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Archiv "Psychotherapeutische/psychosomatische Versorgung: Mehr niedrigschwellige Therapie nötig" (27.01.2012)

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A 130 Deutsches Ärzteblatt

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Heft 4

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27. Januar 2012

E

s mangelt bislang an Studien, um die Effizienz des aktuellen Versorgungssystems besser ab- schätzen zu können.“ So erläuterte Prof. Dr. med. Johannes Kruse, Gießen, die Zielsetzung des Gut- achtens zur ambulanten kassenärzt- lichen psychotherapeutisch/psycho- somatischen Versorgung, das er zu- sammen mit Prof. Dr. med. Werner Herzog, Heidelberg, erstellt hat.

Zwar sei die Wirksamkeit der Psy- chotherapieverfahren nachgewie- sen. Es lägen aber kaum Studien vor, die differenziert die Versor- gungsprofile der Behandlergruppen analysierten, erklärte Kruse bei der Vorstellung der ersten Ergebnisse in der Kassenärztlichen Bundesverei- nigung (KBV).

Die KBV hat die Studie in Auf- trag gegeben. Sie muss die ambu- lante Versorgung von Kassenpatien- ten sicherstellen. Im Hinblick auf die anstehende Reform der Bedarfs- planung will sie daher wissen, wie, von wem und wie effizient psy- chisch Kranke in Deutschland ver- sorgt werden. Denn die besorgniser- regende Zunahme psychischer Er- krankungen stellt das Versorgungs- system vor große Herausforderun- gen: Jährlich erkranken 25 bis 30 Prozent der Bevölkerung an psy- chischen und psychosomatischen Störungen. 16,5 Prozent der Fehlta- ge von Arbeitnehmern sind auf psy- chische Erkrankungen zurückzu- führen – die zweithäufigste Ursache nach Erkrankungen des Muskel- Skelett-Systems. Psychische Er- krankungen dauern mit über 40 Fehltagen im Durchschnitt beson- ders lange, und sie sind zunehmend zum Hauptgrund für Frühberentun- gen geworden. Gleichzeitig wird es für die Betroffenen immer schwieri- ger, einen Therapieplatz zu finden:

Die durchschnittliche Wartezeit be- trägt drei Monate.

Die Studie der beiden Psychoso- matiker Kruse und Herzog beruht auf einer Literaturrecherche, Quer- schnittsdaten der KBV aus dem Jahr 2008 sowie der Befragung ei- ner repräsentativen Bevölkerungs- stichprobe. Krankenkassendaten kon nten nicht ausgewertet werden.

Die Kernaussagen: Für psy- chisch Kranke gibt es in Deutsch- land ein umfangreiches und diffe- renziertes ambulantes Versorgungs- angebot. Es werden vor allem mul- timorbide, schwer erkrankte Patien- ten mit hoher Krankheitslast behan- delt, wobei depressive Störungen, Angst- und Anpassungsstörungen die häufigsten Behandlungsanlässe sind. Menschen mit somatoformen Störungen werden im fachspezifi- schen Versorgungssystem nur unzu- reichend erreicht. Auch der psycho- therapeutische Behandlungsbedarf von körperlich Erkrankten wie Herz- kranken oder Rheumapatienten „ist so gut wie gar nicht gedeckt“, er- gänzte Dr. med. Herbert Menzel, Vorsitzender des Berufsverbandes der Fachärzte für Psychosomati- sche Medizin und Psychotherapie.

Die Autoren unterteilen das Ver- sorgungsangebot für Erwachsene in drei Säulen:

Säule 1: Haus- und Fachärzte im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung; Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie (rund 3 000); Fach- ärzte mit Zusatzbezeichnung Psy- chotherapie/Psychoanalyse (rund 2 300)

Säule 2: Fachärzte für Psychia- trie und Psychotherapie (rund 3 000); Fachärzte für Nervenheil- kunde (rund 2 200)

Säule 3: Psychologische Psycho- therapeuten (rund 13 000).

„Jede dieser Berufsgruppen leis- tet einen spezifischen Beitrag“, er- klärte der KBV-Vorstandsvorsitzen-

de Dr. med. Andreas Köhler. Zu op- timieren seien jedoch unbedingt die Schnittstellen zwischen den Berufs- gruppen, zwischen ambulanter und stationärer Versorgung sowie zwi- schen den verschiedenen Fachrich- tungen der Psychotherapie. Menzel hob hervor, dass die Zusammenar- beit zwischen den somatischen Fachärzten und den Psychosomati- kern sehr gut funktioniere.

Wer was anbietet

Die drei überwiegend psychothe - rapeutisch tätigen Berufsgruppen (Säulen 1 und 3) behandeln Patien- ten mit vergleichbaren psychischen Erkrankungen: Depressionen, An- passungsstörungen, Angststörungen und posttraumatische Belastungs- störungen. Aufgrund der unter- schiedlichen Versorgungsstruktur und der unterschiedlichen Thera- piefrequenzen unterscheidet sich die Zahl der Patienten, die pro Jahr behandelt werden, deutlich: Fach- ärzte für Psychosomatische Medi- zin behandeln im Durchschnitt 170 Fälle, Fachärzte mit Zusatzbezeich- nung Psychotherapie 173 Fälle und Psychologische Psychotherapeuten (PP) 187 Fälle. Sie alle arbeiten überwiegend mit 50-minütiger an- tragspflichtiger Richtlinien-Psy- chotherapie. Bei den Ärzten steht die psychodynamische Psychothe- rapie im Zentrum; bei den PP die Verhaltenstherapie. Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie kommen hingegen auf 1 347 Fälle pro Jahr und Nervenärzte auf 3 172.

Diese beiden Berufsgruppen bieten die psychiatrische Basisversorgung an. Dies bedingt eine größere Pa- tientenzahl bei geringerem zeitli- chen Umfang (Tabelle).

„Die Frage ist, ob jeder Patient die für ihn richtige Behandlung er- hält“, kommentierte Köhler die Er- gebnisse. Seiner Ansicht nach fehlen PSYCHOTHERAPEUTISCHE/PSYCHOSOMATISCHE VERSORGUNG

Mehr niedrigschwellige Therapie nötig

Die KBV hat ein Gutachten in Auftrag gegeben, das Formen und Effizienz der ambulanten psychotherapeutisch/psychosomatischen Versorgung analysieren soll.

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27. Januar 2012 A 131 niedrigschwellige Therapieangebote

in der spezialisierten fachärztlichen und psychotherapeutischen Versor- gung. Nicht jeder Patient benötige gleich eine langfristige Psychothera- pie. „Nach 40 Jahren Richtlinien- psychotherapie muss es gestattet sein zu hinterfragen, ob die veran- kerten Säulen der Verhaltensthera- pie, Psychoanalyse und tiefenpsy- chologisch fundierten Psychothera- pie mit den vorgeplanten Kontin- genten noch zeitgemäß sind“, sagte Köhler. Studienautor Kruse wies in- des darauf hin, dass die Behand- lungskontingente häufig nicht aus- geschöpft würden, sondern die The- rapiedauer individuell mit den Pa- tienten abgestimmt werde. Die bes- sere finanzielle Ausstattung der an- tragspflichtigen Richtlinienpsycho- therapie (82 Euro pro Therapiestun- de) könne leicht zu Fehlanreizen führen, glaubt wiederum Köhler.

Die Bundespsychotherapeuten- kammer unterstützt die Forderung der KBV, das niedrigschwellige The- rapieangebot auszubauen. „Die Pa- tienten brauchen eine schnellere Be- handlung von psychischen Erkran- kungen“, sagte deren Präsident, Prof.

Dr. Rainer Richter. KBV und Kran- kenkassen sollten die Voraussetzun- gen schaffen, um kurzfristig nutzba- re psychotherapeutische Sprechstun- den einzurichten, fordert er.

Ansprechpartner Hausarzt Die Autoren des Gutachtens be - fragten auch die Bevölkerung (n = 2 555), an wen sie sich wenden würden, wenn sie an Depression oder „Schmerzen ohne körperliche Erkrankung“ litten. Die meisten (70 Prozent) würden sich bei Letzte- rem an den Hausarzt wenden, gefolgt von einem Facharzt für Psychosoma- tische Medizin, einem Psychiater, zu- letzt einem Psychologischen Psycho- therapeuten. „Aufklärung und Moti- vierung der Betroffenen, fachspezifi- sche Angebote anzunehmen, könnten hier die Versorgung verbessern“, kommentierte Köhler. Studienautor Herzog stellte heraus, dass die Ergeb- nisse „für eine hohe Akzeptanz der ärztlichen Psychotherapie sprechen“.

Kritik an dem Gutachten kommt von der AOK Baden-Württemberg.

„Die Studie liefert keine neuen Er- kenntnisse zur aktuellen Situation“, sagte der Vorstandsvorsitzende Dr.

Christopher Hermann. Die Forde- rung nach einer besseren Vernet- zung der verschiedenen Fachrich- tungen und nach mehr niedrig- schwelligen Behandlungsangebo- ten sei zwar „im Kern richtig“. Die Lösung sieht Hermann jedoch nicht in einer noch komplexeren Bedarfs- planung, sondern in regionalen Ver- sorgungskonzepten. Um Patienten in Baden-Württemberg eine schnel- le, strukturierte und flexible psy- chotherapeutische Versorgung an- bieten zu können, habe sich die AOK entschieden, direkt mit dem Ärzteverband Medi sowie ärztli- chen und psychotherapeutischen Berufsverbänden einen Selektivver- trag abzuschließen (siehe DÄ, Heft 44, „Erstgespräch in drei Tagen“).

Die KBV würde es begrüßen, wenn andere Beteiligte des Gesund- heitswesens die Studie ergänzten.

Daten, zum Beispiel aus der statio- nären Versorgung oder zur Arznei- mittelversorgung, sollten einbezo- gen werden, um mehr Erkenntnisse über die Versorgungssituation zu er- halten, sagte der KBV-Vorstands-

vorsitzende.

Petra Bühring TABELLE

Wer macht was? Prozentualer Anteil aller Fälle bei ausgewählten Leistungen

Quelle: Gutachten „Zur ambulanten psychosomatischen/psychotherapeutischen Versorgung in der kassenärztlichen Versorgung in Deutschland“, Kruse und Herzog 2012 Leistung

Grundpauschale < = 59 Jahre Grundpauschale > = 60 Jahre Psychotherapeutisches Gespräch I Fremdanamnese

Psychiatrisches Gespräch Häusliche Mitbetreuung Psychotherapeutisches Gespräch I Probatorische Sitzung

Tiefenpsychologische Therapie kurz Einzel Tiefenpsychologische Therapie lang Einzel Tiefenpsychologische Therapie kurz Gruppe Analytische Therapie Einzel

Analytische Therapie Gruppe Verhaltenstherapie kurz Einzel Verhaltenstherapie lang Einzel Verhaltenstherapie kurz Gruppe

Psychosomatische Medizin und Psychotherapie

83,3 9,4 13,5

21,5 32,8 18,2 0,6 9,1 0,8 3,4 1,7

Psychiatrie und Psychotherapie

59,9 30,8

13,5 65,9 11,1

2,3 2,7 1,0 0,3 0,3

Nervenarzt

47,3 43,6

12,4 42,4 8,1

Psychologische Psychotherapie

85,1 7,9

11,1 23,6 13,3 10,0

4,4 0,2 31,5 15,8 0,2

Zusatzbezeichnung Psychotherapie/

Psychoanalyse 82,5

9,3

10,8 22,6 33,6 22,8 0,4 3,3

4,8 2,8

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Referenzen

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