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ie diesjährige Sommertagung des Arbeitskreises Medizinischer Ethik- Kommissionen hatte es nicht leicht, jedenfalls was den Termin betraf. Schließ- lich konkurrierte sie mit dem Eröff- nungsspiel der Fußballweltmeisterschaft am 9. Juni. Doch das hielt die Mitglie- der keineswegs davon ab, sich intensiv mit mehreren ethischen Themen zu be- fassen. Ministerialrat Hans-Peter Hof- mann vom Bundesgesundheitsministe- rium berichtete über die neue Kin- derarzneimittel-Verordnung, die An- fang Juni vom Europaparlament verab- schiedet wurde. Anders als bei Medika- menten für Erwachsene seien mehr als 50 Prozent der in Europa zur Behand- lung von Kindern eingesetzten Arznei- mittel nicht für diese Personengruppe geprüft und dementsprechend nicht zu- gelassen. Die Konsequenz ist, dass Kin- der notwendige Medikamente gar nicht erhalten und damit Behandlungsmög- lichkeiten entfallen oder dass Präpara- te trotz der nicht vorhandenen Zulas- sung angewandt werden, wodurch oft vermeidbare Nebenwirkungen zu ver- zeichnen sind.Die jetzt beschlossene EU-Verord- nung schreibt spezielle Untersuchungen zu den Wirkungen und Nebenwirkungen auf Kinder für alle neu zugelassenen Arz- neimittel vor. Bei bereits auf dem Markt befindlichen Arzneimitteln, die noch un- ter Patentschutz stehen, ist es den Firmen freigestellt, eine gesonderte Zulassung für die Anwendung an Kindern zu bean- tragen. Als Kompensation für die erhöh- ten Forschungskosten wird für diese Pro- dukte eine um sechs Monate verlängerte Marktexklusivität gewährt.
Die Verordnung sieht Hofmann zu- folge auch die Einrichtung eines so genannten Pädiatrieausschusses inner- halb der europäischen Arzneimittel- agentur vor. Dieser Ausschuss sei vor-
wiegend für die Beurteilung und Billi- gung pädiatrischer Prüfkonzepte sowie für das System von Freistellungen und Zurückstellungen verantwortlich. Die Verordnung wird, so Hofmann, voraus- sichtlich ab Anfang 2007 in Deutsch- land angewendet.
Auf zahlreiche weitere Veränderun- gen in Europa, „die sich langfristig auch auf die Verhältnisse in der Bun-
desrepublik ausweiten werden“, wies der wiedergewählte Vorsitzende des Arbeitskreises, Prof. Dr. med. Elmar Doppelfeld, hin. So sei vor kurzem das Protokoll „Biomedizinische For- schung“, ein Zusatzprotokoll zum „Men- schenrechtsübereinkommen zur Bio- medizin“ des Europarates verabschie- det worden. „Falls die Bundesrepublik Deutschland in hoffentlich nicht all- zu ferner Zukunft die Konvention und das Zusatzprotokoll ratifiziert, könn- ten sich hier gesetzliche Impulse für eine Harmonisierung des Komplexes Ethikkommissionen ergeben“, vermu- tet Doppelfeld.
Auf dieses Protokoll bezog sich auch Prof. Dr. jur.Andreas Spickhoff, Regens- burg, der die deutsche Rechtslage für Forschung mit nichteinwilligungsfähigen Notfallpatienten für „wenig glücklich“
hält. So gehe § 41 Absatz 1 Arznei- mittelgesetz vom volljährigen einwilli- gungsfähigen Patienten aus. In diesem Absatz sei auch der Umgang mit Notfall- patienten geregelt. Diese seien jedoch in der Regel nichteinwilligungsfähig. Klini- sche Prüfungen an einer volljährigen nichteinwilligungsfähigen Person sind nur unter bestimmten Maßgaben zuläs- sig. So muss die klinische Prüfung für die
„betroffene Person mit möglichst wenig Belastungen und anderen vorhersehba- ren Risiken verbunden sein“. Auf das Problem des Gruppennutzens geht, so Spickhoff, das Forschungsprotokoll aus- führlich ein. Danach darf in Ausnah- mefällen und unter Beachtung der vor- geschriebenen Schutzvor- schriften auch ohne unmit- telbaren Nutzen für den Nichteinwilligungsfähigen geforscht werden. Diese Kenntnisse sollten geeignet sein, dem Betroffenen zu nutzen oder aber Personen, die sich in der gleichen Al- tersstufe befinden oder die unter der gleichen Krank- heit leiden. Die Forschung darf nur mit einem minima- len Risiko oder einer mi- nimalen Belastung verbun- den sein.
Doppelfeld nahm Stel- lung auch zu der vom Mi- nisterrat des Europarates angenommenen „Empfeh- lung zur Forschung mit biologischem Material menschlichen Ursprungs“.
Diese Empfehlung sehe unter anderem einen erweiterten informed consent vor. Die Zustimmung könne auch für Projekte, die zum Zeitpunkt der Infor- mation noch nicht spezifiziert werden können, erteilt werden. Hiermit soll er- reicht werden, „dass die oft sehr wert- vollen Gewebesammlungen künftiger Forschung in einer unbekannten Zu- kunft zur Verfügung stehen“. Doppel- feld ist klar, „dass diese Empfehlung von dem bisher geltenden Prinzip der Zustimmung zu nur einem spezifischen Projekt abweicht“. Gisela Klinkhammer P O L I T I K
Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 26⏐⏐30. Juni 2006 AA1793
Medizinische Ethikkommissionen
Europäische Impulse
Der Arbeitskreis beschäftigte sich unter anderem mit der Kinderarzneimittel-Verordnung und der Forschung mit nichteinwilligungsfähigen Notfallpatienten.
Rund 50 Prozent der zur Behandlung von Kindern einge- setzten Arzneimittel sind nicht zugelassen.
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