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Archiv "Alkoholismus – Prävention bei Gesunden" (12.02.1986)

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EDITORIAL

lkoholkranke sind die Al- koholabhängigen (in der Bundesrepublik bekanntlich ein bis zwei Millionen) und die übrigen Alkoholgeschä- digten, deren Zahl noch schwerer zu bestimmen ist.

Die Schäden liegen auf kör- perlichem, psychischem und sozialem Gebiet. Dabei han- delt es sich nicht immer um die schwersten Störungen wie Demenz, Leberzirrhose, Ehescheidung und Kriminali- tät. Viel häufiger und sehr einschneidend sind auch psychische Unausgeglichen- heit, verkürzte Lebenserwar- tung, ein Verkehrsdelikt und Entfremdung von den Be- zugspersonen durch über-

mäßigen Alkoholkonsum.

Von den Alkoholabhängigen bleibt trotz verbesserter The- rapien der größere Teil krank; von den Alkoholge- schädigten wird praktisch keiner wieder gesund. Thera- pie reicht also nicht aus, Prä- vention ist vonnöten. Es geht um die (noch) Gesunden und ihr Risiko. Denn jeder, der Alkohol trinkt, ist gefährdet in Richtung Alkoholabhän- gigkeit oder/und Alkohol- schädigung.

Fast jeder trinkt Alkohol. Ei- ne kürzlich durchgeführte Erhebung ergab, daß 97 Pro- zent der befragten Männer und 96 Prozent der Frauen Alkohol zu sich nehmen. Die Quantität ist zwar sehr unter- schiedlich, meist aber hoch.

Für Männer wurde ermittelt:

an einem netten Abend trin- ken 30 Prozent 60 bis 100 Gramm Alkohol, 55 Prozent über 100 Gramm. Aber nur vier Prozent schätzten ihren Alkoholkonsum als hoch

oder sehr hoch ein. In der Sprechstunde hört man oft:

Ich trinke nicht viel. Wenn man nachfragt, sind es abendlich sechs bis acht Fla- schen Bier und noch etwas dazu.

Es gibt zu denken, wie wenig gegen die Entwicklung zum Alkoholismus hin getan wird, während für die Behandlung der eingetretenen Sucht- krankheit immer neue Insti- tutionen, auch in privater Trägerschaft, geschaffen werden.

Alkoholismus-Prävention ist eine Aufgabe nicht nur für Gesetzgeber, staatliche In- stanzen und Medien. Neben die Maßnahmen im großen muß die Vorsorge für den einzelnen treten. Prävention soll sich nicht nur an die Öf- fentlichkeit wenden, sondern mehr noch an den einzelnen So auch in der Sprech- stunde.

P

raktisch jeder Mensch F nimmt Alkohol zu sich.

Deshalb lohnt es sich, bei je- dem Patienten in der Sprechstunde zu erfragen, ob und wie weit er gefährdet ist. Mancher Patient wird al- lein schon durch die infor- mativ gehaltenen Fragen des Arztes nachdenklich. Die meisten sind zu einem ein- gehenderen Gespräch bereit.

Zwei Akzente sollte der Arzt in solchen Gesprächen ver- meiden: Daß er dem Patien- ten die Lebensfreude beein- trächtigen wolle und daß er nur Warnungen und Verbote im Sinn habe. Statt „Du darfst nicht" oder „Du sollst nicht" soll das Gespräch ge- tragen sein von der Devise

„Du brauchst nicht". Das gilt besonders für die Quantitä- ten. Mancher meint, er brau- che eine bestimmte Menge Alkohol, um sich entspannen zu können, um gesellig zu sein, um gut zu schlafen. Die meisten Menschen wissen nicht, daß diese Effekte nicht von absoluten Mengen ab- hängig sind, sondern von der Gewohnheit und Gewöh- nung. Mancher Patient ist dankbar, wenn er die Erfah- rung macht, daß er auch mit kleinen Mengen Alkohol zu- frieden sein und gut schlafen kann. Mancher stellt überra- schend fest, daß der Schlaf nach kleinen Mengen oder ohne Alkohol sogar besser sein kann. Praktisch jeder, der den Versuch macht, be- stätigt, daß sein Befinden am Morgen und seine Leistungs- fähigkeit am Tage deutlich besser sind, wenn er am Vor- abend weniger getrunken hat.

nie meisten Menschen EJ hierzulande, nach unserer Erhebung 85 Prozent, halten es für selbstverständlich, ja unerläßlich, daß bei geselli- gen Anlässen Alkohol ge- trunken wird. Auch den mei- sten Ärzten dürfte das selbst- verständlich erscheinen.

Aber man muß nicht Absti- nenzler sein, um zu fragen, ob Geselligkeit und Alkohol zwangsläufig miteinander verbunden sind. Wenn der Arzt hierauf aufmerksam macht, stimmt mancher Pa- tient darin zu, daß er zum

Beispiel beim Frühschoppen zwischendurch auch einmal ein alkoholfreies Getränk nehmen könne. Das wird heute von der Gesellschaft weit öfter toleriert als früher.

Seltener hört man von unver- ständigen und spöttischen Reaktionen. In der Regel hört man dann auch die Al- koholproblematik des Spöt- ters selbst heraus. Interes- sant sind in diesem Zusam-

Alkoholismus

Prävention bei Gesunden

402 (58) Heft 7 vom 12. Februar 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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menhang die Erfahrungen mit alkoholfreiem Bier.

Alkoholfrei ist hier allerdings ein Rechtsbegriff, der nicht wörtlich zu nehmen ist. Die- ses Bier darf nämlich Alko- hol bis zu 0,5 Volumenpro- zent enthalten. Das aber ist weniger als ein Zehntel, ver- glichen mit „normalem"

Bier. Oft hört man den Ein- wand, dieses Bier schmecke schlecht oder allzu unter- schiedlich im Vergleich mit dem üblichen Bier. Es gibt jedoch wenigstens eine Mar- ke alkoholfreien Biers, die den Ansprüchen von Bier- trinkern genügen kann. Sol- ches Bier weist beinahe alle Eigenschaften des gewohn- ten Biers auf: es ist wohl- schmeckend und durstlö- schend, hat Nährwert und wirkt entspannend. Was (fast) fehlt, ist der Alkohol, den man aber bekanntlich in dieser Konzentration gar nicht schmeckt. Die übrigen Unterschiede sind nur gradu- eller Natur: alkoholfreies Bier enthält weniger Kalorien (ohne allerdings ein Diätbier zu sein), und die psychi- schen Wirkungen sind schwächer ausgeprägt, da es zwar Hopfen enthält, aber (fast) keinen Alkohol.

Diese beiden Unterschiede müßten eigentlich vorteilhaft bewertet werden, da sie un- erwünschte Gewichtszunah- me und ungewollte psychi- sche Beeinträchtigung ver- meiden helfen. Erfahrungs- gemäß reicht die entspan- nende Wirkung des alkohol- freien Biers den meisten durchaus, zumal diese ja auch durch die „äußeren"

Eigenschaften (Aussehen, Geschmack und so weiter) verstärkt wird.

Man sollte nun vermuten, Mein solches Getränk sei beliebt und weit verbreitet.

Das ist aber bisher nicht der Fall. Nach unseren Erhebun- gen (1984) kennt nur jeder Dritte alkoholfreies Bier,

noch weniger haben es pro- biert. Wer es kennt, beurteilt es jedoch recht gut. Er be- mängelt zwar dieses oder je- nes (unterschiedlich bei den einzelnen Produkten); selten aber (nur von jedem achten) wird der Alkohol vermißt. Die Einstellung ist also nicht durchweg negativ, die Vorur- teile sind anscheinend klei- ner als erwartet. Aber jeder zweite befürchtet, in Gesell- schaft Ablehnung zu erfah- ren, wenn er alkoholfreies Bier trinkt.

nanz anders reagieren Wir- te. Den meisten ist alko- holfreies Bier bekannt, aber kaum einer bietet es an. Wir- te äußern viel mehr Vorurtei- le und unterstellen diese auch den Konsumenten. Sie schätzen also die Einstellung ihrer Kunden falsch ein. Das mag mit eigenen Gewohn- heiten und Widerständen zu- sammenhängen.

Viele Patienten sind dankbar für den Hinweis des Arztes auf dieses Alternativgetränk, insbesondere wenn sie weni- ger trinken wollen, die Ein- schränkung aber bisher schwerfiel. Diese Informatio- nen und Ratschläge gelten nur für „normale" Trinker, also für Gesunde. Bei Alko- holabhängigen muß das Vor- gehen anders sein. Hier hilft nur absolute Alkoholabsti- nenz. Kompromisse werden immer wieder versucht, be- währen sich jedoch nicht, auch nicht Versuche des kontrollierten Trinkens. Ge- tränke mit einem Restgehalt an Alkohol kommen für Ab- hängige natürlich nicht in Frage; aber auch absolut al- koholfreier Wein, Sekt usw.

sind zu vermeiden, da ihnen zu sehr das Odium des Trin- kens anhaftet. Was verhäng- nisvoll für den Alkoholabhän- gigen ist, kann für den Ge- sunden jedoch eine Brücke bedeuten, zum Beispiel ein alkoholarmes Getränk auf

dem Weg zum gemäßigten und kontrollierten Trinken.

Kontrolliertes Trinken gilt als das wünschenswerte Kon- sumverhalten. Es wird höher eingeschätzt als die Absti- nenz. Diese Einstellung geht von der Überlegung aus, wer seinen Konsum steuern kön- ne, sei freier als derjenige, der sich zu einem Verzicht gezwungen sähe. Trifft das zu? Gewiß gibt es auch frei gewähltes Nicht-Alkohol- Trinken (die Begriffe Ver- zichten und Abstinenz klin- gen in diesem Zusammen- hang fast negativ) und ande- rerseits Abhängigkeit von kleinen Mengen bei schein- bar kontrolliertem Trinken.

Jedenfalls sind die Maßnah- men des Arztes bei Gesun- den und Abhängigen unter- schiedlich, wie ja auch zwi- schen normalem und süchti- gem Trinken ein beträcht- licher Unterschied besteht.

Aber es gibt keine scharfe Grenze, sondern eine Stu- fenleiter des Trinkens: gele- gentlich — öfter — regelmäßig

— zunehmend — gewohnt — Gewöhnung — Abhängigkeit.

Jeder „Trinker" ist gefähr- det. Wo der einzelne Patient steht, muß der Arzt erfragen, um den „fortgeschrittenen Trinker" zu erkennen und zu behandeln.

W

er viel von den Gefahren des Alkohols spricht und wer sich aktiv hierum küm- mert, gerät leicht in den Ver- dacht, anderen Lebensfreu- de nehmen und Lebensquali- tät beeinträchtigen zu wol- len. Aber hängt Lebensquali- tät von Quantität ab? Wohl kaum, und gewiß nicht von Alkoholquantitäten.

Professor Dr. med.

Rainer Tölle

Klinik für Psychiatrie der Universität

Albert-Schweitzer-Straße 11 4400 Münster

Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 7 vom 12. Februar 1986 (59) 403

Referenzen

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