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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 28–29⏐⏐18. Juli 2005dierte von Renesse dafür, die indivi- duelle Gangart eines jeden Mitglied- staates in Bezug auf die Förderung der embryonalen Stammzellforschung zu akzeptieren. „Forschungsgelder aus einem gemeinsamen europäischen Topf sollten nicht für Projekte zur Verfügung stehen, die in einzelnen Ländern verbo- ten sind“, so ihr Credo.
Renommierte deutsche Stammzell- forscher wie Prof. Dr. Hans Schöler ha- ben zwar Probleme mit der Rechts- grundlage in Deutschland, da „nicht ganz klar sei, wie weit deutsche Wissen- schaftler gehen dürfen“. Dennoch sieht der Direktor der Abteilung Zell- und Entwicklungsbiologie am Max-Planck- Institut in Münster, für die Zukunft der Reproduktionsmedizin in Deutschland nicht völlig schwarz. Andernfalls hätte Schöler sicherlich auch nicht den USA
den Rücken gekehrt, um wieder in sei- ner Heimat zu forschen. „Entscheidend ist, dass wir ein positives Forschungs- klima sowohl für die embryonale als auch adulte Stammzellforschung schaf- fen und in Europa zusammenarbeiten.
Nur so können wir weitere Fortschritte erzielen und mit den Amerikanern und Südkoreanern mithalten.“ Dafür ge- nügt nach Ansicht von Schöler eine Hand voll embryonaler Stammzelllini- en, an denen europäische Wissenschaft- ler gemeinsam forschen können. Nur für solche Vorhaben sollten dann Gel- der aus dem 7. FRP zur Verfügung ste- hen. Dafür allerdings müsste das Rah- menprogramm noch klarer gefasst wer- den. Denn nach dem Wortlaut des von der EU-Kommission vorgelegten Ent- wurfs wäre es prinzipiell möglich, auch Vorhaben aus dem europäischen Haus-
halt zu unterstützen, die nur in einigen Mitgliedstaaten erlaubt sind.
Bislang haben – in unterschiedlich weitreichender Form – nur zehn EU- Länder grünes Licht für die Forschung an eSZ gegeben. EU-Forschungskom- missar Janez Potocnik erwartet jedoch einen zunehmenden Trend zu einer wohlwollenden Gesetzgebung, vor al- lem bei den neuen Mitgliedstaaten.
Gleichzeitig äußerte er sich enttäuscht darüber, dass die künftige Forschungs- finanzierung zu einem Zankapfel zwi- schen der EU-Kommission und den Mitgliedstaaten geworden ist. Während die Kommission und das Europaparla- ment das Budget für das 7. Forschungs- rahmenprogramm verdoppeln wollen, spricht sich der Rat angesichts klammer Kassen für eine Aufstockung um maxi- mal 55 Prozent aus.
Petra SpielbergDÄ:Die FDP-Bundestagsfrakti- on will den Kompromiss zum deut- schen Stammzellimportgesetz auf- kündigen und selbst der Vorsitzen- de des Deutschen Ethikrats, Prof.
Dr. jur. Spiros Simitis, plädiert dafür, die Debatte neu aufzurollen. Fällt jetzt doch der Startschuss für ei- ne biopolitische und bioethische Kehrtwende?
Müller:Nein, ich sehe keinen Beginn für eine biopolitische oder bioethische Kehrtwende. Trotz des – zu Recht – strengen Embryo- nenschutzgesetzes und Stamm- zellgesetzes sind in Deutschland 99 Prozent der Forschung im Be- reich der Biotechnologie möglich.
Gefundene Kompromisse dürfen hier nicht einfach leichtfertig ge- opfert werden. Ich bin jederzeit offen für Innovationen, aber die embryonale Stammzellforschung ist den Nachweis verbesserter Heilungschancen bisher schuldig geblieben: Es gibt derzeit keine belegte klinische Anwendung. Ich meine, dass wir mit einer guten, fundierten und offenen Argumen- tation über Nutzen, Notwendig- keit und insbesondere Grenzen biotechnischer Verfahren die Mehr- heiten für eine verantwortungs- volle Politik bekommen. Übrigens
gibt es im Europäischen Parla- ment jetzt eine deutliche Mehr- heit gegen verbrauchende Em- bryonenforschung.
DÄ: Der Vorschlag der Kom- mission zum 7. Forschungsrah- menprogramm sieht eine Verdop- pelung des europäischen For- schungsbudgets auf 132 Milliar- den Euro vor. Der luxemburgische Ratsvorsitz hingegen will das Ge- samtbudget auf 74 Milliarden Euro begrenzen: Läuft die EU Gefahr,
den Anschluss an die internationa- le Forschung zu verlieren?
Müller:Eine Begrenzung der Mittel bedeutet keinesfalls, dass die Forschungsausgaben propor- tional betroffen sein werden. Im Bericht des Rates zur finanziellen Vorausschau für die Jahre 2007 bis 2013 steht, dass der Bereich For- schung gebührend berücksichtigt und ein fairer Zugang zum 7. For- schungsrahmenprogramm sicher- gestellt werden muss. Ich bin da- her überzeugt, dass es falsch wäre, im Bereich der Forschungsförde- rung zu kürzen. Auf der anderen Seite spielt bei der Forschungsför- derung auch der Einsatz der Mittel bei Auswahl und Qualität der Pro- jekte eine große Rolle. Klare Spiel- regeln müssen kein Innovations- hemmnis sein. Wesentlich ist mir in diesem Zusammenhang, auf Know-how-Transfer und Koopera- tionen mit der Wirtschaft zu set- zen. Zudem muss Europa den Mut haben, eigene ethische Standards auch im Vergleich zu Amerika und Asien beizubehalten.
DÄ:Kritiker werfen Ihnen und anderen Vertretern, die für eine verstärkte Förderung der For- schung an adulten Stammzellen (aSZ) eintreten, vor, dass die Er- wartungen an den medizinischen
Nutzen der aSZ völlig überzogen seien. Ist die Kritik berechtigt?
Müller:Im Gegensatz zu den embryonalen Stammzellen hat die Anwendung von adulten Stamm- zellen in der Forschung und Thera- pie in vielen Bereichen schon den Nachweis gebracht, dass diese er- folgversprechend eingesetzt wer- den können. Beispiele sind die Hä- matologie, der Herzinfarkt, Haut- schäden zum Beispiel nach Ver- brennungen, Diabetes, Gelenkknor- pelersatz oder Hornhautdefekte.
Diesen Nachweis blieb die embryo- nale Stammzellforschung schuldig.
Lediglich in theoretischen Model- len und nicht belegbaren Hypothe- sen wird über die therapeutischen Einsatzmöglichkeiten spekuliert.
Die von den Stammzellenforschern in die Multi- und Omnipotenz der embryonalen Stammzellen geleg- ten Erwartungen zeigen derzeit Probleme mit unkontrolliertem Wachstum und Nichtsteuerbarkeit der Vorgänge auf. Das Potenzial der adulten Stammzellforschung ist da- gegen bei weitem noch nicht aus- geschöpft. Dabei gibt es viele Vari- anten, zum Beispiel beim Nabel- schnurblut. Viele seriöse Forscher unterstellen der adulten Stamm- zellforschung das gleiche Potenzial, aber eine deutlich frühere thera- peutische Einsatzmöglichkeit. ) Dr. Emilia Müller ist Staatsse-
kretärin im bayerischen Staats- ministerium für Umwelt, Gesund- heit und Verbraucherschutz. Von 1999 bis 2003 war sie zudem CSU- Europaabgeordnete und unter anderem im Ausschuss für Um- weltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherpolitik und der Ar- beitsgruppe Bioethik des Euro- paparlaments tätig.
Nachgefragt
Foto:Bayer.StK