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espräche darüber, ob in Deutsch- land tatsächlich mit einem Man- gel an Ärzten zu rechnen ist, ver- liefen bis vor kurzem immer gleich: die eine Seite, meist Ärzte, sahen die ärztli- che Versorgung bedroht, die andere Seite – üblicherweise Politiker – hielten derlei Warnungen für überzogen. Zahl- reiche Berichte über die drohende Unterversorgung vor allem in den neu- en Bundesländern, unter-mauert durch Zahlen der Kassenärztlichen Bun- desvereinigung (KBV), haben zwar inzwischen für Einsicht bei der Po- litik gesorgt. Geeignete Gegenmaßnahmen lau- fen aber nur schleppend an. Das Konzept gegen den drohenden Ärzte- mangel scheint es nicht zu geben.
So stehen zum einen politische Reformen wie die geplante Änderung des Vertragsarztrechts auf der Agenda, die eine Flexibilisierung der ver-
tragsärztlichen Tätigkeit vorsieht. Ge- rade das Land Brandenburg könne die Probleme nicht länger aufschieben, be- tonte Winfried Alber, Staatssekretär im dortigen Ministerium für Arbeit, Sozia- les, Gesundheit und Familie bei einem sozialpolitischen Fachgespräch der Volkssolidarität* in Berlin. 82 Vertrags- arztsitze seien neu zu besetzen. In Re- gionen wie Lübben, Luckau oder Eisen- hüttenstadt gebe es keinen Augenarzt.
Die dortige Arztdichte (siehe Grafik)
sei bundesweit die niedrigste. „Da ist es hilfreich, wenn Vertragsärzte künftig andere Ärzte auch mit anderen Fach- arztbezeichnungen anstellen können“, sagte KBV-Vorstand Ulrich Weigeldt zu den geplanten Änderungen im Ver- tragsarztrecht.
Ebenso notwendig ist es aus Sicht von Staatssekretär Alber, den Risiko- strukturausgleich und die ärztliche
Vergütung morbiditätsorientiert zu gestalten. Auch hier drängt die Zeit, denn in Brandenburg versorgt der Arzt Alber zufolge mehr und ältere Patienten als in anderen Bundeslän- dern. „Wir brauchen die Reformen jetzt“, betonte der brandenburgische Staatssekretär. Daneben setzt er auf eine gute Familien- und Bildungspoli- tik. Gerade für Ärztinnen sei ein at- traktives Angebot an Kindergarten- plätzen und Bildungseinrichtungen häufig ausschlaggebend für die Stand- ortwahl.
Auf die Möglichkeiten der Inte- grierten Versorgung zur Bekämpfung
des Ärztemangels setzt der Bundesge- schäftsführer der Volkssolidarität, Dr.
med. Bernd Niederland. „Versorgungs- netzen und Gesundheitszentren, die in einer Region sowohl die haus- als auch die fachärztliche Versorgung sicherstel- len und eng mit den Krankenhäusern kooperieren, gehört die Zukunft“, zeigte sich Niederland überzeugt. Zumal die ostdeutschen Ärzte Medizinischen Ver- sorgungszentren aufgrund ihrer Erfah- rungen mit der poliklinischen Versor- gungsstruktur in der DDR offener ge- genüberstünden als die Ärzte im We- sten, sagte Dr. med. Frank-Michael Pietzsch. Pietzsch ist Vorsitzender des Landesverbandes der Volkssolidarität in Thüringen und war dort von 1999 bis 2003 Gesundheitsminister. Als „Unter- bau“ solcher Netze insbesondere auf dem Land setzen Niederland und Pietzsch auf die Arbeit von Pflegedien- sten und Gemeindeschwestern. In einem Modellprojekt in Bran- denburg wird derzeit ge- prüft, ob und wie Gemein- deschwestern die ambu- lante ärztliche Versorgung entlasten können.
Die Volkssolidarität hält nicht zuletzt eine ver- bindlichere gesetzliche Definition für die Fest- stellung einer unmittelbar drohenden Unterversor- gung für wichtig. „Erst wenn die Landesaus- schüsse aus Kassenärztli- chen Vereinigungen und Krankenkassen Regio- nen mit drohender Un- terversorgung festlegen, kann mit den Kassen über mögliche Si- cherstellungszuschläge für das Ärzte- budget verhandelt werden“, kritisierte Geschäftsführer Niederland. Sicherstel- lungszuschläge wurden nach Angaben der KBV bislang in Sachsen und Sach- sen-Anhalt gezahlt.
„Es gibt nicht die eine Maßnahme, mit der wir der drohenden Unterversor- gung entgegenwirken können“, stellte KBV-Vorstand Weigeldt abschließend fest. Die Reform des Vertragsarzt- rechts sei nur ein Baustein, wenn auch ein wichtiger. Notwendig sei eine ge- meinschaftliche Kraftanstrengung aller
Akteure. Martina Merten
P O L I T I K
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A1116 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 17⏐⏐28. April 2006
Neue Bundesländer
„Wir brauchen
die Reformen – jetzt“
Die Konzepte gegen den drohenden Ärztemangel
sind vielfältig – und im Verbund vielversprechender als einzeln.
* Der Sozial- und Wohlfahrtsverband „Volkssolidarität“
wurde 1945 im Osten Deutschlands gegründet. Er hat zurzeit 360 000 Mitglieder.
Im Osten werden deutlich mehr Patienten versorgt als im Westen.
Ärztliche Versorgung: Arztdichte der Bundesländer 2004
Einwohner je berufstätiger Arzt 350
300 250 200 150 100 50 0
184 190 204
253 255 264 269 269 271 276 279 285 304 304 309 310 331
Hamburg BerlinBremen Bayer n
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estfalen
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n
Rheinland-Pfalz Sachsen
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Quelle:AOK Mecklenburg-Vorpommern Unternehmenskommunikation