Schlusswort
Wir danken Herrn Hartl für seine dif- ferenzierten Klarstellungen zu den Dosierungsangaben einzelner antire- troviraler Substanzen in den Thera- pieempfehlungen der Deutschen und Österreichischen AIDS-Gesellschaft (DAIG, OAG) zur Therapie der HIV- Infektion.
Aufgabe von Therapieleitlinien kann es jedoch nicht sein, für jegliche therapeutische Situationen die not- wendigen individuellen Therapiean- gaben darzustellen, sondern allgemei- ne Therapieempfehlungen zu formu- lieren, auf deren Grundlage die indivi- duelle Therapie auszurichten ist. Inso- fern sind die angegebenen Dosierun- gen auch nicht „falsch“, wie von Herrn Hartl angegeben, da sie dort – wie aus Tabelle 3 ersichtlich – für Patienten mit „normaler Nierenfunktion und ei- nem Körpergewicht von mehr als 60 kg“ formuliert wurden.
Gleiches gilt im Übrigen auch für die Dosisangaben zu Saquinavir und dessen unterschiedlichen Formulie- rungen (HGC und SGC). Therapie- leitlinien sollten sich im Hinblick auf eine evidenzbasierte Medizin zunächst auf Ergebnisse von randomisierten Studien stützen, wenn auch wie bei Sa- quinavir die Entwicklung der Soft- Gel-Formulierung im klinischen All- tag weitgehend die alte Hart-Gel- Kapsel ersetzt hat. Auch hier wird in den vorliegenden Empfehlungen des- halb darauf hingewiesen, dass eine Kombinationstherapie mit Saquinavir (HGC) ohne weiteren „erprobten Protease-Inhibitor“ im Allgemeinen abzulehnen ist. Mit Absicht wurde hier nicht allein Ritonavir genannt, da immerhin auch Boosterstudien mit Nelfinavir vorliegen.
Dankbar sind wir dem Autor für die Hinweise auf die neuen Kombi- nationspräparate Lopinavir/Ritonavir und AZT/3TC/Abacavir sowie zu neu- en Applikationsformen und neuen Er- kenntnissen hinsichtlich der Interak- tionen von antiretroviralen Substan- zen, die allerdings zum Zeitpunkt der Erarbeitung der Empfehlungen noch nicht zugelassen beziehungsweise pu- bliziert waren. Verständnis haben wir für die Kritik des Autors an der ein-
deutigen Ablehnung von Kombinatio- nen mit den genannten Nukleosidana- loga (Zidovudin/Stavudin, Didano- sin/Zalcitabin und andere) wenn wir auch nach wie vor aufgrund vorliegen- der pharmakologischer Daten und fehlender klinischer Studien einen kli- nischen Einsatz dieser Kombinatio- nen nicht befürworten können und dies auch international so gesehen wird (Quick Reference Guide to Anti- retrovirals; Schütz M, Wendrow A:
Eur J Med Res; in press). Nicht aus- geschlossen ist natürlich auch hier, dass mit neuen Erkenntnissen ein Pa- radigmenwechsel vollzogen werden kann.
Die Ermittlung des besten Zeit- punkts für den Beginn einer antiretro- viralen Therapie im frühen Stadium gehört zu den am meisten internatio- nal kontrovers diskutierten Fragestel- lungen der HIV-Therapie, da – be- dingt durch den langen natürlichen Verlauf der Erkrankung – hierzu klini- sche Endpunktstudien mit „highly ac- tive antiretroviral therapy“ (HAART) nicht oder nur unzureichend vorliegen (1, 2, 3, 4). Deshalb wurde in den The- rapieempfehlungen auch besonderer Wert auf die Darstellung der Datenla- ge und den jeweiligen Charakter (Ex- pertenmeinung, Surrogatmarkerstudi- en und andere) der Empfehlung ge- legt. Im Text wird auch nie die Vi- ruskopienzahl von 10–20 000/ml als
„hoch“ bezeichnet, jedoch unter Be- rücksichtigung weiterer Kriterien als Behandlungsbeginn definiert. Mit zu- nehmenden Erkenntnissen hinsicht- lich der Verträglichkeit und uner- wünschten Nebenwirkungen der ap- plizierten Substanzen sowie der Com- pliance sind ebenso wie hinsichtlich der Therapieintensivierung Verände- rungen an den Therapieprinzipien zu erwarten.
Insgesamt weist der Beitrag des Au- tors auf das derzeitige Dilemma von Therapieempfehlungen in der HIV- Medizin hin: Auf dem mühsamen Weg bis zur Publikation von Leitlinien wer- den diese derzeit sehr schnell von der rasanten Entwicklung und dem klini- schen Einsatz neuer Therapeutika überholt. Um so mehr ist es allerdings auch erforderlich, immer wieder auf die festen und auf weniger gesicherte
Grundlagen von Therapieentschei- dungen hinzuweisen. Auch in diesem Jahr ist deshalb wieder, wie in den USA, eine Überarbeitung der Thera- pieempfehlungen entsprechend den Richtlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AMWF) in Vor- bereitung.
Uneingeschränkt unterstützen wir den neuerlichen Hinweis des Autors auf die Notwendigkeit einer speziali- sierten Behandlung der HIV-infizier- ten Patienten, da eine optimale Versor- gung der HIV-infizierten Patienten heute nur noch mit umfassenden und ständig aktualisierten Kenntnissen und Erfahrungen möglich ist, wie sie der Autor durch seinen Beitrag demon- striert hat.
Literatur
1. Carpeter C et al.: Antiretroviral therapy in adults:
updated recommendations of the International AIDS Society-USA Panel. JAMA 2000; 283: 381–
390.
2. Cozzi-Lepri A et al.: When to start HAART in chro- nically HIV-infected patients? A collection of pieces of evidence from the ICONA study. In: Program and abstracts of the 5thInternational Congress on Drug Therapy in HIV-Infection; Glasgow 2000; APL 3.5.
3. Moore R et al.: Start HAART early (CD4 > 350 cells/mm3) or later? Evidence for greater effectiven- ess if started early. In: Programm and abstracts of the 7thConference on Retroviruses and Opportuni- stic Infections. San Francisco 2000; A 522.
4. Opravil M et al.: Clinical benefit of early initiation of HAART in patients with asymptomatic HIV infection and CD4 counts > 350/mm3. In: Program and abstracts of the 8thConference on Retroviruses and Opportunistic Infections; Chicago 2001; ALB6.
Für die Autoren und den Vorstand der DAIG:
Prof. Dr. med. Norbert H. Brockmeyer Klinik für Dermatologie und Allergologie Ruhr-Universität Bochum
Gudrunstraße 56 44791 Bochum
E-Mail: N.Brockmeyer@derma.de
Priv.-Doz. Dr. med. Hans R. Brodt Medizinische Klinik III/Infektiologie H33 Universität Frankfurt
Theodor-Stern-Kai 7 60596 Frankfurt
E-Mail: REINHARD@BRODT.NET M E D I Z I N
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A1762 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 26½½½½29. Juni 2001