Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 111|
Heft 1–2|
6. Januar 2014 A 11 PATIENTENSICHERHEITMehr Evaluation nötig
Mit dem medizinischen Fortschritt wachsen
auch die Anforderungen an die Patientensicherheit.
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iner Studie zufolge halten es 50 Prozent der Europäer aus 27 Staaten für wahrscheinlich, ei- nen Schaden im Krankenhaus zu erleiden“, erklärte Hardy Müller, Referent beim Wissenschaftlichen Institut der TK für Nutzen und Ef- fizienz im Gesundheitswesen und Geschäftsführer des Aktionsbünd- nisses Patientensicherheit e.V., beim Medica Econ Forum der Techniker-Krankenkasse in Düs- seldorf. Für Müller ein Beleg da- für, dass das Thema Patientensi- cherheit in der Öffentlichkeit ange- kommen ist. Die Medizin werde leistungsfähiger und komplexer, die Patienten anspruchsvoller. In- novationen führen dazu, dass auch Patientensicherheit komplexer wird. Das sei ein Spannungsfeld, aber: „Wir brauchen beides – Si- cherheit und Innovationen“, beton- te Müller.Ehrenamt allein wird dem Thema nicht gerecht
Vor diesem Hintergrund forderte er unter anderem, die Praxis der Fehler- vermeidung stärker zu fördern und systematisch weiterzuentwickeln.„Die Lebensmittel- oder die Ver- kehrssicherheit wird im Unterschied zur Patientensicherheit keinem eh- renamtlich tätigen Verein überlas- sen“, kritisierte er. Auch sollte die Wissenschaftsbasierung zur Patien- tensicherheit ausgebaut werden.
Dr. med. Stefan Gronemeyer vom Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Kran- kenkassen wies darauf hin, dass Pa- tienten in Krankenhäusern ein „ge- wisses Risiko laufen“, mit experi- mentellen Verfahren behandelt zu werden. „Häufig gibt es viel zu we- nig Informationen über ein Scha- denspotenzial“, sagte Gronemeyer.
Er forderte mehr Transparenz und ein Behandlungsfehlerregister: „Dies
wäre ein Indikator, wie es um Pa- tientensicherheit bestellt ist.“
Für Dr. Constanze Lessing, Ge- schäftsführerin des Instituts für Pa- tientensicherheit an der Universität Bonn, ist die wichtigste Herausfor- derung die Frage, wie Patientensi- cherheit in den medizinischen All- tag integriert werden kann – vor dem Hintergrund, dass immer mehr und zunehmend multimorbide Pa- tienten in immer kürzerer Zeit ver- sorgt werden müssen. Hilfreich sind Lessing zufolge pragmatische Maßnahmen, wie etwa OP-Check- listen. Allerdings müsse auch ge- prüft werden, ob diese jeweils zur Einrichtung passen, ob das Personal geschult ist und ähnliche Fragen.
Nötig seien mehr Forschung und Studien in vielen Institutionen, um standardisierte Lösungen zu entwi- ckeln, die lokal angepasst werden können. „Wir brauchen sichere In- novationen, die in Studien der Ver- sorgungsforschung getestet worden sind. Wir hinken hinterher, was die Evaluation angeht.“ Die Umset- zung koste zudem Geld in den Krankenhäusern.
Aus Sicht von Dirk Meyer, dem Patientenbeauftragten der Landes - regierung Nordrhein-Westfalen, ist eine frühzeitige Beteiligung der Pa- tienten essenziell, etwa in der Arz- neimitteltherapie. Es gelte, die Pa- tientensicht stärker miteinzubezie- hen, beispielsweise bei der Frage nach Nebenwirkungen von Medi- kamenten. Bis zu 30 Prozent der Patienten nehmen die Medikamente nicht so, wie der Arzt das erwarte.
„Die Arzt-Patienten-Kommunikati- on ist eine grundlegende Vorausset- zung auch für die Patientensicher- heit.“ Zudem sei das Thema in der ambulanten Versorgung noch nicht angekommen, dort bestehe noch er- heblicher Nachholbedarf.
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Heike E. Krüger-Brand russische Gesundheitsministerium
besondere Bedeutung beimisst.
Gemeinsame Interessen auf dem Gebiet Public Health haben zudem, berichtet Ulrichs, 2012 zur Grün- dung des „Koch Mechnikov Inter- national Center for Research and Education in Public Health“ an der Staatlichen Metschnikow-Universi- tät in Sankt Petersburg geführt:
„Hier soll ein Master-Studiengang in Public Health nach Bologna- Kriterien etabliert werden, der auf die Bedürfnisse in Russland zuge- schnitten und zugleich international anerkannt ist.“ Deutsche Partner sind neben dem KMF das Berliner Universitätsklinikum Charité und die Universität Bielefeld. Ange- schlossen an das Center ist ein For- schungsverbund Public Health.
Netzwerk von Smolensk bis Ulan-Ude in Südsibirien
Wichtige Grundlage für eine erfolg- reiche, beständige Zusammenarbeit ist das umfangreiche Netzwerk der Organisation. Das KMF habe gute Kontakte zum föderalen russischen Gesundheitsministerium und zur Akademie der Medizinischen Wis- senschaften, berichtet Hahn, und er- gänzt: „Man erzielt nur dann Ergeb- nisse, wenn die richtigen Leute zu- sammenkommen. Wir wissen, wo in Deutschland und Russland fach- kompetente Ansprechpartner arbei- ten, und vermitteln Kontakte zwi- schen ihnen.“ Inzwischen reicht das Netzwerk geografisch von Smo- lensk und Sankt Petersburg in Westen über Nowosibirsk in West- sibirien bis Ulan-Ude nahe der mongolischen Grenze. Im Fokus der Kontakte stehen dabei vor allem Universitätsstädte und andere große medizinische Zentren.Die Zusammenarbeit ist dennoch kein Selbstläufer. „Zwar stimmt oft die Chemie. Dennoch braucht man vor allem am Anfang eines Projekts einen ziemlich langen Atem“, gibt Ulrichs zu. Deshalb sei es sinnvoll, immer wieder nach Russland zu rei- sen und dort persönlich Projekte anzuschieben und weiterzuentwi- ckeln. Ulrichs hat dafür ein schönes Motto: „Die Kühe werden nur unter den Augen des Bauern fett.“
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Eugenie Ankowitsch