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ast täglich sprechen Patientinnen und Patienten Hausärzte auf die Vo- gelgrippe an. Fast täglich erklären diese dann, dass die Vogelgrippe bislang nur unter Geflügel verbreitet ist und sich nur vereinzelt Menschen ange- steckt haben. Zwar müsse man mit ei- ner Grippepandemie jederzeit rechnen, doch momentan bestehe keinerlei Grund zu besonderer Besorgnis. Trotz- dem bitten Patienten ihren Arzt, antivi- rale Medikamente vorsorglich auf Pri- vatrezept zu verschreiben.Viele Ärztin- nen und Ärzte rezeptieren schließlich das gewünschte Arzneimittel – unsicher allerdings, ob sie angesichts des Man- gels richtig gehandelt haben.Bundesärztekammer (BÄK) und Kas- senärztliche Bundesvereinigung (KBV)
haben deshalb unter Mitwirkung einer Arbeitsgruppe der Arzneimittelkom- mission der deutschen Ärzteschaft ein Empfehlungspapier zum Einsatz von antiviralen Arzneimitteln und Impfun- gen bei der saisonalen Influenza, der Vogelgrippe und einer potenziellen In- fluenzapandemie entwickelt, das unter
„Bekanntgaben“ veröffentlicht wird.
Unsicherheiten im Umgang mit der Gefahr einer Influenzapandemie beste- hen jedoch nicht nur unter Ärzten, son- dern auch bei der Politik. Im Frühjahr bat die Bund-Länder-Arbeitsgruppe des Bundesgesundheitsministeriums BÄK und KBV, sich an der Ausarbeitung des Nationalen Influenzapandemieplans be- ratend zu beteiligen. „Vor dem Hinter- grund einer außerordentlich begrenzten
Bevorratung mit antiviralen Arzneimit- teln bat uns die Arbeitsgruppe, für den Pandemiefall diejenigen Personengrup- pen zu definieren, die vorrangig versorgt werden sollen“, berichtet Prof. Dr. med.
Christoph Fuchs, Hauptgeschäftsführer der BÄK, dem Deutschen Ärzteblatt.
Dieses Ansinnen wiesen BÄK und KBV jedoch strikt zurück. Beide Spit- zenorganisationen betonten stattdessen wiederholt, dass es staatliche Aufgabe sei, bei gegebener Indikation den Man- gel durch gesetzlich definierte Priori- täten zu verwalten. „Weder das Lei- stungsrecht des SGB V noch das ärztli- che Berufsrecht bieten eine Rechts- grundlage, im Erkrankungsfall einigen Patienten eine Verordnung zu verwei- gern“, erklärt Dr. med. Paul Rhein- berger, KBV. Mit ihrer Positionsbe- schreibung fordern die beiden ärzt- lichen Organisationen die Politik auf, sich verstärkt mit der Gefahr einer In- fluenzapandemie zu befassen, deren Eintreten Infektiologen nur für eine Frage der Zeit halten. „Die Folgen für die deutsche Bevölkerung werden da- von abhängen, wieweit Vorbereitungen für ein möglicherweise eintreffendes Worst-case-Szenario getätigt wurden“, heißt es in Kapitel 4 der Stellungnahme, das sich mit den Herausforderungen durch eine Influenzapandemie befasst.
Ohne Panik zu verbreiten, müsse der Ernstfall gedanklich durchgespielt wer- den, fordern BÄK und KBV. Sie befürch- ten, dass bei Ausbruch einer Pandemie die Gesundheitseinrichtungen überfor- dert wären sowie das Wirtschaftsleben und die öffentliche Ordnung zusammen- brechen könnten. Die Länder haben durchschnittlich nur für zehn Prozent der Bevölkerung Medikamente eingelagert, obwohl eine Bevorratung für etwa 20 Prozent empfohlen wird. „Ich kann die Beweggründe und Zwänge der Länder durchaus nachvollziehen, die zu dieser geringen Bevorratung führen“, sagt Fuchs. „Aber sie ist selbst nach dem Maßstab des Pandemieplans völlig unzu- reichend.“ Der Mangel verschärfe sich sogar noch,wenn man die Mittel nicht nur zur Therapie verwenden wolle, sondern auch die Prävention einbeziehe, für die Tamiflu beispielsweise auch zugelassen sei. Bei exponierten Bevölkerungsgrup- pen könne eine Prophylaxe über Wochen nötig sein. Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann P O L I T I K
Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 49⏐⏐9. Dezember 2005 AA3381
Influenzapandemie
Sachliche Diskussion statt Panikmache
Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung veröffentlichen in diesem Heft ihre Empfehlungen.
DÄ: Aus welchen Gründen lehnen es BÄK und KBV ab, Be- völkerungsgruppen zu definie- ren, die im Pandemiefall bevor- zugt mit antiviralen Medikamen- ten behandelt werden sollten?
Fuchs: Eine Definition von Risikogruppen würde auf eine harte Rationierung hinauslau- fen. Ärztinnen und Ärzte sollen nicht in die Situation kommen, einzelne Patientengruppen ge- geneinander abwiegen zu müs- sen. Das ist zutiefst unethisch und auch rechtlich nicht vertret- bar. Risikogruppen können im Übrigen gar nicht benannt wer- den, solange das potenzielle Pandemievirus mit seiner Viru- lenz und Pathogenität nicht be- kannt ist.
DÄ: Wie aber sollten sich Ärzte im Ernstfall verhalten?
Werden sie nicht automatisch durch den Mangel an Medika- menten zu einer Rationierung gezwungen?
Fuchs:Nach einer strengen Indikationsstellung sollten die Ärzte die benötigten Medika- mente rezeptieren ohne Anse- hen der Person. Wie lange der Vorrat reicht, liegt außerhalb ih- res Verantwortungsbereichs.
DÄ: Handeln Ärzte unver- antwortlich oder unsolidarisch, wenn sie bereits jetzt auf Bitte von gesunden Patienten Neura-
minidasehemmer auf Privatre- zept verordnen?
Fuchs:Eine private Einlage- rung zu empfehlen ist bislang umstritten, wird aber durchaus diskutiert. Wenn ein Arzt ein sol- ches Privatrezept ausstellt, ist es in jedem Falle seine Aufgabe, den Patienten sorgfältig zu beraten, mit ihm die Risiken und Vorteile einer Bevorratung zu erörtern und mit ihm möglichst zu verein- baren, vor einer Einnahme des Medikaments nochmals Kontakt aufzunehmen. Denn bei einer falschen und unkontrollierten Einnahme bestehen Gefahren wie Resistenzbildung und Fehl- dosierung.
DÄ: Sollten Ärztinnen und Ärzte selbst bevorraten?
Fuchs:Diese Frage muss je- der für sich selbst beantworten.
Viele Kollegen haben bereits pri- vat Neuraminidasehemmer für sich und ihre Mitarbeiter einge-
lagert. )
Prof. Dr. med. Christoph Fuchs, Hauptgeschäfts- führer der Bundesärzte- kammer
Foto:BÄK
Nachgefragt