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Archiv "Primäre Prävention: Impfpflicht in der Diskussion" (06.03.2015)

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A 414 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 112

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Heft 10

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6. März 2015

PRIMÄRE PRÄVENTION

Impfpflicht in der Diskussion

Der Ausbruch von Masern in Berlin hat ein erstes Todesopfer gefordert und damit eine Debatte um eine mögliche Impfpflicht ausgelöst – nicht zum ersten Mal. Ob Zwangsimpfungen rechtlich möglich sind, kann jedoch klar beantwortet werden.

W

ährend des großen Masern- ausbruchs in Berlin sind bislang 609 (Stand: 25. Februar) Menschen innerhalb weniger Mo- nate an der Virusinfektion erkrankt.

Ein 18 Monate altes Kind starb an den Folgen der Erkrankung. Höchs- te Zeit also, scheint sich mancher Politiker zu denken, wieder einmal eine Impfpflicht für Masern ins Ge- spräch zu bringen. In den Reihen der Großen Koalition wird die Möglichkeit diskutiert, in der Op- position wird eine Pflicht hingegen kategorisch ausgeschlossen.

Das Vorgehen erinnert stark an das Jahr 2013. Auch damals gab es größe- re Masernausbrüche und mehrere Hundert Erkrankte. Das Ziel, die Ma- sern bis 2015 zu eliminieren, schien beinahe unerreichbar. Der damalige Gesundheitsminister, Daniel Bahr (FDP), schloss daher eine Impfpflicht nicht mehr aus – wenn alle anderen Wege zur Bekämpfung der Masern nicht greifen würden. Bis heute ist es nicht dazu gekommen. Das Thema geriet im darauffolgenden Jahr wegen geringer Infektionszahlen scheinbar wieder in Vergessenheit.

Dass in Deutschland keine Impf- pflicht herrscht, ist im europäischen Vergleich keine Besonderheit. Eine Studie aus der Fachzeitschrift Euro- surveillance zeigte, dass es 2010 in rund der Hälfte der ausgewerteten Länder keine Pflichtimpfungen gab, darunter Österreich, Dänemark und Spanien. In diesen Ländern gibt es nur Impfempfehlungen, wie sie in Deutschland durch die Stän- dige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut (RKI) heraus- gegeben werden. Eine Masern-, Mumps-, Röteln- (MMR)-Impf- pflicht gab es sogar nur in acht von 29 Ländern. Alle acht Länder gehö- ren zu den osteuropäischen EU- Staaten, wie Polen, Ungarn und Tschechien. Es gibt allerdings auch Impfpflichten in Westeuropa.

In Italien (Stand: 2010) sind un- ter anderem Tetanus-, Polio-, Diph- therie- und Hepatitis B-Impfungen Pflicht. In Frankreich gibt es eben- falls verpflichtende Impfungen ge- gen diese Krankheiten.

Aber auch für die Bundesrepublik wäre eine Impfpflicht kein Novum.

Hier bestand zwischen 1949 und En-

de 1975 ein allgemeiner Impfzwang – um die Pocken auszurotten. Bis in die 1980er Jahre galt eine Pocken- impfung für Kinder im Alter von ei- nem bis zwölf Jahren als obligato- risch. 1983 wurde die Impfpflicht aufgehoben. In der DDR waren seit den 1950er Jahren bestimmte Imp- fungen gesetzlich vorgeschrieben.

Die Bestimmungen wurden ab den 1960er Jahren stark ausgeweitet. Un- ter anderem waren Impfungen gegen Pocken, Tetanus, Diphtherie, Tuber- kulose und Polio verpflichtend.

Durch ähnlich konsequente Pro- gramme in anderen Ländern konnten viele Infektionskrankheiten weltweit eingedämmt werden. Bei den Po- cken gelang sogar eine vollständige Eradikation, das heißt, es gibt welt- weit keinen Erreger der Pocken mehr – nur noch in einigen wenigen Hochsicherheitslabors.

Debatte über Rechtmäßigkeit einer Impfpflicht

Schon in den 1950er Jahren, zu Be- ginn der Impfpflicht, wurde in Deutschland über deren Rechtmä- ßigkeit gestritten. Kritiker sahen darin einen schwerwiegenden Ein- griff in Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Darin heißt es näm- lich: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“

Eine allgemeine Impfpflicht scheint diesem Grundgesetz zu wiederspre- chen. Weiter heißt es jedoch eben- falls in Absatz 2 Satz 3: „In diese[s]

Recht [...] darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.“ Ei- ne Einschränkung scheint also durchaus möglich zu sein.

„Es hat tatsächlich schon eine all- gemeine Impfpflicht in einem Ge- setz zur Pockenschutzimpfung aus dem Jahr 1874 gegeben“, erklärt Dr.

jur. Albrecht Wienke, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Medi- zinrecht, dem Deutschen Ärzteblatt.

Um eine Impf- pflicht einzufüh- ren, bedarf es rechtlicher Rah- menbedingungen.

Foto: mauritius images

M E D I Z I N R E P O R T

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Deutsches Ärzteblatt

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6. März 2015 A 415

„Diese Impfpflicht im Reichsimpf- gesetz ist später vom Bundesverwal- tungsgericht und vom Bundesge- richtshof als verfassungsgemäß an- gesehen worden.“ Eine allgemeine Impfpflicht könne daher auch heute aufgrund eines konkreten Anlasses und einer konkreten Gefährdung der Bevölkerung als verfassungsgemäß angesehen werden.

Infektionsschutzgesetz regelt Befugnisse

Im Infektionsschutzgesetz heißt es dazu: „Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, [. . .]

anzuordnen, dass bedrohte Teile der Bevölkerung an Schutzimpfungen [. . .] teilzunehmen haben, wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Ver- breitung zu rechnen ist. Das Grund- recht der körperlichen Unversehrt- heit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundge- setz) kann insoweit eingeschränkt werden [. . .].“

Wer zu den bedrohten Teilen der Bevölkerung im Fall der Masern zählt, ist nicht klar zu beantworten.

Schwere Verlaufsformen treten hier vor allem im sehr jungen Kindesalter und im Erwachsenenalter auf. Kinder

werden zwar häufig nicht nach der Empfehlung der STIKO vor der Voll- endung des zweiten Lebensjahres zweifach geimpft, grundsätzlich sind die Impfraten jedoch bereits recht gut.

Das größere Problem liegt bei der erwachsenen Bevölkerung. Verstöße gegen eine Impfpflicht nachzuvoll- ziehen, wäre dort laut Wienke nur durch Stichproben möglich. „Man könnte auch darüber nachdenken, dass alle Bürger nachweisen müssen, dass sie geimpft sind. Das wäre je- doch verwaltungsbürokratisch kaum durchführbar.“ Sanktionen gegen Verstöße wären wohl vor allem Geld- strafen und, falls diese nicht erbracht würden, Ordnungshaft.

Für manche Berufe gibt es be- reits jetzt Impfpflichten. So muss jeder Soldat der Bundeswehr eine Tetanusimpfung erhalten. Je nach Einsatzland gibt es auch andere Impfungen die obligatorisch sind.

Auch medizinisches Personal kann zu Impfungen verpflichtet sein.

„Das steht dann nicht in einem Ge- setz, sondern in den jeweiligen ar- beitsvertraglichen Regelungen“, er- klärt Wienke.

Für Kinder gibt es teilweise schon Quasi-Impfpflichten. So wird in den Kindertagesstätten von SKV

Kita, dem zweitgrößte Kindertages- stätten-Träger der Stadt Halle, ein Betreuungsplatz nur nach Vorlage des Impfausweises des Kindes ver- geben. „Private Kindertagesstätten dürfen in die allgemeinen Ge- schäftsbedingungen aufnehmen, dass ein Kind für den Besuch der Kita gesund und nicht ansteckend sein darf. Eine Impfung kann dort also verlangt werden“, so Wienke. Staat- lich finanzierte Kitas hingegen dürften nur aufgrund behördlicher Veranlassung so handeln.

Doch eine allgemeine Impf- pflicht würde noch sehr viel weiter- gehen und auch für Ärzte Änderun- gen mit sich bringen. Jeder Arzt, der noch nicht selbst gegen Masern geimpft ist, müsste sich dann auch immunisieren lassen. Die größte Änderung würde jedoch in der Be- ratung liegen. „Wenn der allgemei- ne ärztliche Standard, der unter an- derem auch durch die Empfehlun- gen des RKI zum Ausdruck ge- bracht wird, besagt, dass eine Impf- pflicht besteht, dann muss sich der Arzt in der Beratung diesem Stan- dard anschließen – auch wenn er privat anderer Meinung ist“, erläu- tert Medizinrechtler Wienke.

Dustin Grunert

„Spätestens der tragische Todesfall in Berlin sollte An- lass sein, jetzt zu einer Impfpflicht gegen Masern zu kommen“, sagte Prof.

Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK). „Die eigenen Kinder nicht gegen Masern impfen zu lassen, ist verantwortungslos. Auf die Impfung zu verzich- ten, ist auch verantwortungslos gegenüber der gesamten Gesellschaft“, so Montgomery. Erst bei einer Durchimpfungsrate von 95 Prozent sei

„das Risiko epidemischer Ausbrüche gleich Null.“ Das Risiko der Impfung bei Masern sei deutlich geringer als das einer durchgemachten Infektion. „Aus medizinischen Gründen spricht alles für eine solche Pflicht“, betonte der BÄK- Präsident. Auch zahlreiche Landesärztekam- mern sprachen sich für die Impfpflicht aus und appellierten gleichzeitig an das gesellschaftliche Verantwortungsbewusstsein der Bevölkerung.

Der Vorsitzende der STIKO, Dr. med. Jan Leidel, steht einer Impf- pflicht hingegen kritisch gegenüber und sagte dem Deutschen Ärzteblatt: „Es steht außer Zweifel, dass wir die Impfbeteiligung erhöhen und vor al- lem die Impflücken bei älteren Kindern, Ju- gendlichen und jungen Erwachsenen schlie- ßen müssen. Allerdings glaube ich, dass die Impfpflicht dafür kein kluges Instrument wä- re. Ich könnte mir vorstellen, dass sich El- tern, die zuvor noch unentschieden waren, wegen eines staatlichen Zwangs gegen eine Impfung entscheiden. Es könnte also kontra- produktiv ausgehen. Dazu kommt, dass es Möglichkeiten gäbe, durch den Abbau büro- kratischer Hemmnisse und durch ein konzer- tiertes politisches Vorgehen die Impfbeteili- gung zu erhöhen und die Impflücken zu schließen.“

Der Präsident des Be- rufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, Dr.

med. Wolfram Hartmann, zeigte sich ebenfalls skep- tisch. Eine generelle Impf- pflicht werde sich wegen der „Widerstände in der Bevölkerung nicht durchsetzen lassen. Wir fordern aber, dass alle Kinder beim Start in eine überwiegend staatlich finanzierte Kita oder Schule einen Impfnach- weis vorweisen müssen.“ Könnten die Eltern keine Bescheinigung für eine Masernimpfung vorlegen, müssten sie ihren Nachwuchs in eine private Einrichtung geben, fügte er hinzu.

Die von der Bundesregierung geplante Ver- pflichtung für Eltern zur Impfberatung kritisier- te Hartmann als „Augenwischerei“. „Diese Re- gelung wird die niedrigen Impfraten nicht we- sentlich erhöhen, denn wir beraten bereits im- mer im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen zu den notwendigen Impfungen.“

MEINUNG EN: IST EINE IMPFPFLICHT SINNVOLL?

Fotos: dpa, Beate Felten-Leidel, Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte

M E D I Z I N R E P O R T

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