P O L I T I K
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A1778 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 2627. Juni 2003
KOMMENTAR
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ehler eines Gesetzes werden erst bei der Anwendung sichtbar. Dies gilt auch für die neue Approbati- onsordnung für Ärzte (AO), die seit dem 3. Juli 2002 in Kraft ist und umge- setzt werden muss. Im Vorfeld wurde heftig über das „Hammerexamen“ und die Abschaffung des Arztes im Prakti- kum diskutiert. Die neuen Quer- schnittsbereiche und Wahlfächer sind eine „Kreation“ der neuen Studienord- nung. Die Umsetzung der Approbati- onsordnung in einen Stundenplan zeigt weitere Fallstricke, insbesondere bei den Übergangsregelungen, den benote- ten Scheinen sowie dem Inhalt des neu- en ersten Staatsexamens.Übergangsregelungen (§ 43): Diese sind auf den ersten Blick klar. Die Kon-
sequenz ist, dass de facto alle Studie- renden, die noch kein Physikum abge- legt haben, nach der neuen AO geprüft und damit auch ausgebildet werden müssen. Die Studierenden des ersten klinischen Semesters im Sommerseme- ster 2003 benötigen spätestens ab dem dritten klinischen Semester die neuen Scheine und werden ab dem Prüfungs- termin Frühjahr 2007 das „Hammerex- amen“ ablegen wollen. Etliche ältere Studierende wollen auch nach den neu- en Bestimmungen geprüft werden: Die- se können schon früher zum zweiten Staatsexamen der neuen AO antreten.
Benotete Scheine (§ 27): Im klini- schen Studium werden bis zu 28 Scheine mit 34 Einzelnoten gefordert und in das Prüfungszeugnis übernommen. Derzeit werden etliche bis viele Fächer der Kli- nik gar nicht geprüft. Jetzt müssen fünf bis sechs Fachprüfungen am Ende eines jeden Semesters abgelegt werden. Wie soll das gemacht werden, ohne die letz- ten drei der 14 Semesterwochen mit Prüfungen zuzupflastern? Können so viele Studierende mündlich geprüft
werden? Wohl nicht! Wollen die Fakul- täten viele kleine Multiple-Choice-Prü- fungen? Dies ist nicht förderlich. Soll das Institut für medizinische und phar- mazeutische Prüfungsfragen diese Prü- fungen als Dienstleistung übernehmen?
Inhalt des neuen ersten Staatsex- amens (§ 2 erster Abschnitt, § 22 An- hang 10):Durch die Hintertür des An- hangs werden Teile des bisherigen „Er- sten Abschnitts“ zum Prüfungsstoff des ersten Staatsexamens erklärt. Wann werden diese gelehrt? Wer soll die Prü- fung abnehmen? Erst der Anhang ver- deutlicht, warum es im neuen klini- schen Abschnitt keinen Untersu- chungskurs mehr gibt, keine Propädeu- tik oder Pathophysiologie. Soll dies ent- fallen? Das neue erste Staatsexamen
wird erst ab dem Herbst 2005 durchge- führt. Müssen die Jahrgänge dazwi- schen nicht mehr untersuchen können?
Die Probleme der Approbationsord- nung werden die Fakultäten ausbaden müssen. Zu befürchten ist, dass durch den sehr engen Zeitrahmen viele neue Studienordnungen nur dem Buchstaben des Gesetzes Genüge tun. Es ist notwen- dig, folgende Fragen zu klären:Wie wer- den Querschnittsbereiche und Wahlfach angeboten und inhaltlich ausgestaltet? – Was geschieht mit den Studierenden, die zum Sommersemester in die Klinik eintreten, sowie mit den Studierenden, die bereits in der Klinik sind, aber kein altes erstes Staatsexamen ablegen und nach der neuen AO geprüft werden wol- len? – Wie sollen die Noten vergeben werden, soll neben der Theorie auch Praxis geprüft werden? – Wie werden die „Waisen“ der neuen Approbations- ordnung (Untersuchungskurs, Patho- physiologie und andere) behandelt, müs- sen auch die Vorklinik sowie das neue erste Staatsexamen neu strukturiert werden? Priv.-Doz. Dr. med. Johannes Schulze
Reform des Medizinstudiums
Mängel der Novelle
der Kassenärztlichen Vereinigungen aufzuheben und Ärzten, Krankenhäu- sern und Gesundheitszentren aller Art Einzelverträge mit den Krankenkassen zu ermöglichen sowie die Integrierte Versorgung voranzutreiben. Angesichts der rund 20 Milliarden Euro, die der Staat alljährlich bei einem Kopfpau- schalensystem für ärmere Bürger zu- schießen müsste, soll allerdings keine schrankenlose Vertragsfreiheit gelten.
Einer Friedenspflicht und „konflikt- regelnden Maßnahmen“ sollten die Ärzte schon unterworfen bleiben, da- mit sie ihre Vertragsmacht nicht ausnut- zen. Und bei der Fortentwicklung der Kopfprämien müsse der Staat beteiligt werden. Warum die Bundesbürger al- lerdings einem notorisch klammen Bundesfinanzminister mehr vertrauen sollen als den Krankenkassen, bleibt ein Rätsel.
Berater:
Radikaler Wandel
Weiter als die Manager geht Dr.Andreas Poensgen, Experte für das Gesundheits- wesen bei der Boston Consulting Group.
Er hat kürzlich in einer Studie (www.
bcg.de) zwar ebenfalls gefordert, die Fi- nanzierung auf eine neue Grundlage zu stellen und PKV und GKV nicht länger zu trennen. Poensgen verlangt jedoch eine kapitalgedeckte Krankenversiche- rung verpflichtend für alle – ohne kosten- lose Mitversicherung von Familienan- gehörigen. „Dabei wollen wir die soziale Solidarität oder die Familienförderung nicht antasten“, betont der Experte. Die- se Ziele gehörten aber „über einen sepa- raten Transfermechanismus“ umgesetzt, sprich: über Steuergelder. Seiner Auffas- sung nach müssen die Kosten der Kran- kenversorgung schon kurzfristig um 20 Prozent reduziert werden, um „Deutsch- land aus der Stagnation herauszuholen und wieder auf Wachstumskurs zu brin- gen“. Die weitergehenden Voschläge sind mit zwei Schlagworten umschrie- ben: mehr Eigenverantwortung und mehr Deregulierung. Dazu unterbreitet Poensgen etliche konkrete Vorschläge.
Ein Kapitel darüber, wie man die Sozial- politiker der rot-grünen Koalition und der Union dafür erwärmen könnte, fehlt allerdings. Norbert Jachertz, Sabine Rieser