M E D I Z I N
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A576 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 9½½½½1. März 2002
Technische Aspekte
Die Indikationsgrenzen sowohl für die Plasmavirämie als auch für die CD4+- Lymphozytenzahl sind nicht als klare Eckpunkte zu verstehen. Die ver- schiedenen Messmethoden der Plas- mavirämie können aus technischen und biologischen Gründen (zum Bei- spiel Vorliegen einer Non-B-Subtyp- Infektion bei Afrikanern) zu unter- schiedlichen Quantifikationsergebnis- sen und damit zu veränderten Ein- schätzungen der Therapieindikation führen.
Auch Laborschwankungen und Nor- malwert-Unterschiede der CD4+-Zell- zahl zwischen verschiedenen Popu- lationen (Geschlechter, Ethnien) er- schweren eine Prognoseabschätzung.
Die genannten Werte sind daher als Anhaltszahlen zu verstehen und bedür- fen einer individuellen Plausibilitäts- prüfung und Bewertung.
Fazit
Der optimale Zeitpunkt für den Be- ginn einer antiretroviralen Therapie der HIV-Infektion ist bislang noch nicht in allen Fällen genau definiert.
Tatsächliche oder vermutete gravie- rende Nebenwirkungen und kumulati- ve Toxizität der derzeit verfügbaren antiretroviralen Medikamente veran- lassen viele Ärzte, die sich auf die Be- treuung HIV-infizierter Patienten spe- zialisiert haben, den Therapiebeginn hinauszuzögern.
Diese Risikoabschätzung wird sich jedoch voraussichtlich wesentlich ver- ändern, sobald individuelle Prädispo- sitionen für spezifische Nebenwirkun- gen diagnostizierbar sind oder allge- mein besser vertragene Kombinatio- nen entwickelt werden. Die Bewer- tung der Therapieindikation hat daher einen vorläufigen Charakter und be- darf einer ständigen Reevaluation.
Tägliche Erfahrungen aus dem kli- nischen Alltag belegen die erhebliche Verbesserung der Gesamtmortalität/- morbidität und der Lebensqualität von immundefizienten Patienten un- ter hocheffektiven Therapieregimen bei vertretbarer Toxizität. Ergebnisse aktueller Studien zeigen, dass selbst
Eine unter englischer Federführung initiierte internationale Multicenter- studie ergab vergleichbare Ergebnisse der chirurgischen Therapie versus der endovaskulären Therapie von Karo- tisstenosen. 504 Patienten mit höher- gradigen Karotisstenosen wurden ran- domisiert mittels Karotis-Endarterek- tomie (n = 251) oder perkutan translu- minal (n = 253) mittels Angioplastie alleine (74 Prozent) oder Angioplastie plus Stent (26 Prozent) behandelt. Die 30-Tage-Komplikationsrate für Tod oder relevante Apoplexie war mit 6,4 Prozent (Chirurgie) und 5,9 Prozent (Angioplastie) nicht signifikant unter- schiedlich. Nebenwirkungen wie Hirn- nervenverletzungen und OP-Hämato- me traten in der chirurgischen Gruppe häufiger auf. Auch nach einem Jahr waren die klinischen Ergebnisse ver- gleichbar, wenngleich die Rate an
asymptomatischen Rezidivstenosen in der angioplastisch behandelten Grup- pe höher lag als bei den operierten.
Die Rate der ipsilateralen Schlagan- fälle war in der insgesamt dreijährigen Nachbeobachtung bei beiden Grup- pen gleich. Aufgrund dieser Daten sehen die Autoren das endovaskuläre Verfahren als gleichwertig an und he- ben die geringere Rate an lokalen Ne-
benwirkungen hervor. acc
Cavatas Investigators: Endovascular versus surgical treatment in patients with carotid stenosis in the carot- id and vertebral artery transluminal angioplasty study (Cavatas): a randomised trial. Lancet 2001; 357:
1729–1737.
Prof. M. Brown, Department of Clinical Neurology, In- stitute of Neurology, University College London, Queen Square, London WC1N 3BG, Großbritannien.
Endovaskuläre versus chirurgische Therapie von Karotisstenosen
Referiert
unter besten Voraussetzungen die Immunrekonstitution unter einer HAART unvollständig ist und Morbi- dität und Mortalität der Patienten er- höht sind, wenn die Therapie unter- halb von 200 CD4+-T-Zellen/mL be- gonnen wird. Es ist zurzeit unklar, ob ein Therapiebeginn bei CD4+-T-Lym- phozytenkonzentrationen im Bereich von 200 bis 350 Zellen/mL ungünstiger ist als von mehr als 350 Zellen/mL. Da für scharfe Grenzziehungen aus den oben erwähnten Gründen jede biolo- gische Plausibilität fehlt, sollte die Therapie bis zur Klärung dieser Frage unter Umständen sicherheitshalber bei mehr als 350 Zellen/mL eingeleitet werden. Die Abhängigkeit des Ver- lusts an CD4+-T-Lymphozyten vom Ausmaß der viralen Replikation, muss bei der Entscheidung zum Therapie- beginn ebenfalls berücksichtigt wer- den.
Es darf nicht vergessen werden, dass eine teure HAART für die große
Mehrheit der HIV-1-infizierten Men- schen weltweit bislang nicht verfügbar ist. Da eine Heilung der HIV-Infekti- on derzeit nicht in Sicht ist, bestehen die größten Herausforderungen darin, die Übertragung von HIV zu verhin- dern und Medikamente und eine In- frastruktur zur Therapie für die Men- schen in ärmeren Ländern bereitzu- stellen.
Manuskript eingereicht: 10. 9. 2001, revidierte Fassung angenommen: 12. 12. 2001
❚Zitierweise dieses Beitrags:
Dtsch Arztebl 2002; 99: A 570–576 [Heft 9]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.
Anschrift für die Verfasser:
Dr. med. Dipl.-Biol. Christoph G. Lange Medizinische Klinik
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