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Archiv "Pflegereform: Streit um die Stützpunkte" (01.02.2008)

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Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 51. Februar 2008 A189

P O L I T I K

W

er in seinem Politikerleben schon so viel Kritik ein- stecken musste wie Bundesgesund- heitsministerin Ulla Schmidt (SPD), der freut sich, wenn er auch mal gelobt wird. Diesen Eindruck zumin- dest hatte man bei der Auftaktv er- anstaltung zum Projekt „Werkstatt Pflegestützpunkte und Pflegebera- ter“ im Bundesgesundheitsministe- rium (BMG) in Berlin. Im Rahmen des Modellprojekts soll in jedem Bundesland ein Pflegestützpunkt ge- fördert werden – eine wohnortnahe Beratungsstelle. Ungeachtet der Kri- tik der Union setzte Schmidt damit ihren Werbefeldzug für die Stütz- punkte fort. Aus ihrer Sicht ist dieses Angebot „aus einer Hand und unter einem Dach“ dringend nötig, um die Versorgung Pflegebedürftiger besser zu vernetzen. Betroffene und deren Angehörige dürften nicht erst von

„Pontius zu Pilatus“ laufen, bevor sie Hilfe bekämen. In den Stützpunkten sollen unter anderem Pflegekassen und Kommunen zusammenarbeiten.

Lob bekam Schmidt von allen ge- ladenen Experten, besonders seitens

des Kuratoriums Deutsche Alters- hilfe, dem Mitinitiator des Modell- versuchs. Einzig Thomas Ballast, neuer Vorstandsvorsitzender des Ver- bandes der Angestellten-Kranken- kassen und des Arbeiter-Ersatzkas- sen-Verbandes, sorgte sich um den Zeitplan. Denn das Modellprojekt ist nur der Beginn eines ehrgeizigen Vorhabens: Schon zum 1. Januar 2009 soll es flächendeckend Pflege- stützpunkte geben – eine Beratungs- stelle je 20 000 Einwohner. So steht es im Entwurf für das Pflege- Weiterentwicklungsgesetz, dem das Bundeskabinett bereits zugestimmt hat. 4 000 Pflegestützpunkte bun- desweit gibt es freilich nicht kosten- los: 80 Millionen Euro Anschubfi- nanzierung sind vorgesehen. Weite- re 290 Millionen Euro sind für die Pflegeberatung eingeplant.

Den Protest der Union an den Pflegestützpunkten hat die Ministe- rin bislang erfolgreich ignoriert. Die Kluft zwischen der BMG-Spitze und der Unionsfraktion ist offenbar tief. Schmidts Vorgehen habe „mit kollegialer Zusammenarbeit nichts mehr zu tun“, sagte der stellvertre- tende Vorsitzende der CDU/CSU- Bundestagsfraktion, Wolfgang Zöl- ler (CSU), der „Welt“. Umso größer dürfte nun die Genugtuung der Union nach der Anhörung zur Pfle- gereform im Gesundheitsausschuss sein, denn hier gab es kaum Exper- ten, die das Konzept der Ministerin lobten. So gut wie alle Sachverstän- digen sprachen sich gegen die Stützpunkte aus. Besonders die Un- abhängigkeit der Beratung stellten die Experten infrage. In den Pflege- stützpunkten dürften weder Mitar- beiter von Pflegekassen noch von Pflegediensten oder Heimen arbei- ten, forderte der Deutsche Pflege- rat. Einige Sachverständige äußer- ten verfassungsrechtliche Beden-

ken bezüglich der Verwaltungs- struktur.

Es sei nicht zu verstehen, warum zur bloßen Koordination von Pflege eine flächendeckende Infrastruktur von Pflegestützpunkten aufgebaut werden müsse, sagte die Vize- präsidentin der Bundesärztekammer (BÄK), Dr. med. Cornelia Goes- mann, im Vorfeld der Anhörung.

Goesmann kritisierte, dass sich nach den Plänen der Regierung die Kran- kenkassen in beträchtlichem Um- fang an der Finanzierung der Stütz- punkte beteiligen sollen. „Diese Zweckentfremdung von GKV-Bei- trägen zur Finanzierung von pflege- rischen Koordinationstätigkeiten lehnen wir entschieden ab.“ Statt- dessen müssten die Hausärzte ge- stärkt werden.

Aus Sicht der Union und etlicher Sachverständiger tragen die zusätz- lichen Kosten für die Pflegestütz- punkte dazu bei, dass die soziale Pflegeversicherung weiter in finan- zielle Schieflage geraten könnte.

Die geplante Erhöhung des Beitrags- satzes von 1,7 auf 1,95 Prozent kön- ne die Pflegeversicherung nicht dauerhaft finanzieren, warnte die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Die Arbeitge- ber plädierten ebenso wie fast alle Experten für einen Systemwechsel bei der Finanzierung der Pflege.

Wie dieser Systemwechsel ausse- hen könnte, bleibt umstritten. Der Gesundheitsökonom Prof. Dr.

Heinz Rothgang, Universität Bre- men, sprach sich für eine Bürgerver- sicherung aus. Der Freiburger Fi- nanzwissenschaftler Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen forderte die Abschaf- fung der sozialen Pflegeversiche- rung. Für die arme Bevölkerung müsse die Pflege über Steuermittel finanziert werden. Ansonsten solle privat vorgesorgt werden.

PFLEGEREFORM

Streit um die Stützpunkte

Die von der SPD favorisierten Pflegestützpunkte stoßen nach Protest der Union auch bei der Anhörung im Gesundheitsausschuss auf Kritik. Diskussionsbedarf gibt es ebenfalls bei der Übernahme ärztlicher Tätigkeiten durch Pflegekräfte.

DIE PFLEGEREFORM

Umstrittene Punkte im geplanten Pflege-Weiter- entwicklungsgesetz:

Pflegestützpunkte:wohnortnahe Pflegebera- tung (ein Stützpunkt je 20 000 Einwohner) Mehr Kompetenzen für Pflegekräfte:In Modell- projekten sollen sie Verbands- und Pflegehilfs- mittel verordnen sowie über die Ausgestaltung häuslicher Krankenpflege bestimmen. Pflegekräfte sollen auch ärztliche Tätigkeiten übernehmen können, bei denen es sich um die selbstständige Ausübung von Heilkunde handelt.

Heimärzte:Pflegeheime dürfen Ärzte anstellen.

„Selbst verschuldete“ Krankheiten:Ärzte müssen die Kassen über vermeidbare Erkrankun- gen informieren, beispielsweise eine Komplikati- on nach Piercing.

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Doch auch eine private Vorsorge nützt wenig, wenn immer weniger Leistungserbringer für die Versor- gung von Pflegebedürftigen zur Verfügung stehen. Vor allem Haus- ärzte, denen eine zentrale Rolle bei der Versorgung Pflegebedürftiger zu- kommt, werden knapp. Der Gesetz- geber plant deshalb, Angehörigen von Kranken- und Altenpflege- berufen bisher Ärzten vorbehaltene Tätigkeiten zu übertragen. Hierfür sollen Pflegekräfte zunächst in Mo- dellprojekten Verbands- und Pflege- hilfsmittel auf Kosten der Kassen verordnen dürfen. Ferner soll er- probt werden, ob Pflegekräften nach entsprechender Zusatzqualifikation erlaubt werden sollte, die Heilkunde in beschränktem Umfang selbst- ständig auszuüben.

Die Ärzteschaft lehnt dies ab.

„Wenn Air Berlin die Piloten weg- rennen, können auch nicht die Ste- wardessen übernehmen“, sagte der als Einzelsachverständige geladene Präsident der Ärztekammer Westfa- len-Lippe, Dr. med. Theodor Wind- horst. „Die Koordination der Be- handlung muss in ärztlicher Hand bleiben“, forderte auch Goesmann.

Die Kompetenz für die Diagnose- stellung und Behandlung von Krank- heiten sei von Ärzten in einer um- fassenden Ausbildung erworben worden. Der Justiziar der Bundes- ärztekammer, Rechtsanwalt Horst Dieter Schirmer, wies in diesem Zu-

sammenhang auf mögliche Folgen einer eigenständigen Rechtsbezie- hung zwischen selbstständig agie- render Pflegekraft und Patienten hin. „Fehleinschätzungen hinsicht- lich der eigenen Kompetenz schaf- fen den Tatbestand des Übernah- meverschuldens“, warnte Schir- mer. Die Pflegekraft übernimmt in diesem Fall Verantwortung für etwas, was sie aufgrund ihrer Aus- bildung nicht verantworten kann.

Für den Bremer Pflegewissen- schaftler Prof. Dr. Stefan Görres ist die Weiterentwicklung der Ausbil- dung deshalb eine wichtige Voraus- setzung für eine Kompetenzverlage- rung auf Pflegekräfte. Ein Teil der Berufsgruppe sollte die Pflegeaus- bildung in Form eines wissenschaft- lichen Studiums an einer Hochschu- le absolvieren. Franz Wagner, Vize- präsident des deutschen Pflegerats, betonte, dass es schon heute eine Vielzahl hoch qualifizierter Pflege- experten gebe, wie etwa Wund- manager.

Trotz der Kritik an den Vorschlä- gen im Gesetzentwurf können sich BÄK und Kassenärztliche Bundes- vereinigung (KBV) grundsätzlich vorstellen, bestimmte Leistungen auf geschultes Personal zu delegie- ren – allerdings nur, wenn dem Arzt weiterhin die Hauptverantwortung für die Behandlung obliegt. Goes- mann wies bei der Anhörung darauf hin, dass die Ärzteschaft im Rah-

men ihrer Initiative zur Förderung der Versorgungsforschung bereits an Modellen zur Delegation ärztli- cher Leistungen arbeitet. Doch kon- zentriere man sich hierbei darauf, bestimmte arztentlastende Aufga- ben auf speziell fortgebildetes Pra- xispersonal – also die Medizinischen Fachangestellten – zu übertragen.

Dass es Defizite in der Versor- gung Pflegebedürftiger gibt, wurde bei der Anhörung von allen Fach- leuten bestätigt. Unisono beklagten die wissenschaftlichen Experten und Verbandsvertreter, dass insbe- sondere die ärztliche Betreuung in den Pflegeheimen unzureichend sei.

Dass der Gesetzgeber Heimen er- möglichen möchte, eigene Ärzte einzustellen, sahen etliche Fachleu- te jedoch kritisch. Konkret sieht der Gesetzentwurf vor, dass stationäre Pflegeeinrichtungen zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versor- gung der Pflegebedürftigen ermäch- tigt werden können. Die erbrachten Leistungen der angestellten Ärzte sollen aus der vertragsärztlichen Gesamtvergütung bezahlt werden.

Die KBV lehnt dies ab. Sie sieht darin eine „Erweiterung institutio- neller Versorgungsmöglichkeiten in Konkurrenz zu niedergelassenen Vertragsärzten“. KBV-Vorstand Dr.

med. Carl-Heinz Müller betonte, dass Pflegebedürftige eine multi- professionelle Versorgung benötig- ten, die ein Heimarzt – der zudem nachts und am Wochenende nicht anwesend sei – kaum sicherstellen könne. Müller schlug deshalb vor, dass KVen auf Verlangen von Pfle- geeinrichtungen verpflichtet wer- den sollten, Kooperationsverträge mit Vertragsärzten zu vermitteln.

Auf Skepsis stießen ebenfalls die Pläne, Ärzte zu verpflichten, die Krankenkassen über „selbst ver- schuldete“ Erkrankungen zu infor- mieren, etwa bei Komplikationen nach einer Schönheits-OP. Eine ent- sprechende Gesetzesänderung soll im Rahmen der Pflegereform verab- schiedet werden. „Wir Ärztinnen und Ärzte sind keine Informanten der Krankenkassen“, stellte BÄK- Vizepräsidentin Goesmann klar. Die ärztliche Schweigepflicht müsse unangetastet bleiben.

Dr. med. Birgit Hibbeler, Samir Rabbata Die Union ist gegen die ge-

planten Pflegestützpunkte.

Was ist an wohnortnaher Be- ratung und Vernetzung von Hilfsangeboten auszusetzen?

Zylajew:Das Anliegen ist rich- tig, aber der Weg ist völlig falsch. Mit den Pflegestütz- punkten entstehen lediglich neue bürokratische, ineffiziente Strukturen. Wir wollen, dass je- der Euro aus der Beitragser- höhung auch wirklich bei den Pflegebedürftigen ankommt.

Im Kabinett hat die Union der Pflegereform zugestimmt.

Kommt der Protest nicht etwas spät?

Zylajew:Der Gesetzentwurf ist in der Ministerialbürokratie ent- standen. Er wurde über das Ka- binett und ohne Mitwirkung des Parlaments vorgelegt. Die Uni- onsfraktion war also im Vorfeld nicht beteiligt.

Die Union plädiert als Alterna- tive zu den Pflegestützpunk-

ten für Beratungsgutscheine.

Was würden die an dem Vernetzungsproblem ändern?

Zylajew:Ein Gutscheinmodell erfüllt den Anspruch der Betrof- fenen auf unabhängige Bera- tung bei akkreditierten Stellen.

Vorhandene Strukturen können wachsen, der Wettbewerb zwi- schen den Leistungsanbietern wird gestärkt. Dieses Modell ist preiswerter. Das gesparte Geld wäre in der Versorgung Demenz- kranker besser angelegt.

3 FRAGEN AN…

Willi Zylajew, pflegepolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

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