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Archiv "In der Diskussion: Homöopathie und ärztliche Praxis" (15.05.1975)

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Homöopathie

und ärztliche Praxis

In der Diskussion:

diese „wahrhaft ärztliche" Aufgabe

zu suchen, den Menschen nicht bloß als meßbares Objekt zu be- trachten.

Dr. med. Paul Mössinger 71 Heilbronn

Karlstraße 99

Zum Aufsatz von Prof. Dr. med. Gustav Kuschinsky in Heft 8/1975, Seite 497

Zahl und Feuer der Leserzuschriften bewiesen: Homöopathie steht in der Diskussion. Der in Heft 8 vom 20. Februar 1975 veröffentlichte Artikel Kuschinsky — „Homöopathie und ärztliche Praxis" zwang zahlreiche Kollegen an den Schreibtisch. Leidenschaft, bis zur Ag- gressivität geladene Vehemenz, schlägt sich in den Zeilen nieder, die sich zu dem genannten Artikel in der Redaktion sammelten. Un- terschiedlich in der Ausführung und Argumentation, dokumentiert sich in allen eine unübersehbare Gemeinsamkeit: In der Medizin die Menschlichkeit verteidigen und in eben dieser Medizin mehr als das mechanisch Meßbare sehen zu müssen. Im folgenden einige Auszüge, in denen sich Meinungen und Stimmungen der Briefe kri- stallisieren. Leider nur Auszüge (als üblicher Kratzfuß vor dem chronischen Platzdilemma aller Zeitschriften), aber Auszüge, die insgesamt alle aufgetauchten Argumente enthalten.

I.

... Etwas hat die Homöopathie un- serer gegenwärtigen Medizin auf alle Fälle zu bieten. Sie hat den bis in die Antike zurückreichenden kontinuierlichen Arzneimittelschatz der alten empirischen Medizin samt dessen Indikationen in unsere Zeit hinübergerettet. Hahnemann wollte keine neuen Arzneimittel einführen, sondern die Anwendung der vorhandenen besser in den Griff bekommen. Das Geheimnis für die Zählebigkeit der Homöopa- thie liegt zu einem wesentlichen Teil darin, daß sie aus diesem al- ten Traditionsgut heute noch thera- peutisch Wertvolles herauszuholen weiß. Nachdem ich selbst schon Untersuchungen im einfachen und doppelten Blindversuch mit sol- chen alten Arzneimitteln durchge- führt habe, kann ich mit einiger Si-

cherheit sagen, daß in dieser Ver- gangenheit doch wertvolle Schätze ruhen und auch Ansatzpunkte da- für, den Menschen als Person zu sehen, um ihn nicht nur als meßba- res Objekt betrachten zu müs- sen...

Ich glaube, Herr Prof. Kuschinsky würde sich ein großes Verdienst erwerben, wenn er die verschiede- nen Partner im Rahmen einer Ar- beitstagung oder in ähnlicher Form zu einem Gespräch zusammenfüh- ren würde. Nachdem Arbeiten in dem Sinne, wie er sie selbst für richtig hält, bereits geleistet wur- den, nämlich den Wirkungsumfang homöopathischer und phytothera- peutischer Mittel mit statistischen Verfahren besser herauszuarbei- ten, könnte ein solches Gespräch eine gute Basis dafür bieten, nach realisierbaren Möglichkeiten für

... Ich halte die homöopathischen Arzneimittel für nützlich, für sinn- voll und sogar für notwendig bei drei Gruppen von Kranken, mit de- nen wir in der Allgemeinpraxis sehr viel zu tun haben:

Bei der großen Gruppe von Krankheiten, die eine ausgespro- chene Selbstheilungstendenz ha- ben. Hier halte ich den Einsatz von starken allopathischen Mitteln für geradezu schädlich. Zu - dieser Gruppe von Krankheiten rechne ich beispielsweise die große Zahl der fieberhaften Infekte einschließ- lich der Grippeerkrankungen, so- weit sie nicht bei älteren Menschen Herz und Kreislauf gefährden. Aber insbesondere bei Kindern halte ich es für falsch und auf die Dauer ge- sehen für schädlich, hier sofort mit fiebersenkenden allopathischen Mitteln einzusetzen. Wir sollten nicht die Selbstheilungskräfte und die Immunisierungsvorgänge im Körper zerstören.

Mindestens genauso groß ist die Gruppe von Kranken in unserer Praxis, die diagnostisch und thera- peutisch „leergebrannt" ist, die aber trotzdem einer ständigen ärzt- lichen Betreuung bedarf. Bei einer Vielzahl von Diabetikern, Rheuma- tikern, Bronchitikern treten immer wieder passagere Nebenstörungen auf, die möglicherweise kausal mit der ursprünglichen Erkrankung zu- sammenhängen, aber u. U. davon völlig unabhängig, also als vor- übergehende organismische Stö- rungen in Erscheinung treten kön- nen. Auch bei diesen Kranken hal- te ich den Einsatz von stark wir- kenden Mitteln für riskant und auch nicht für notwendig, weil eine langjährige Beobachtung zeigt, daß

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diese Erscheinungen in aller Regel vorübergehend sind und nach ei- ner kurzen Behandlungszeit mit völlig harmlosen Mitteln wieder verschwinden.

Die sehr stark zunehmende Gruppe der älteren Menschen zeigt, zumindest in meiner Praxis, eine zunehmende Empfindlichkeit, gegenüber stark wirkenden Arznei- mitteln. Arzneimittel-Exantheme treten nach meiner Beobachtung bei über 60jährigen Menschen häu- figer auf als bei jüngeren Men- schen. Dies bedeutet für mich, daß der Umgang mit Arzneimitteln bei älteren Menschen einer besonde- ren Vorsicht bedarf. Daher verwen- de ich gerade bei dieser Gruppe gerne homöopathische Mittel, so- weit es der Zustand des Patienten erlaubt und für sinnvoll erscheinen läßt.

Allen diesen drei Gruppen sind zwei Dinge gemeinsam neben ihrer gemeinsamen Häufigkeit: Sie be- nötigen eine laufende ärztliche Be- treuung nicht nur in guten Worten, sondern bei der der Patient sicht- bar, begreifbar in Form eines Medi- kaments das Gefühl der ärztlichen Betreuung quasi mit nach Hause bekommen muß.

Das zweite Gemeinsame ist: Hier sind die eben skizzierten Arznei- mittel für uns dann besonders wertvoll, wenn sie von Nebenwir- kungen frei sind. Dies kann man bei den homöopathischen Mitteln ganz generell annehmen; jeden- falls habe ich von solchen Mitteln noch nie Nebenwirkungen gese- hen.

Ich muß bei all den drei Gruppen die Gewißheit haben, wenn ich sol- che Mittel einsetze, daß hier keine Nebenwirkungen auftreten, denn mir ist in diesen Fällen die Neben- wirkungsfreiheit viel wichtiger als die Wirksamkeit des Medikaments.

Sie selber haben in Ihrem Artikel ja auch dargestellt, daß bei einer der- artigen Therapie „unreine" Place- bos mehr geeignet sind als eine Verordnung von Leerkapseln mit Milchzucker.

Schließlich noch ein Weiteres, was immer wieder in der Klinik überse- hen wird: Die Dauerbehandlung gerade der drei oben genannten Gruppen ist auch ein wirtschaftli- ches Problem. Wenn ich schon dauernd behandeln muß, dann ne- benwirkungsfrei und gleichzeitig wirtschaftlich. Wenn ich also mit zwei- oder dreimal fünf Tröpfchen einer Dilutio D 3 die Sicherheit habe, keine Nebenwirkungen be- fürchten zu müssen, und gleichzei- tig die Gewähr habe, daß der Pa- tient mit seiner Krankheit oder mit seiner Gesundheit beschäftigt ist, und außerdem noch weiß, daß ich damit die Kasse und damit die Volkswirtschaft nicht belaste, dann ist es insgesamt für mich ein ganz wesentlicher Gesichtspunkt ...

Prof. Dr. med. Siegfried Häußler Vorsitzender der

Kassenärztlichen Vereinigung Nord-Württemberg

7 Stuttgart 70 Jahnstraße 30

Dank gebührt Herrn Prof. Dr. Ku- schinsky dafür, daß er das Thema

„Homöopathie" mit klassischen Einwänden in die Arzneimittelde- batte stellt, dem DÄ dafür, daß es einer Scheu entgegenwirkt, die Entdeckungen von Nicht-Etablier- ten zugunsten monomaner Laien- behandlung ignoriert, manchmal bis die kritische „Schulmedizin"

rückständig erscheint

Professor Dr. med. Hahnemann (H.) schuf gleich samt Diagnostik und Therapeutik eine Molekularpa- thologie, an die sich die Medizin allmählich herantastet Die Mo- lekularbiologie erweist, daß sich die Homöopathie in biologischen Größenordnungen bewegt. Die Lo- schmidtsche Zahl spielt als physi- kalische Konstante schon deshalb keine Rolle, weil Verdünnungen in höheren Zehnerpotenzen mangels entsprechend „reiner" Lösungsmit- tel und „sauberer" Gefäße tech- nisch nicht herstellbar sind. Ho- möopathische „Potenzen" enthal-

ten immer weit höhere Molekül- mengen, als ihre Verschüttelungs- zahl angibt. Dynamisierendes Po- tenzieren soll nicht verdünnen, sondern strukturelle Veränderun- gen bewirken in schwer erforsch- baren Größenordnungen, um der Molekularität des Lebendigen ent- gegenzukommen.

H. entdeckte und beschrieb im Sti- le seiner Zeit ein molekulares, atomares, elementares „Krank- Sein", das sich seinem Wesen, sei- ner Symptomatik und Therapeutik nach von den „Krankheiten" funda- mental unterscheidet, deren Grundlage bilden kann, dringendst ärztlicher Behandlung bedarf, aber oft als psychosomatisch, psychove- getativ mißverstanden und abgetan wird ...

Mit wissenschaftlicher Logik erklä- ren, experimentell nachprüfen, sta- tistisch belegen lassen sich ho- möopathische Effekte nicht.

„Krank-Sein" zu bestreiten wäre zu einfach, wenn man nicht gleich- zeitig Psychosomatik, Psychothera- pie und alle Empirie verwirft. Die Frage ist nicht, ob Homöopathie wissenschaftlich begründbar, son- dern ob Verzicht auf deren Heilmit- telschatz ärztlich zu verantworten ist etwa 6-8 Millionen Kranken ge- genüber, ob den Krankenkassen Unkosten für Medikamentenneben- wirkungen aufgebürdet werden dürfen, wo adäquate Heilmittel ohne Arbeitsunfähigkeit, Klinik- und Kuraufenthalt helfen, ob man die Heilpraktiker zu den Kassen zulassen und zum Sonntagsdienst verpflichten müßte, falls nicht Ärzte sich der einschlägigen Aufgaben annehmen. Vorurteilsfreiheit dient der „kranken" Medizin, den Kran- ken und dem Fortschritt ...

Dr. med. Johannes G. Hille 7410 Reutlingen

Postfach 351

IV.

Den negativen Erfahrungen von Herrn Kuschinsky beim Selbstver- such stehen mindestens ebenso 1426 Heft 20 vom 15. Mai 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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viele positive Aussagen von ande- ren gegenüber. Damit ist angedeu- tet, daß „Heilung" eben kein me- chanisch-zwingendes Gesetz ist im Sinne von „die Infektion wurde be- herrscht", sondern eher etwas, das mit dem Prinzip „Gnade" zu tun hat.

• Die Grundlagen der Homöopa- thie werden täglich nachgeprüft, nämlich von den Therapeuten, die mit ihr arbeiten. Eine erneute offi- zielle Nachprüfung wäre also nichts weiter als ein abermaliges Bausteinchen positiver oder nega- tiver Art im weltweiten Gesamtge- bäude der Homöopathie.

• Wie „die ärztliche Einstel- lung ..." zu „leiten" ist, sollte doch bitte ebenfalls denen überlassen bleiben, die in positiver Einstellung Jahre oder Jahrzehnte von den ho- möopathischen Heilwirkungen er- fahren haben. — Die „häufig geüb- te erschreckende Polypragmasie"

ist ja auch aus der Praxis geboren, in der erlebt wird, daß mit dem lehrbuchmäßigen Monopharmakon in Wirklichkeit nicht genügend ge- holfen werden kann.

Summa: Es sollte vermieden wer- den, daß die Wissenschaft heute die Fehler des Mittelalters (Dogma- tismus) wiederholt. Immerhin gibt es mehr „Paracelsus"- als „Gre- gor"-Krankenhäuser.

Dirk Arntzen Praktischer Arzt 1 Berlin 21 Birkenstraße 3

V.

... Welche Medikamentenwirkung wäre überhaupt mit der Sicherheit des post hoc ergo propter in dem erforderlichen hohen Prozentsatz allein nur auf ein bestimmtes Che- motherapeutikum zurückzuführen, ohne die ausschlaggebende Vis re- generativa naturae, ohne den Fak- tor des suggestiven Einflusses der vertrauenerweckenden Arztpersön- lichkeit?

Nach Prof. Kuschinsky soll die Hochschulwissenschaft zur Richte- rin mit Unfehlbarkeitsanspruch in- thronisiert werden.

Die Geschichte der Medizin de- monstriert uns hingegen die gele- gentlich sehr menschliche Fehlbar- keit: Man möge sich nur beispiels- weise an große Kollegen und auch an Laienpraktiker erinnern: an Semmelweis, Bircher-Benner, an Sauerbruch (Unterdruck-Thoraxchir- urgie), Forssmann u. v. a. m., an Prießnitz, Maria Schlenz und an- dere ...

Prof. Kuschinsky sagt nicht ein Wort über die biologische Reizre- gel der Greifswalder Professoren R. Arndt und Schulz ...

Das wohl bald in die zweite Lesung gehende Arzneimittelgesetz geht mit der Homöopathie rücksichts- voller um. Aber es führt im übrigen drei sehr heikle, ja zweifelhafte Forderungen ein: die der Wirksam- keit, der Arzneiprüfung und die Forderung nach der Ausrichtung nach dem Erkenntnisstande der medizinischen Wissenschaft. Der Gesetzgeber wird möglicherweise der erstaunten Öffentlichkeit seine Vorstellungen einer kanonisierten Wissenschaft und seine Maßstäbe präsentieren.

Es interessiert mich die Tatsache, daß man mit der Forderung, Wert und Unwert dieser oder jener Arz- neitherapie nach dem (jeweiligen) Erkenntnisstande der medizini- schen Wissenschaft zu beurteilen, m. E. einen höchst anfechtbaren Versuch unternehmen möchte, auf legislativem Wege einen bestimm- ten Begriff von Wissenschaftlich- keit durchzusetzen ...

. . . Prof. Kuschinsky . . . verfügt über große theoretische und expe- rimentelle Erfahrung, deren der ho- möopathische Arzt entraten muß, der hingegen in der Fülle der Er- fahrung am Krankenbett steht. Und es interessiert den Kranken, der durch eine lege artis verordnete homöopathische Arznei genest, recht wenig, ob Professor Ku- schinsky die Heilung als Sugge-

stion und Placebowirkung klassifi- ziert wissen möchte oder nicht ...

Warum soll man die magische Wirklichkeit des Arztberufes ver- schweigen? Mit jedem zuversichtli- chen, tröstlichen Wort, mit jeder von dem Arzt selbst ausgegebenen homöopathischen Arznei gehen be- sondere Kräfte auf den Kranken über (materiell wie immateriell), der solcher qualitativen Energiezu- fuhr bedarf ...

Magie ist nicht Zauber schlecht- hin ... magische Wirksamkeit ist eine Brücke zwischen der inneren Schau und dem Ursache-Wirkung- Denken. Über alle Laborbewei- se hinaus ist die Arznei ein Trä- ger auch weiterhin geheimnis- voller Kräfte. Die magischen Um- stände, die es immer gab und gibt, sind die Widerspiegelung der Äng- ste und Wünsche des Menschen.

Wo könnte man das sonst noch deutlicher erleben als bei Kranken und Sich-in-Not-Befindlichen? . . . Wenn den Lehrstühlen und legisla- tiven Körperschaften nicht von den Kräften uralter und sich immer wie- der erneuernder ärztlicher Erfah- rung ebenfalls eine kritische Be- schränkung auferlegt wird, so wer- den sie eines Tages beginnen, auch anderes ärztliches Tun, wie Psychotherapie und Psychoanaly- tik, die Einflußnahme durch Gutzu- reden und Suggestion, zu regle- mentieren und selbstherrlich über Zulässigkeit und Unzulässigkeit zu entscheiden. Ist die Humanmedizin auf dem Wege, sich zu einer geho- benen Veterinärmedizin zu entwik- keln?

Dr. med. Otto Buchinger 328 Bad Pyrmont Forstweg

Vl.

... Der Autor geht vom Entwurf ei- nes neuen Arzneimittelgesetzes aus ... Er unterstellt, daß der Wirk- samkeitsnachweis, welcher gesetz- lich vorgesehen ist, der einzig

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mögliche und für alle Methoden adäquate sei ... Als wenn wir Ärzte nicht schon seit jeher durch Ver- laufskontrolle die Wirksamkeit von Arzneimitteln überprüft hätten. Die beste Erfolgskontrolle war noch immer die Praxis, und die Arznei- mittelforschung hat nicht erst mit der Schaffung pharmakologischer Institute begonnen ...

Für Homöopathika gilt seit Hahne- mann der „Arzneimittelversuch am Gesunden" und die Sammlung von Erfahrungssymptomen am Kranken als vollkommen ausreichende Me- thode, die Wirksamkeit und Unbe- denklichkeit eines Arzneimittels festzustellen, und es hat damit kei- ne Contergankatastrophen gege- ben. Ob diese praxisnahe, men- schenbezogene Methode durch

„patientenferne" Labor- oder Tier- versuche ergänzt werden muß, ist eine durchaus bezweifelbare Fra- ge...

... Hahnemann kommt hier ein echtes Verdienst zu. Gewisse Irrtü- mer Hahnemanns sind durch späte- re Untersucher und kritische Wür- diger längst bekannt... Im übrigen kann man Vorzüge und Mängel ei- ner solchen Methode ganz gut ab- wägen. Zu den Vorteilen gehört die Prüfung am Menschen unmittelbar.

Sie zeigt artspezifische, ja sogar individuelle Arzneimittelreaktionen, es entfällt die Deduktion vom Tier- modell auf den Menschen bzw. die theorieabhängige Deutung chemi- scher Vorgänge, die im Labor oh- nehin nicht in gleicher Weise ab- laufen dürften wie evtl. ähnliche Reaktionen im Organismus. Oben- drein gibt es für viele Krankheiten (wie Migräne) gar keine Tiermodel- le, die weiterhelfen, ganz zu schweigen von der wünschenswer- ten Anpassung eines Arzneimittels an einen konkreten Krankheitsfall.

Das Vernachlässigen psychischer Reaktionen auf Arzneimittelgaben ist gewiß falsch ...

Sind die Homöopathen auf ihre Art zu einem brauchbaren Arzneimit- telbild gekommen, erwarten sie nicht, daß ihnen in der Wirklichkeit ein genau gleich gearteter, sozusa-

gen kompletter „symptomenidenti- scher" Fall begegnet. Auch inso- fern spricht Hahnemann von der Ähnlichkeitsregel, von seiner The- rapie als Homöo-, nicht Isopa- thie

Daß Reize Gegenreaktionen im Or- ganismus hervorrufen, sollte hin- länglich bekannt sein. Dabei ist die Dosisfrage wohl wichtig, aber nicht allein entscheidend, es kommt auch auf die „Konfiguration" des Reizes an. Ein arzneilicher Reiz kann schwach sein und dennoch die geeigneten Heilungsvorgänge im Organismus anregen ...

Hier ist der Punkt, wo die von Vir- chow beschriebenen Wirkprinzipi- en der Therapie behandelt werden müssen. Er sprach von künstlicher und natürlicher Therapie. Eine künstliche Therapie beruht auf den direkten, leicht meßbaren pharma-

kologischen Effekten, wie Aus- schaltung, z. B. von Erregern oder von Körperfunktionen, Lenkung von Prozessen, oder sie besteht in einer Substitution. Demgegenüber beruht eine natürliche Therapie auf den viel schwerer meßbaren Se- kundärwirkungen...

Es wäre sehr verdienstvoll, wenn naturwissenschaftliche Forscher sich intensiver darum bemühten, jene von so vielen Ärztegeneratio- nen beobachtete Wirksamkeit hö- her potenzierter Substanzen zu er- gründen. Es ist doch wahrschein- lich, daß das „Medium", in das die Arzneisubstanz eingearbeitet wird, eine spezifische Veränderung er- fährt. Die Verdünnung als solche macht den Effekt jedenfalls nicht.

Bekannte Physiker wie C. F. von Weizsäcker und andere halten je- denfalls die Wirksamkeit nicht nur für sehr wahrscheinlich, sondern auch für erklärbar und den Geset- zen der Natur nicht eo ipso wider- sprechend...

Dr. med. Gottfried Büttner Arzt für Allgemeinmedizin 35 Kassel-Wilhelmshöhe Wilhelmshöher Allee 274

VII.

... Daß Homöopathie eine Thera- pie mit dem Nichts sei, wird immer wieder behauptet. Nach Kuschins- ky handelt es sich zumindest sehr häufig um eine Placebotherapie.

Dem stehen jedoch folgende Beob- achtungen entgegen. Nicht diejeni- gen Homöopathen haben die be- sten Erfolge, die am längsten brau- chen, um die Anamnese zu erhe- ben, sondern diejenigen, die mit wenigen Fragen das Wesentliche herausforschen und danach ihre Arzneimittelwahl treffen... Wenn aber etwa bei Säuglingen oder auch bei Tieren Behandlungserfol- ge eintreten, nachdem vorher der Nimbus auch berühmter Ärzte das Leiden nicht hat ändern können, ist es doch gar zu bequem, diesen Er- folg auf Suggestion zurückzufüh- ren. Ebenfalls kann als suggestive Heilung nicht angesehen werden, wenn ein homöopathischer Arzt die wirksame Arznei nicht beim ersten oder beim zweiten Versuch findet, sondern erst später, wenn das Ver- trauen des Kranken auf den „Arzt als Arznei" bereits geschwunden ist, doch noch durch die richtig ge- wählte Arznei eine Heilung zustan- de kommt.

Daß Heilerfolge Placeboeffekte sein können, ist sicher zuzugeben, das gilt jedoch nicht nur für die ho- möopathisch gewählte Arznei...

Sie nur dem homöopathischen Arzt anzulasten scheint unfair...

Den Vitalismus scheint Kuschinsky für sehr tot zu halten, da sein Kron- zeuge, Johannes Müller, ihn seinen namentlich aufgeführten großen Schülern gegenüber nicht mehr zu vertreten wagte. Darf man fragen, welche Philosophie der heutigen Heilkunde zugrunde zu legen ist?

Daß auch lebendige Organismen den Gesetzen der Physik und Che- mie unterliegen, wird niemand be- zweifeln wollen. Daß aber die Bio- logie Gesetze kennt, die nicht pure Anwendungen der Mechanik und Elektrizität sind, ist doch ebenfalls unbestreitbar, und die zweifellos vorhandene, aber nicht wissen- schaftlich erklärbare Fähigkeit der

1428 Heft 20 vom 15. Mai 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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lebenden Organismen zur Selbstre- gulierung ist gar nicht so weit ent- fernt von der „Vis vitalis".

... Recht hat Kuschinsky dagegen, wenn er bemerkt, daß die meisten Nachfolger Hahnemanns nicht je- des seiner Worte auf die Goldwaa- ge legen dürften.

Auch darin ist Kuschinsky zuzu- stimmen, wenn er aufmerksam macht auf das Problem der Verun- reinigung in der Trägersubstanz beim Herstellen homöopathischer Potenzierungen. Daß in jeder ho- möopathischen Arznei auch unbe- absichtigte Spuren anderer poten- zieller Arzneien vorhanden sind, entspricht dem „Rauschen", das wir auch bei anderen Informations- übertragungen kennen. Sofern das Signal innerhalb des „Rauschens"

erkennbar bleibt, besagt das Rau- schen über die Wirksamkeit des Si- gnals gar nichts.

Kuschinsky deutet an, daß die Selbstbeobachtung jeweils zu den Prüfsymptomen bei der Arzneimit- telprüfung führte... Daß bei einer Erwartungshaltung Selbsttäuschun- gen vorkommen und zu falscher Zuordnung von Symptomen zu Arz- neien führen kann, ist auch homöo- pathischen Ärzten bereits be- kannt... Die Auslese der zutreffen- den Informationen erfolgt mithin durch die Sichtung. Ganz sicher scheint es mir, daß sich die Wir- kung einer Arznei nicht ermitteln läßt durch Anwendung des arith- metischen Mittels der aufgetretenen Symptome...

Daß optimale Wirkung nicht iden- tisch ist mit maximaler Dosierung, ist Allgemeingut: Man denke nur an die Lautstärke von Musik oder an das Salz in der Suppe. Es ist sehr zu bedauern, daß Kuschinsky nicht die Wirkungsumkehr von Arz- neien, sondern den Vitalismus und das Potenzproblem als das zentra- le Problem und Anliegen der Ho- möopathie beschrieben hat.

Noch eine Frage zum Schluß: Wo- her weiß eigentlich der heutige Pa- tient, daß Homöopathie etwas Be-

sonderes ist? Vielleicht deshalb, weil er das Magische in der Medi- zin sucht, oder wohl gar weil er den Hochmut einer rein naturwis- senschaftlichen Heilkunde ab- lehnt?

Dr. med. Theo Raspe Arzt für Allgemeinmedizin 44 Münster

Aegidiistraße 37

Schlußwort

Über die lebhafte Reaktion auf meinen Beitrag zur Problematik der Homöopathie habe ich mich gefreut. Nur an wenigen Stellen einzelner Zuschriften zeigt sich die herablassende Haltung des erfah- renen Praktikers gegenüber den Pharmakologen. Dabei fallen mir besonders Bemerkungen eines Kri- tikers auf, der annimmt, die Phar- makologie sei durch „physikalisch- chemische Effekte im Reagenz- glas" genügend umschrieben, um sie der „Erfahrung" der Praxis ge- genüberzustellen. Gerade mein Bei- trag im DEUTSCHEN ÄRZTEBLATT vom 6. März 1975 über Placebo- therapie sollte zeigen, daß es not- wendig ist, jede Art von Arzneithe- rapie wissenschaftlich zu kontrollie- ren. Einige Anfänge in dieser Rich- tung sind neuerdings zum Bei- spiel von P. Mössinger ge- macht worden. Es ist zu hoffen, daß in der nächsten Zeit einschlä- gige Untersuchungen zu einer kla- ren Übersicht über die Wirkungen wenigstens einiger einzelner aus- gewählter Homöopathika führen werden. Die Pharmakologen sind jederzeit bereit, die nachgewiesene Wirksamkeit von Arzneimitteln je- der Art anzuerkennen.

Den wenigen äußerst aggressiven Briefschreibern möchte ich entgeg- nen: Ich habe niemals ein Dogma verkündet, sondern habe versucht, die Mehrzahl der Leser zu überzeu- gen. Im Gegensatz zum Dogma wird kein Zwang ausgeübt, etwas zu glauben. Jeder kann also glau- ben, was ihm gefällt. Glaube ist aber kein wissenschaftliches Argu- ment.

Wenn mir auf Grund meiner kriti- schen Einstellung der „Übermut des 19. Jahrhunderts" bei der Er- klärung von Naturkräften vorgewor- fen wird, so kann ich nur immer wieder staunen, wie manche Kolle- gen in der Lage sind, durch reines Nachdenken oft unter Einbezie- hung moderner Physik in ähnlicher Weise wie antike Philosophen alle Zusammenhänge zu erklären. Ist das kein Übermut im Jahr 1975, ei- nem Jahre, in dem man sich der Grenzen unserer Erkenntnis besser bewußt sein sollte als im 19. Jahr- hundert?

Prof. Dr. med. Gustav Kuschinsky 65 Mainz

Obere Zahlbacher Straße 67

Therapie in Kürze

Die willensmäßige Kontrolle des Herzrhythmus kann bei funktionel- ler Extrasystolie das pathologi- sche, ätiologisch ungeklärte Ge- schehen zum Sistieren bringen.

Das bewiesen Versuche bei einer 31jährigen Patientin, bei der die Extrasystolen bei einer Frequenz von mehr als 72 Herzschlägen pro Minute gelegentlich, bei mehr als 106 Herzschlägen pro Minute stän- dig auftraten, was sich subjektiv in Ziehen und in Stichen in der Brust kundtat. Mit Hilfe eines Tachokar- diographen, der die Herzschläge registrierte und in Töne umsetzte, konnte die Patientin innerhalb von sechs Wochen in sechzehn Sitzun- gen lernen, ihre Herzfrequenz will- kürlich um 20 bis 25 Schläge pro Minute zu steigern. Dabei traten dann die Extrasystolen nicht mehr auf. Eine Verlangsamung des Herzrhythmus gelang dagegen kaum. Alles, was erreicht werden konnte, war eine Verlangsamung um einen bis zwei Schläge pro Mi- nute. Nach einiger Übung fielen die Extrasystolen auch auf dem Fahr- radergometer aus. HH (Pickering, Thomas und Grace Gorham, Lancet 7901 [1975], vol. 1, 252-253)

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