A3472 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 51–52⏐⏐25. Dezember 2006
B R I E F E
EXZELLENZWETTBEWERB
Beim Wettbewerb um das beste For- schungsangebot stand fest: Der wah- re Gewinner ist die Wissenschaft (DÄ 43/2006: „And the winner is . . . die Wissenschaft“ von Timo Blöß).
Scheinwettbewerb
Die Entscheidung der Exzellenzin- itiative am 13. Oktober 2006 kann nicht unkritisch als Sieg der Wissen- schaft gefeiert werden. Da die Deut- sche Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Wissenschaftsrat jahrelang im Vorfeld des Wettbewerbs durch die Zuweisung von Fördergeldern und den verordneten Strukturwandel von Fakultäten über das Wohl und Wehe einer Universität entscheiden, hinterher aber auch selbst bestimmen, wer der Sieger ist, ist die Exzellenz- initiative eine Nebelkerze für die Massenmedien. Die Führungsspitze der DFG kann selbst ausgewachsene Universitäten am ausgestreckten Arm verhungern lassen, so es ihr gefällt.
Sportlicher Wettbewerb ist zwar eine feine Sache, weil er Impulse setzen kann. So hat z. B. der BioRegio- Wettbewerb des damaligen Bundes- forschungsministers Jürgen Rüttgers durchaus positive Entwicklungen in Gang gesetzt. Selbst beim Schein- wettbewerb der Exzellenzinitiative könnte als positive Wirkung resultie- ren, dass das Biotech-Cluster um München gegen die starke weltweite Konkurrenz langfristig überlebens- fähig bleibt. Nur sollte der Wettbe- werb auch dauerhaft sinnvoll struktu- riert werden. In mehrfacher Hinsicht verstetigt die Exzellenzinitiative aber
eine Entwicklung, die ihre schädliche Wirkung auf die deutsche Forschung und Deutschland selbst vertiefen wird. Die Organe der deutschen Wis- senschaftspolitik haben die politische Entwicklung Deutschlands seit dem Kaiserreich nicht in ausreichender Weise mit vollzogen. Die DFG ver- eint seit jeher wissenschaftliche Le- gislative, Exekutive und Judikative in ihrer Spitze und ist damit eine in ih- rem Wesen antidemokratische Insti- tution. Analog fehlen auch innerhalb des noch jungen European Research Council (ERC) sportlicher Wettbe- werb und Gewaltenteilung . . . Die athenische Verfassung des Kleisthe- nes aus dem sechsten vorchristlichen Jahrhundert könnte einige wertvolle Anregungen zur Verbesserung des ganzen Schlamassels sowohl der deutschen Wissenschaftspolitik als auch der EU-Administration bieten.
Priv.-Doz. Dr. med. Hans Helmut Niller, Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene, Universität Regensburg, Forschungszentrum, Landshuter Straße 22, 93047 Regensburg
KLINISCHE FORSCHUNG
Randomisierte kon- trollierte Studien sind allein keine ausreichende Basis für die Nutzenbe- wertung von Verfah- ren in der Routine- versorgung (DÄ 39/2006: „Pragmatische Ansätze erforderlich“ von Prof. Dr. med.
Stefan N. Willich).
Missverständnis
Willich spricht sich dafür aus, die klinische Prüfung von Arzneimitteln, in Form des kontrollierten klinischen Versuchs nach der Markteinführung
zu ergänzen durch sogenannte Ver- sorgungsstudien. Das entspricht der alten Forderung der klinischen Phar- makologie. Solche Studien können zeigen, wie wirksam und sicher ein Arzneimittel unter den Bedingungen der Praxis wirklich ist. Diese Phase IV der klinischen Prüfung dient auch der Erfassung und Abwägung des mit der Anwendung des Arzneimit- tels verbundenen Risikos. Sie kann zu einer Neubewertung des thera- peutischen Nutzens oder zu Verän- derungen der Indikation führen . . . Nicht zustimmen kann man Willich hinsichtlich der Untersuchungsziele.
Er ordnet Wirksamkeit der randomi- sierten kontrollierten Studie zu und meint, Versorgungsstudien, d. h. die Phase IV der klinischen Prüfung un- tersuche Wirkungen. Das ist im bes- ten Fall ein Missverständnis. In der klinischen Pharmakologie sind die Begriffe Wirkung und Wirksamkeit eindeutig definiert. Sie werden so auch seit 1976 im Arzneimittelgesetz und in dessen offiziellen Begründung verwendet. Wirksamkeit umfasst da- nach alle therapeutisch erwünschten oder angestrebten Wirkungen. Ein- zelne Wirkungen kann man sehen, messen, fühlen oder auf andere Wei- se wahrnehmen. Wirksamkeit ist demgegenüber ein wertender Be- griff: Einzelne Wirkungen werden bewertet am gewünschten therapeu- tischen Ziel und an dem Maß, in dem dieses erreicht wird. In Versor- gungsstudien der Phase IV werden somit nicht Wirkungen untersucht, sondern Wirksamkeit und therapeu- tischer Nutzen unter Bedingungen der Praxis und Art, Schwere und Häufigkeit von unerwünschten Wir- kungen.
Prof. Dr. Georges Fülgraff,Sybelstraße 6, 10629 Berlin