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Archiv "Wie hoch dosiert man Aspirin (ASS)?" (14.06.1990)

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DAS EDITORIAL

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Wie hoch

dosiert man Aspirin (ASS)?

Rudolf Gross

D

as altbewährte Aspirin® = Acetylsa- licylsäure = ASS oder eines seiner rund 30 Nachahmerpräparate wer- den überwiegend (für Erwachsene) in Tabletten zu 300 oder 500 mg an- geboten und nach der von vielen Ärzten immer noch praktizierten Faustregel 3 x 1 mit 900 bis 1500 mg verordnet. Die hier nicht zu diskutieren- den altersabhängigen und indikationsbedingten Einzel- oder Gesamtdosen für Kinder sind zum Beispiel in den „Arzneiverordnungen" (2, Seite 621) aufgeführt.

1. Indikationen und Standard-Dosen

Die angegebenen Standarddosen dürften un- verändert Gültigkeit haben, wenn es um Schmer- zen (einschließlich einer leichten Migräne) oder um Fiebersenkung geht. Daneben sind intravenös anwendbare Ester wie Lysinmono-ASS (zum Bei- spiel Aspisol®), zahlreiche Präparate mit Antaci- da (zum Beispiel Alka-Seltzer 9) oder Dragees mit magenunlöslichem Schutzüberzug (zum Beispiel Deskoval®), Brausetabletten (zum Beispiel Aspro 500®) oder Mikroverkapselungen (zum Beispiel Colfarit®) im Gebrauch. Einen gewissen Ersatz stellt Salicylosalicylsäure (zum Beispiel Disalge- sic®) in Tagesdosen von 3 bis 4,5 g dar. Gerade im kardiovaskulären Bereich ist die Kombination mit dem Phosphodiesterasehemmer Dipyramidol = Asasantin® mit 330 mg ASS pro Kapsel auch in randomisierte Studien einbezogen worden.

Nach Angaben der Arzneimittelkommission (2) werden für eine Entzündungshemmung 3 bis 5 g, ja 6 g oder mehr als Tagesdosen benötigt. Man sollte aber meines Erachtens diese hohen Dosen mit der gebotenen Vorsicht und einschleichend verwenden. Auch ist in meiner Kenntnis nicht er- wiesen, ob nicht andere nichtsteroidale Antirheu- matika wie Diclofenac (zum Beispiel Voltaren®

und viele andere Handelspräparate), Indometacin (zum Beispiel Amuno® u. v. a.), Ibuprofen (zum Beispiel Aktren® u. v. a.) bei dieser Indikation wirksamer sind.

Mindestens in den USA ist die ASS meines Wissens das mit Abstand am häufigsten gebrauch- te Medikament. Die bisher genannten Indikatio- nen sind aber nicht Gegenstand dieses Editorials, vielmehr seine kardio-vaso-protektive Wirkung und die meines Wissens von dem amerikanischen Biochemiker Quick (dem Vater des „Quicktests") Anfang der 40er Jahre erstmals beschriebene Hemmung der Thrombozytenaggregation. Sie war so eindeutig, daß Quick sich veranlaßt sah, vor der Anwendung von ASS bei Gerinnungsstörungen jeglicher Art (einschließlich einer Kombination mit Cumarinderivaten!) zu warnen Ähnliches gilt für Verletzungen, Ulzera, Tumoren und andere Gefäßläsionen.

r 2. Unerwünschte Wirkungen von ASS

Zu den unerwünschten Wirkungen (größere Übersichten unter anderem bei 1, 5, 10, 11) gehö- ren die bei Erwachsenen weniger, bei Kindern oft bedrohlichen, meist dosisabhängigen Störungen des Zentralnervensystems mit Schwindel, Kopf- schmerzen, Hyperventilation, Halluzinationen, generalisierten Krämpfen, in chronischer Form der sogenannte Salicylismus. Dieser ist allerdings in den letzten Jahren zurückgegangen. Goodman und Gilman (11) schätzen die Zahl der „ernsten"

Salicylatintoxikationen allein für die USA jährlich auf über 10 000, darunter Todesfälle, wiederum vorzugsweise bei Kindern. Auch drohen bei abso- luter oder relativer (das heißt individueller) Über- dosierung Azidose, Dehydratation, hypokaliämi- sche Verminderung der Alkalireserve („Pseudo- azidose").

Als häufig erscheinen nach der praktischen Erfahrung und nach einer von Dodge (bei 11) ver- öffentlichten Tabelle weiter die Störungen des Magen-Darm-Kanals, reichend von Magenbe- schwerden und Sodbrennen bis zum Ulkus oder zur Ulkusblutung. Gerade letztere ist natürlich in der Frühphase nach einem Herzinfarkt eine be- drohliche Komplikation und sollte gerade bei der Anwendung von vaso-protektiven Behandlungen

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zu der eben noch voll wirksamen Dosierung füh- ren. Die systematische Endoskopie hat auch bei der oft länger indizierten ASS-Therapie be- schwerdearme Ulzera oder Erosionen erkennen lassen. Subjektive Beschwerden (mit oder ohne Ulkus) wiesen nach einer von May (16) veröffent- lichten amerikanischen Sammelstatistik 22 bis 49 Prozent der Kranken auf; bei 10 bis 25 Prozent mußte die Behandlung abgebrochen werden. May (s. o.) kam auch zu dem Ergebnis, daß diese Kom- plikationen durch die abendliche Gabe eines H2-

Blockers wie Cimetidin oder Ranitidin - am be- sten in Retardform - verhindert oder ausgeheilt werden können.

Allergische Reaktionen - grundsätzlich bei je- dem Medikament (selbst bei den im Falle einer Allergie viel gebrauchten Kortikosteroiden) mög- lich! - sind unter ASS eher selten (11). Ich kann mich jedenfalls aus 40 Jahren Innerer Medizin nicht an einen ernsthaften Zwischenfall oder nur an ein sicher ASS-abhängiges Exanthem erinnern.

3. Wirkungsmechanismus von ASS

ASS hemmt vor allem die Prostaglandin-Syn- these durch Blockierung der Zyklooxygenase (5, 7, 10, 11 u. a.). Daneben werden eine vermehrte Acetylierung von Membranproteinen (Kurz, bei 1) sowie die bereits beim Dipyridamol genannte Hemmung von Phosphodiesterasen (10) disku- tiert. Die Hemmung der Zyklooxygenase ist die pharmakotherapeutisch und toxikologisch wich- tigste Wirkung der ASS. Weitere Einzelheiten sind in einschlägigen aufgeführten Lehrbüchern und Monographien nachzulesen.

Unter den Prostaglandinen (Übersichten un- ter anderem bei 4, 5, 7, 21) seien zwei fast entge- gengesetzte Wirkungen genannt, die von der ASS indirekt beeinflußt werden: Die Bildung von Thromboxan (TX A2), vorzugsweise in den Blut- plättchen, sowie die Bildung von Prostacyclin (PG 12), vorzugsweise in den Gefäßendothelien. Für die Entdeckung der letzteren, wenig stabilen Sub- stanz erhielt J. R. Vane 1982 den Nobelpreis (neuere Übersicht unter anderem im Beiheft 1/1990 des „Internist").

Thromboxan steigert die Aggregationsfähig- keit der Plättchen an verletzten Gefäßendothelien (zum Beispiel Fissuren oder Plaques im Rahmen einer Arteriosklerose) und ihre (ADP-vermittel- te) Agglomeration, etwa in kleineren Gefäßen mit verlangsamter Zirkulation (Literatur unter ande- rem bei 14). Ob es sich bei der Synthese so unter- schiedlicher Effektoren um eine unterschiedliche Rezeptorbesetzung, um unterschiedliche „zellulä-

re" Wirkungen oder um beides handelt, ist meines Wissens bisher nicht genügend bekannt Bekannt sind aber drei wichtige Fakten, die zu dem anhal- tenden Disput über die optimale Dosierung der ASS geführt haben:

• Plättchen, bei deren Bildung ASS in wirksa- men Blutspiegeln vorlag, behalten die Unfähigkeit zur Thromboxanbildung über ihre Lebensdauer, das heißt über sieben bis zehn Tage hinweg, bei. In- wieweit die mehrfach demonstrierte (geringe) Thromboxansynthese auch außerhalb der Blut- plättchen bei pathologischen Vorgängen eine Rolle spielt, ist meines Wissens zur Zeit offen.

• Nach einmaligen Gaben von ASS erholt sich die Fähigkeit zur Bildung des labilen Prosta- cyclins in den Gefäßendothelien innerhalb von Stunden.

(;) Die Thromboxansynthese scheint auch empfindlicher, das heißt auf niedrigere Dosen von ASS, zu reagieren als die Prostacyclin-Bildung.

Allerdings ist der „Zwischenraum" für den Men- schen bisher nicht so weit bekannt, daß er sich sta- tistisch belegen und als therapeutische Konse- quenz formulieren ließe. Vor der Diskussion der Schlußfolgerungen seien aber die bisher bekann- ten Ergebnisse mit ASS in der Kardio-Vaso-Pro- tektion zusammengefaßt (ausführliche Übersicht mit Tabellen unter anderem bei Zichner und Weihrauch, 22).

4. Indikationen und Ergebnisse der Kardio-Vaso-Protektion

Über die kardio-vaso-protektive Wirkung der ASS liegen inzwischen zahlreiche randomisierte multizentrische Studien zur Sekundärprophylaxe von Reinfarkten, zur Primärprophylaxe von Herz- infarkten bei instabiler Angina pectoris, bei ge- sunden Ärzten, zur Prophylaxe von Hirninfarkten, bei Vorläuferstadien (wie zum Beispiel Amaurosis fugax, bei transitorischen ischämischen Attacken (TIA), bei reversiblen ischämischen neurologi- schen Defiziten (PRIND) und anderes mehr vor (ausführliche Übersicht unter anderem bei 22).

Die Ergebnisse lassen sich in etwa wie folgt zu- sammenfassen:

• Hinsichtlich der Sekundärprophylaxe von Herzinfarkten ergibt sich in fünf Wochen bis fünf Jahre dauernden Nachbeobachtungen eine Re- duktion der tödlichen Reinfarkte von 15 bis 30 Prozent auf 5 bis 10 Prozent. In ähnlicher Größen- ordnung (das heißt um 20 Prozent) lag die Reduk- tion nichttödlicher Infarkte. Dabei war ASS in der deutsch-österreichischen Multizenterstudie GAMS (bei 6) auch dem Antikoagulans Phenpro- coumon (Marcumar®) überlegen.

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• Obwohl die Ergebnisse bei den zerebro- vaskulären Ereignissen (ASS in Tagesdosen von

160 bis 1500 mg) nicht so eindeutig waren wie in der Sekundär- und Primärprophylaxe von Herzin- farkten, ist ein Trend zu günstigen Ergebnissen in fast allen internationalen Studien erkennbar.

O Auf der venösen Seite der Zirkulation ist meines Wissens bisher keine eindeutige Prognose- verbesserung durch ASS erkennbar. Hier dürfte weiterhin eine Domäne der Gerinnungshemmung durch initial Heparin i. v., low-dose-Heparin oder Antikoagulantien vom Cumarintyp liegen.

• Offensichtlich ist zur Zeit - abgesehen von angioplastischen oder koronar-chirurgischen Ein- griffen - die möglichst rasche Gabe von 1,5 Millio- nen Einheiten Streptokinase oder einem anderen Thrombolytikum (siehe auch DEUTSCHES ÄRZTEBLATT vom 19. Januar 1989 und vom 15.

Juni 1989 sowie 23), gefolgt von ASS, als additive und zugleich optimale Behandlung des Herzinfark- tes anzusehen. Sie reduziert die Letalität bei Be- handlungsbeginn innerhalb von vier Stunden um rund 50 Prozent und bietet selbst noch Chancen in- nerhalb der ersten 24 Stunden (Isis-II-Studie, bei 6 und 22).

5. Zur Dosierung der Acetylsalicylsäure

Sehen wir die Literatur hinsichtlich der Do- sierung von ASS durch, so stoßen wir auf ein phar- makologisches Paradoxon („Aspirin-Dilemma"

[3]). Die großen internationalen Studien wurden, der üblichen ASS-Dosierung entsprechend, mit Tagesdosen zwischen 300 und 1500 mg, die mei- sten mit 900 bis 1500 mg erbracht (Literatur bei 22). Obwohl ihre Wirksamkeit ganz überwiegend erwiesen wurde, haben neuere experimentelle Da- ten und einzelne klinische Pilotstudien (zum Bei- spiel 8, 15) übereinstimmend gezeigt:

• Kleine Dosen genügen für die Plättchen- hemmung und damit für eine wesentliche kardio- vaso-protektive Wirkung. Diskutiert wurden Ef- fekte von 20 mg Tagesdosis (man vergleiche damit die Tagesdosis von 1500 mg einiger internationa- ler Studien!). Möglicherweise besteht eine lineare Beziehung zwischen der Hemmung der Thrombo- xansynthese im Bereich zwischen 6 und 100 mg pro Tag. Mit letzterer wurde eine 95prozentige Hemmung der Plättchensynthese von Thrombo- xan bei Gesunden erreicht (18). Mit täglichen Do- sen von 20 mg ASS über sieben Tage (8) fanden verschiedene Autoren einen Rückgang der Thromboxan(TX A2)-Metaboliten um rund 70 Prozent (zum Beispiel 18, 19).

O In niedrigen Dosen bleibt die unerwünsch- te Hemmung des Prostacyclins (PG 1 2), einem In-

hibitor der Plättchenfunktion und potenten Vaso- dilatator, aus - der erwünschte Effekt ist somit viel günstiger. Nach Weksler et al. (20 a) ging die Thromboxansynthese unter 40 bis 80 bis 325 mg ASS um 78 Prozent, 95 und 99 Prozent zurück, während die Prostacyclinproduktion in der Aorta unter der gleichen Dosis-Reihenfolge nur um 35 bis 38 Prozent bis 75 Prozent vermindert war. In Vena-saphena-Explantaten bewirkten 80 mg ASS noch keine erkennbare Hemmung der Prostacy- clinsynthese, während 325 mg die PG I 2-Bildung um 85 Prozent verminderten.

• Es gibt Zweifel, ob Thromboxan (TX A 2) oder Prostacyclin (PG 1 2) im engeren Sinne antago- nostisch wirken (zum Beispiel Verstraete, Diskus- sion zu [4]). Ihre Grundwirkungen sind - per se - in meiner Kenntnis unbestritten, vor allem die Wir- kung von ASS im kardio-vaso-protektiven Bereich.

• Eine Initialdosis von 100 mg ASS kommt somit neueren experimentellen Daten am näch- sten und ist nicht allzu weit von der Isis-II-Studie

= 160 mg/die (22) entfernt. Nicht ohne Grund ha- ben die die Entwicklung sorgfältig beobachtenden Hersteller von Aspirin® die ursprüngliche Be- zeichnung von „Aspirin junior®" in „Aspirin 100 mg®" geändert.

5. Konsequenzen

Die Dosierung von ASS ist indikationsabhän- gig. Für ihre kardio-vaso-protektive Wirkung dürf- te nach dem heutigen Stand unserer Kenntnisse eine Tagesdosis von etwa 100 mg, langzeitlich viel- leicht sogar weniger, ausreichen. Damit wird auch am ehesten die Spanne zwischen der (erwünsch- ten) Hemmung der Thromboxansynthese und der unerwünschten Wirkung auf die Prostacyclinsyn- these getroffen. Gleichzeitig gehen die genannten gastrointestinalen und anderen unerwünschten Wirkungen dosisabhängig zurück.

Man kann in etwa die auf die Vane-Gruppe zurückgehende Faustregel von Patrono und Patri- gnani (19) übernehmen: Für die Plättchenhem- mung genügen 1 bis 2 mg/kg KG - für analgetische und antipyretische Effekte braucht man mindestens 5 bis 10 mg/kg KG - Entzündungshemmung ist erst mit 30 mg, manchmal sogar mit 80 bis 100 mg/kg KG (einschleichend!) zu erreichen - alles Tagesdosen, bezogen auf Erwachsene. Es gibt wenig Medika- mente, bei denen die Dosierung indikationsabhän- gig so verschieden ist wie die der ASS!

Die Zahlen in Klammem beziehen sich auf das Litcruturver- zeichnis im Sonderdruck, anzufordern über den Verfasser.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Dr. h. c. Rudolf Gross Herbert-Lewin-Straße 5 • 5000 Köln 41

Dt. Ärztebl. 87, Heft 24, 14. Juni 1990 (49) A-1965

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