Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 18½½½½3. Mai 2002 AA1189
S E I T E E I N S
Reform des Medizinstudiums
Ein langer Weg
N
ach einem langen Anlauf hat die Reform der Approbationsord- nung für Ärzte (9. Novelle) die letz- te Hürde in der parlamentarischen Beratung genommen: Das Bundes- ratsplenum stimmte am 26. April diesem Projekt mit großer Mehrheit zu. Damit kann das Medizinstudium nach der neuen Ausbildungsord- nung zum Wintersemester 2003/2004 an den Medizinischen Fakultä- ten begonnen werden, nachdem der frühere Novellierungsversuch 1997 wegen des Widerstandes der Kultus- minister und zuletzt der Finanzmini- ster der Länder gescheitert war.
Die neue Approbationsordnung, die in den letzten Beratungsetappen mit einer Reihe von Kompromissen durchsetzt wurde, die auch zum Teil den Forderungen der Studenten- schaft entspricht, soll eine der um- fangreichsten Reformen des Studi- ums seit 1970 bewirken. Ziel ist es, für die Studierenden einen stärke- ren Praxisbezug bereits ab Beginn des Studiums vorzuschreiben. So soll durch eine Akzentuierung des Kleingruppenunterrichts unter an- derem mehr praktischer Unterricht am Krankenbett abgehalten werden und eine bessere Verzahnung von vorklinischem (theoretischem) mit klinischem (praktischem) Unter- richt und Wissen erreicht werden.
Zugleich soll die Vermittlung sozia- ler Kompetenzen angehender Ärzte nachhaltig gefördert werden. Das Medizinstudium soll sich künftig nicht mehr nur an einzelnen Fachge- bieten ausrichten, sondern sich ent-
sprechend der interdisziplinären Gestaltung der Behandlungsprozes- se und einer ganzheitlichen Sicht der Patientensituation an Krankheits- bildern orientieren. Der Unterricht soll deshalb verstärkt fächerüber- greifend gestaltet werden. So wer- den Querschnittsbereiche geschaf- fen, die von den Hochschulen ange- boten und geprüft werden müssen.
In diesen Bereichen werden die In- halte themenbezogen, patientenaus- gerichtet, problemorientiert und fächerverbindend vermittelt. Prä- vention, Gesundheitsförderung, Me- dizinethik und vor allem die Allge- meinmedizin sollen besser in den Unterricht einbezogen werden. Mo- dellversuche sollen in der Hoheit der Fakultäten ermöglicht werden.
Die Verbesserung des Unter- richts am Krankenbett und der durchgängige Praxisbezug bedingen eine Verkleinerung der Gruppen- größe und damit der Ausbildungs- kapazitäten und der Zahl der Studi- enbeginner. Dies haben die Re- formbestrebungen lange erschwert.
Die Zahl der Studierenden, die an einer Patientendemonstration teil- nehmen, wird von acht auf sechs herabgesetzt. Bei einer Untersu- chung eines Patienten durch Stu- denten arbeiten in der Gruppe höchstens drei Studierende zusam- men. Ziel der Reform ist es, auch über noch zu ändernde Kapazitäts- verordnungen der Länder die Zahl der Studienbeginner im Fach Hu- manmedizin um einige Prozente zu verringern (ursprünglich waren zwi-
schen 10 und 20 Prozent angepeilt).
Andererseits dürfte bei einem pra- xisorientierten Studium künftig die Zahl der Studienabbrecher erheb- lich zurückgehen, sodass auch der Zusatzbedarf an Ärzten künftig ge- deckt werden könnte.
Entsprechend den neuen Anfor- derungen an das Studium wird auch der Inhalt der Prüfungen reformiert.
Die Zahl der Staatsprüfungen wird auf zwei reduziert und die Wertig- keit des schriftlichen Multiple- Choice-(MC-)Verfahrens verringert.
Statt bislang bundeseinheitlich 870 MC-Fragen soll es ein mündliches und ein schriftliches Examen mit 320 Fragen geben. Die übrigen Prüfun- gen regeln die Hochschulen selbst.
Der Präsident der Bundesärztekam- mer, Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe: „Mit der neuen Approbati- onsordnung wird es mehr Praxisori- entierung, mehr Freiheit zur Unter- richtsgestaltung und endlich auch ei- ne Verminderung der unsäglichen Multiple-Choice-Fragen geben.“
Die Fakultäten, Hochschulen und Hochschullehrer müssen sich nun den Herausforderungen und ihren Autonomierechten stellen, um die Reform der Ärzteausbildung zielge- recht umzusetzen und vor allem dafür zu sorgen, dass nach Änderung der Bundesärzteordnung (frühestens) ab 2009 der Arzt im Praktikum über- flüssig wird. Für die jungen Ärzte ist aber gerade das ein Punkt von zen- traler Bedeutung: der lang ersehnte Abschied von der ungeliebten AiP- Phase. Dr. rer. pol. Harald Clade