handlungsweise eines anderen Arz- tes betrifft, nach bestem Wissen sei- ne ärztliche Überzeugung auszu- sprechen, bleibt unberührt. Unsach- liche Kritik an der Behandlungswei- se oder dem beruflichen Wissen ei- nes Arztes sowie herabsetzende Äu- ßerungen über seine Person sind berufsunwürdig. Es ist berufsunwür-

dig, einen Kollegen aus seiner Be- handlungstätigkeit oder als Mitbe- werber durch unlautere Handlungs- weise zu verdrängen."

Hier also wird, um jeden Zweifel aus- zuräumen, nochmals unterstrichen, daß die Erstattung eines begründe- ten und sachlich abgefaßten Gut- achtens, auch wenn es negativ für den Kollegen ausfällt, in keiner Wei- se einen Verstoß gegen die Kollegia- lität darstellen kann. — Der insbeson- dere von einigen Dauer-,,Ärztekriti- kern" oft so eilfertig aufgewärmte Krähenvergleich („ . . . hackt der an- deren kein Auge aus") wird sich künftig in Schlagzeilen und ebenso reißerischem Text wohl noch we- sentlich weniger glaubwürdig als bisher ausmachen.

Dort Abtreibungen, hier Kampf gegen Säuglingssterblichkeit ...

Der Präsident der Bayerischen Landesärztekammer bezog in seine aktuelle Gesamtübersicht auch die besorgniserregende Entwicklung

ein, die seit der Änderung des Para- graphen 218 in der Bundesrepublik eingetreten ist (und die den 82.

Deutschen Ärztetag bereits zu einer sehr mahnenden Entschließung ver- anlaßte). Hatte man allein beim Sta- tistischen Bundesamt in Wiesbaden 1977 noch 55 000 Schwanger- schaftsabbrüche registriert, so wa- ren es 1978 bereits rund 74 000.

Nimmt man die große Zahl der Ab- treibungen hinzu, die nach fundier- ten Informationen deutsche Frauen im Nachbarland Holland vornehmen fassen, und stellt man auch die Dun- kelziffer in Rechnung (so werden unter anderem auch einschlägige

„Werbeschreiben" aus dem Bereich Wien in die Bundesrepublik ver- schickt), kommt man nach Meinung von Fachleuten auf insgesamt etwa 120 000 Abbrüche jährlich. „Und das ist bei einer Geburtenzahl von rund 500 000, auf die wir inzwischen ab- gesunken sind, in der Tat alarmie- rend", betonte Prof. Sewering.

• Bei dieser Geburtenzahl bedeute auf der anderen Seite die Säuglings- sterblichkeit von 17 Promille, daß

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Berufspolitisches Colloquium in Grado

pro Jahr 8500 Säuglinge sterben.

„Wenn wir unter Einsatz aller Mög- lichkeiten — medizinischer Mittel, ärztlicher Arbeitskraft, technischer Aufwendungen bis hin zum speziel- len Notarztwagen für Neugeborene

— diese Quote auf 10 Promille sen- ken könnten, und das wäre derzeit eine Traumzahl, dann hieße dies, daß nur noch 5000 sterben: unter einem immensen Einsatz der ange- sprochenen Ärzte in der Bundesre- publik retten wir dann also pro Jahr 3500 Neugeborene. Diese Zahl muß man einmal derjenigen der jährli- chen Schwangerschaftsabbrüche gegenüberstellen, dann erkennt man die eigentlichen Größenord- nungen, mit denen wir es hier zu tun haben!"

Drastische Reduzierung des Honorarwachstums — schon sehr früh „geplant"

Seinem im weiteren Verlauf des Re- ferats gegebenen Überblick über die kassenärztliche Situation — inbeson- dere vor dem Hintergrund der ver- zeichneten sprunghaften Zunahme der Kassenausgaben für Arzneiver- ordnungen, Heil- und Hilfsmittel (DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 25/1979, Seite 1671, und Heft 27/

1979, Seite 1789) sowie angesichts der Empfehlungen der Konzertierten Aktion vom März, die hinsichtlich der Arzthonorar-Entwicklung für die nächste Zukunft zu berücksichtigen sind — fügte Sewering einige sehr kritische Anmerkungen hinzu.

Die ganze Frage der Honorarent- wicklung, so sagte er, sollte man einmal von ihrer Grundlage sehen.

Keineswegs sei der Gedanke einer drastischen Reduzierung des Hono- rarwachstums ja erst entstanden,

„als plötzlich die Kasse nicht mehr stimmte bei den Krankenkassen".

Vielmehr habe bereits 1975 der stell- vertretende DGB-Vorsitzende Gerd Muhr, Verantwortlicher für Sozial- politik, in einem Vortrag sinngemäß erklärt, es sei das Ziel der Gewerk- schaften, die Entwicklung der Arzt- honorare so zu bremsen, daß sie nicht mehr über den Kaufkraftver- lust hinausgehe; man müsse eine

zunehmende Annäherung der Ent- wicklung der Arzthonorare und der Arbeitnehmereinkommen errei- chen ... „Das, was dann unter dem Motto ,Wir haben kein Geld mehr' realisiert wurde, ist nichts anderes als ein Stück Programm des Deut- schen Gewerkschaftsbundes im

Festveranstaltung in der 1400jährigen Gradeser Basilika

Höhepunkt der kulturellen Ereignisse während des XXVII.

Internationalen Fortbildungs- kongresses der Bundesärzte- kammer in Grado: Mehrere hundert Kongreßteilnehmer und viele Einheimische fan- den sich zu einer ökumeni- schen Festveranstaltung in der Patriarchatskirche Sant' Eufemia zusammen, die im kommenden Spätherbst (am 3. November) 1400 Jahre alt wird.

Werke von Bach. Vivaldi, Hän- del, dargeboten durch das

„Gradeser Ärzteorchester", und die Uraufführung der erst im März 1979 entstandenen Komposition „Le Campane di Grado' von Ottheinz Braun umrahmten den eindrucksvol- len kunsthistorischen Vortrag

„Die Gradeser Basilika 1400 Jahre im Dienst Europas", den Prof. Dr. Albert Schretzen- mayr (Augsburg) hielt. Die Vorführung einer Vielzahl von Bilddokumenten (ein Teil von ihnen ist auch in Heft 15/1979 des DEUTSCHEN ÄRZTE- BLATTES veröffentlicht wor- den) begleitete diesen fes- selnden Exkurs in die Kir- chen- und Kunstgeschichte.

Mit einem ökumenischen Dankgebet, gesprochen von dem Dekan der evangelischen Kirche in Triest und dem Dom- pfarrer von Augsburg, klang die abendliche Festveranstal- tung aus.

Rahmen seiner Gesundheits- und Sozialpolitik", unterstrich Prof. Se- wering.

• Die Arztpraxis aber, das habe die Ärzteschaft bereits ungezählte Male dargelegt, sei mit der Lohntüte eines Arbeitnehmers eben nicht ver- gleichbar; sie stelle einen Kleinbe- trieb dar. Bundeskanzler Schmidt selbst habe einmal erklärt, die Wirt- schaft könne keinen Fortschritt her- vorbringen, wenn sie nicht investie- re, und sie könne nur investieren, wenn sie Gewinne mache: ein über- zeugender, richtiger Grundsatz;

doch nur für den Sektor der gesund- heitlichen Versorgung, wo es sich um die Kleinbetriebe der Ärzte han- delt, gelte er offenbar nicht! Dies müsse dazu führen, daß der einzelne Arzt auf einem immer schmaler wer- denden materiellen Podest steht, daß die Praxisinvestitionen zurück- gehen und somit schließlich ein An- hängen an den medizinisch-wissen- schaftlichen Fortschritt nicht mehr möglich sein wird!

Verpflichtung aller:

Mehr tun für die Kinder!

Die abschließenden Ausführungen des bayerischen Kammerpräsiden- ten galten anderen, wohl mittlerwei- le fast allseits erkannten Gefahren und mündeten in dem eindringli- chen Aufruf an die Öffentlichkeit, insbesondere an die Eltern, mehr Aktivitäten auf die gesunde körperli- che, geistige und seelische Entwick- lung der Kinder zu richten. Die Tat- sache beispielsweise, daß bei den kostenfrei angebotenen Vorsorge- untersuchungen für Neugeborene und Kleinkinder der Grad der Inan- spruchnahme von der U 1, U 2 bisher steil abfällt auf rund 50 Prozent bei der U 8, ein Großteil der Eltern also eventuell noch unerkannte Gesund- heitsschäden zu Lasten ihrer Kinder

„in Kauf" nimmt, ist ein äußerst be- sorgniserregendes Zeichen: „Ein Symptom für eine Gesellschaft, die zwar in allen möglichen Veranstal- tungen das Jahr des Kindes begeht, der es in Wirklichkeit aber noch an der richtigen verantwortlichen Ein- stellung fehlt."

2156 Heft 34 vom 23. August 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Berufspolitisches Colloquium in Grado

Prof. Sewering erinnerte in diesem Zusammenhang auch an die beim 82. Deutschen Ärztetag erhobene Forderung, daß künftig mehr Kin- derpsychiater zur Verfügung stehen müßten, um angesichtsder enormen Zunahme der Zahl psychisch gestör- ter Kinder wirksame Hilfe leisten zu können. Heute spreche man von et- wa 14 000 Selbstmordversuchen bei Kindern und Jugendlichen jährlich, registriere eine erschreckend hohe Zahl von Drogen- und Alkoholab- hängigen unter ihnen.

Sicherlich, so fügte Sewering hinzu, sollte man dieses Problem nicht simplifizieren, indem man etwa für alle psychischen Störungen der Kin- der die Umwelt, die Eitern, die Fami- lie verantwortlich mache. Das wäre gewiß falsch; es gibt eine gewisse Rate an angeborenen Störungen.

"Man muß der Öffentlichkeit aber

einmal nachdrücklich sagen, daß der 100-Mark-Schein nicht die elter- liche Liebe, Hingabe und Mühe um die Erziehung des Kindes ersetzen kann; man muß deutlich machen, daß die Passivität, in die unsere Kin- der durch Fernsehen, durch fal- sches Spielzeug hineingezogen werden, eine große Gefahr ist."

Das Kind sei doch die Kostbarkeit unserer Gesellschaft schlechthin.

"Wenn es uns nicht gelingt, diese Kinder, diese Jugendlichen zu akti- ven Menschen zu erziehen, wie soll- ten sie dann die Last, die auf sie zukommt, tragen? Wie könnten sie diese Gesellschaft morgen am Le- ben erhalten, wenn sie nicht ge- wohnt sind, initiativ zu sein, wenn sie nicht bereits von klein an gelernt haben, ihre Phantasie zu entwickeln und Dinge aus eigener Kraft zu ge- stalten!"

e

"Die Alten" dürften angesichts dieses geforderten hohen Maßes an Zuwendung keinesfalls resignieren.

Denn auch hier - und keineswegs nur in der Rentenversicherung-gel- te ganz allgemein der Generationen- vertrag. "Eine Gesellschaft ist eben nur dann gesund, wenn die Gegen- wärtigen auf den Schultern der Ver- gangenheit stehen und die Kom- menden wieder auf unseren Schul- tern getragen werden können. Nur

wenn wir den Kindern und Jugendli- chen gegenüber so unsere Verant- wortung sehen, dann hat diese Ge- sellschaft eine Chance zu überle- ben. Und ich glaube, es wäre wert, daß wir uns darum bemühen", sagte

Prof. Sewering.

Warten auf Ehrenberg

Im Verlauf der Diskussion, die sich an dieses mit starkem Zuhörerbeifall aufgenommene Referat anschloß, wurde inbesondere der Fortfall der in der Zulassungsordnung veranker- ten sechsmonatigen Vorbereitungs- zeit zur kassenärztlichen Tätigkeit erörtert, der gemäß Artikel 21 der EG-Richtlinien bereits Mitte 1980 ansteht. Die Frage: Wird die beim Bundesarbeitsminister erbetene Prüfung der Möglichkeit, dann eine zweijährige Pflichtassistentenzeit als Voraussetzung für die künftige Kassenarztzulassung deutscher und ausländischer Ärzte einzuführen, ein positives Resultat haben?

Während Prof. Sewering den Ein- druck äußerte, daß gegen eine sol- che - im Interesse der weiteren Si- cherung einer qualitativ guten ärztli- chen Versorgungwünschenswerte- Regelung gleichwohl erheblicher Widerstand des Ministeriums mit ju- ristischer Argumentation zu erwar- ten sei, vertrat Dr. Josef Schmitz- Formes, Zweiter Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung, gestützt auf den sei nerzeiti- gen Stand der Informationen, einen etwas optimistischeren Standpunkt.

Nachdem bereits in der Vorpfingst- woche bei Besprechungen im Bun- desarbeitsministerium durch die KBV-Beauftragten der Nachweis ge- führt worden sei, daß auch fast alle anderen EG-Länder- mehr oder we- niger kaschiert - eine Vorberei- tungszeit haben, seien die Beden- ken des Ministeriums offensichtlich

"geschrumpft". Außerdem müsse

daran erinnert werden, so fügte Schmitz-Formes hinzu, "daß diese unsere Vorstellung ja nicht von uns allein getragen wird", sondern als Weg zur Lösung durch eine Empfeh- lung der Konzertierten Aktion vom Herbst vergangenen Jahres vorge- zeichnet worden ist. Ste

Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen TAGUNGSBERICHT

Kinder im Krankenhaus

Anregungen eines Kölner Aktionskomitees

Auf Anregung des Kölner "Aktions- komitees Kind im Krankenhaus e. V." trafen sich in Köln (19. Mai 1979) Kinderärzte aus Praxis und Krankenhaus zu einer gemeinsamen Tagung. Diskutiert wurde das The- ma: "Psycho-soziale Aspekte eines Krankenhausaufenthaltes bei Klein- kindern."

Die Diskussionsbeiträge ließen kei- nen Zweifel darüber aufkommen, daß ein Krankenhausaufenthalt für ein Kind in verstärktem Maße eine psychische Belastungssituation dar- stellt. Die Zielsetzung des "Aktions- komitees Kind im Krankenhaus e. V.", einer seit nunmehr 70 Jahren bestehenden Bürgerinitiative, deren Ziel es ist, alle mit einem Kranken- hausautenthalt des Kindes verbun- denen belastenden Faktoren mög- lichst auszuschalten, wurde von den Kinderärzten unterstützt.

...,. Maßnahmen zur Vermeidung ei- nes sogenannten Krankenhaustrau- mas, speziell des damit verbunde- nen Trennungstraumas sind, so stellte Professor Dr. Dieter Helbig, Städtisches Kinderkrankenhaus

Köln, Amsterdamer Straße, fest, am-

bulante Operationen.

Die langjährigen Erfahrungen mit ambulanten Operationen (in Köln zur Zeit mehr als 1700 pro Jahr) ha- ben gezeigt, daß die Eitern gerne bereit sind, die häusliche Pflege zu übernehmen. Helbig: "Das Ergebnis einer Untersuchung an unserer Kli- nik zeigt, daß 97 Prozent der Eitern auch einen zweiten Eingriff ambu- lant durchführen lassen würden."

Allerdings sind aus der Sicht der Kinderchirurgie, so Professor Hel- big, ambulante Operationen bei Säuglingen unter sechs Monaten nicht zu befürworten. Eine ambulan-

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