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Archiv "Epilepsietherapie – Teil 2: Operative Behandlung" (11.12.1998)

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erebrale Anfälle waren häufig in der Anfangszeit der Neuro- chirurgie, insbesondere wenn sie auf die Zentralregion zurückzu- führen waren, ein guter lokalisatori- scher Hinweis für den Chirurgen, eine Läsion aufzufinden. Läsionen waren damals aufgrund der fehlenden bild- gebenden diagnostischen Verfahren nicht direkt darstellbar. Die zuneh- mende Verbesserung der Pharmako- therapie führte unter anderem dazu, daß später viele Jahre lang neurochir- urgische Eingriffe aufgrund von foka- len Epilepsien nur noch in wenigen Zentren der Welt durchgeführt wur- den. Nach Einschätzung der Ameri- can Epilepsy Foundation wurden trotz Einsatzes der Pharmakotherapie aber etwa 20 Prozent der Patienten nicht anfallsfrei. Neuere epidemiolo- gische Untersuchungen in Deutsch- land (EPIDEG 1996) weisen jedoch darauf hin, daß eine längere Anfalls- freiheit von mehr als drei Jahren sogar nur bei einem deutlich geringeren An- teil der Patienten (30 bis 40 Prozent) zu erzielen ist. Bei einer altersspezifi- schen Prävalenz zwischen 0,5 und 1 Prozent für Epilepsien kann ange- nommen werden, daß in Deutschland etwa 15 000 Patienten mit pharma- koresistenten Epilepsien leben, denen voraussichtlich durch einen operati- ven neurochirurgischen Eingriff ge-

holfen werden könnte. Wichti- ge Gründe für die Zunahme der Aktivitäten auf dem Ge- biet der Epilepsiechirurgie sind die Verbesserung der präoperativen Diagnostik so- wie verfeinerte und erweiterte Operationstechniken.

Kriterien der Patientenauswahl zur präoperativen Diagnostik

Voraussetzung für die Überweisung zur personell und zeitlich aufwendigen präoperativen Diagnostik ist der begründete Verdacht auf das Vorliegen einer pharma- koresistenten Herdepilepsie.

Bei sekundär generalisierten multifokalen Epilepsien mit Sturzanfällen kommen unter Umständen unterbrechende Verfahren in Betracht. Eine Pharmakoresistenz kann erst bei hinreichend adäquater, das heißt hochdosierter (Mono- und Kombinationstherapie bis zu Ne- benwirkungen) Antiepileptikathera- pie akzeptiert werden, bei der der Se- rumspiegel kontrolliert wird (Kon-

Epilepsietherapie

Teil 2: Operative Behandlung Hermann Stefan

1

Michael Buchfelder

2

Während ein neurochirurgischer Eingriff bei Epilepsien früher allenfalls bei Läsionen wie Hirntumoren durchge- führt wurde, hat sich bei fokalen Epilepsien, die nicht hin- reichend durch Medikamente kontrolliert werden können, eine funktionelle Epilepsiechirurgie etabliert. Mit Hilfe ei- ner individuell funktionell gesteuerten Mikrochirurgie können heute Patienten operiert werden, bei denen früher eine Operation nicht möglich war. Im vorliegenden Beitrag werden aktuelle Therapiestrategien besprochen, die zu ei-

ner Intensivierung der individuellen operativen Behandlung führen. Er-

gänzend zu den früher üblichen Standardlobektomien werden heute auch sogenannte maßgeschneiderte Resek- tionen und operative Verfahren eingesetzt, die auf eine Un- terbrechung der epileptischen Erregungsausbreitung hin- wirken.

Schlüsselwörter: Epilepsiechirurgie, Multiple subpiale Trans- sektion, maßgeschneiderte Resektion, Pharmakoresistenz

ZUSAMMENFASSUNG

New Methods in Epilepsy Surgery

First reports of neurosurgery in epilepsy were mainly related to lesions such as brain tumors with symptomatic seizures.

In the meantime, neurosurgical interventions have been established in the whole spectrum of pharmacoresistant focal epilepsies, even in cases without identification of le- sions. With individually adapted microsurgical techniques,

patients may now be eligible for epilepsy surgery who were considered to be poor candidates

just a few years ago. In addition to standard lobectomies, tailored resections and transsections are now carried out frequently.

Key words: Epilepsy surgery, multiple subpial transsection, tailored resection, pharmacoresistance

SUMMARY

Z

Neurologische Klinik1, Neurochirurgische Klinik2, Zentrum Epilepsie Erlangen (Leiter:

Prof. Dr. med. Hermann Stefan) der Univer- sität Erlangen-Nürnberg

Operation

MEG

Invasive Evaluation ECOG

Subdurale-/Tiefenableitung Angiographie/WADA-Test

Intensives Video/EEG Monitoring Nichtinvasiv interiktual/iktual invasiv

Pharmakoresistenz ? Diagnose (EEG/MRI/SPECT/PET)

Verträglichkeit (Blutspiegel) Neuropsychologie/Sozialer Status

; iktuales SPECT Phase 2

Phase 1 Grafik 1

Die präoperative Diagnostik verläuft in mehreren Phasen. Die Phase 1 stellt die Stufe der nichtinvasiven Diagnostik dar und die Phase 2 die bei einem Teil der Patienten erforderliche invasive Diagnostik.

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sensus: Arbeitsgemeinschaft „Prä- chirurgische Diagnostik für operative Epilepsie-Therapie“, Epilepsieblät- ter, 1995). Die individuelle Beurtei- lung des Vorliegens einer Pharma- koresistenz setzt ein Team mit spezi- eller Expertise voraus, welches so- wohl Effektivität, Wirkung und Neben- wirkungen der konservativen Phar- makotherapie als auch die Erfolgs- quoten epilepsiechirurgischer Eingrif- fe bei verschiedenen epileptischen Herdlokalisationen und Syndromen abwägen kann.

Präoperative Diagnostik

Die Entwicklung neuer Untersu- chungsverfahren für die präoperative Diagnostik ermöglicht es, den für die Anfälle des Patienten verantwortli- chen epileptogenen Herd präziser zu lokalisieren als früher. Das Ziel des operativen Eingriffes besteht dann darin, entweder einen epileptischen Herd zu entfernen oder die Ausbrei- tung fokaler epileptischer Aktivitäten zu unterbrechen. Die Indikation zur Operation hat sich im Vergleich zu früher erweitert. Während zunächst nur Eingriffe aufgrund einer lebens- bedrohlichen zerebralen Erkrankung im Sinne einer onkologischen Indika- tion (Tumor) durchgeführt wurden, sind im Lauf der Zeit weitere Indika- tionen bei nichtprogressiven zerebra- len Grunderkrankungen hinzuge- kommen. Eine entscheidende Voraus- setzung für die Verbesserung der Dia- gnostik war die Systematisierung der Anfallsanalysen durch das Intensiv- Video-EEG-Monitoring mit Hilfe der simultanen Doppelbildaufzeichnung (SDA). Diese Anfallsanalysen bilden den Grundstein für eine klinische Lokalisationshypothese des Aus- gangsortes der epileptischen Entla- dungen, die durch verschiedene nicht invasive und invasive Untersuchungs- verfahren schließlich bewiesen wer- den muß. Durch die Entwicklung neu- er bildgebender Verfahren (hochauf- lösende MRT und spezielle Unter- suchungstechniken wie Positronen- emissionstomographie [PET], Single- Photonenemissionscomputertomogra- phie [SPECT], Magnetenzephalogra- phie [MEG]) können seit einiger Zeit sogar Operationen durchgeführt

werden, bei denen nur „Mikroläsio- nen“ oder präoperativ sogar keine morphologischen Läsionen, sondern nur fokale neurophysiologische Funk- tionsstörungen nachweisbar sind. Im Idealfall wird durch einen selektiven funktionellen Eingriff am Hirn das epileptogene Areal entfernt. Voraus- setzung für diesen funktionellen epi- lepsiechirurgischen Eingriff ist neben der Pharmakoresistenz eine sorgfälti-

ge Diagnostik, die stufenweise erfolgt (Grafik 1). Im ersten Schritt der prä- operativen Diagnostik muß das epilep- togene Areal im Hirngewebe lokali- siert werden. Hierzu dienen Registrie- rungen der epileptischen fokalen Ak- tivität, insbesondere auch Registrie- rungen der Anfälle mit Hilfe von kon- tinuierlichen Vielkanal-Video-EEG- Aufzeichnungen über Tage bis Wo-

chen. Diese Untersuchungsverfahren sind sehr zeit- und personalaufwendig und erfordern bei invasiven Ableitun- gen eine gute Kooperationsfähigkeit des Patienten. Je nach Fall kommen verschiedene invasive Ableiteverfah- ren (Foramen ovale, subdurale Strei- fen- oder Platten- oder sogar intraze- rebrale, stereotaktisch implantierte Tiefenelektroden) in Betracht (Abbil- dung 1). Die verschiedenen bildge- benden Verfahren sowie neu- ropsychologische Befunde er- gänzen die präoperative Dia- gnostik. Läßt sich eine umschriebene epileptogene Hirnregion nachweisen, muß in einem zweiten Schritt fest- gestellt werden, ob diese mit einer funktionell wichtigen Hirnregion in räumlicher Be- ziehung steht. Solche funktio- nell wichtigen Hirnregionen sind zum Beispiel die Sprach- region, Zentralregion und ge- dächtnistragende Hirnregio- nen. Die epileptogene Hirn- region und die funktionell wichtige Hirnregion können darüber hinaus mit einer mor- phologischen Läsion in Bezie- hung stehen. Zerebrale mor- phologische Läsionen müssen jedoch topographisch nicht notwendigerweise mit der Lä- sion des epileptogenen Her- des übereinstimmen. Daher muß unabhängig vom Nach- weis einer morphologischen Läsion präoperativ stets die Lokalisation der fokalen epi- leptischen Aktivität definiert werden. Dies schließt elektro- physiologische Registrierun- gen während des epilepti- schen Anfalls in der Regel mit ein. Bei malignen Tumoren stehen tumorchirurgische Ge- sichtspunkte im Vordergrund.

Bei allen Läsionen muß ne- ben dem läsionellen Gesichtspunkt auch der funktionell epileptogene stets ausreichend mit berücksichtigt werden; dies gilt auch für Angiome und gutartige Gliome. Eine reine Läsionektomie führt in 40 bis 60 Pro- zent zur Anfallskontrolle. Je vollstän- diger die Läsion und auch das epilep- togene Hirnvolumen reseziert werden können, desto besser sind die Operati- Abbildung 1: Bei der invasiven Diagnostik werden Elektroden in

das Schädelinnere implantiert; Foramen ovale Elektroden werden unter Bildwandlerkontrolle durch die Schädelbasis eingeführt und erlauben eine zuverlässige Beurteilung der temporo-mesialen elektrischen Aktivität (oben). Mit stereotaktisch implantierten Tie- fenelektroden kann der laterale und mesiale Temporallappen er- faßt werden. Sie stellen aber die invasivste Form der direkten Ab- leitungen dar (unten links). Subdurale Elektrodenplatten erlauben über die Ableitung der Spontanoberflächenaktivität hinaus ein kortikales „Mapping“ durch Stimulation individueller Elektroden (unten rechts).

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onsergebnisse in bezug auf eine post- operative Anfallskontrolle (3, 33). Da- her müssen elektrophysiologische Re- gistrierungen in hinreichendem Aus- maß durchgeführt werden, um die Be- ziehung von Läsion und epileptischer Funktionsstörung zu erfassen. Eine Operationsindikation zur Resektion ergibt sich erst dann, wenn die Synop- sis der Befunde zeigt, daß der Fokus in einer operativ zugänglichen Ge- hirnregion lokalisiert ist (7, 15, 24, 25, 30, 32). Die Voraussetzungen zur Durchführung epilepsiechirurgischer Eingriffe und die Ausrüstung von epi- lepsiechirurgischen Zentren wurden seitens der Arbeitsgemeinschaft „Prä- chirurgische Diagnostik zur opera- tiven Epilepsietherapie“ für den deutschsprachigen Raum 1995 defi- niert. Da es sich um elektive Eingriffe am Gehirn handelt, setzt diese Dia- gnostik ein interdisziplinäres Team voraus, welches mindestens jeweils ei- nen speziell mit epileptologischen Fragestellungen vertrauten Neurolo- gen, Neurochirurgen, Neuroradiolo- gen, Neuropsychologen, Psychiater und Sozialarbeiter umfassen soll.

Dieses interdisziplinäre, funktionell zentrierte Team muß sowohl auf eine speziell ausgerüstete Intensiv-Video- EEG-Monitoring-Einheit – welche vom Aufwand dem einer Intensiv- Station entspricht – als auch auf stabi- le Betten-, Geräte- und Personalres- sourcen bauen können. Ergänzend zu der sehr komplexen präoperativen Diagnostik und den differenzierten epilepsiechirurgischen Verfahren gehört eine postoperative Betreuung und Koordination mit prä- und post- stationären Einrichtungen zu einem Epilepsieprogramm. Postoperative Ergebnisse zur Anfallskontrolle kön- nen nach den von Engel aufgestellten Kategorien, die heute in überarbeite- ter Form vorliegen (7), klassifiziert werden.

Operative

Behandlungsverfahren

Resektionen im Temporalhirn

Zur chirurgischen Behandlung pharmakoresistenter Epilepsien kom- men heute verschiedene Verfahren in Betracht. Im Vordergrund stehen ei-

nerseits kortikale Resektionen mit der Entfernung eines neokortikalen Epilepsieherdes, andererseits aber auch Resektionen in den limbischen Strukturen, wie beispielsweise im me- dialen Temporallappen (selektive Amygdalo-Hippocampektomie). Er-

gänzend zu den früher meist üblichen, relativ großvolumigen sogenannten

„Standardresektionen“ im Temporal- lappen werden mehr und mehr für die Bedürfnisse des individuellen Falles genau passende sogenannte „tailored resections“ (maßgeschneiderte Re- sektionen) in der Absicht durchge- führt, möglichst geringe, aber für die Kontrolle des Anfallsleidens ausrei-

chende Hirnvolumina zu resezie- ren. Ein von uns durchgeführter Ver- gleich postoperativer Befunde zwi- schen Standardresektionen, selek- tiver Amygdalo-Hippocampektomie und tailored resections bei Schläfen- lappenepilepsien zeigte, daß der Er-

halt neokortikaler Temporal- lappenanteile in der domi- nanten Hemisphäre dabei vor allem für den Erhalt des ver- balen Gedächtnisses von Be- deutung ist. Etwa zwei Drittel aller resezierenden Eingriffe in der Epilepsiechirurgie ent- fallen auf Patienten mit kom- plex-partiellen Anfällen bei Temporallappenepilepsie.

Die Temporallappenre- sektion wird heute individuell den Erfordernissen des einzel- nen Patienten angepaßt. Bei der Operation sollte möglichst das epi- leptogene Gewebe vollständig ent- fernt werden, wozu neuerdings auch das Open-MR eingesetzt werden kann (Abbildung 2). Resektionen sind auf der nichtdominanten, meist rechten Seite leichter möglich, weil hier frei- zügiger nach epileptologischen Er- fordernissen reseziert werden kann.

Probleme entstehen auf der sprachdo- Abbildung 2: Intraoperative Kontrolle des Ausmaßes einer Temporallappenresektion mit Hilfe des Open-MR.

Die oberen beiden Bilder (präoperativ) zeigen einen zystischen Prozeß im rechten Temporallappen, die unte- ren (intraoperativen) Bilder lassen das Volumen der Resektion beurteilen.

Abbildung 3: Bei der multiplen subpialen Transsektion werden in Abständen von 5 mm kortikale Areale senkrecht durchtrennt, um die Ausbreitung epileptischer Aktivität zu verhindern.

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minanten Hirnseite, da hier insbeson- dere die sensorischen Sprachareale im hinteren oberen Temporallappen ge- schont werden müssen. Die Injektion eines kurz wirkenden Barbiturates in die Arteria carotis (WADA-Test) kann Zweifel über die Dominanz ei- ner Hemisphäre beseitigen. Nicht in- vasive Verfahren, wie die funktionelle Kernspintomographie, befinden sich zur Zeit noch in der Erprobung. Die Festlegung der Resektionsgrenzen, das heißt das Ausmaß der Resektion hippocampaler, parahippocampaler und neokortikaler Strukturen, wird durch das Ergebnis der präoperativen Analyse, der bildgebenden Untersu- chungen, neuropsychologischer Studi- en und elektrophysiologischer Daten, gegebenenfalls auch der invasiven Diagnostik, bestimmt. Die Erfolgs- quote liegt zwischen 50 und 70 Prozent für Anfallsfreiheit und 20 bis 30 Pro- zent für deutliche Verbesserung der Anfallskontrolle, wobei die Selektion der Patienten die entscheidende Rolle für die Prognose des jeweiligen Kol- lektivs darstellt.

Extratemporale Epilepsien

Auch bei extratemporalen Epi- lepsien kommen resezierende Verfah- ren in Betracht. In seltenen Fällen, bei denen die Funktion des Hirngewebes durch den zugrunde liegenden Prozeß bereits aufgehoben ist, wie infantiler Hemiparese bei Rasmussen-Enzepha- litis, kann eine Resektion ohne nen- nenswertes neues Defizit bis hin zur Hemisphärektomie erfolgen. Dieses Verfahren kommt außerdem auch bei Hemimegenzephalie, Sturge-Weber- Syndrom, porenzephalischen Zysten und diffusen kortikalen Dysplasien in Frage, bei denen ohnehin schon eine Hemiparese besteht und keine nützli- che Feinmotorik der Hand mehr vor- liegt. Gerade bei dieser Operation ist man von anatomisch kompletten Re- sektionsverfahren zu mittlerweile ge- radezu minimal invasiv anmuten- den Diskonnektions-Deafferenzie- rungs-Operationen übergegangen und hat damit die mit der Methode ur- sprünglich verbundene Mortalität und Morbidität auf ein Minimum reduzie- ren können (22). Für die Hemisphär- ektomie beträgt die Erfolgsquote zwi- schen 70 und 90 Prozent. Aus entwick-

lungsphysiologischen Gesichtspunk- ten sollten diese Operationen so früh wie möglich erfolgen.

Unterbrechung epileptischer Erregungsausbreitung

Andere Verfahren zielen auf eine Unterbrechung der epileptischen Er- regungsausbreitung. So können durch eine partielle Durchtrennung des Cor- pus Callosum (partielle Callosotomie)

sekundär generalisierte Anfälle bei multifokalen oder bilateralen Anfalls- herden beseitigt werden. Durch die Durchtrennung der Kommissurenfa- sern wird eine rasche Ausbreitung der epileptischen Aktivität auf die Gegen- seite verhindert. Indiziert ist die Callo- sotomie heute vor allem bei Patienten mit multifokaler Epilepsie und schwe- ren Sturzanfällen. Durch die operative Behandlung können die Sturzanfälle, die oft zu schweren Verletzungen der Patienten führen, unterdrückt werden (8, 21). Die Erfolgsquote für Anfalls- freiheit liegt zwischen null und zehn Prozent, hinsichtlich deutlicher Besse- rung zwischen 60 und 70 Prozent. In den letzten Jahren hat auch bei neo-

kortikalen, temporalen und extra- temporalen Epilepsien ein weiteres Diskonnektionsverfahren Eingang in die Epilepsiechirurgie gefunden (18):

Multiple subpiale Transsektionen (Abbildungen 3 und 4) werden dann durchgeführt, wenn sich das epilepto- gene Hirngewebe im Bereich einer funktionell wichtigen neokortikalen Zone (somato-sensorischer Kortex, motorische Region, Sprachregion) be- findet oder sich in diese Gebiete hin- ein erstreckt. Verbieten sich aufgrund der Überlappung von epileptogenem und funk- tionell wichtigem Areal resek- tive Eingriffe, können das operative Repertoire erwei- tert und entweder ausschließ- lich multiple subpiale Trans- sektionen oder (falls bei einer Schläfenlappenepilepsie sich das epileptogene Areal tem- poral-mesial und relativ weit nach neokortikal temporo- dorsal oder extratemporal er- streckt) eine Kombination von mesialer Resektion und neokortikal-lateraler Trans- sektion durchgeführt werden.

Dann ist auch die Prognose für Anfallsfreiheit besser (bis zu 50 Prozent). So können heute Epilepsien operiert werden, die vor wenigen Jah- ren einer neurochirurgischen Therapie nicht zugänglich wa- ren. Das Ausmaß dieser Ein- griffe wird durch die Ergeb- nisse der funktionellen Zu- ordnung (Sprache, Motorik, Sensorik) bestimmt. Ausmaß und Variation kortikaler Funktionsre- präsentationen können infolge einer Verdrängung/Verlagerung durch ei- nen raumfordernden intrakraniellen Prozeß oder aber auch als Ausdruck der Plastizität von Hirnfunktionen stark variieren. So können Sprachre- gionen nicht in loco-typico, wie aus Lehrbuchdarstellungen zu erwarten, sondern an andere Stellen verlagert sein. Die funktionelle Zuordnung die- ser Hirnfunktionen wird mit Hilfe in- vasiver Verfahren(Grafik 2) und in experimentellen Ansätzen, in den letz- ten Jahren auch mit Hilfe einiger nichtinvasiver Verfahren, wie funktio- nelle Kernspintomographie (fMRT, PET oder MEG), durchgeführt.

a

Abbildung 4: Operationssitus bei einer multiplen subpialen Trans- sektion. Die Spitze des Transsektionshäkchens (a) bleibt immer unter der Pia sichtbar (b), um ein zu tiefes Eindringen des Instru- ments in die Hirnrinde zu vermeiden.

b

(5)

Langzeitergebnisse und Ausblick

Häufig beziehen sich publizierte postoperative Verlaufsberichte auf einen Zeitraum von zwei Jahren oder noch kürzere Intervalle. In diesem Zeitraum ist die Rückfallquote bei nicht hinreichender Anfallskontrolle nach einem epilepsiechirurgischen Eingriff am größten. Die angewand- ten operativen Verfahren variieren je nach individueller Ausgangslage (in der Tabelleist ein Überblick wieder- gegeben). Die Erfolgsquote der Tem- porallappenresektionen hängt vor al- lem von der Selektion des Patienten- kollektivs ab. So werden in entspre- chend geeigneten hochselektiven Kollektiven mit mesialen temporalen Herden bis zu 85 Prozent der Patien- ten anfallsfrei. Insgesamt kann man wohl in etwa 50 bis 70 Prozent der Fälle mit vollständiger Anfallsfrei- heit rechnen, wobei aber noch 20 bis 30 Prozent der Patienten durch eine deutliche Reduktion der Anfallsfre- quenz von der Operation profitieren.

Bei extratemporalen Resektionen sind die Erfolgquoten etwas weniger günstig. Invasive Diagnostik und the- rapeutische Eingriffe haben auch ih- re Komplikationen, wobei hier heute etwa 3 bis 6 Prozent überwiegend

transiente Morbidität erwartet wer- den muß. Läsionelle Fälle sind prin- zipiell prognostisch günstiger als kryptogene Epilepsien ohne mor- phologische Befunde. Bisher liegen nur wenige Langzeit-Verlaufsbeob- achtungen über fünf bis zehn Jahre nach einem epilepsiechirurgischen Eingriff vor (23). Nach zweijähriger Anfallsfreiheit sind Rückfälle selten.

Bei mesial-temporaler Sklerose wur-

den nach Berkovic et al. 1995 (5) 50 Prozent der Patienten fünf Jahre an- fallsfrei. Patienten mit Läsionen blie- ben in 69 Prozent anfallsfrei. Die Ergebnisse geben Anlaß, vor allem bei Verdacht auf mesiale-temporale Sklerose die Lokalisationshypothese besonders eingehend, das heißt mit hinreichend sensitiven elektrophy- siologischen Anfallsregistrierungen, zu überprüfen. Der Befund des Nachweises einer Hippocampusatro- phie reicht alleine schon deshalb nicht aus, weil Anfälle nicht nur von einer Seite generiert werden können, sondern im Falle einer dualen Patho- logie auch von anderen neokortika- len Regionen. Neokortikale Mikrolä- sionen können dem Nachweis durch das Kernspintomogramm entgehen.

Das Ausmaß eines relevanten An- fallsgenerators kann ausgedehnter sein als der amygdalo-hippocampale Komplex. Die Antiepileptika-Medi- kation kann postoperativ häufig ver- einfacht und reduziert werden. Nach zweijähriger Anfallsfreiheit wird un- ter Berücksichtigung der sozialen Si- tuation des Patienten ein Ausschlei- chen der Medikation angestrebt. Bei Kindern war in etwa 30 Prozent ein Absetzen der Antiepileptika und in weiteren 30 Pozent eine Reduktion möglich, ohne daß es zu einem Rück- fall kam (9). Besondere Vorsicht soll- te unseres Erachtens hinsichtlich des Absetzens der Medikation bei Pati- Tabelle

Operationsverfahren für die Epilepsiechirurgie mit Erfolgsquoten in bezug auf Anfallsfreiheit und Komplikationsquoten

Operationsverfahren anfallsfrei (%) gebessert (%) Komplikations- quote (%) Temporallappen-

resektionen

– antero-mesiale 50–70 20–30 3–10

Standardresektionen

– selektive Amygdalo- 50–70 20–30 3–10

Hippocampektomien

Extratemporale neo- 30–50 30–40 3–10

kortikale Resektionen

Läsionektomien 40–60 10–25 3–10

Hemisphärektomien 70–90 5–15 5–20

Mehrlappenresektionen 40–50 30–40 5–20

Callosotomien 0–10 60–70 5–15

multiple subpiale 20–30 40–50 5–15

Transsektionen

Ergebnisse einer invasiven Elektrostimulation über Subduralplatten bei einer Patientin mit symptomatischer Epilepsie. Da das epileptogene Areal in motorisch und sensibel funktionell wichtigen Hirnregionen liegt, kann keine Resektion vorgenommen werden, sondern es erfolgt eine multiple subpiale Transsektion. Die Anfälle entstehen insbesondere in der Arm- und Handregion.

Anfallsursprungszone und individuelle Kopf-, Arm-, Handrepräsentation

am Rande einer Läsion (grau)

Elektrostimulation

Grafik 2

(6)

enten mit mesialer-temporaler Skle- rose und ausgedehnteren kortika- len Malformationen gelten. Ergän- zend zur postoperativen Kontrolle der Anfälle sind Verlaufsuntersu- chungen hinsichtlich der neuropsy- chologischen Funktionen und der Lebensqualitätseinschätzung wich- tig. 76 Prozent der operierten Patien- ten schätzen ihre Lebensqualität postoperativ besser ein (17). Da hin- reichende Langzeitverlaufsuntersu- chungen über zehn Jahre und mehr bei erwachsenen Patienten noch nicht in ausreichendem Umfang vor- liegen, müssen neben dem Aspekt der Anfallskontrolle auch neuropsy- chologische Einbußen, beispielswei- se des Gedächtnisses beim alternden Gehirn, bedacht werden. Hieraus lei- tet sich die Schlußfolgerung ab, eine möglichst präzise Lokalisation mit individuell zugeschnittenen Operati- onsverfahren zu kombinieren. Ande- re neue Ansätze zur Therapie phar- makoresistenter und epilepsiechirur- gisch nicht behandelbarer Patienten stellen die Vagus-Stimulation (20) und die stereotaktisch geführte Ra- diochirurgie dar (28). Letztere be- darf jedoch noch klinischer An- wendungsbeobachtungen in größerer Fallzahl. Die fokussierte Radiothera- pie stellt heute noch einen Therapie- ansatz dar, der lediglich als ultima ra- tio in Betracht zu ziehen ist und nur von wenigen Zentren in der Welt durchgeführt werden kann.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1998; 95: A-3217–3222 [Heft 50]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Son- derdruck beim Verfasser und über die Inter- netseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift der Verfasser

Prof. Dr. med. Hermann Stefan Neurologische Klinik

Priv.-Doz. Dr. med.

Michael Buchfelder Neurochirurgische Klinik

Zentrum Epilepsie Erlangen (ZEE) Universität Erlangen-Nürnberg Schwabachanlage 6

91054 Erlangen

Kollagen und lymphozytäre Ko- litis werden unter dem Begriff der mikroskopischen Kolitis zusammen- gefaßt, da sich makroskopisch keine pathologischen Befunde in der Dick- darmschleimhaut nachweisen lassen.

Im Vordergrund stehen wäßrige Durchfälle, histologisch findet sich ein breites Band einer subepithelia- len Kollagenablagerung bei nur ge- ringfügiger lymphozytärer Infiltrati- on.

Eine standardisierte Therapie ist derzeit nicht bekannt, diskutiert wird der Einsatz von unspezifischen Anti- diarrhoika, 5-Aminosalicylsäure und Prednison. Die Autoren einer Studie aus der Schweiz berichten über ihre

Erfahrungen bei fünf Patienten, bei denen 9 Milligramm Budesonid zum Einsatz kamen.

Die Diarrhö bestand im Durch- schnitt bereits seit 4,8 Jahren. Bei drei Patienten wurde eine vollständige Remission, bei zwei eine partielle Re- mission unter Budesonid beobachtet, wobei ein Ansprechen nach durch- schnittlich 4,4 Wochen zu registrieren

war. w

Delarive J, Saraga E, Dorta G, Blum A: Budesonide in the treatment of colla- genous colitis. Digestion 1998; 59:

364–366.

Abteilung für Gastroenterologie und He- patologie, Institut für Pathologie, Univer- sitätskrankenhaus Lausanne, Schweiz.

Budesonid zur Behandlung der Kollagenkolitis

Seit der Einführung von Salazo- sulfapyridin durch Nana Swartz in die Behandlung der Colitis ulcerosa sind eine Reihe neuer Substanzen ent- wickelt worden, die im wesentlichen Modifikationen des Wirkmoleküls 5- Aminosalicylsäure darstellen.

Neueste Entwicklung ist das Balsalazide, das unter dem Namen Colazide im nächsten Jahr (1999) in der Bundesrepublik eingeführt wer- den wird und bei dem das 5- Aminosalicylsäure-Molekül mit ei- nem Alaninrest über eine Diazo- brücke verbunden ist. In einer Studie an knapp 100 Patienten wurde die Wirkung von 2,4 g Mesalamin mit

6,75 g Balsalazide verglichen. Dabei erwies sich das Balsalazide der 5- Aminosalicylsäure als signifikant überlegen, was die Remissionsrate und die Zahl der unerwünschten Wirkungen anlangt.

Eine vollständige Remission war nach zwölf Wochen unter Balsalazide in 62 Prozent, unter Mesalamin in 37 Prozent zu verzeichnen. w Green JRB, Lobo AJ, Holdsworth CD et al.: Balsalazide is more effective and better tolerated than Mesalamine in the treatment of acute ulcerative colitis.

Gastroenterology 1998; 114: 15–22.

Gastroenterology units at City General Hospital, Stoke-on-Trent, ST4 6QG, Großbritannien.

Balsalazide besser als

Mesalamin bei der Colitis ulcerosa

Nach Genuß von alkoholischen Getränken wird von vielen Patienten über Sodbrennen geklagt. Untersu- chungen haben ergeben, daß sich durch pH-Metrie zum Beispiel ein verstärkter gastroösophagealer Re- flux bei gesunden Freiwilligen unter der Einnahme von Wodka und Whis- ky nachweisen läßt.

Die Autoren aus München unter- suchten in ihrer Studie bei 20 Pro- banden den Einfluß von 300 ml Weißwein, Rotwein oder Wasser in Verbindung mit einer Standardmahl- zeit.

Nur nach Weißwein ließ sich ein Druckabfall im unteren Ösophagus- sphinkter und eine Zunahme der Re- fluxepisoden nachweisen, während Rotwein und Wasser keine Verände- rungen im Bereich des ösophagokar- dialen Übergangs zeitigten. w Pehl C, Pfeiffer A, Wendl B, Kaess H:

Different effects of white and red wine on lower esophageal sphincter pressure and gastroesophageal reflux. Scand J Ga- stroenterol 1998; 33: 118–122.

Städtisches Krankenhaus München- Bogenhausen, II. Medizinische Abtei- lung, Englschalkinger Straße 77, 81925 München.

Weißwein verstärkt Refluxbeschwerden

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