72 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 425. Januar 2008
M E D I Z I N
bopoietin-Rezeptors (Mpl) beschrieben (2). Wie wür- den die Autoren solch einen Patienten behandeln? Aus der tabellarischen Zusammenstellung der unterschiedli- chen Therapien der ET ergibt sich die Frage, welche Modalität in der Lage ist, bei Vorhandensein der JAK2V617F-Mutation diesen Zellklon zu eradizieren? In diesem Zusammenhang ergibt sich aus dem Literaturzi- tat die mögliche Bewertung von Pipobroman, das zur Behandlung der Polyzythämie und der ET zum Beispiel in Italien und Frankreich zugelassen und verfügbar ist.
Zum leukämogenen Risiko von Pipobroman bei der ET gibt es Langzeitdaten, die kein erhöhtes Risiko für eine Leukämie bei der ET gezeigt haben (3).
Abschließend ist zu erwähnen, dass in guter Ergän- zung und Beschreibung der genetischen Veränderungen bei der ET bereits begonnen worden ist, die Funktion der Thrombozyten beziehungsweise ihrer Störungen mit Methoden der Proteomik zu untersuchen.
DOI: 10.3238/arztebl.2008.0071d
LITERATUR
1. Harrison CN et al.: A large proportion of patients with a diagnosis of essential thrombocythemia do not have a clonal disorder and may be at lower risk of thrombotic complications. Blood 1999; 93: 417–24.
2. Moliterno AR et al.: Mpl Baltimore: a thrombopoietin receptor poly- morphism associated with thrombocytosis. Proc Natl Acad Sci USA 2004; 101: 1144–7.
3. Passamonti F et al.: Long-term follow-up of young patients with es- sential thrombocythemia treated with pipobroman. Ann Hematol 2004; 83: 495–7.
Dr. med. Antonis G. Tsamaloukas Facharzt für Innere Medizin Schulstrasse 16–18, 40721 Hilden E-Mail: tsamaloukas@onkologe-hilden.de
Schlusswort
Herr Prof. Dr. Dame berichtet über die ebenfalls rele- vanten familiären Formen der essenziellen Thrombozy- tämie, die wir aus Platzgründen nicht erwähnt haben.
Selbstverständlich sind diese Formen in der Differenzi- aldiagnose zu berücksichtigen.
Der Kollege Tsamaloukas stellt die berechtigte Fra- ge, ob Patienten mit einer polyklonalen ET oder einem Polymorphismus des Thrombopoietin-Rezeptors anders behandelt werden sollten. Obwohl es hier Hinweise für eine andere Risikokonstellation dieser Patienten gibt, haben die genannten Konstellationen keinen Eingang in die Risikostratifizierung gefunden, sodass die betroffe- nen Patienten nicht anders behandelt werden (1). Die zweite Frage, welche Therapiemodalität in der Lage ist den JAK2-mutierten Klon zu reduzieren, wurde in einer jüngsten Publikation beantwortet. Hier ist, allerdings bei der Polyzythämia vera (PV), nur für pegyliertes In- terferon-α-2a eine Reduktion des JAK2-mutierten Klons beschrieben (2). Die molekularen Ansprechraten erreichen aber bei Weitem nicht die Größenordnungen wie Imatinib bei der CML.
Auch nach den WHO-Kriterien in der neuesten Fas- sung ist zur Diagnosestellung einer ET eine Knochen- markpunktion zwingend notwendig (3). Der Kollege Herr Dr. Andreas hat allerdings recht, dass die konven-
tionellen PVSG-Kriterien eine Knochenmarkpunktion bei der ET nicht zwingend vorschreiben. Die Diagnose- stellung nach den PVSG-Kriterien hat allerdings den Nachteil, dass Frühformen einer primären Myelofibrose (PMF) oder einer Polyzythämia vera (PV) häufig über- sehen werden und oft fälschlicherweise als ET klassifi- ziert werden. In der Studie von Harrison et al. wurde in der Tat ein vermehrtes Auftreten von Myelofibrosen nach einer Anagrelid-Therapie beschrieben. Hierzu ist anzumerken, dass es sich bei dem Patientenkollektiv der MRC-PT1-Studie um eine heterogene Patientengruppe handelte, die nicht nach den WHO-Kriterien, sondern nach den PVSG-Kriterien diagnostiziert wurden. So konnte in Nachuntersuchungen gezeigt werden, dass bei einem Großteil dieser Patienten Frühformen einer primären Myelofibrose (PMF) vorlagen und keine ETs.
Darüber hinaus lagen bei den meisten Patienten keine Se- quenzbiopsien vor, sodass eine Verlaufsbeurteilung daher meist nicht möglich war. Die gängige Praxis, bei sekun- dären Thrombozytosen ASS zu geben, ist nicht durch Daten untermauert. Nur in Einzelfällen besteht bei se- kundären Thrombozytosen (zum Beispiel bei zusätzli- chen Malignomerkrankungen und/oder großen Opera- tionen) tatsächlich ein erhöhtes Thrombosenrisiko (4).
Da die ET eine sehr gute Prognose aufweist, hat die experimentelle Therapie mit JAK2-Inhibitoren hier kei- nen primären Stellenwert. Diese werden aber, wie der Kollege Dr. Stern richtigerweise nachfragt, jetzt in ers- ten Phase-I-Studien bei der primären Myelofibrose (PMF) oder der Polyzythämia vera (PV) nach Versagen der konventionellen Therapie eingesetzt.
DOI: 10.3238/arztebl.2008.0072
LITERATUR
1. Griesshammer M: Risk factors and their influence on therapeutic de- cisions in patients with essential thrombocythemia. Semin Thromb Hemost 2006; 32: 372–80.
2. Kiladjian JJ, Cassinat B, Turlure P et al.: High molecular response rate of polycythemia vera patients treated with pegylated interferon-a al- pha-2a. Blood 2006; 108: 2037–40.
3. Tefferi A, Thiele J, Orazi A et al.: Proposals and rationale for revision of the World Health Organization diagnostic criteria for polycythemia vera, essential thrombocythemia, and primary myelofibrosis: recom- mendations from an ad hoc international expert panel. Blood 2007;
110: 1092–7.
4. Griesshammer M, Sauer T, Wenauer H, Bangerter M, Heimpel H: Ae- tiology and clinical significance of thrombocytosis: Analysis of 732 pa- tients with an elevated platelet count. J Intern Med 1999; 245:
295–300.
Prof. Dr. med. Martin Griesshammer Klinik für Innere Medizin III Universitätsklinik Ulm Robert-Koch-Straße 8 89081 Ulm
E-Mail: martin.griesshammer@uniklinik-ulm.de
Interessenkonflikt
Die Autoren aller Diskussionbeiträge erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.