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Archiv "NS-ZEIT: Alte Denkstruktur" (27.10.1988)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

NS-ZEIT

Zu dem Leserbrief „Zeitge- mäß" von Dr. med. R. Hennig in Heft 40/1988, der sich auf den Bei- trag „Die Ausschaltung" von Prof. Dr. Werner Kümmel in Heft 33/1988 bezog:

Alte Denkstruktur

Der Leserbrief des Kolle- gen hat mich noch mehr ge- troffen, als es der von ihm kritisierte Beitrag von Herrn Prof. Dr. Kümmel über die

„Ausschaltung' t der jüdi- schen Ärzte im Dritten Reich bereits getan hat.

So vollzieht der Kollege Hennig weiterhin zwischen

„Deutschen" und „Juden"

eine Abgrenzung mit negati- ven Vorzeichen. Er beklagt die Tatsache, daß man nach dem 1. Weltkrieg viele Medi- zinstudienplätze an der Uni- versität Halle an jüdische Kommilitonen vergeben hät- te. Zur „auffallend häufige (n) Hinwendung von Juden zu den freien Berufen wie dem der Medizin" mutmaßt er,

„daß ein verständlicher so- zialer Ehrgeiz hierfür nicht allein ursächlich war". Pole- misch fällt mir dazu ein: Will der Kollege Hennig damit an- deuten, daß die jüdischen Ärzte etwa wie ihre „ah- schen" Kollegen dann und wann auch ans Geld gedacht haben?

Über die Verbrechen an jüdischen Ärzten in Deutsch- land zur Zeit des Dritten Rei- ches liest er im Ärzteblatt nicht gerne. Es handele sich um ein „überstrapaziertes Thema", und ihn würden

„die Folgeereignisse ab 1945 erheblich mehr interessie- ren". Da scheint es eher um den Versuch einer Verdrän- gung zu gehen, letztlich — wie sich noch zeigen wird — um ein Nicht-wahrhaben-Wollen der Verbrechen mit Hilfe ei- ner Opfer-Täter-Umkehr als Ausdruck eines nicht-reflek- tierenden Geschichtsver- ständnisses. Der „speziell deutsche Antisemitismus"

sei „wohl erst durch das Ver- sailler Friedensdiktat richtig ausgelöst" worden, „was die Alliierten zu Mittätern stem-

pelt" , so wird behauptet.

Das erweckt den Gedanken an eine Aufgezwungenheit von außen, eine Verursa- chung des Antisemitismus durch die späteren Sieger- mächte.

Als habe das nationalso- zialistische Deutschland nicht zielgerichtet den 2. Weltkrieg durch Überfälle auf seine Nachbarländer zur Ausbrei- tung seiner faschistischen Herrschaftsstrukturen begon- nen, spricht Herr Dr. Hennig davon, daß „das Unglück ei- nes verlorenen Krieges mit aller Bitterkeit und allem Entsetzen ein zweites Mal über uns hereingebrochen"

sei.

Beklagt werden anstelle der Opfer nationalsozialisti- scher Arzte die Kollegenexi- stenzen, die „dem Rache- feldzug unter dem Titel einer entwürdigenden ‚Entnazifi- zierung' oder eines erbärm- lichen Denunziantentumes zum Opfer fielen" , Vorgänge (Entwürdigung, Denunzie- ren), die aber eher in die Zeit des Dritten Reiches als da- nach gehören.

Was in der Nachkriegszeit an „fähigen und integeren ärztlichen Persönlichkeiten ernsthaft geschädigt wurde und wieviele Existenzen ver- nichtet wurden, wäre wahr- lich ein Teil unbewältiger Vergangenheit" , heißt es zu- letzt. In diesem Punkt stim- me ich dem Verfasser zu.

Tatsächlich gehört es zu un- serer unbewältigten Vergan- genheit, daß die ärztlichen Täter von damals, zu denken ist zum Beispiel an die Gut- achter und Tötungsärzte der

Anonym

Die Redaktion ver- öffentlicht keine ihr anonym zugehenden Zuschriften. In beson- deren Fällen können Briefe ohne Namens- nennung publiziert werden — aber nur dann, wenn intern be- kannt ist, wer geschrie- ben hat. DA

NS- „Euthanasiemaßnah- men" , in der neugegründe- ten Bundesrepublik vielfach fast ungeschoren davonka- men und weiterpraktizieren durften. Angemessen verur- teilt wurden die wenigsten.

Diese Zeilen möchte ich nicht als Verurteilung eines in der Zeit des Dritten Rei- ches geborenen und sicher- lich geprägten Menschen ver- standen wissen, sondern als Hinweis auf die Notwendig- keit der Beschäftigung mit der Vergangenheit, ein The- ma, das scheinbar noch nicht genug strapaziert worden ist.

Es geht beim Thema „NS- Gesundheitspolitik" um das Aufzeigen von Kontinuitäten im ärztlichen Denken und Handeln vor, während und nach dem Dritten Reich, um durch ein Verständnis des Vergangenen jetzige ärzt- liche Handlungsweisen re- flektieren zu können .. .

Dr. med. Thorsten Sueße, Psychiatrische Poliklinik 11 der Medizinischen Hochschu- le Hannover, Walderseestr.

1, 3000 Hannover 1

HAUSMITTEL

Zum Kurzbericht „Sparen durch Hausmittel?" von Dr. Kurt Weidner in Heft 33/1988:

Möglichkeit nutzen

Durch die Entdeckung von chemisch hochwirksa- men Pharmaka wurden dem Arzt des 20. Jahrhunderts ei- ne Reihe von neuartigen Me- dikamenten an die Hand ge- geben, durch deren Einsatz die seit Jahrtausenden beste- henden natürlichen Heilwei- sen in Vergessenheit gerie- ten. Die brüske Ausgrenzung der Naturheilkunde durch die Schulmedizin in den zwanzi- ger Jahren unseres Jahrhun- derts führte denn auch zu ei- nem veränderten ärztlichen Selbstverständnis, das sich trotz einer leichten Renais- sance der Naturmedizin in den letzten Jahrzehnten im wesentlichen nicht geändert hat. So kommt denn auch dem Wort von Hufeland:

„Natura sanat, medicus curat morbus" , sowie dem Begriff des „Conservator naturae"

des Paracelsus in Zeiten hochtechnisierter Medizin ei- ne eher geringe Bedeutung zu.

Leider werden auch heute noch natürliche Heilweisen oftmals als modischer Schnickschnack abgetan, und in der Tat stellt der Griff zum Rezeptblock bei Vorliegen einer sogenannten Bagatell- erkrankung eine häufig geüb- te Praxis dar. Dies ist deshalb bedauerlich, weil anerkannte klassische Naturheilverfah- ren durchaus ihren Stellen- wert in der ärztlichen Praxis haben und aus kurativer und vor allem präventiver Sicht sinnvoll erscheinen; denn die Vermeidung unerwünschter arzneimittelinduzierter Wir- kungen mit ihren negativen Folgen für den Patienten so- wie eine mögliche Entlastung der wirtschaftlich überforder- ten Krankenkassen wären ja gerade auch ein Resultat sinnvoll angewandter Natur- heilweisen.

Allerdings: Die Schwie- rigkeit, natürliche Heilver- fahren ihrem hohen Stellen- wert nach regelhaft in den ärztlichen Praxisalltag zu in- tegrieren, liegt ja auch darin, dem Patienten eine echte Mitverantwortung an seiner Gesundung zu übertragen, ihm also aus seiner eher pas- siv-reaktiven Rolle heraus zu helfen; denn wie keine ande- re Behandlungsmaßnahme verlangt gerade die natür- liche Heilweise die innere Bereitschaft des Erkrankten, an seiner Genesung aktiv mitzuwirken, was häufig ge- nug ohne Aufbringung gro- ßer Disziplin und Meiden von schädlichen Lebensgewohn- heiten gar nicht zu leisten ist.

Das wachsende allgemei- ne Interesse weiter Bevölke- rungskreise eröffnet uns Ärz- ten die Möglichkeit einer breiten Anwendung sog.

klassischer Naturheilverfah- ren. Sie sollte genutzt wer- den!

Dr. med. Ronald Schmidt, Sierichstraße 96, 2000 Hamburg

A-2950 (10) Dt. Ärztebl. 85, Heft 43, 27. Oktober 1988

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