• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Ärzte und Pharmareferenten: Zur Dynamik eines Verhältnisses" (06.02.2009)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Ärzte und Pharmareferenten: Zur Dynamik eines Verhältnisses" (06.02.2009)"

Copied!
1
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

A234 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 6⏐⏐6. Februar 2009

T H E M E N D E R Z E I T

D

as US-amerikanische „Journal of General Internal Medicine“

veröffentlichte im Februar 2007 eine Untersuchung zur Beziehungsdynamik zwischen Arzt und Pharmareferent. Die Autoren der New Yorker Columbia-Uni- versität und der Harvard Medical School werteten die Protokolle von sechs mode- rierten Gruppengesprächen aus, an de- nen insgesamt 37 Haus- und Fachärzte teilgenommen hatten. Thema waren die

„Interaktionen zwischen Ärzten und der

pharmazeutischen Industrie“. Die Ge- spräche fanden in San Diego, Atlanta und Chicago statt. Ziel war es, heraus- zufinden, welche Techniken Ärzte an- wenden, um den Interessenkonflikt zwischen Werbung und Patientenwohl – der ihnen in aller Regel bewusst ist – und die sich daraus ergebenden kogni- tiven Widersprüche zu lösen.

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Ärzte sich angesichts solcher In- konsistenzen psychologischer Mecha- nismen bedienen, die aus der Theorie der kognitiven Distanz bekannt sind.

Danach legen Menschen Wert darauf, dass ihre Überzeugungen miteinander übereinstimmen. Widersprechen sie sich, erleben sie das als Unbehagen und versuchen, die Dissonanzen zu lö- sen. Am stärksten ist das Unbehagen dann, wenn die Dissonanz das Selbst- bild betrifft.

In ihren Gesprächen mit Arzneimittel- vertretern werden Ärzte mit solchen Dis- sonanzen konfrontiert. Sie bewerten im Allgemeinen den Kontakt mit Arzneimit- telvertretern als informativ und profes- sionell angemessen. Sie wissen aber auch, dass die Informationen der Phar- mareferenten dazu dienen, ihr Ver- schreibungsverhalten zu beeinflussen.

Den Ärzten ist bewusst, dass dies ihre Objektivität beeinträchtigen kann. Inter- essant dabei ist, dass die meisten Ärzte

zwar glauben, ihre Kollegen unterlägen dem Einfluss der Pharmaindustrie, sich selbst jedoch für unbeeinflussbar halten.

Widersprüche zeigen sich auch in der Haltung zu Geschenken der Pharmain- dustrie. Die meisten Ärzte akzeptieren sie, wollen jedoch nicht, dass dies öf- fentlich bekannt wird. Sie räumen außerdem ein, dass Geschenke die Un- abhängigkeit beeinflussen können.

Da solche Widersprüche das Selbstbild des Arztes als altruistischer

Helfer untergraben, sind Ärzte stark motiviert, diese Dissonanz zu lösen.

Wie tun sie das?

Die Gesprächsteilnehmer reagierten auf die Widersprüche, indem sie die In- teressenkonflikte leugneten („Darüber wird nicht groß geredet.“), es vermie- den, die Verantwortung zu übernehmen („Bei jeder Entscheidung für oder gegen eine Untersuchung gibt es Interessen- konflikte.“), den Nutzen herausstellten („Die Pharmareferenten berichten nur über ihre Produkte, und man lernt da- durch.“) und Einflussnahmen herunter- spielten („Ich verordne nur die Medika- mente, die für den Patienten am besten sind.“). Selbst wenn Ärzte einräumten, dass ihre Beziehung zu Pharmareferen- ten ihr Verschreibungsverhalten beein- flusst, betonten sie, dass sich das nicht negativ auf ihre Patienten auswirke.

Konfrontiert mit den Ergebnissen ei- ner Studie über die Auswirkungen der Kontakte zu Pharmareferenten, von in- dustriegesponserten Fortbildungsver- anstaltungen (cme) sowie der Annah- me von Reise- und Unterbringungskos- ten auf das Verschreibungsverhalten, akzeptierten einige Ärzte die Ergebnis- se spontan und berichteten, wie andere Ärzte dadurch beeinflusst würden. Ins- gesamt wurden die Ergebnisse jedoch bezweifelt und anders interpretiert und damit die Folgen bagatellisiert.

Angesichts der Techniken von Ärz- ten, mit kognitiven Dissonanzen umzu- gehen, erscheint den Autoren der US- amerikanischen Studie allein ein Verbot der Kontakte zwischen Ärzten und Pharmareferenten Erfolg versprechend.

„Es wäre besser, wenn die Ärzte selbst aufgrund der Prinzipien ihres Berufs- standes die Kontakte mit Pharmaver- tretern einschränkten oder ganz ein- stellten. Unsere Ergebnisse legen je- doch nahe, dass dies unwahrscheinlich

ist.“ Umso wahrscheinlicher werde es daher, dass diese Beziehung von außen reguliert werden müsse.

Die Art und Weise, wie Ärztinnen und Ärzte in Deutschland mit solchen Interessenkonflikten umgehen, dürfte sich nicht grundsätzlich von denen ih- rer US-Kollegen unterscheiden. Nach einer Untersuchung des Instituts für evidenzbasierte Medizin in Köln sind 94 Prozent des Informationsmaterials, das Pharmareferenten Ärzten in ihren Pra- xen aushändigen, irrelevant, einseitig oder falsch, oder es stützt sich nicht auf valide und nachvollziehbare wis- senschaftliche Evidenz. Die Orientie- rung an Informationen der Pharmarefe- renten ist somit der falsche Weg zu ei- ner rationalen Arzneimitteltherapie.

Eine Positivliste für Arzneimittel, die Information durch unabhängige Arznei- mittelzeitschriften oder unabhängige Pharmareferenten, wie die Kassenärztli- che Vereinigung Bayerns sie probeweise eingesetzt hat, sowie die Zulassung nur solcher „Innovationen“, die einen signifi- kanten Vorteil gegenüber der herkömm- lichen Therapie haben, sind geeignetere Wege zu einer angemessenen Produkt- information. Das wissen vermutlich die meisten Kollegen. Die Studie aus den USA erhellt jedoch, warum wir als Ärzte wider alle Evidenz so an dieser „Mesal-

liance“ festhalten. n

KOMMENTAR

Dr. med. Dieter Lehmkuhl, IPPNW Berlin

ÄRZTE UND PHARMAREFERENTEN

Zur Dynamik eines Verhältnisses

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Einer Umfrage des Berufs- verbandes der Arzt-, Zahn- arzt- und Tierarzthelferinnen (BdA) zufolge hat sich die Beschäftigtenstruktur in den Arztpraxen „alarmierend ent- wickelt“:

Ein Fall für Mitchell & Markby, aus dem Eng- lischen von Edith Walter, Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Glad- bach, 1997, 384 Seiten, gebunden, mit Schutzumschlag, 36 DM.. Die

„Aber ein Kollege mit Kassenzulassung kann sich nicht so viel Zeit für den einzelnen Patienten nehmen“ – weil es nicht be- zahlt wird..

Die Bundesärztekammer kommentiert: " Wenn für den Arzt die Möglichkeit, im einzel- nen Behandlungsfall ein höhe- res Honorar innerhalb des Ge- bührenrahmens zu

Ich kann aber aus meinen Erfahrungen in dem begrenzten Gebiet der Unfallchirurgie beob- achten, daß die Qualität der Arbeiten derjenigen Kliniken, die dem Kontroll- verfahren

Nachdem er sich selbst röntgendurchleuch- tete, was er mit Hilfe eines gro- ßen Spiegels zuwege brachte, und nach Durchforschen ein- schlägiger Literatur, kam er auf einen

Sie befaßt sich auch mit dem vermuteten Wirkmecha- nismus des Lecithins auf die Gedächtnisleistung: Ein Teil des Lecithins wird vor der Resorption in Cholin, Linol- säure

Darüber hinaus werde die freie Arztwahl der Patienten untergraben, wenn ein priva- ter Arztsuchdienst nur an die Ärzte verweise, die sich gegen Entgelt in eine