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Archiv "Ärztliche Prävention der Alkoholprobleme: Hausärzte in der Schlüsselrolle" (26.09.1997)

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er Deutsche Ärztetag hat 1994 mit seinem Gesundheitspoliti- schen Programm die Ärzte aufgefordert, „die Stärkung der individuellen Fähigkeiten zu Suchtmittelverzicht oder zumindest einen verantwortlichen, nicht fremd- oder selbstschädigenden Umgang mit Suchtmitteln“ zu fördern. Prävention der Sucht, vor allem der Alkoholpro- bleme, ist also auch eine ärztliche Aufgabe. Wenngleich die präventiven Möglichkeiten des Arztes auf diesem Gebiet beschränkt sind, könnte inten- siver versucht werden, sie zu nutzen.

Jährliche Kosten:

30 Milliarden DM

Seit etwa 20 Jahren ist der Alko- hol-pro-Kopf-Konsum in Deutsch- land auf einem extrem hohen Niveau.

Während er in Ländern wie Frank- reich (–23 Prozent), Spanien (–27 Pro- zent) und Italien (–34 Prozent) in den letzten Jahren erheblich zurückge- gangen ist, verringerte er sich in Deutschland kaum (–8 Prozent). Et- wa 17,5 Prozent aller Krankenhaus- behandlungen stehen im Zusammen- hang mit Alkoholkonsum. Die alko- holbedingten Folgekosten werden auf mindestens 30 Milliarden DM im Jahr geschätzt.

Alkoholabhängigkeit ist die häu- figste der schwereren psychischen Störungen. Sie belastet auch die Fa- milien der Betroffenen erheblich.

Mehr als eine Million Kinder leben in Alkoholikerfamilien. So hatte bei- spielsweise mehr als ein Drittel der jungen Patienten der Eppendorfer Kinderpsychiatrie einen alkoholkran- ken Vater oder Mutter; etwa jeder zweite Drogenabhängige stammt aus einer Familie mit Alkoholproblemen.

Folgerichtig wird die Alkoholabhän- gigkeit als das „sozialmedizinische Problem Nr. 1“bezeichnet. Auf Anre- gung der WHO wurde 1992 der „Eu-

ropäische Aktionsplan Alkohol“ auf- gestellt, der das Ziel hat, bis zum Jah- re 2000 den Alkoholkonsum um 25 Prozent zu senken. Dieser Aktions- plan ist auch von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet worden.

Wenngleich dies angesichts der derzeitigen Konsum-Orientierung und dem offiziellen Vorrang von Wirtschafts- und Finanzpolitik vor Gesundheits- und Sozialpolitik schwierig zu realisieren ist, sind zur Prävention von Folgeschäden des Konsums der – nicht nur aus ärztli- cher Sicht – gefährlichen „legalen Droge“ Alkohol auchärztliche Initia- tiven zur Risiko- und Schadensreduk- tion(harm reduction) – wie schon hin- sichtlich des Konsums von illegalisier- ten Suchtmitteln erkannt wurde – dringend geboten.

Je mehr und je leichter Suchtmit- tel wie Alkohol vefügbar sind, desto häufiger und intensiver werden sie konsumiert, und desto mehr Men- schen werden süchtig und/oder erlei- den Konsum-Folgeschäden. Aus frü- heren Statistiken ist bekannt, daß nach Verringerung des Alkohol-pro- Kopf-Konsums – mit einer zeitlichen Verzögerung – auch die Zahl der Al- koholiker und das Ausmaß der Alko- hol-Folgeschäden zurückgehen.

Es stellt daher eine ärztliche Präventionsmaßnahme dar, wenn Pa- tienten angeregt werden, ihre Alko- holkonsumgewohnheiten zu überprü- fen. Die wenigsten Alkoholkonsu- menten machen sich bewußt, daß Al- kohol – in nicht geringen Mengen kon- sumiert – ein starkes Gift ist. Alkohol ist von allen Genuß- und Nahrungs-

mitteln und von allen Suchtmitteln das toxischste. Alkohol (Ethanol) hat zwar ein wesentlich geringeres Sucht- potential als Heroin, sein somatisches, sein psychisches und oft auch sein so- ziales Schadenspotential ist jedoch wesentlich höher. Beispielsweise ist steril und beimengungsfrei konsu- miertes Heroin kaum neuro- oder he- patotoxisch, Ethanol ist dies jedoch ausgeprägt. Auch die psychischen Auswirkungen einer Alkoholintoxi- kation (Psychotoxizität) sind wesent- lich gravierender als die durch selbst relativ hochdosierten Heroinkonsum.

Ein wirksames Psychopharmakon

Nur wenige Alkoholkonsumen- ten machen es sich bewußt, daß sie Al- kohol kaum wegen des Genusses kon- sumieren, sondern hauptsächlich we- gen seiner psychopharmakologischen Effekte, vor allem zur Stimulation, Entspannung und Betäubung. Alko- hol ist ein vielfältig wirksames Psycho- pharmakon („legales Betäubungsmit- tel“), neben Opium das älteste und immer noch verbreitetste. Alkohol gilt trotz seiner geringen therapeuti- schen Breite zu Unrecht immer noch als relativ unschädlich. Alkohol sollte heute nicht mehr als Breitband-Psy- chopharmakon eingesetzt werden.

Das Image von Alkohol ist zu po- sitiv und entspricht nicht der Realität.

In der ärztlichen Praxis müßte des- halb zur Prävention von schädlichem und süchtigem Alkoholkonsum noch intensiver versucht werden, die Alko- A-2480 (36) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 39, 26. September 1997

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Ärztliche Prävention der Alkoholprobleme

Hausärzte

in der Schlüsselrolle

Das schädlichste Suchtmittel ist Alkohol – noch vor Heroin. Durch süchtigen Alko- holkonsum entstehen volkswirtschaftliche Schäden in Höhe von zirka 30 Milliarden DM pro Jahr. Nicht nur die suchtkrank gewordenen Alkoholkonsumenten leiden unter ihrer Krankheit, sondern auch ihre Familien. Hier kommt gerade der ärzt- lichen Präventionsarbeit besondere Bedeutung zu: Die Ärzteschaft ist gefordert.

Bert Kellermann

Robert Stracke

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holkonsumenten über die Risiken zu informieren und sie dazu anzuhalten, Alkohol (wenn überhaupt) risikobe- wußt zu konsumieren. Das frühere Bundesgesundheitsamt hat 1994 emp- fohlen: „Nicht mehr als zwei Drinks pro Tag! Kein Alkohol am Arbeits- platz, am Steuer und in der Schwan- gerschaft!“

Ärztliche Präventionsarbeit kann einem Teil der exzessiven Alkohol- konsumenten dabei helfen, ihren Kon- sum unter die empfohlene Höchstdo- sis – bei Frauen 20 g,

bei Männern 40 g pro Tag – zu reduzieren.

Dieses Ziel betrifft 30 Prozent der Frauen und Männer in Deutschland. Bei Al- koholproblemen je- doch ist der Ent- schluß zum alko- holfreien Lebensstil die sicherste und rela- tiv einfachste Metho- de der Problembesei- tigung.

Es gibt Men- schen, die durch strik- tes Einhalten von Konsumregeln sogar Heroin trotz seines sehr hohen Suchtpo- tentials kontrolliert konsumieren kön-

nen, ohne süchtig zu werden. Dement- sprechend gibt es auch Regeln zum si- cheren Alkoholkonsum. So sollte bei- spielsweise Alkohol nicht täglich kon- sumiert werden, da oft schrittweise die Tagesdosis erhöht wird und sich eine gefährliche Gewohnheit einschleift. In der ärztlichen Praxis empfiehlt es sich, gemeinsam mit dem Patienten dessen Alkoholkonsum-Gewohnheiten offen zu hinterfragen und ihn über die Re- geln des sicheren Alkoholkonsums zu informieren.

Erste Anlaufstelle:

der Hausarzt

Die gravierendste Folge riskan- ten Alkoholkonsums ist die Alkohol- abhängigkeit. Diese ist die mit Ab- stand häufigste Form der Suchtkrank- heit. Durchschnittlich sechs Prozent der Patienten in der ärztlichen Praxis

sind Alkoholiker, 68 Prozent der Al- koholiker wenden sich zunächst an ihren Hausarzt.

In den letzten Jahren wird es für wesentlich gehalten, bei Alkohol- abhängigkeit – im Gegensatz zum bis- her vorherrschenden „Tiefpunkt- Dogma“ – möglichst früh, offensiv und intensiv therapeutisch zu interve- nieren,hauptsächlich durch ein nied- rigschwelliges Therapieangebot, wie beispielsweise qualifizierten Entzug.

Sucht-Tagesklinik, cravinghemmende

Begleitmedikation, um gravierende und möglicherweise irreparable Sucht-Folgeschäden zu verringern oder zu vermeiden.

In der Praxis des Hausarztes be- stehen gute Möglichkeiten zur Früh- Intervention als Sekundärprävention, der Hausarzt hat hier eine Schlüssel- position inne. Unter anderem sollte im ärztlichen Gespräch möglichst früh die Diagnose einer eventuellen Al- koholabhängigkeit erwogen werden, etwa im Rahmen eines „Gamma-GT- Gespräches“, auch unter Einbezie- hung der Familie. „Man muß die Dia- gnose so an den Patienten herantrans- portieren, daß er nicht verschreckt in seine Flasche zurückkriecht.“

Für eine Früh-Intervention stellt die suchtbedingte Bagatellisierungs- strategie von Alkoholkranken („Selbstbetrug“ als dysfunktionaler Schutz der Selbstachtung) oft ein er- hebliches Hindernis dar. Alkoholab-

hängigkeit ist in der Regel über lange Zeit eine verheimlichte Krankheit, weil der Betroffene eine Diskriminie- rung befürchtet. Deshalb ist nach kli- nischen Erfahrungen die „niedrig- schwellige“ Definition des Begriffes

„Alkoholiker“ hilfreich: Ein Alkoho- liker ist im wesentlichen ein Mensch wie jeder andere auch – mit dem ein- zigen Unterschied, daß er nicht mehr normal („kontrolliert“) trinken kann, das heißt, daß er – wenn er zu trinken angefangen hat – nicht wieder auf- hören kann, bis er ex- trem viel getrunken hat, obwohl er dies eigentlich gar nicht vorhatte.

Dies ist das Kon- trollverlust-Phäno- men (weitgehender oder völliger Verlust der Fähigkeit, den Konsum des Sucht- mittels bei sich selbst zu kontrollieren), es ist typisch für alle Suchtformen – auch für die Glücksspiel- sucht und die „Mo- dellsucht“ Nikotin- abhängigkeit – und dementsprechend in der ICD-10 als typi- sches Merkmal ver- zeichnet.

Die Konsequenz, die sich aus dem Kontrollverlustphänomen er- gibt, ist, völlig aufzuhören – also sich zu entschließen, suchtmittelfrei zu le- ben. Für Alkoholiker bedeutet dies den Entschluß zum alkoholfreien Le- bensstil. Dies ist am effizientesten zu erreichen durch Teilnahme an den Al- koholiker-Selbsthilfegruppen wie Anonyme Alkoholiker, Guttempler, Blaukreuz oder Kreuzbund.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1997; 94: A-2480–2482 [Heft 39]

Anschrift des Verfassers Dr. med. Bert Kellermann Chefarzt der VIII. Abteilung für Psychiatrie

(Suchtkrankentherapie)

Allgemeines Krankenhaus Ochsenzoll 22419 Hamburg

A-2482 (38) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 39, 26. September 1997

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Deutschland nimmt beim Alkoholkonsum in Europa einen vorderen Platz ein: 9,9 Liter pro Kopf.

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