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Archiv "Ost-West-Vergleich: Die „Gesundheitsmauer“ besteht weiter" (09.03.2001)

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T H E M E N D E R Z E I T

A

A590 Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 10½½9. März 2001

W

er in Ostdeutschland lebt, muss früher sterben“, titelte kürzlich ein Massenblatt. Grundlage für diese zugespitzte Aussage war eine Stu- die des Zentralinstituts für die kas- senärztliche Versorgung (ZI), Köln:

„Gesundheitszustand und ambulante medizinische Versorgung der Bevölke- rung im Ost-West-Vergleich.“*

Zehn Jahre nach der Wiedervereini- gung werden immer noch erhebliche Unterschiede in der Mor-

bidität und der Mortali- tät der Bevölkerung in Ost- und Westdeutsch- land festgestellt. Dabei war es Ziel des Eini- gungsvertrages, politi- sche, wirtschaftliche, ge- sellschaftliche und soziale Verhältnisse in den neuen Bundesländern herzu- stellen, die mit denen in den alten Bundesländern vergleichbar sind. Dazu gehört auch die gesund- heitliche Versorgung der Bevölkerung.

Trotz einer spürbaren Verbesserung der Ge-

sundheitsversorgung in den neuen Bun- desländern seit 1989 ist eine vollkomme- ne Angleichung an das Westniveau bis- her nicht erreicht worden. Die Lebens- erwartung bei Männern in Ostdeutsch- land ist um 2,3 Jahre und bei Frauen um 1,2 Jahre geringer als im Westen. Über alle Todesursachen gerechnet (1997),

liegt die Sterberate im Osten immer noch um 11,4 Prozent höher als in West- deutschland. Besonders auffallend ist dies bei der Todesursache Nummer eins, den Kreislauferkrankungen, mit einer 24,1 Prozent höheren Mortalität im Osten. Auch die Sterblichkeit bei Verlet- zungen und Vergiftungen sowie bei Krankheiten der Verdauungsorgane und endokrinologischen Störungen ist im Osten höher (Grafik 1).

In Europa liegt die durchschnittliche Lebenserwartung heute weit über dem 70. Lebensjahr. Die Mitgliedsländer der OECD und der Weltgesundheitsorga- nisation haben sich deshalb darauf ver- ständigt, Sterbefälle unter 70 Jahren als

„vorzeitig“ zu werten und mit dem In- dikator „verlorene Lebensjahre“ je 100 000 Einwohner zu berechnen. Be- sonders hohe Abweichungen bei den verlorenen Lebensjahren haben Män- ner im Osten durch Kfz-Unfälle (+ 85,9 Prozent), ischämische Herzkrankheiten (+42,0 Prozent), alkoholbedingte Sterb- lichkeit (+158,2 Prozent), chronische

Lebererkrankungen (+141,4 Prozent), akuten Myocard-Infarkt (+46,2 Pro- zent), Selbstmord (+23,6 Prozent). Bei Frauen sind die Ausprägungen der ver- lorenen Lebensjahre ähnlich höher als im Westen.

Die Mortalität bei Schlaganfällen hat sich in Ostdeutschland ebenso wie im Westen seit 1991 zwar erheblich verbes- sert, sie liegt im Osten aber bei Männern als auch bei Frauen immer noch deutlich über dem West-Niveau. Mit 169 Per- sonen je 100 000 Einwohner starben 1991 im Osten rund 58 Prozent mehr Menschen durch Schlaganfälle als im Westen. Bis 1997 hat sich der Ost-West- Niveau-Unterschied zwar von rund 58 Prozent auf rund 44 Prozent verringert.

Der Unterschied zum Westen ist jedoch noch erheblich.

Es überrascht nicht, wenn die Zufrie- denheit mit dem Gesundheitszustand im Osten im Vergleich zum Westen bei Umfragen zur Lebensqualität deutlich schlechter ausfällt. Zufriedenheit wird dabei gemessen an den Indikatoren Ar- beitssituation, Wohnung und Wohnge- biet, finanzielle Lage, Freizeit, Bezie- hung zu Freunden sowie zur Gesundheit.

Im Osten: Höhere Hypertonieprävalenz

Es ist bekannt, dass die Höhe des Blut- drucks in einer Bevölkerung mit der Prävalenz von kardiovaskulären und zerebrovaskulären Krankheiten korre- liert. Hypertonie ist ein wesentlicher Risikofaktor für Schlaganfall, Herzin- farkt, Herz- und Niereninsuffizienz und periphere arterielle Verschlusskrank- heiten. Zwar ist die Hypertoniepräva- lenz der ostdeutschen Männer von 41,8 Prozent (1990) auf 35,9 Prozent (1998)

Ost-West-Vergleich

Die „Gesundheitsmauer“

besteht weiter

Versorgungsungleichgewicht in Ostdeutschland durch höhere Morbidität und niedrigeren Ressourceneinsatz Gerhard Brenner

* Gerhard Brenner, Lutz Altenhofen, Wolfgang Bogumil et al.: Gesundheitszustand und ambulante medizinische Versorgung der Bevölkerung im Ost-West-Vergleich, her- ausgegeben vom Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland, Wissen- schaftliche Reihe, Band 56, Deutscher Ärzte-Verlag GmbH, Köln, Dezember 2000, 110 Seiten, 49,80 DM

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erheblich gesunken, wohingegen diese im Westen im gleichen Zeitraum von 24,9 Prozent auf 28,6 Prozent gestiegen ist. Die Hypertonieprävalenz in den neuen Bundesländern ist aber immer noch um 25 Prozent höher als im We- sten. Übergewicht und Rauchen zählen zu den klassischen Risikofaktoren. Die- se sind im Osten deutlich stärker ausge- prägt als in Westdeutschland.

Betrachtet man die behandelten Pati- enten in ausgewählten großen Krank- heitsgruppen, wie zum Beispiel Hyper- tonie, chronisch-ischämische Herz- krankheit und Diabetes im Ost-West- Vergleich, so zeigt sich in Allgemein- arztpraxen ein erheblich höherer Anteil der behandelten Patienten mit diesen Diagnosen. 26,5 Prozent aller ostdeut- schen Patienten in Allgemeinarztpra- xen werden wegen Hypertonie be- handelt. Im Westen sind dies 19,5 Pro- zent. Mit chronisch-ischämischer Herz- krankheit werden in ostdeutschen All- gemeinarztpraxen 13,7 Prozent der Pati- enten behandelt, im Westen 7,2 Prozent und mit Diabetes mellitus im Osten 8,2 Prozent, im Westen 4 Prozent.

Entsprechend höher ist der Arznei- mittelverbrauch, gemessen in Tagesdo- sen je Versicherten, bei den für Hyper- tonie und ischämische Herzkrankheiten relevanten Arzneimittelgruppen, wie Koronarmittel, Betablocker, Kalzium- Antagonisten, ACE-Hemmer, Antihy- pertonika und Kardiaka. Der Ver- brauch von Tagesdosen je Versicherten bei diesen Indikationsgruppen ist im Osten um 28 Prozent höher als im We- sten. Bei Antidiabetika werden 44 Pro- zent mehr Tagesdosen je Versicherten eingesetzt als im Westen. Der höhere Arzneimittelverbrauch korreliert mit

der höheren Morbidität in diesen Krankheitsgruppen. Dieser Sachverhalt sollte in der Aufstellung von Arzneimit- telbudgets berücksichtigt werden.

Krankenhaus: Deutlicher Anpassungsprozess

Die Zahl der Krankenhausfälle liegt, bezogen auf die Einwohner im Osten, nur noch geringfügig unter dem West- niveau. Im Krankenhaus hat ein deutli- cher Anpassungsprozess stattgefunden.

Allerdings zeigt sich in den neuen Bun- desländern zwischen 1993 und 1997 ein wesentlich stärkerer Zuwachs der Krankenhausfälle von 16,3 Prozent als im Westen mit 9,6 Prozent. Dieses

Wachstum der Krankenhausfälle geht darauf zurück, dass eine relativ enge Beziehung zwischen der Morbidität im ambulanten Bereich und der Behand- lung im Krankenhaus besteht. Aller- dings ist zu beobachten, dass die Ver- weildauer im Krankenhaus im Osten im gleichen Zeitraum stärker zurückge- gangen ist als im Westen. Dies bedeutet einen schnelleren „Patientendurchsatz“

in ostdeutschen Krankenhäusern und damit eine frühere Entlassung in die ambulante Versorgung mit der Folge, dass dort Leistungen durch den Verla- gerungseffekt induziert werden. Bei- spielsweise sind im Zeitverlauf 1993 bis 1997 ostdeutsche Patienten mit Kreis- lauferkrankungen um durchschnittlich 1,6 Tage weniger im Krankenhaus be- handelt worden als im Westen.

Ein deutlicher Indikator sowohl für die kurative als auch für die präventive Behandlung von ischämischen Herzer- krankungen sind die Krankenhausfälle, bei denen eine Operation wegen dieser Diagnose durchgeführt wurde. Ein Großteil der Operationen bei ischämi- schen Herzerkrankungen entfällt auf Bypass-Operationen und Dilatationen bei Herzinfarkt oder zur Beseitigung ei- ner Stenose zur Vermeidung eines Herzinfarkts.

Aufgrund der höheren ambulanten Behandlungsmorbidität bei chronisch ischämischen Herzerkrankungen der ostdeutschen Bevölkerung würde man eine höhere Krankenhausmorbidität in Ostdeutschland erwarten. Dies ist aber nicht der Fall. Die Zahl der Kranken- hausfälle je 10 000 Einwohner sind in Ost- und Westdeutschland mit 99,5 be- ziehungsweise 99,0 Fällen nahezu iden- tisch. Von den Krankenhausfällen mit ischämischen Herzerkrankungen wer-

den in Ostdeutschland aber 20,2 Patien- ten je 10 000 Einwohner operiert, im We- sten sind dies 28,3 (Grafik 2). Trotz höhe- rer Morbidität bei Herzinfarkten ist die Operationsrate bei ischämischen Herz- krankheiten in Ostdeutschland noch um 30 Prozent niedriger als in Westdeutsch- land. Hier zeigen sich möglicherweise im stationären als auch im ambulanten Be- reich noch Kapazitätsengpässe wegen T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 10½½9. März 2001 AA591

Grafik 2

Operationsfälle im Krankenhaus je 10 000 Einwohner bei Patienten mit ischämischen Herzkrankheiten (1993 und 1997)

30 ————————————————————————————

20 ————————————————————————————

10 ————————————————————————————

0 ————————————————————————————

1993 1997 Jahr

Quelle: Krankenhausdiagnosestatistik 1993 und 1997, Bevölkerungsstatistik 1993 und 1997 (StBA)

je 10000 Einwohner

6,9 3,2

28,3 20,2 Ost West (einschließlich Ost-Berlin)

Grafik 1

Abweichung der Oststerblichkeit in Prozent vom Westen je 100 000 Einwohner bei den wichtigsten Todesursachen (1997)

Quelle: Todesursachenstatistik 1997 (Statistisches Bundesamt) Kreislauferkrankungen

Neubildungen Krankheiten der Atmungsorgane Verletzungen, Vergiftungen Krankheiten der Verdauungsorgane Endokrinopathien sonstige Krankheiten insgesamt

24,1 – 0,5

–16,9

43,0 34,1 21,3 –27,6

11,4 Abweichung Ost zu West in Prozent

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des geringeren Ressourceneinsatzes in Ostdeutschland. Es ist aber festzustellen, dass die Operationshäufigkeit im Zeit- vergleich 1993 bis 1997 durch den Aus- bau der Herzzentren sowohl in West- deutschland (+310 Prozent) als auch in Ostdeutschland (+530 Prozent) erheb- lich zugenommen hat. Trotz der Niveau- verbesserung aber scheinen kurative oder präventive Eingriffe im Osten bei ischämischen Herzerkrankungen noch seltener zu sein als im Westen.

Auch die seit Jahren sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland durchge- führten Früherkennungsuntersuchun- gen auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Stoffwechselerkrankungen zeigen sowohl bei Männern als auch bei Frau- en einen wesentlich höheren Anteil behandlungsbedürftiger Diagnosen bei den relevanten Krankheitsgruppen Dia- betes mellitus, koronare Herzkrank- heit, Hypertonie und Hyperlipidämie.

Versorgungsindikatoren

Vor dem Hintergrund dieser Morbi- ditäts- und Mortalitätsunterschiede gibt der Blick auf die wesentlichen Versor- gungsindikatoren Anlass zur Besorgnis.

Die „Arztdichte“ ist im Osten deutlich geringer. Im Osten versorgt ein Arzt 340 Einwohner, wohingegen es im Westen lediglich 282 sind. Eine Unterbesetzung mit Pflegepersonal im Krankenhaus und mit Assistenzpersonal in Arztpra- xen zeigt sich im Osten. Das Gefälle im personellen Ressourceneinsatz ist vor dem Hintergrund der Zahl fast gleicher Krankenhausfälle und ambulant behan- delter Patienten auffallend. Dies bedeu- tet: Im Osten muss ein gleiches mengen- mäßiges Ergebnis mit erheblich weniger Personaleinsatz erbracht werden. Diese Situation geht bezogen auf den Zeitein- satz zulasten des Patienten und ist vor dem Hintergrund tendenziell höherer Morbidität im Osten unter Qualitätsge- sichtspunkten nicht unproblematisch.

In der ambulanten ärztlichen Versor- gung betreut ein Arzt im Osten durch- schnittlich 742 GKV-Versicherte, wo- hingegen es im Westen nur 643 sind.

Der ostdeutsche Vertragsarzt betreut damit 15,5 Prozent GKV-Versicherte mehr als sein westdeutscher Kollege.

Dies bedeutet, dass bei gleicher Betreu-

ungszeit je Patient in Ost und West der ärztliche Zeiteinsatz im Osten höher ist.

In ostdeutschen Praxen entfallen auch weniger Praxismitarbeiter je GKV-Ver- sicherten. Eine Praxismitarbeiterin im Osten betreut 206 GKV-Versicherte, im Westen 164 Versicherte, das heißt: 25,5 Prozent mehr Patienten müssen durch das Praxispersonal betreut werden.

Eine vom Zentralinstitut vorgenom- mene Berechnung aus Betreuungszeit durch Arzt und Praxismitarbeiter je GKV-Versicherten zeigt, dass in West- deutschland 11,2 Arzt- und Praxisperso- nalstunden jährlich auf den GKV-Versi- cherten entfallen, im Osten sind dies nur 9,3 Stunden, das heißt, der Zeiteinsatz in ostdeutschen Praxen je GKV-Versicher- ten ist um circa 18 Prozent niedriger als im Westen. Es korreliert damit auf-

fallend das Volumen der ärztlichen Lei- stungen im Osten, das um rund 10,5 Pro- zent niedriger ist als im Westen (Gra- fik 3). Der niedergelassene Arzt im Osten betreut in seiner Praxis zwar 15 Prozent mehr Patienten, aber er erhält dafür 13 Prozent weniger Honorar.

Es ist festzustellen, dass die Anpas- sung des Ressourceneinsatzes an den Westen, ausgedrückt in GKV-Aufwen- dungen je Versicherten, im Kranken- haus in den vergangenen Jahren stärker stattgefunden hat als in der Arztpraxis.

Zum Beispiel betrugen die Ausgaben je GKV-Versicherten für das Krankenhaus im Jahr 1991 im Osten 63,9 Prozent des Westniveaus. Im Jahr 1997 waren bereits 97,4 Prozent erreicht. Die Vergleichszahl dazu für die ambulante ärztliche Be- handlung je GKV-Versicherten betrug 1991 im Osten 49,1 Prozent des West- niveaus; im Jahr 1997 waren aber erst

77,8 Prozent erreicht. Das Ziel der Ni- veauangleichung im Krankenhaus wur- de in Ostdeutschland wesentlich schnel- ler erreicht als in der ambulanten Ver- sorgung. Von daher besteht im ambulan- ten Bereich weiterhin noch ein erhebli- cher Nachholbedarf, und zwar sowohl im Vergleich zum Krankenhaussektor in Ostdeutschland als auch zur ambulanten Versorgung im Westen.

Honorardrift

Wegen der im Vergleich zum Westen niedrigeren Honorare im Osten können ostdeutsche Arztpraxen, obwohl sie in den letzten Jahren erheblich investiert haben, immer noch nicht mit ihren Be- triebsausgaben den Ressourceneinsatz

des Westens erreichen. Im Durchschnitt setzten ostdeutsche Arztpraxen 17,4 Prozent weniger Ressourcen bezie- hungsweise rund 45 000 DM weniger Kosten je Jahr ein. Die Kosten je Ab- rechnungsfall sind im Osten wegen der höheren Fallzahl der Praxis sogar um 28,1 Prozent niedriger.

Eine Erhöhung des Ressourcenein- satzes in ostdeutschen Praxen ist drin- gend erforderlich, einerseits um den ostdeutschen GKV-Versicherten die Betreuungsintensität und den Lei- stungsumfang zukommen zu lassen wie den westdeutschen GKV-Versicherten, andererseits um die im Osten bestehen- den Morbiditätsunterschiede auszuglei- chen. Wenn niedergelassene Ärzte im Osten zu Recht eine Angleichung ihrer Honorare an das Westniveau fordern, so dies nicht in erster Linie, um mehr persönliches Einkommen zu erzielen, T H E M E N D E R Z E I T

A

A592 Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 10½½9. März 2001

Grafik 3

Indikatoren für die Inanspruchnahme ambulanter vertragsärzt- licher Leistungen je Vertragsarzt (1997)

Quelle: Abrechnungsstatistik ASTOR (KBV, 1997) Abrechnungsfälle

abgerechneter Leistungsbedarf in DM

KV-Honorar in DM

15,0 3,4

–13,0

Abweichung Ost zu West in Prozent

Mittlere Fallzahl in ostdeutschen Praxen relativ hoch

(4)

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Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 10½½9. März 2001 AA593

sondern um mehr Mittel pro Jahr (rund 800 Millionen DM) zur Verfügung zu haben, um den Personal- und Ressour- ceneinsatz in ihren Praxen zur Betreu- ung der Patienten zu erhöhen.

Der niedrigere Ressourceneinsatz in ostdeutschen Praxen ist – gemessen an der Herausforderung durch eine höhe- re Morbiditätsbelastung ostdeutscher Krankenversicherter – unzureichend.

Obwohl sich viele Ärzte mit der Nie- derlassung als freier Beruf bis zur Gren- ze des wirtschaftlich Tragbaren durch Kredite finanziell belastet haben, ist das Ressourcenungleichgewicht nicht durch falsche Disposition ostdeutscher Praxisinhaber zu verantworten. Das Ungleichgewicht ist vielmehr darauf zurückzuführen, dass die Kosten für ei- nen notwendigen höheren Ressour- ceneinsatz durch ostdeutsche Praxisin- haber nicht finanzierbar sind, solange die Praxiseinnahmen je Versicherten der Gesetzlichen Krankenversicherung durch eine im Vergleich zum Westen wesentlich niedrigere Vergütung in den neuen Bundesländern für das medizi- nisch ambulante Leistungssystem sy- stembedingt niedrig bleibt.

GFazit: Würde man bei der ostdeut- schen Bevölkerung gleiche Morbidität und Mortalität wie im Westen feststel- len, müsste man den niedrigeren Res- sourceneinsatz in Ostdeutschland als Ausdruck höherer Effizienz und Effek- tivität des Versorgungssystems inter- pretieren. Da Morbiditäts- und Morta- litätsgleichheit in Ostdeutschland aber bisher nicht erreicht ist, ist zu vermuten, dass zwischen der Höhe des Ressour- ceneinsatzes und des Abbaus der Un- terschiede in Morbidität und Mortalität ein unmittelbarer Zusammenhang be- steht. Es ist deshalb unwahrscheinlich, dass mit einem auf die Dauer niedrige- ren Ressourceneinsatz in Ostdeutsch- land ein höheres Mortalitäts- und Mor- biditätsniveau abgebaut werden kann.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 2001; 98: A 590–593 [Heft 10]

Anschrift des Verfassers:

Dr. rer. pol. Gerhard Brenner Geschäftsführer des

Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland

Höninger Weg 115, 50969 Köln

Telefon: 02 21/40 05-1 24, Fax: 02 21/40 80 55 E-Mail: gbrenner@kbv.de

Z

unehmend wird die Öffentlich- keit in den letzten Jahren bei der Diskussion um Gentests mit der Risikoprüfung durch Lebens- und Krankenversicherungen konfrontiert und dadurch auch sensibilisiert. Im Ex- tremfall gipfelt dies in der Forderung an die Politik, den Versicherungen den Zu- gang zu den Ergebnissen von Gentests zu verbieten. Auch unter nicht in der Versicherungsmedizin tätigen Ärzten ist diese Meinung häufig anzutreffen.

Die Beschlüsse auf dem 103. Deutschen Ärztetag in Köln (2000) und entspre- chende Äußerungen des Präsidenten der Bundesärztekammer belegen dies deutlich. Bevor jedoch schwerwiegende Beschlüsse gefasst werden, die nachhal- tige negative Konsequenzen für die ge- samte Lebens- und Krankenversiche- rungswirtschaft nach sich ziehen kön- nen, sollte auch die Position der ande- ren Seite gehört werden. Dabei sind un- ter „der anderen Seite“ nicht nur die In- teressen der Versicherungsgesellschaf- ten zu verstehen, sondern auch die der Versicherten, die ein Interesse daran haben, eine für die gesamte Gesell- schaft überaus wichtige wirtschaftliche Einrichtung funktionsfähig zu erhalten.

Ziel der medizinischen Risikoprü- fung in der Lebensversicherung ist die Erstellung einer Langzeitprognose der Sterblichkeit des Antragstellers. Die Freiwilligkeit der Privatversicherung bringt es mit sich, dass sich weit mehr Leute mit verminderter Lebenserwar- tung versichern lassen wollen, als dies dem Durchschnitt der Bevölkerung entspricht. Nicht selten neigen gerade diese Antragsteller dazu, ihr Leben mit

überdurchschnittlich hohen Summen zu versichern. Dieses Phänomen wird als Antiselektion bezeichnet. Aus die- sem Grund ist eine Risikoprüfung er- forderlich, die verhindern soll, dass in einem Versichertenportfolio Personen mit einem Gesundheitsproblem einen für ihr Risiko viel zu niedrigen Preis zahlen. Hier liegt eine der Hauptaufga- ben des Versicherungsarztes. Dabei un- terscheidet sich sein Vorgehen grundle- gend von dem des klinischen Arztes, der ebenfalls mit der Frage seines Pati- enten konfrontiert sein kann, wie der weitere Verlauf einer Erkrankung ein- zuschätzen ist.

Unterschied zur klinischen Medizin

Der Versicherungsarzt oder Risikoprü- fer sieht den Antragsteller für eine Le- bensversicherung nicht als „Fall“, oder als „Patienten“, sondern als „Risiko“.

Die Beurteilung dieses Risikos ge- schieht auch nicht auf Wunsch des An- tragstellers, sondern der Versicherungs- mediziner handelt im Auftrag eines Ver- sicherungsunternehmens. Dabei muss er zu einem Stichtag (Tag der Antrag- stellung) eine verbindliche Aussage über die erwartete Sterblichkeit des An- tragstellers machen, die zudem zu ei- nem späteren Zeitpunkt, wenn neue Gesundheitsdaten oder Befunde (gün- stige wie ungünstige) erhoben werden, nicht mehr korrigiert werden kann.

Grundlage hierfür ist das Versiche- rungsvertragsgesetz, das dem Versicher- ten die Sicherheit gibt, dass ein einmal

Versicherungsmedizin und Gentests

Kein Interesse am gläsernen Patienten

Eine Art „gläserner Antragsteller“ widerspricht dem allge- meinen Zweck von Versicherungen, nämlich der Absicherung von unvorhersehbaren und ungewissen Risiken.

Achim Regenauer

Referenzen

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